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Freitag. Leipzig. DieSeitang erscheint mit Ausnahme des Montags täglich und wird Nachmittags 4 Uhr aus. . gegeben. Preis für das Vierteljahr 1'/»Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. Rr. 238. —- 1». Octover L8S«. DeuW AllMcilic Zcituog. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Zu beziehen durch alle Postämter de« In- und Auslandes, sowie durch die Erpedition in Leipzig (Onerstraße Nr. 8). JnsertionSgebühr für de» Naum einer Zeile 2 Ngr. Die Verhalttiisse der Staatsdiener. l. -«-Leipzig, 9. Olt. Unter den „brennenden Fragen" nnserS öffentlichen und socialen Leben« »int der „brennendsten" wird über kurz oder lang bi» sein: wie sott der Staat seine Diener erhalten? Eigentlich ist sie e« schon. Nicht blos di« Staalsdien«r klagen, daß sie mit ihren Gehalten nicht au«, kommen können, sonder« die meisten Staatsverwaltungen selbst, die Trif. tigkeit dieser Klagen «insehend, schicken sich zu allgemeinen oder partiellen Gehaltserhöhungen für ihre Beamtenschaft an. Daneben aber vermehrt sich auch, fast in gleichem Maße, die Zahl der Staatsdiener, theils durch Ein- richtung ganz neuer VcrwaltungSzwtigei, thsilS durch da« stetige Anwachsen der Geschäfte in den schon bestehenden — Zeuge dessen die in fast geome- trischen Progressionen steigenden Registrandennummern in allen Kanzleien. Nach den bisherigen Erfahrungen zu schließen, ist die- eine Schraube ohne Ende. Daß ein Collegium oder ein ganzes Berwaltungsdepartement jemals erklärt hätte, eS könne mit weniger Arbeitskräften auskommen, der Fall ist uns noch nicht vorgekomm«» und wird wol Niemandem vorgekom- men sein; desto häufiger der entgegengesetzte von immer wftderholten An- sprächen auf neue Arbeitskräfte odex bessere Salarirung der vorhandenen. Und »war nicht bloS im eigentlichen Staatsdienst, sondern auch im Dienste der Gemeinden, wenigstens der größern städtischen. Die Staats« und Gr- mrindebudgetS seufzen bereit- unter dieser täglich wachsenden Last der Ge« halte, zu denen dann noch die im proportionalen Verhälmiß mitsteigenden Pensionen kommen. Und trotz der immerfort gesteigerten Bewilligungen hören dennoch die Klagen dn Beamten nicht auf, weder die über uner schwingliche und täglich aätschwellende Arbeitslast noch die über unzureichenden und fort und fort unzureichenden Lebensunterhalt! Was das Letztere be trifft, so ist ja notorisch, daß fast alle Bedürfnisse des Lebens, insbesondere die sogenannten ersten und nothwrndigstrn, Nahrung und Wohnung, im Laufe des letzten Menschenalters um das Doppelt«, zum Theil noch mehr, gestiegen find, während dir Gehalte in den günstigsten Fällen durch Zula gen, Remunerationen u. drrgl. um 20 , 30, höchstens 40 Proc. erhöht worden sind. Dazu kommt noch, daß infotg« des allgemein vermehrten Wohlstände« der Maßstab, nicht blos des Angenehmen, sondern beinahe des Anständig«« in Bezug auf Lebensweise und Berbrauchsdedarf ein ganz and«rrr geworden ist. Der öffentliche Beamte, namentlich an Mittel- und kleine« Ort«n, wo er, angrnommenermaßen, di« erste Rolt« spielt, kann schicklichrrweife kaum unter ein gewisse« Niveau des 8«be«saufwandeS in Wohnung, Kleidung, geselliger Repräsentation re. herabgehen. Diese- Ri- veau aber wird durch die vi»l besser fltuirten industriellen Stand« von Jahr zu Jahr höher hinaufgerückt. WaS ist die Folge? Der Beamte muß sich entweder aus- alleräußerste einschränke«, nicht bloS auf da« Urberflüssige, sondern ost selbst auf das Nothwendige, nicht blos auf den Schmuck des Leben«, sondern beinahe auf den Anstand Verzicht leisten — oder er muß Schulden mache«; in dem «ine» wi« dem andern Falle büßt er die gerad« ihm in stimm Beruft so nöthtgr Würde, Unbefangenheit und GemüthS- ruh« eit». Er wird di« Mängel seine« Haushalt« und die noch größern seines Credits — von denen «r weiß, daß sie nicht verborgm bleiben — vielleicht durch »in herrische- und hoffärtige« Verfahren zu verdecke» und für da« fehlend« Behagen d«S häuslichen und geselligen Lebens sich durch ein eitles Haschen nach Rang und Titel und StandeSvorrechten zu entschä digen suche«. Seinen Vorgesetzten gegenüber wird er natürlich in demselben Berhältniß immer krischender sich geberden, je mehr eine Verbesserung sei nes Gehalt«, ein Anfrücken zu höherer Stellung, oder die Erhaschung einer persönlichen Remuneration für ihn nicht mehr blos eine Sache der Veran- nrhmlsthung de- Lebens, sondern eine wahre Existenzftage geworben ist. Daß von Gelhffänvigfekt der Gesinnung und de« Charakter- unter solchen Umständen ebenso wenig di« Rede sein kann al- von dem Muth und Trieb« zur Weiterbildung de- Geiste- durch Selbststudium oder gar zu allgemeiner« wissenschaftlichen Bestrebungen, leuchtet ein, und glücklich, wenn noch ein Rest von Ehrgefühl, welchen die drückende Noth übrig- gelassen, oder bi« mangelnd« Gelegenheit einen solchen Beamt«nprol«tarier vor der Verführung bewahrt, durch Bestechung oder auf sonst welch« pflicht widrige Weist den allzu kärgiichrn Gehalt aufzubofstrn! Was hat da-Be- amtenthum ganzer Länder, z. B. Oesterreichs und Rußland-, mit dem Ma- kel »ottwschr» Bestechlichkeit behaftet? Ist e« nicht der unzureiche^e Ge halt de« größt« Theils der Beamt««, namentlich der Subalternen, und dazu da« oon d»n obrrn zuerst gegebene, von den untern nach««ahmt« Bei- spiet de« Bestrebens, dm »ohlhabeudern Gliedern der fteien Gewerbstände, denen sie sich an Rang überlegen betrachteten, auch an Aufwand und be haglichem Genuß des Leben- eS gleichzuthun? Die Natur de- Menschen ist aber unter den gleichen Verhältnissen nahezu überall die gleicht, und die traditionelle Ehrenhaftigkeit de- deutschen Beamtrnstandes in diesem Punkte dürste zwar langer, aber doch auch nur bi'S zu einem gewissen Punkte ähn lichen Versuchungen Stich hallen. Wie lange ist cs denn her, daß dieser Beamtenstand einer solchen anerkannten Ehrenhaftigkeit sich erfreut? Noch kein halbes Jahrhundert I Und wodurch hat er sie erlangt? Hauptsächlich dadurch, daß man ihn in seinen äußern Verhältnissen so stellte, daß er an- ständig leben konnte, ohne auf unreelle Nebenverdienste speculiren zu müssen. Hörl diese Möglichkeit auf, wird das MiSverhältniß zwischen dem täglich wachsenden B»dürfniß und dem damit nicht Schritt haltenden Einkommen immer schreiender — so wird kein« Staatsdiencrpragmatik und keine noch so hoch hinaufgeschraubtr „Standesehre" das Beamtenthum vor dem Rück fall in jene frühern bedenklichen Zustände schützen. Wenn aber auch Man- cher meinen sollt«, diese äußersten Folgen der mislichen pecuniären Lage für die Sittlichkeit und den Charakter des Beamtenthums gehörten erst einer noch fernen Zukunft an, so tritt ein anderer, für den Staatsdienst kaum.minder schwerer Nachiheil schon fttzt unverkennbar zutage: das ist der Uebergang der bessern Talent« aus dieser Laufbahn in di« ein viel rasche res Unterkommen und einen viel reichern Gewinn verheißende industrielle. Junge Männer von Kopf werfen sich jetzt mit Recht lieber in irgendeine gewerbliche, kommerzielle oder technische Carriere, als daß sie Jahrzehnte lang brachlägen und nach einer dürftigen Staatöbedienstung seufzten, welche am Ende sie kaum ernährt, noch