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Wichsullich erscheinen drei Nummern. PränumcrationS- Prcw 22 Sgr. (^ Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. sür da» ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man pränumerirt aus dies«« Beiblatt der Alla. Pr. Lc^mS- Aeitung in Berlin in der Expedition (Mollren-Straß« Rr. 34); in der Provinz f» >vie im Auslände bei den Wohllüdl. Post-Äemter«. Literatur des Auslandes. 133. Berlin, Freitag den 22. Dezember 1837. Frankreich. Da§ Thal der Arriögc und die Republik Andorre. Bon Michel Chevalier. Da» Thal der Arrioge ist bis in die Gegend von Pamiers schön und fruchtbar. Wurde der Horizont nicht von malerischen Hügelreihcn beglänzt, so könnte der Reisende leicht annehmen, er befinde sich noch in der ausgedehnten und üppigen Ebene von Toulouse. Oberhalb Pa miers rucken die Hügel einander naher und schwellen zu Bergen an; Lie Landschaft wird wilder, das Klima rauher, der Boden karger be gabt. Dem Wanderer behagt dieser Wechsel der Scene ganz wohl, wenn das Weller schön ist; denn unter einer glühenden Sonne nehmen sich die Berge immer prächtig aus, wie dünn gesäet auch das Grün seh, das ihre Abhänge bclleidcl. -Aber selbst der enthusiastischste Liebhaber einer rauhen Gebirgs-Landschaft mit ihrem ewigen Schnee und ihren lebendige,i Quellen^fühlt sein Hirz beklemmt, wenn er jenseits Tarascon gegen BicdefsoS binansteigt. Man glaubt wirtlich, in eine Grusl oder in die Behausung verwünschter Geister zu treten, wenn man die Schlucht la Ramade passirl, wo die Arrioge durch Granuselsen ihren Weg gebahnt hat. Zu beiden Seiten erheben sich ungeheure nackte Fclscmnasscn, die selbst hier, wo der Landmann jeden Korbvoll Erde, den der Regen ins Thal gespült, zu nützen sucht, lohne Anbau geblieben sind. Nur die alten Ritter wagten es, an diesem Orte des Grausens zu wohnen, wie das Schlön Miglos bezeugt, dessen ziemlich wohlerhaltene Thürme und Zinnen von einem der öden Gipset hcrabschane». Erst in der Nachbarschaft des Städtchens LicdeffoS verwandelt sich Lie Scene, und mit einem Male sehen wir das inlercssanlcste Panorama, wo der Mensch und die Natur im Bunde gewirkt haben, vor uns ausgcrollt: große Dörfer, deren Bewohner in dlühendem Wohlstände leben, und majestätische Berge mit dem reichsten Anbau. Neben urwelilichen Tropf stein-Grotten dehnen sich andere nicht minder tiefe und gewundene Höhlen aus, an welchen der Mensch Jahrhunderte lang gearbeitet, um das Eisen dem Schoost dcr Erde zu entziehen; die Funken aus den Oefen dcr Eisenhämmer erlöschen auf Druiden-Dcnkmalen, aus Thürmen, die Karl dem Großen Obdach gewährten. Bülte,> durch diese Landschaft wälzt die Arrioge ihre brausenden Wellen, und den ganzen Horizont umgürlcl eine dreifache Reibc von Gipfeln, Liren Formen sehr verschie de» sind, je nachdem Granit, Schiescr oder Marmor die Substanz ist, je nachdem die urweltlicheu Erschütterungen des Erdballs und die unter irdischen Feuer mehr oder weniger auf sie cingewirkl habe». Jener Berg, dcr alle übrige beherrscht, ist der Montcalm, einer der buchsten Gipfel der Pvrenäen; jener andere ist der BassiösseS, den seine fetten Weiden in Ruf gebracht. Die Käse, die man auf diesem Berge bereitet, sind allein von dem Anathema ausgeschlossen, das Languedoc'» Gastronomen gegen