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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.08.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020818020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902081802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902081802
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-08
- Tag 1902-08-18
-
Monat
1902-08
-
Jahr
1902
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Tabellarischer und Ztfsernsap entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Osfcrtenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesördsrung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an dre Erpeditien zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 biS Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 418. Montag den 18. August 1902. 96. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 18. August. Die „Augsburger Abendzeitung" vertritt zwar nicht die Stelle eines in Bayern nicht vorhandenen „Staats anzeigers", aber wenn dieses Blatt mittheilt, eö erfahre aus der bayerischen Hauptstadt, die Veröffentlichung der zwischen dem Kaiser und dem Prinz-Regenten gewechselten Depeschen sei von Berlin aus ohne weiteres Ein vernehmen mit München erfolgt, so muß man an nehmen, diese Mittheilung sei nicht nur richtig, sondern auch ihrerseits „im Einvernehmen mit München" erfolgt. Die weitere Mittheilung deS Augsburger Blattes, das „Südd. Correspondenz-Bureau", das in Bayern die Verbreitung der Depeschen besorgte, habe die von dem „Wolff'schen Bureau" seiner Meldung vorausgeschickten Worte: „Wie wir auS München erfahren", weggelassen, kann diese Annahme nur bestärken. Durchaus glaublich ist endlich die Versicherung der „AugSb. Abendztg.", von München aus sei jede Mittheilung an die Presse vermieden worden, da man die Sache als eine persönliche Angelegenheit der beiden Souveräne betrachte. Um so brennender wird nun die Frage, wer „von Berlin auS" die Veröffentlichung veranlaßt und was das „Wolff'sche Bureau" zu der Behauptung be wogen hat, seine Kenntniß und seine Autorisation stamme von München. Diese Irreführung zwingt fast zu dem Schluffe, daß die Veröffentlichung infolge einer IndiScre- tion schlimmster Art erfolgt sei, an der amtliche Kreise keinerlei Schuld tragen. Die Richtigkeit dieses Schlusses scheint auch daraus hervorzugehen, daß der „Reichs- und Preußische Staats anzeiger" von der Veröffentlichung noch immer keine Notiz nimmt, obgleich sie die Oeffentlichkeit tief bewegt. Bei dieser Ignorirung darf eS aber jedenfalls nicht bleiben, wenn falschen Vermuthungen der Boden ent zogen werden soll. Schon deshalb darf eS dabei nicht bleiben, weil die „AugSb. Abendztg." ihre zweifellos inspirirte Aus lassung mit den Worten schließt: „Eine andere Frage, die sich zu gleicher Zeit erhebt, und der wir merkwürdiger Weise in keiner der vielen Preßäußerungen begegnen, ist die nach dem Zweck und der Absicht der, sagen wir vorläufig einmal von Berlin ans erfolgten Veröffentlichung. Wie die politische Constellation in Deutschland heute ist, können wir nicht ent- Lecken, zu welchem Endzwecke diese überaus scharfe Kritik des „herrschenden" Centrums geschehen sein könnte, und das um so weniger, weil man heutzutage keine Garantien hat, daß, we-m damit neue Wege eingeschlagen werden sollten, diese auch stetig Verfolgt werden!" Und weil selbst die „Kreuzztg." schreibt: „Mit vollem Rechte wird man die Frage auswersen muffen, ob es zweckmäßig war, den Telegrammwechsel zu veröffentlichen. Denn erst hierdurch hat die Angelegenheit einen politischen Charakter erhalten. Wir wissen nicht, wer dazu den Anlaß gegeben hat, können aber nicht umhin, zu erklären, daß es nach unserer Auf fassung besser gewesen wäre, wenn die Veröffentlichung unter blieben wäre. Die Darlegung der Gründe können wir uns er sparen; diese