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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 22.12.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-12-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190912229
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19091222
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19091222
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-12
- Tag 1909-12-22
-
Monat
1909-12
-
Jahr
1909
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6.—» Lq50L L. M L 111.-ll. - „KI. 01,lä. i. 1L22L. L. r. r. s. L- ä. c L. 1 K. r. r. i. i. L L. »»»«. 1151^ ZM>>. e. u. s. i ./r. v. i ^s. I^L., > ./».». iS» lii,«n« i 1 S. il ty, LI15Z.-L- EHL- ü.i -7 50ü. ! 101,60 a. 2L1SU. 10^L «ML. ?ü0L. i» e-°> Vk Li r.!iß8^os. I. 80.85 L L. 86.10 0 L. 8b,60L 80.UL. - A.«Z^L ro.r«i <i-r.^. s g,.V«i>»<I>z. >c. lüno«. k»«tlr» r«oi. 1745«. riboa. 82iL 5b7ÜL- 452U41 2425 L. 1.IÄ«. . <d»et>I.-llk k.,8lüekHK L. L. 84.R - L. 84.« - L.21L2ÜÜ. BeizuftS.PreiS «Ar Leiv,», und >v«rori» durch »Kr, Träger und Sixdurnn in« -au« ,«beacht i 44» monatig 4.7V ,>er»rl,thrl B«, unlern Filialen u. Lnnahmestrllrn adgehalti 1- 4 monael., L.-L »erieltäheU v«ch dl» S»<; «»rrhald Deunchland« und der deuHche» »oldnien »lerttl,Ldrl. 8.4« ^e, monatl. Uk» -utlchl Pofweü-llgcld Fern«, t» velgien, Dänemary den DanauSaare«. Italien, U»rrmdurg, «»ederland«. Noe» weaen, Oeil erreich - Ungarn. «udland, Schwede», Schwei» a. Spanien. 3» alle» übrigen Staaten nur direv durch dw GejchäNIiielle d«a Slane« «rdüitlich. Da« Leipziger lageblati erilveini wichen»» lich < mal und »war innigen» «daanemenr-illnnalnn«, >ngulta«pl»tz «, bet unteren Träger», Filialen. Spediieurea uud Lnuatzmeftellen. sowie PosiLmieru u»v Briefträgern Lw einzelne iltummer koltei 1V Stedaktton »ad l-eschäft-fteller Iohannldgasfe 8. FiMprecher« läiAL I4W. I4VV4. MiMgerTagMaü Handelszeitung. Amtsblatt -es Rates und -es Rolizeiamtes -er Lta-k Leipzig. Anzeiften-Preis lür Inlerai, «u« reipzi, an» Umgebung di« iigespalten, Petitzeile <L finanziell« Änzeigea 50 ch, «ieNamen l uUi »an au«wärt« äl) Ls, ilieklamen i.LI gG »omÄusland blig», ünanz. «nzcigr» 7L<^ «eklamen Uül Inseraten BebSrden » amUlche»T«a40«4 Beilagegedüdi b » tausend «xkl. Post gebühr. Gelchäilsunzrige» an bevorzugter sielle >m Prell« erhöht, ötadau nach tarn FelleNeilt« tluiträg« können Nicht zurück gezogen werben Für da« iLrlcheine» an beüliumien tagen und Plähen wir» kein« Larunli» übernommen Anzeigen-»nnuhme, «tuguitulpkatz bei iämilichev Filialen n allen Annonce»» itkpevitionen de« In» und «ullande«. -auv»-Filiale BerN»: Karl Lu Ucker, -ee-ogt. Bahr -osbnch- hondlung, Lützowst uhe ilL ftelephon VI. ötr. Haupt-Filiale Lr««drar keestrave 4, t (Telephon 4S21). Nr 35t. Mittwoch 22. Dezember 1909. 1V3. Iabrqanq. Das wichtigste. » In Leipzig, wo sich seit der Friedrichschen Mordaffäre die Erpressungsversuche auffallend vermehrt haben, gelang es der Polizei, zwei gefährliche Erpresser zu ver haften. sS. Lpzg. Ang.) * Der geschäftsführende Ausschuh des Wahlvereins der Liberalen (Freisinnige Vereinigung) will dem Gesamtvorstand di: Annahme des Einigungsprogramms Vorschlägen. sS. Dtschs. R.) * Die hessische Regierung erklärt sich erneut gegen die Ein führung von Schiffahrtsabgaben. sS. Dtschs. R.) * Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht eine Verordnung, nach der der preußische Landtag auf den 11. I a n u a r 1910 rinde rn f e n wird. * Zwischen