alle übrige Käse des Landes ge schleudert haben. Dort erhebt sich dcr eisenhaltige Ranciö, dessen Eingeweide seit grauer Zeit durchwühlt werden. Zur Linken thront der Col de Sem, neben welchem ein einsamer von einem Granilfelse» gekröiitcr Gipsel cmvorragt. Dieses Felsenstück tragen drei kleine Blöcke, die, gleich den Beinen eines Dreifußes, den Taz hindurchschimmern lassen Auf diesem Felsen stoss in der Druiden-Zeit das Blut der Menschenopfer, und man bemerkt noch an Ler Oberfläche eine kreis förmige Höhlung, welche als Blutbecken diente. Zur Rechten winkt uns der Col te Lberz, welcher nach Lem gleichnamige» in den Annalen der Geologie berühmten Teiche fuhrt. Im Hintergründe de» Thales liegt der Flecken Vicdcsso«; am Abbange dcr Berge gewahren wir die Dörfer S„c, Aujat, Ollier und Orus. De» Bewohnern von Ollier er- »heille Karl der Große da« Privilegium, ohne Ausnahme Schwerter zu tragen. . An der cinc» Seite von BicLeffoS führt eine Straße im Zickzack aufwärts nach den Minen; ci» prächtiger Wasserfall von zweihundert Fuß Höhe, der zwischen liberhangenden Tannen herabstürzt, macht Liese Straße sehr malerisch. An der anderen Seite von VicbeffoS, auf einem großen abgerundete» Hügel, bemerkt man die Trümmer einer alten Ver schanzung: hier stand da» Lager von Mouttöal, das eine Zeitlang ken Soldaten und den zwölf Paire de« großen Franken-Kaiser« als Aufenthalt diente. Ich breche hier meine Beschreibung ab, um aus einen Gegenstand zu komme», ter interessanter ist, als die Configuratio» de« Bodens oder die steinernen Denkmäler au« Vorzeit und Mittelalter: ich meine Lie heutige Bevölkerung dieser Thaler und Berge. Die großen modernen Erfindungen und Reformen in jedem Zweigc der Industrie und de« Staaksleben« sind mir sehr willkommen und er freulich; dessenungeachtet muß ich bezweifeln, ob die Menschheit jetzt auch besser, glücklicher und zufriedener sey, als vor Jahrhunderten. Lie Annalen der Gerichtshöfe und die Listen der uneheliche» Kinrcr scheinen sogar zu beweise», daß das Sittenverdcrbe» mit der Volks-Ausklärung gleichen Schritt halt; und wirklich sinnen schon weise Personen darüber nach, wie man die Reform selbst rcsormiren, da« beißt, durch Läuterung und Moralistruiig wahrhaft segensreich machen könne. Diese Vorwürfe sind aber nicht die einzigen, welche das neue Reformcnwescn treffen. Seine wunderbarsten Ergebnisse, auf die wir mit dem größten Rechte stolz sind, scheinen alle Poesie aus dcr Well zu treiben, indem sie der Menschheit einen gar zu monotone» Charakter geben; und wird man es nicht vor lauter Nivellirung endlich dahin bringen, Laß selbst die Per sönlichkeit des Individuums untergehi? Wird nicht jede zartere Ge mütHS-Regung unter der Last des Positiven erdrückt werde»? Was mich hier in den Pyrenäen bezaubert, das ist eben die Ab wesenheit aller neuere» Cioilisalion; hier sehe ich noch reiche Mannig faltigkeit, Pittoreske« und Poeiischcs, an Menschen und an Dingen. Jedes Thal ist cinc Welt für sich, von der benachbarten Welt eben so verschieden, wie Merkur vom UranuS; jedes Dorf ist ein Clan, eine Art von Staat, der seinen eigenen Patriotismus hat. Auf jedem Schritt entdecken wir neue Tvpen, neue Formen, andere Meinungen, andere Vorurtheile, andere Gebräuche. Selbst die zunächst liegenden Städte habe» einen