werden unseren Lesern auch ohne unsere Belehrung zum Bewußtsein kommen." Die „Kreuzztg." kann übrigens auch noch einen anderen Grund zum Bedauern über die Veröffentlichung der Depeschen haben, als die fatale Lage, in die dieser Schritt den Prinz- Regenten Luitpold dem „herrschenden" Centrum gegenüber bringt. Dem hochconservativen preußischen Blatte dürfte eS auch peinlich sein, daß die Welt erfährt, wie der Kaiser über dieses Centrum selbst denkt, das die „Kreuzztg." den bayerischen Conservativen soeben als Bundes genossen empfiehlt. In einer Zuschrift aus München, die nicht nur sehr charakteristisch für den conservativen Ver fasser ist, sondern auch charakteristisch für die „Kreuzztg." wird, die seiner Mahnung sich auschlicßt, heißt es nämlich: „Demgegenüber erschiene eS als ein erwägenSwerther Ge- danke, daß sich in Bayern wenigstens die conservativen und agrarischen Elemente zu einem Zusammengehen mit dem Centrum bei den nächsten Neichstagswahlcn ent- schlössen; denn nur so ist es möglich, ernstlich und ein- für allemal mit dem Liberalismus in Bayern aufzuräunien. Was dieser Allianz nicht zusällt, ist die sichere Beute der Socialdemokratie, die ja nennenswerthe Erfolge allein da erzielt, wo früher der Liberalismus unumschränkt herrschte. Dec Gedanke muß um so ernster ins Auge gefaßt werden, als die conservative Gruppe im Landtag sehr oft mit dem Ccntrum Zusammengehen konnte. Uebrigens müssen die agrarisch gesinnten Wähler der Rheinpfalz, die politisch früher dem Nationalliberalismus angehörten, nunmehr das Tischtuch mit dem politischen Liberalismus zerschneiden, der den Kampf gegen das Centrum in den Vordergrund schiebt, um wirthschaftspolitisch nicht Farbe bekennen zu müssen. Die Wahl in Forchheim Kulmbach kann und wird hier aufklärend wirken, denn sie zeigt, wohin der Liberalismus steuert, und wie sehr es sich bei ihm um sein Eigcninteresse und nicht um Las Les Volkes handelt." Wer es für eine Pflicht der bayerischen Conservativen hält, den Herren Schädlcr, Orterer u. s. w., die als Hetzer gegen Preußen mit dem verstorbenen vr. Sigl sich getrost messen können, neue Mandate zusühren zu Helsen, dem muß es natürlich sehr peinlich sein, daß das Unheil bekannt ge worden ist, welches der Kaiser von Deutschland und König von Preußen über das Gebühren des Centrums im bayerischen Abgeorbnetenhause gefällt hat. Tic dcntschc Auswanderung bat während langer Jahr zehnte bei dem Mangel an eigenem, überseeischem Besitz, der sie hätte aufnehmeu können, dem Deulschthum Ströme von werthvvllcm Menschenmaterial entzogen und Fremden zngeführt. Wie stark diese unsere Verluste zu Gunsten Anderer waren, zeigt einleuchtend eine Ueber- sicht über die Zahl der Deutschen, die allein in den Colonien Englands diesem werthvolle Culturarbeit leisteten und leisten. In Betracht kommen vor Allem Canada, Südafrika und Australien. In Canada sitzen etwa 335 000 Deutsche, hauptsächlich im Osten in den Grcnzprvvinzcn gegen die Bereinigten Staaten. Dort finden sie sich auf einem verhältnißmäßig kleinen Raum zusammcngedrüngt. Bon den nicht 3000 Deutschen, die durch das übrige ungeheure Land zerstreut sind, sitzen wieder etwa 2000 in der Nähe der Westküste in Britisch- Colnmbicn. Man hat hier also fast nur mit dem Süd osten zu thun. Hier wiederum ist das Dcntschthnm am stärksten in den Provinzen Ontario, Nenschvttland und Manitoba, wo es mit 238 500, 44 000 und 13 000 Köpfen etwa 12, 11 und 10 Proccnt der Bevölkerung bildet. Noch bedeutender stellt sich das Stärtevcrhältniß der Deutschen in einzelnen Städten. In Waterloo, Berlin, Lüneburg und Wiltiamburg bilden sie mit 1050, 3150, 3002 und 2705 Köpfen 82, 70, 77, 50 Proccnt. Einzelne Bezirke sind hier fast oder völlig deutsch. Bon der weißen Bevölkerung des englischen Südafrika sind etwa 35 000, d. h. 5 Proccnt Hochdeutsche. Die Engländer stellen