den Vertretern der Parteien im Friedjung- Prozeß wurden Ausgleichsverhandlungen eingeleitet, die bisher ergebnislos waren, aber noch fortgesetzt werden. sS. Ausl.) * Mit der Neubildung des portugiesischen Kabi netts wurde der Progrcssist Beirao betraut. sS. Ausl.) * Zum Präsidenten von Nicaragua wurde der frühere Staatssekretär Madriz gewählt. Die Unruhen dauern fort. * Wie aus Kopenhagen gemeldet wird, stellte die Kom mission zur Untersuchung der Dokumente Cooks folgendes fest: In den uns zur Untersuchung übergebenen Papieren ist kein Beweis vorhanden, daß Cook den Nordpol erreicht hat. * Bei einem großen Warenhausbrande in London sind sechs Personen ums Leben gekommen. sS. Verm.) Die kolonialen Gisenbahnvorlagen. Die ostafrikanische Nordbahn und die Besiedelung des Kilimandjaro-Gebietes. Wenn man die Begründung der Vorlage über die Kilimandjarobahn liest, kommt man aus dem freudigen Erstaunen gar nicht heraus. Aus dem Saulus Dernburg ist im Handumdrehen ein Paulus geworden. Nach besagter Begründung nämlich dient die Kilimandjarobahn dem ausge sprochenen Zweck, den Norden der Kolonie der Besiedelung durch Deutsche zu erschließen. Noch im letzten Winter wollten Dernburg und Rechen berg ganz und gar nichts von Besiedelung wissen und verwahrten sich dagegen, daß die Regierung die Hand zu solch leichtsinnigen Experimen ten reichen müsse. Wer kommt, soll uns willkommen sein, aber wir können nichts dazu tun, lautete damals unserer Erinnerung nach un gefähr die von der öffentlichen Meinung erzwungene Erklärung Dern- burgs. Es gab sonderbare Heilige, die dieses Willkommen ernst nahmen und wirklich kamen. Der Empfang war danach. Um sie abzuschrecken, wurde ihnen flugs das Land überteuert, so daß sie sich auf Grund früherer Auskünfte weigerten, die Verträge mit der Negierung zu unter schreiben. Das sind Vorgänge, die in der Presse schon erörtert und auch von uns erwähnt worden sind. Nicht bekannt ist aber ein Vorgang, der jetzt zu unserer Kenntnis gelangt. Nach soeben eingetroffenen brieflichen Nachrichten hat Herr von Rechenberg Ansiedelungslustigen, die nach Ver mögen, Bildung und Herkunft jede Gewähr boten, kaltlächelnd erklärt, wenn sie sich als Farmer niederlassen wollten, sollen sie doch lieber nach Südwestafrika gehen, da lägen die Verhältnisse viel günstiger, in Ost afrika sei für Ansiedler nicht viel los. Theorie und Praxis. Herr von Rechenberg, der ja demnächst in Berlin eintreffen wird, wird im Reichs tag darüber zu befragen sein, ob er der Ansicht ist, daß eine solche Politik dem seiner Obhut anvertrauten Lande dienlich ist. Der erwähnte Vor gang hat sich vor wenigen Monaten abgespielt, also zu einer Zeit, als man wohl schon an der Begründung der Kilimandjarobahn arbeitete. Nach der Denkschrift über diese Bahn soll sich nun alles, alles wen den, und nach den neuesten Nachrichten — in der offiziösen „Nordd. Allg. Ztg."! — ist sogar schon ein landwirtschaftlicher Sachverständiger hin übergesandt, ausdrücklich zu dem Zweck, der Besiedelung die Wege zu ebnen. Es wird eine landwirtschaftliche Versuchsstation am Kiliman- djaro gegründet, die für Siedler geeignete Kulturen und andere Erwerbs zweige ausfindig, machen soll. Also — sollte man annehmen — wird es jetzt wirklich Ernst mit der Besiedelung. Äcnn es mit der schönen Be gründung der Bahnvorlage nicht geht wie mit der Kongoakte, die sich auf dem Papier auch sehr schön ausnimmt, aber bis dato noch nicht in die Praxis