Abglanz dieses buntscheckigen Charakter« bekommen. -Andert halb Stunden von dem mönchisch mittelalterliche» Pamier« treten wir in das vollkommen bürcaukratische Foir, dessen Haupt-Bevölkerung Regierungs-Beamte und HandlungS-Kommi« bilden, und wo kein Stein auf dem anderen bliebe, wenn man die Präfektur, die Mairie, die Gendarmerie, das Gcsängniß und das Schulgebäude wegfchaffen wollte. Eine Stunde von Foix liegt Lavelanet, ein Manchcster in Miniatur, wo Jedermann spinnt, webt ober krämpclt, wo fast nur Fabriken und Manufakturen zu schauen sind. Aber mitten im Gebirge werden die Uebergänge noch schroffer, Lie Kontraste noch ausfallender. Da finden wir abwechselnd Docser, wo nur Ackerbauer wohnen; andere, die nur von Maullbicrtteiber», und wieder andere, die nur von Bergleuten bewohnt sind. Jenes Dorf zur Rechten steht im Ruse großer Mäßigkeit und Sparsamkeit, während in dem Nachbar-Dorfe zur Linken Lie ganze Gemeinde zu Robert'« Waht- spruch sich bekennt.") In Sem sind alle Familienhäupter, selbst wenn sie keinen Buchstaben lesen kömmt, mit Len Mysterien des gerichtliche» VerfahrsnS vertraut; die Natur hat sie Alle zu Advokaten gemacht, während ihre Nachbarn in Goullcr mit Leib und Seele der Gastrono mie huldige». Ler berühmteste Arzt des Landes beschrieb mir einigr Frühstücke, Vesperbrodte und Mahlzeiten, Lenen er beigewobnt batte, und die selbst Mehrwölfcn Respekt entflößen könnten. Einer der ersten Gourmands von Goulier war von einem tüchtigen HochzeitSschmause heimgckehrt; da ihm aber die Zeit bis zum Abendessen sehr lang wurde, so verzehrte er noch eine gebratene Gan« und eiiien Schinke», von denen er im buchstäblichen Sinne de« Worte« nur die nackten Knochen übrig ließ. Der erwähnte Doktor versicherte mir, er habe mit eigenen Augen gesehen, wie zwei Bergleute au« Goulier an einer Wirtbsiasel gemeinschaftlich zwanzig Kilogramm Fleisch, zcb» Kilogramm Brod und fünfzehn Litte« Wein (das Litte wiegt ein Kilogramm) zu sich nah men; jede« dieser Freß-Ungeheuer war also um sechzig Französische Pfund schwerer, als es von der Mahlzeit aufstand. Die Kontraste i» Natur und Menschenleben, welche dieses Eebirgs- land uns bietet, haben auch auf die politische Verfassung zurückgewirkl. Nur wenige Stunden von hier dehnt sich da« Thal An dorre au«, ein kleiner Freistaat, den dcr Genius der Dauer in seinen besondere» Schlitz genommen haben muß; Leun Lieser Freistaat eMirt schon eio Volles Jahrtausend. Das Tbal hat Lie Form eines V; d. h. es spal tet sich i» der höheren Region in zwei Thaler, die von Len Flüssen Embrilire und Ordino bewässert werden. Gewaltige Höheuzüge, die sechs Monate des Jahre« ganz unzugänglich find, trennen es von Frankreich. Als Karl der Große ums Jahr 7M gegen die Mauren iit Spanien zu Felde zog, schlug er sie in einem Thäle, das an die Republik Andorrc gränzt und noch jetzt seinen Namen (vaüu «Io Garo!) führt. Die Andorrenser nahmen das Heer Karl « de« Großen freundlich aus und zeigten ihm de» Weg durch die Engpässe von Catalonien. Aus Dank barkeit sür diesen Dienst erklärte fie Karl für unabhängig und gestat tete ihnen, sich nach eigenen Gesetzen zu regieren. Sein Sobn, Ludwig der Fromme, gab Le» Andorrenftrn eine Verfassung, die bis auf den ') Dieser Wahlspruch lautet: vor e-c une eklmSre «e »I l-uk sarole »'«»