mit 180 000 Köpfen 23 Proccnt. Doch stehen der Nationalität nach den Deutschen ganz nahe die Boercn, die im Jahre 1900 mit 560 000 Köpfen 72 Procent der weißen Bevölkerung ganz Südafrikas bildeten. Auf die einzelnen Länder vertheilcn sich dort die Deutschen wie folgt: im Capland 10000, in Natal 5000, in Transvaal 15 000, im Oranje- freistaat 5000. Australien endlich besitzt unter einer Gcsammtbcvölkerung von etwa 3^ Millionen, wo von ein großer Theil auf die Eingeborenen entfällt, nicht weniger als 106 500 Deutsche. Am weitaus stärksten ver treten sind diese in den Colonien Queensland und Süd australien. Hier bilden sie in einer Anzahl von dort 38 000, hier 30 000 ganze 8 und 7 Hunderttheile der Be völkerung; cs folgen dann Biktoria mit 15 000, Nen-Sec- land mit 12 000, Neu-Süd-WaleS mit 10 000 Deutschen. Nur deren 1000 und 500 finden wir in Tasmanien und dem weiten Wcstaustralicn. Noch in Deutschland geboren sind von all' diesen höchstens 47 000. Zusammen also zählen die drei englischen Colonien über 476 000 deutsche Bewohner. Ucberall bilden diese mit das wirth- schaftlich und cultnrell beste Element der Bevölkerung. Leider freilich macht man auch überall die Beobachtung, daß diese Deutschen gar zu leicht und gerne im Eng- länderthum aufgehen. Rühmliche Ausnahmen gicbt es natürlich auch, aber im Ganzen haben sich Alle, die nicht noch in Deutschland geboren sind, gewöhnt, das Englische als ihre Muttersprache zu sprechen und die eng lischen Lebensgcwohnheiten und Einrichtungen an genommen. Auch Leute, die noch in Deutschland selbst waren, entwöhnen sich bereits ihrer Muttersprache. Und dies ist für uns ein gefährlicherer Wettbewerb des Eng- länderthums als der ans wirthschastlichcm Gebiete. Hoffentlich kommt bald die Zeit, wo wir dort wie hier schöne Erfolge ausziiweiscn haben, Dank der Erziehung zum nationalen Sclbstbcwußtsein, die ja auch bei uns endlich eingesetzt hat. Die beiden Reden, die der französische Kriegsminister Andrö in Billefranche gehalten hat, haben, wegen ihres Hinweises auf die Revanche, welche nach diesen Aus führungen die Armee Frankreich in der Zukunft bringen soll, ein gewisses Aufsehen im Auslände erregt. Es ist so häufig in jüngstcrZcit von den Ministern und auch von dem Präsidenten der Republik — n. A. dem Zaren gegenüber — betont worden, Frankreich wünsche, erstrebe und brauche den Frieden, daß der Rückfall in drohende Phrasen aller dings als ein seltsames Symptom erscheint. Doch liegen immerhin Umstände vor, welche das Auffällige dieser Kundgebung etwas zu mildern geeignet sind. Um die Be deutung der Andrö'schcn Rede richtig zu beurthcilcn, mnß man sich nämlich gegenwärtig halten, wo, in welchem Augenblick und in wessen Gegenwart der Kriegsminister gesprochen hat. Anwesend waren der Gouverneur von Lyon, der Präfeet des Rhone-Departements, alle regierungsfreundlichen Deputieren und Senatoren und der Delcgirte von Belfort. Dieser brachte ein Hoch auf das Ministerium aus. Andrö dankte für dieses Vertrauen zur Negierung und versprach, die Fahne von Belfort werde ihren Platz im Museum nur im Augenblick nationaler Ge fahr verlassen. Tann sprach Andrü von dem Soldaten der Zukunft, dem Frankreich die Palme Vorbehalte. Diese Worte des Kriegsministers erregten an Ort und Stelle allerdings sehr großen Beisrll, allein in den Pariser Blattern findet diese Stelle vorläufig kein Echo. Mau weiß aber, daß die Regierung gerade im Rhone-Depar tement nach dem jüngsten, für die Congrega- tionen günstigen Spruche des Lyoner- App e l l h o f e s eines sehr drastischen Zeichens ihres Kraftgefühls bedurfte, und Andrö's Rhetorik war wohl geeignet, diesen Zweck zu erfüllen. Uebrigens ist man in Paris während der Manöverperiode an chauvi nistische Kundgebungen so sehr gewöhnt, daß deren Aus fall eher befremdet hätte. — In Berliner diploma tischen Kreisen hat