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1857. Sonnabend, den 3. October, Redigm und verleg! von C. M. Kärrner in Schneeberg und Schwarzenberg. Die Raben (Fortsetzung.) „Et, warum willst Du Dich denn durch Weine« quälen, mein Kind?» sagte Susanne; „auch begreife ich gar nicht, weshalb Du nötbig hast, uns um Verzeihung zu bitten.» Das junge Mädchen ergriff ibre Hände und erwiderte mit bewegter Stimme: „Ich habe Eure Verzeihung angeru. fen, weil an dem, was dieser Mann sagte, etwas Wahre« ist», ich liebe den Herrn von Greoulx und er liebt mich wie der. » „Wäre eS möglich!« riefen die beiden Raben mit dem größten Staunen gleichzeitig au«. Gabriele fuhr mit der größten Ruhe fort: „Ja, wir lieben uns, und liebten einander, ohne es zu wollen, ohne e» zu wissen, ohne daran zu denken, daß eS so kommen könnte. — Jetzt erst sehe ich eS ein, — jetzt begreife ich - — ich sehe ein, daß diese Liebe aushören muß. — Ich will in ein Kloster gehen — al- Latcnschwester wird man mich auch ohne Ausstattung ausnehmen. — O! MisL Susanne, MisL Ve- ronika, ich werde nie vergessen, wie gut Ihr gegen mich wäret! Täglich werde ich für Euch zu Gott beten. — Ihr allein habt mir in dieser Welt Gutes gethan! — Herr von Greoulx wird seinem Großvater gehorchen, er muß eS thun, denn sonst bliebe er im Gefängnisse. — Guter Gott! wie glücklich wird er sei»! ich aber, ich gehe, ich gehe in'S Kloster. — WaS sollte ich auch in der Welt thun, wo mich die bösen Leute verachten und beschimpfen? Ihr werdet so gut sein, mich morgen nach Marte Heimsuchung zu führen — und dem Herrn Baron wissen lassen, daß ich Herrn von Greoulx nie Wiedersehen, daß ich gleich einer Verstorbenen zu betrachten sei, baß ich Nonne werde! —» Diese Sprache der Verzweiflung, dieser Seelenadel, die solche Entschlüsse hervorrbfen, rührten den beiden Alten da« Herz tief, und seit langen Jahren zum ersten Male benetzten sie ihre Augen mtt Thronen. „Meine Tochter," ries Susanne mit festem Entschlusse, „laß nur uns macken! Man hat Dich beschimpft, und Du füllst vollkommene Genugthunng erhalten! Ist der Herr von Greoulx auch etn Gefangener, so soll er bald frei sein! Mor gen reise ich mit meiner Schwester nach dem Schlosse Greoulx !» 7. Da» Schloß Greoulx ist ein alterthümliches, in den Ge birgen der Ober-Provence gelegene« Gebäude, da« zu An fänge de« dreizehenten Jahrhunderts von den Tempelrittern erbaut wurde, und nach Aufhebung dieses Ordens mit der Herrschaft an die Familie Greoulx überging, deren letzter Ab kömmling Kaspar von Greoulx war. Das Aeußere diese« Schlosses glich vollkommen den Burgen des Mittelalter«; seine Wälle, welche die ärmlichen Häuser de« Flecken« be- herrschten, wurden an jedem Winkel durch Thürme verbunden', die mit Schießscharten verschep, waren, und mitten unter die- fen Mauerwerken erhob sich der feste Schloßthurm, in welchem da« Archiv und der Schatz.bewahrt wurde. Die Herren von Greoulx hatten jedoch nach und nach da- Innere mtt einer modernen Pracht eingerichtet, ohne daß dadurch da» Ganze den Charakter einer mittelalterlichen Wohnung verloren hätte; nock führte der Kreuzqang ring« um den großen Schloßhaf, in. dem sich einst die Tempelritter ergingen ; allein über diesen düstern Gewölben batte man große Fenster auSgebrochen, dte mtt Karnießen von Bildhauerarbeit geschmückt unh mit stau bigen Seidenvorhängen verhängt waren. , Da« erste Stock werk war unter Ludwig XIV. nmgebaut und ganz mtt der Pracht jener Zett au-gestattet, seit fünfzig Jahren aber nicht da« Geringste daran verändert worden. Als die beiden alten Damen in dem einzigen Wirth«» Hause de« Dorfe« Greoulx anlangten, begannen sie sogleich sich umznkleiden, ihre reinlichen Kleider von Sergette aüzu- ziehen, und ihre großen, weißen, wohl gefalteten Hauben auf- zusetzen, dann traten sie langsam den Weg auf da« Schloß an. Je weiter sie den steilen Schloßber- hinansttegen, dessen Weg mit einer Allee von verkrüppelten Ulmen verziert war, desto heimischer begannen sie sich zu fühlen und nicht ohne einige Rührung erkannten sie jede Lag«, jedes Weg'chen, jeden Baum, jeden Stein. „Siehst Du jenen großen Rußbaum dort unten, der am Tage der Himmelfahrt der Mutter Gotte- zur Besperzeit vom Blitze getroffen wurde?» sagte Veronika; „er gibt immer noch eilsen stattlichen Schotten.» „Und hier die heilige Jungfrau in der Steinmühle hin ter dem Gitter, in da- wir so oft so schöne weiße Blumen sträuße steckten?" „Und da- Gärtchen zwischen den Tbürmen? Wie die an der Mauer hinauf wachsenden Reben um sich gegriffen ha ben! Wie viele Rosen, wie viele schöne Blumen darin wach sen! ganz wie soust!» „Und weiter hin, dort in der Ebene, der Wald, die Wiesen, wie Alle- so grün, wie Alle- noch so jung und schön ist." . „Und wir! —" sagten sie gleichgültig, seufzend einander anblickend. Unter dem Schloßthore saß ein Tbürsteher in Livree, welchen Veronika anredete; er würdigte dte zu Fuße ankom menden Frauen nickt einmal vor ihnen aufznsteben, und er widerte in grämlichem Tone: „Ihr kommt wohl, um Almosen zu holen? Alle Tage wird doch der Herr Baron überlaufen! Sckaareuwetse kom men solche Ueberlästige «»gezogen! Ich kann Euch nicht sa gen, ob Jbr den gnädigen Herrn sprechen könnet. Geht ein Mal die große Treppe hinauf, im Vorzimmer werdet Ihr Leute treffen, die Euch Bescheid geben werden." .Er bält un« für Bettlerinnen!" murmelte Susann« mit einer Art Lächeln vor sich hin, indem sie sich überall umblickte. „Die große Treppe ist dorten unten am Ende de« Kreuzgange«,» fügte der Portier noch binzu. „Wir wissen e«,» sagte Susanne trocken ;, „komm, Schwe ster, laß nn« gehen." Glücklicherweise kamen sie gerade nach dem MittagSesstn an, denn da« war die Zeit, wo der Baron von Greoulx Audienzen erthetlte. Etn Diener führte sie, nach zuvor »,n seinem HerrMtngeholtem Befehle, tn den -roßen Saal, wo