umgesetzt worden ist. Es wird darauf zu achten sein, daß aus den Besiedelungsplänen nicht meuchlings eine Latifundienwirtschast wird — Latifundienwirtschast im afrikanischen Sinne mit 50—100 000 Hektar. Man hat in dieser Hinsicht kürzlich etwas läuten hören, man weiß nur nicht recht, wie, wo und wann. Es wäre dann doch recht bedauerlich, wenn man jetzt die Bahn mit populären Begründungen durchsetzte und die Besiedelung würde sich dann auf Grund von sachverständigen Gut achten nach Zulassung von ein paar Konzessionsschulzen-Farmern in ein großes Spekulationsgeschäft auflösen. Die oben erwähnten, durchaus seriösen brieflichen Nachrichten müssen entschieden nachdenklich stimmen. Wie schon gesagt, die Begründung der Vorlage klingt sehr verständig und vertrauenerweckend, und eS soll uns sehr freuen, wenn wir mit unserem Mißtrauen unrecht haben sollten. Aber es ist darauf hinzu weisen, daß die Kolonialverwaltung sich eine Rückzugslinie gelassen hat. ES ist eingangs der Denkschrift gesagt: «... Ferner steht eS heute fest, daß zu Ansiedelungen in jenem Gebiet erhebliche Mittel erforderlich sind, welche zunächst eiu« erfolgreiche Niederlassung auf verhältnismäßig wohl ¬ habende Kreise beschränken." — Die hoffnungsvollen Sätze der Denk schrift entstammen, soviel wir wissen, dem Bericht des Unterstaatsjekre- tärs von Lindequist über seine Studienreise. Herr von Lindequist ist bekanntlich ein begeisterter Anhänger der Besiedelungsidee, aber im Kolonialamt glaubte man doch, ihm etwas Wasser in seinen Wein tun zu müssen, eben um sich nicht bedingungslos festzulegen auf eine Wirtschafts form, die nun einmal bei Dernburg nicht sonderlich beliebt ist. Im Laufe des nächsten Jahres wird sich ja wohl -eigen, ob es der Kolonial verwaltung Ernst ist mit der Besiedelung, oder ob es sich bei den bezüglichen Geständnissen in der Eisenbahndenkschrift nur um Konzes sionen handelt, die Dernburg zur Erhaltung der Popularität und zur Besänftigung des Reichstages zu machen für gut fand. Denn er weiß so gut wie wir, daß in den Augen der öffentlichen Meinung die Besiedelung der Kolonien mit deutschen Auswanderern als die Idealform der kolo nialen Betätigung gilt. Nun zur Eisenbahn selbst. Sie hieß bisher bekanntlich offiziell „Usambarabahn". Nun ist sie aber bereits über Usambara hinausge wachsen, nachdem vor zwei Jahren die Kolonialverwaltung ohne viel Mühe ihren Weiterbau um ganze 45 Kilometer nach Bucko am Pangani bzw. Ruwufluß durchgesetzt hat. Der Reichstag hat damals 700 Kilo- meter Zentralbahn bewilligt und hätte auf Wunsch auch für die Usam- barcbahn mehr getan, aber leider wurde dies nicht verlangt, denn der Kilimandjaro mit den Besiedelungsidecn, die sich an seinen Namen knüpf ten, war damals noch gar nicht beliebt in der Wilhelmstraße in Berlin. Tie Stimmung in Deutschland für die Erschließung dieses Gebietes ist aber inzwischen so intensiv geworden, daß man nicht mehr um die Bahn herumkam. Nach der Denkschrift steht der Gouverneur heute noch auf dem Standpunkt, „daß die Sicherung der bezeichneten Ge biete, insbesondere gegenüber den auf deutschem und englischem Gebiet angesiedelten Massai, auf die Dauer nur durch eine stärkere Weißen besiedelung aufrecht-uerhalten ist, und nur auf diese Weise die Kosten für den militärischen Schutz des betreffenden Landestcils etwas vermin dert werden können. Unter diesen Umständen glauben die verbündeten Regierungen sich in der Lage, die Fortführung der ostafrikanischen