die Revancherede des französischen Kriegsministers noch weniger aufregend gewirkt, als ähn liche Kundgebungen in den letzten Jahren. Wie der „Berl. Lokal - Anzeiger" aus Petersburg erfährt, hat der Kaiser in Reval den politisch nicht hoch genug zu ver anschlagenden Erfolg gehabt, die Zurückhaltung z n ü verwinden, die der Zar selbst dem Kaiser gegenüber bei allen sonstigen gegenseitigen Einvernehmen bisher noch immer beobachtet hatte. Tie beiden Monarchen sind dann mit der rückhaltlosesten Sympathie einander näher getreten und haben während der ganzen Tauer der Be gegnung in geradezu herzlicher Freundschaft miteinander verkehrt, wie dies auch bereits hochofficiös angedcutct worden ist. Bei dieser Gelegenheit hat zweifellos der Kaiser aus dem Mnnde desZaren die Bürgschaft für die dauernde Aufrechterhaltung des Weltfriedens erlangt. So erklärt cs sich, daß der Kaiser nach seiner Rückkehr aus Rußland wiederholt zu betonen in der Lage war, jeyt halte er den Weltfrieden auf lange Jahre hinaus für gesichert. Demgegenüber wiegen die säbclrassclnden Worte des Mannes mit dem „leichten Herzen" in Billefranche allerdings sehr leicht. Deutsches Reich. fff: Berlin, 17. August. (Der n ä ch st j ä h r i g e preu ßische Etat.) Nachdem im Reiche die Verhandlungen zwischen den einzelnen Ressorts über die Gestaltung des nächstjährigen Etats mit dem 1. August ihren Anfang ge nommen haben, werden in Preußen die gleichen Arbeiten vom Beginn des nächsten Monats ab ausgenommen wer den, weil hier der Termin für die Anmeldungen zum nächstjährigen Etat der 1. September ist. Auch in Preußen werden sich die Etatsarbeiten diesmal nicht leicht gestalten. Verschiedene Ausgabeposten werden unbedingt Er höhungen erfahren müssen. So wird im Etat der All gemeinen Finanzvcrwaltnng der Posten zur Gewährung von Prvvinzialfvnds für Zwecke der Selbstverwaltung, einschließlich der Mittel zur Durchführung der Kreis ordnung, der schon im Etat von 1902 gegenüber dem vorigen eine Erhöhung nm 5 Millionen Mark erfahren hatte, im Etat für 1903 eine nochmalige Steigerung nm den gleichen Betrag erfahren müssen. Das neue Provinzial- dotationsgcsev wird am 1. Oetvber d. I. in Kraft treten. Der Etat für 1902 brauchte deshalb nur die Hälfte der mit dem Gesetze verbundenen Kosten in Ansatz zu bringen, für das Etatsjahr 1903 kommt jedoch die ganze Summe zur Verrechnung. Ob solchen Ausgabestcigerungcn ähn liche Cinnallmeerhöhungen gegenüberstehen werden, ist fraglich. Früher konnte beispielsweise die Einnahme aus der Einkommensteuer um recht beträchtliche Summen er- Feuilleton. Das Fräulein von Laint-Zauveur. 13j Roman von Grvville. (Nachdruck vcrdoien.) „Und was soll denn mit den Baumstünrpfcn geschehen?" fragte sie. „Die werden wir mit Pulver aus der Erde sprengen, sei ganz unbesorgt, sonst beginnen sie ja im Frühjahr neu zu treiben", erwiderte die tiefere Stimme des Gatten. „Das lasse ich mir gefallen! Der Architekt, der vor hin da war, sagte, daß es jetzt nicht an der Zeit sei, Bäume zu fällen; denn dann tauge das Holz nichts zum Verkaufen. Bäume müssen im Winter gefüllt werden. Aber was versteht denn er davon? Ein Architekt!" Die Stimmen entfernten sich, und Frau Rögnier, weit entfernt, die gewünschte Ruhe zu finden, wurde noch auf geregter. Selbst ihre Dienstleute verrichteten ihre Ob liegenheiten stillschweigend; es waren das lauter gute, alte, anhängliche Leute, denen der Kummer ihrer Ge bieterin zu Herzen ging. Früh ging Alles zur Ruhe im Hause. Bevor die Wittwe zu Bette ging, öffnete sie, wie jeden Abend, daS Fenster, um in den ihr so theuren Garten hinabzublicken. Selbst bei dem milden Lichte der Sterne fiel ihr die große Lichtung ins Auge, die sich an der Stelle des früheren Gehölzes befand. Im Hintergründe erstrahlten sämmtlichc Fenster des „Schlosses" in Hellem Lichte. „Lebe wohl, meine Ruhe!" sagte