viel weniger ihnen die Gründung eines eigenen Herdes ohne Nahrungssorgen gestattet, und sie zu letzterer ost erst in einem Alter gelangen läßt, wo sie kaum noch hoffen können, ihre Kinder bei ihren Lebzeiten erwachsen und versorgt zu sehen. Ein Volks» wirthschaftlicheS Blatt, «Der Arbeitgeber», stellt folgendes einfache und un widerlegliche Rechenexempcl auf: „Der Industrielle, der Kaufmann, der Chemiker, Techniker re. hat im achtzehnten Jahre ausgelernt und beginne, seinen Unterhalt sich selbst zu verdienen. Beim Juristen z. B. fangen die Auslagen «rst recht an. Er hat in den meisten Ländern, die Universität eingerechnet, volle zehn Jahre zu warte«, bis er etwas verdient oder ein« Anstellung erhält, von der er anständig leben kann. Diese zehn Jahre er» fodern an Lebensunterhalt und Aufwand für die Studien bei sparsamer Leben-weise gewiß 4000 Thlr. Wenn der Jurist nun nach zehn Jahren, im achtundzwanzigsten Jahre, etwa mit 3—400 Thlrn. angestellt wird, dann sind die 4000 Thlr. verbraucht. Der Kaufmann, der Techniker, d«r Che miker hat dieselben noch. Während der Staattdiencr von da an langsam innerh^b zehn Jahren zu 1200 Kl. und, wenn es hoch kommt, zu 1500 oder 1800 Fl. hinaufsteigt, glaubt der Kaufmann, der Fabrikant schon recht bescheiden zu sein, wenn er gleich in den ersten Jahren nur ein Einkom- men von 2—3000 Kl. hat." Darf man sich wundern, daß, während frü her der Staatsdienst das Ziel des Strebens für all« begabtesten und streb samsten Geister war, derselbe jetzt schon van den besten Köpfen zum Theil mit andern Berufsarten vertauscht wird? Geht cs so fort, so wird er über kurz oder lang nur noch die Zuflucht Derer sein, die nirgends anders fort, zukommen wissen. Und dann wird rnan in diesem Stande n«b«n dem leib lichen Proletariat auch ein geistige« haben! Hatten wir somit Unrecht zu sagen, die Frag« der Staatsdien«rgehalte sei ein« der brennendsten Lebensfragen unserer Zeit? Versuchen wir denn, zu ihrer Lösung auch ein Scherfln« beizutrage»! »entschran». Preußen. ^Berlin, 8. Oct. In Berichten au« Paris heißt es, daß der Admiral Trrhouard, der Commandant des für die neapolitani- sche Demonstration bestimmten Geschwader«, sich auf erhaltenen Be- fehl in aller Stille nach Pari« begeben, dort an hoher Stelle mündliche Instruktionen erhalten habe und dann nach einem Aufenthalt von etwa 24 Stunden in derselben Stille nach Toulon wieder zurückgekehrt sei. Wa« bedeutet diese geheime Anwesenheit de- Admiral«? Sie kann wol nicht bedeuten, daß die beabsichtigte Demonstration bereit« gänzlich aufgegtben sei, denn dazu würde e« keiner geheimen JnstruetionSerthrrlung bedurft ha ben; sie scheint aber auch nicht bedeunn zu können, daß es mit der Aus führung der Demonstration nunmehr vorwärtsgehen solle, denn dazu würde eine -«Heime Jnstruelionsertheilung ebenso wenig paffend ftin. Die geheime Reift de» Admirals nach Paris scheint demnach mehr zu bedeuten, daß bi« ganze Angelegenhtit in ihrer bisherigen Ungewißheit vorläufig auch noch län ge» verharren dürfte. W» dem jedoch auch sei: die Angab«, nach welch«! da« bisherig« UmmSgefühttbftiben dcr D«monstration darin scincn Grund hätte, daß di» ganz« neapolitanische Krag« auf d«r demnächst wiederzueröff- nenden Pariser Conferenz zum schließlich«« AuStrag« gebracht werden solle, ist jedcnftiltt «in« vrrkehrt«. Sollte di« neapolitanisch« Frag« auf der Pa- riser Gfts»ndtrncomfer«nz wirtlich in BehaudlutH genommen werden, so müß ten natürlich die betheiligten Machte vor allen Dingen einig darüd«r sein, daß die betreffende Frage auch auf die Conferenz, resp. zu deren Compe-