Nord bahn von Buiko bis Moschi zur Vorlage bringen zu können." Doch sei's drum. Man kann natürlich nicht erwarten, daß Herr von Rechenberg mit dem Herzen bei der Besiedelung ist. Die Hauptsache ist, daß die Bahn gebaut und die Besiedelung dadurch praktisch möglich wird. Eine besondere Großtat ist der Bau bis zum Kilimandjaro an sich ja auch nicht. Es handelt sich um 173 Kilometer von Builo-biS Moschi. Genau so lang ist die bis jetzt existierende Strecke von Tanga bis Buiko; die Kilimandjarobahn ist also rund 350 Kilometer lang und hätte, wenn sie 1913, wie vorgesehen, fertig wird, von Tanga nach dem Kilimandjaro rund 20 Jahre gebraucht. Was lange währt, wird gut. Das scheint sich auch an der ostafrikanischen Nordbahn zu bewähren, denn abgesehen da von, daß in dem amtlichen Plan bereits die Verlängerung nach dem 80 Kilometer weiter westlich am Meruberg gelegenen Aruscha vorgesehen ist, wird, wie man hört, bereits in den zuständigen Kreisen der Weiter bau erwogen, und zwar nach dem Natronsee, 250 Kilometer nordwestlich. Es handelt sich darum, auf dem Wege nach dem Viktoriasee die sogenannte „Bruchstufe", den ostafrikanischen Grabenrand, einen gewaltigen Steil- abfall zu übersteigen. Man glaubt dies anscheinend am Natronsee unter den günstigsten Umständen erreichen und — um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden — die Rentabilität der Bahn durch die Aus beutung der dort lagernden gewaltigen Natronvorräte wirksam unter- stützen zu können. In diesem Falle würde die Bahn zwischen Kiliman djaro und Meru durchgeführt und die Linie Moschi—Aruscha zur Zweig bahn werden. Vom Natronsee hätte dann die Bahn nur noch rund 200 Kilometer bis zum Viktoriasee und würde dabei in der Nähe von Jkoma vorbeisühren, wo bekanntlich Gold, wenn wir uns recht erinnern, für 65 000 im primitivsten Verfahren, gewonnen worden ist. Der weitere Abbau, der wegen der Abgelegenheit der Gegend unmöglich war, würde sich mit Hilfe der Bahn wohl rentabel gestalten. Dazu kommt, daß das Gebiet zwischen Kilimandjaro und dem Großen See sich nach Feststellung der Lindequistschen Expedition vorzüglich zur Viehzucht im großen Stil eignet. Die Verhältnisse sollen dort in dieser Hinsicht ähnlich und noch günstiger liegen als in den besten Teilen des Hererolandcs in Südwcst- afrika. Doch das sind Dinge, auf die wir schon oft hingewiesen haben. Wie notwendig die Bahn nach dem Viktoriasee aber auch vom politischen Standpunkt ist, haben die Ereignisse der letzten Wochen grell beleuchtet. Hätten wir vor ein paar Jahren energisch an dem Weiterbau der Nord bahn gebaut, statt uns auf die Zentralbahn festzulegen, die uns nicht davongelaufen wäre, so stünden wir heute dem Viktoriasee nahe und könnten daran denken, die für Ackerbau, Viehzucht und Besiedelung so oussichtsvolle Landschaft Ruanda westlich vom Viktoriasee durch eine Stichbahn unserem Machtbereich näher zu bringen und die wirtschaftliche Nutzbarmachung dieses wertvollen Gebietes unserer Kolonie wirksam vorzubereiten. So aber müssen wir zusehen, wie sich jene Gebiete mehr und mehr an den Verkehr mit der englischen Ugandabahn gewöhnen und wirtschaftlich und moralisch unter englischen Einfluß geraten, während wir noch viele Jahre an der für die Konkurrenz mit der Ugandabahn zu langen Zentralbahn bauen und die schönste Zeit versäumen. Wirt schaftlich am wichtigsten und sofort in Gang zu bringen ist das zentral- afrikanische Geschäft, und dem sind wir leider doch