sie sich. „Wie mag denn die Seele dieser Leute beschaffen sein, baß sie für die Schönheit der Dinge kein Berständniß haben?" Frau NSgnier konnte Niedrigkeit der Jnstincte weder ausfasscn, noch bei anderen Menschen vorauSseyen; dies war das große Unglück — oder sagen wir, der große Fehler — ihres Charakters. Gleichwie sie großmüthig und edel veranlagt war, wurde sic von der Dummheit und Schlechtigkeit Anderer aufs Höchste erzürnt. Lange wälzte sie sich schlaflos auf ihrem Lager, kein Schlummer wollte sich auf ihre müden Liber senken. Spät Nachts, als sie einsah, baß sie durchaus nicht ein schlafen werbe, nahm sie einen Löffel Lhloral und fand endlich die ersehnte Ruhe. Eine heftige Detonation und gleich darauf eine fürchterliche Erschütteruug des ganzen Hauses weckten sie mit rauher Hand aus dem Schlafe. Im ersten Augenblicke dachte sie, der Blitz sei iu das Haus gefahren; allein laules Lachen, Händeklatschen und Geschrei belehrten sie eines Besseren. Sie klingelte; ihre Zofe trat ein, und in dem selben Momente ließ ein neues, donnergleiches Getöse, eine zweite gewaltsame Erschütterung, sie abermals zu- sammenschreüen. „Was geschieht denn?" fragte sic. „Wie viel Uhr ist es? Ist denn die Zeit der großen Manöver schon ge kommen ?" „Nein, gnädige Frau", erwiderte die Zofe, nachdem sie die Außenlädcn geöffnet und die Fenster wieder geschlossen hatte. „Es ist halb sieben Uhr Morgens, und die Schloß herrschaft läßt die Wurzeln der gefällten Bäume in die Luft sprenge«." „Großer Gott!" rief die Wittwe auS. „Die Welt soll also zu Grunde gehen? Nun ist es mit meiner Ruhe wohl für immer ans?" „Wünschen gnädige Frau ihr Frühstück?" fragte die Zofe, von der Hoffnung beseelt, ihre Gebieterin dadurch auf andere Gedanken zu bringen. „Nein, ich habe keinen Hunger. Vielleicht später. Ocffnen Sie das Fenster", gab Frau Regnier zur Ant wort. „Das ist unmöglich, gnädige Frau. Der Wind treibt allen Rauch und Staub hierher . . ." Ein dritter Eichcnstumpf erzeugte dasselbe Getöse, als er seinem vtelhundertjährigen Bette entrissen wurde. Die gewaltsam aus der Erde gerissenen mächtigen Wurzeln glichen ungeheuren zerstückelten Schlangen. Die Eheleute Chanicfleur vermochten ihre alberne Freude nicht zu unterdrücken, als sie dieses ZerstörungS- wert mit ansahen; indem sie sich gegen die leblosen Dinge wandten, nm dieselben zu vernichten, lieferten sie den Bc- weis ihrer Ucberlegenhett. Während des ganzen Vormittags folgten die Spren- gungen mit mehr oder weniger großem Lärm aufein ander und erfüllten die ganze Umgebung deS Hauses mit einer dichten, erstickenden Staubwolke, die nichts zu ver treiben vermochte. Als die treue Luise gegen elf Uhr darauf bestand, daß Frau Rögnier etwas zu sich nehme, sagte diese: „Schicken Sie Ihren Mann zum Doctor; ich habe Fieber." Der Doctor kam und constatirte einen stark fieber haften Instand. Er rieth der Wittwe, vollkommene Ruhe zu beobachten, sich nicht aufznregen und im Bett zu bleiben, wenn sie sich nur im Mindesten ermüdet fühle. Nachdem er noch etwas Chinin verordnet hatte, sagte er: „Es wird ja voraussichtlich nichts sein; allein Sie müssen sich schonen. Sollten Sie sich morgen nicht besser fühle», so lassen Sie mich wieder holen. Sie haben sich übermäßig angestrengt." „Ruhe! Sie haben leicht sprechen, Doctor!" erwiderte die Patientin. „Wenn man die ärgsten Widerwärtig keiten zn bestehen hat, so raihen die Herren Acrzie Rulle!" „Weil wir kein besseres Mittel haben, verehrte gnädige Fran", gab der Mann der Wissenschaft zur Antwort, indem er Abschied nahm. Der Rest des Tages verlief ruhig. Ein leiser Regen schlug den Staub nieder und hielt die Schlvstbcwvhner in ihren Räumen zurück. Am offenen Fenster sitzend, über ließ sich Fran Rc-gnier beim Genüsse der köstlichen Lust des Scptemberabends ihren Gedanken. Obschon noch ein wenig erregt durch das