viel zu fern, während sich dis Engländer, wenn je§t die Handelsfreiheit im Kongogebiet endlich in Wirkung tritt, durch ihre Ugandabahn sofort mit Macht darauf wer fen können. Der plötzliche Eifer der Kolonialverwaltung, die Nordbahn Zug um Zug auszubauen, deutet darauf hin, daß man sich dort der ver säumten Gelegenheit bewußt geworden ist. Nun heißt eS retten, was noch zu retten ist. Und wenn wirklich mit Energie daran gegangen wird, können wir immerhin noch etwas erreichen, und darum darf man er warten, daß der Reichstag alles daran setzen wird, um den Ausbau der Nordbahn zu beschleunigen. Ueber diesen großzügigen Gedanken wollen wir aber nicht das Naheliegende vergessen. Das ist die Besiedelung der erschlossenen Gebiete Hand in Hand mit dem Fortschreiten der Eisen bahn. Damit erfüllen wir nicht nur den inneren Zweck kolonialer Be tätigung, sondern sichern auch ihren Bestand. Wenn das der Silin der neuen Eisenbahnvorlage ist, so bedeutet sie eine segenSvolle Wendung in den Wirrnissen unserer Kolonialpolitik uud läßt uns dem kommenden Jahr mit Ruhe entgegensetzen. ALwiLecki oder Meyer? Man könnte diesen Kolportageroman auS dem Leben auch über schreiben „Graf oder Bahnwärterssohn", man könnte auch sagen, „Der Kampf um das Majorat" oder auch schlechtweg „Mutterliebe" mit einem Fragezeichen, und man würde immer nur eine Seite dieser merkwürdigen Geschehnisse treffen. Es bleibt übrigens immer beachtenswert, daß das Milieu des Romans rein slawisch ist. Der bedauernswerte Held war bis zum Urteil des Posener Oberlandcsgerichts ein Graf Kwilecki. Als Hcldenmutter und zugleich als stärkste Persönlichkeit der Handlung gerierte sich die inzwischen verstorbene Gräfin Isabella Kwilecki ge borene Gräfin Bninski, und die Bahnwärterschefran mit dem ehrlichen Namen Meyer hieß als Mädchen und Mutter des ihr angeblich unter falschen Vorspiegelungen abgetansten Knaben Parcza und wohnte in der Umgebung von Krakau. Sv melodramatisch die ganze Sache anmutet, so nüchtern und selbst süchtig sind ihre Motive. Und zwar dürfte auf allen Seiten der Pro- zehbcteiligten zunächst das Schicksal des menschlichen Streitobjektes, des kleinen Grafen Joseph Adolph Stanislaus Kwilecki, mit geläuterter Gleichgültigkeit betrachtet worden sein, während das Majoratsgut Wroblcwv wahrscheinlich innig geliebt wurde. Als die Gräfin Isabella Kwilecki, die sich selber natürlich Kwilccka nannte, in ihrem einundfünfzigsten Jahre, übrigens als ncch immer stattliche, anmutige, lebenslustige Dame, nach drei Töchtern die Geburt eines Knaben verkündete, war dieser 1897er sicher der Gesprächsstoff der ganzen polnischen Aristokratie von Danzig bis Krakau, denn mit diesem Sohn blieb das Majorat den Kwileckis erhalten. Tie drei Töchter er hielten in dem kleinen Bruder einen natürlichen Beschützer und Ver- orger, und die verwandtschaftlichen Anwärter auf das Majorat sahen ich in ihren Hoffnungen arg getäuscht. Schon damals mag man ge- ächelt und gemunkelt haben, denn es ist freilich nicht alltäglich, daß einundfünfzigjährige Tamen junge Mütter werden. Aber auch das Nichtalltäglickc wird manchmal Ereignis, und schließlich ist es keine Naturwidrigkeit, sondern schon mehrfach zu beobachten gewesen. Tie Majoralsaspirantcn aber ruhten nicht, und eines Tages tauchte, natür lich von reiner Mutterliebe getrieben, Cäcilie Meyer geborene Parcza aus ihrem galizischen Neste au^ die es absolut nicht mehr aushalten konnte ohne ihren vorehelichen Sohn, den