Fieber, welches während des ganzen Tages an ihr genagt hatte, beschloß sie, sich mit den Um ständen auszusöhnen. Sie wollte ihr Arbeitszimmer ver legen, so schwer es ihr auch fallen mochte, nicht mehr in diesem Raume zu arbeiten, in welchem sie so fleißig an dem Zustandekommen des Bandes thätig gewesen, der schon demnächst erscheinen sollte. Schlafen wollte sic auch weiter hin in dem früheren Schlafzimmer, welches sic um keinen Preis aufgeben mochte, da ihr Gatte daselbst seinen letzten Seufzer ausgehaucht hatte; doch würde sie sich nur deS Abends darin einfmden und cs schon früh Morgens ver lassen, um nicht mehr den Anblick des „Schlosses" zn haben und den Bewohnern desselben nicht länger als Angelpunkt der Neugierde und Zudringlichkeit zu dienen. AuS dem anstoßenden Gemach hatte man einen Ausblick ans den Gemüsegarten; dort wollte sie sich nicderlassen und das Vorhandensein eines Ehepaares Ehantefleur zu ver- gesscn suchen. Sie nahm das vom Arzt verordnete Schlafmittel nnd versank auch alsbald in Schlummer. Inmitten ihres Schlummers schien eS ihr, als vernehme sie lautes Krachen und Gepolter, wie wenn man einen mit Steinen beladenen Wagen auf dem Pflaster ausleerte; allein die verordnete Dosis war so stark, daß die Kranke wieder einschlicf. Sie glaubte, nur geträumt zu haben. AlS sie am nächsten Morgen erwachte, fühlte sic den Kops frei und leicht, das Fieber war geschwunden, und sic wußte sich über Alles Rechenschaft zu geben. Sie erinnerte sich auch an ihren Entschluß, der scheußlichen Lichtung vor ihrem Fenster, die ihr eine dem Landschaftsbilde zugefügte klaffende Wunde zu sein schien, keinen Blick mehr zu gönnen. Um diesem Entschlüsse getreu zu bleiben, kleidete sie sich an, noch bevor sie ihrer Zofe geklingelt hatte, und begab sich in das anstoßende Zimmer, dessen Fenster sic öffnete. Bei dem Geräusch, mit welchem der Fensterladen die Mauer traf, beschleunigte ein Mann, der mit aus dcu Rücken gelegten Händen langsam durch den Garten wandelte, den Schritt. Frau Rsgnier erkannte in dem Spaziergänger ihren Gutsbesitzer, Herrn Cllanteslenr, in eigener Person, dessen unsauberes Aussehen nur zu deut lich verrietst, daß er sich weder heute noch gestern einer Reinigung unterzogen hatte. „Was will der Mann bei mir?" fragte sich Fran Rsgnier. „Vielleicht einen Besuch machen? Ist es denn schon so spät?" Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, daß es die siebente Morgenstunde sei; ein Gleiches kündigte der Schalten der großen Kastanienbänme ans dem feinen Sande der Allee an. Nun klingelte Frau Rc-gnier. Leise vor sich llinpseifend, ging Ehantefleur weiter und wendete sich ohne jede Eile um die Hausecke, statt auf das Gitterthor zuzuschreitcn. „Was mag er nur bei mir wollen?" fragte nch die Wittwe von Neuem. „Er wird doch den Weg nicht durch die Küche nehmen, um mir einen Besuch abzustattcn?" Die Zofe trat ein und erwiderte auf die Krag: ihrer Gebieterin: „Gnädige Frau wissen wahrscheinlich noch nicht, daß die Scheidcmancr zwischen den zwei Grundstücken heute "Nacht eingcstürzt ist, noch dazu nach unserer Seite zu. Ter Nachbar wollte gewiß den Schaden besichtigen und benutzte die Gelegenheit, nm in Ihrem Garten zu promenircn. Sie können versichert sein, gnädige Fran, daß er fämint- liche Bäume gezählt bat. Ja, wäre Matthäus da, so hätte er seinen Spaziergang rascher beendet. Allein, mein Mann mußte schon früh Morgens zur Stadt." „Ich will diese Mauer auch besichtigen", sprach die Wittwe. Ter angcrichtetc Schaden war nicht unbeträchtlich. Tie Mauer, die ohnehin schon sehr alt war, hatte den Er- scknittcrungen der gestrigen Sprengungen nicht zu wider stehen vermocht nnd war in einer Länge von zwanzig Meter vollständig eingcstürzt. Ehantefleur war ver schwunden, ebenso die herrlichen Rasenstücke der Frau
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