sie ihren fünf ehelichen Kin dern im Bahnwärterpalaste zugesellen gedachte. Wir wissen nicht, ob Frau Meyer die Mutter des Grafen Stanislaus Kwilecki ist. Aber das darf man annehmen, daß bei ihrem Kampf um den kleinen Stanislaus die Rücksicht auf das Schicksal des Kindes hinter der auf ihre eigene eheliche Nachkommenschaft etwas zurückgetreten ist. Denn das wird sich wohl auch Frau Meyer gesagt haben, daß beim Siege ihrer An sprüche der kleine Graf Kwilecki das Opfer bilden müsse. Auch von Herrn Meyer ist kaum zu glauben, daß er aus bloßer Neigung zu dem von seiner Frau vor der Ehe geborenen Sohn die Aktion mit betrieben habe. Um es nüchtern auszudrücken: man wird schwerlich schlgehen, wenn man die Geltendmachung der Mcyerschen Ansprüche, deren B.e- rechiigung hier nicht in Frage kommen ;oll, auf die Initiative der in ihren Majoratshoffnungen getäuschten Kwileckischen Verwandten zurück führt. Welcher Mittel sich diese Initiative bei dem Ehepaar Meyer bedient hat, ist zwar nichl bekannt, es werden aber wohl die landes üblichen gewesen sein. Es ist hier nunmehr der merkwürdige Fall eingetreten, daß ein Kriminalgericht zugunsten einer Partei erkannt hat, daß dieses Urteil unangefochten zu Recht besteht, und daß trotzdem ein Zivilgericht sich über dieses Urteil hinwegsetzt und die vorher obsiegende Partei ver urteilt. Man erinnert sich noch der Gcrichtsszencn in Moabit, wo der Prozeß wegen Kindesunterschiebung gegen die Gräfin Isabella Kwilecki verhandelt wurde, weil nämlich die Entbindung, resp. die Unterschiebung des Kindes, in Berlin erfolgt sein sollte. Man erinnert sich auch noch, daß allerdings einige mysteriöse Vorkommnisse, insbesondere schon die Wahl des Niederkunstsortes. Kopfschütteln erregten, daß aber ander seits eine frappante Aehnlichkeit der Gesichtszüge, der Haltung, des Temperaments zwischen ber angcklagten Gräfin Isabella Kwilecki und ihrem angeblichen Sohne konstatiert werden mußten. Man ging da mals mit aller Sorgfalt vor. verschmähte auch den sachverständigen Beistand von Aerzten und Künstlern über die Aehnlichkeit der beiden Personen nicht. Aber natürlich ist die ganze Materie viel zu diffizil, das Urteil notgedrungen zu gefühlsmäßig, als daß die Sache durch einen Nichterspruch wirklich hätte geklärt und aller Zweifel entkleioet werden können. Also die Gräfin bedielt damals ihr Kind und trium phierte nicht nur im Prozeß, sondern auch auf der Straße, wo ihr die Berliner zujubelten. Mit dieser temperamentvollen, vielleicht kühnen Frau ist bem Grafen Stanislaus Kwilecki die beste Beschützerin ge storben: denn erst jetzt, nach ihrem Tode, ist es den Wroblewo-Lieb- habern gelungen, in Posen den Grafen Stanislaus Kwilecki als den Sohn der Bahnwärter-Ehefrau Cäcilie Meyer geborenen Parcza er klären zu lassen. Auch dieses Urteil wird keine weitere Autoritär be anspruchen können, als sie der Respekt vor der Ucberzeugung der Richter eingibt. Eine tatsächliche Feststellung der ungeklärten Familienver hältnisse des jungen Grafen ist ebensowenig damit erfolgt, wie sie seiner zeit durch das Urteil in Moabit erfolgt ist. Wie es heißt, soll beim Reichsgericht gegen das Posener Oberlandesgcrichtsurteil Revision ein- geleat werden. Man wird also vielleicht noch erleben, daß der dann vielleicht schon majorenne Graf Stanislaus Kwilecki ein wirklicher und echter Graf genannt wird, und daß Frau Cäcilie Meyer sich mit fünf Kindern begnügen muß. Das peinlichste Moment der ganzen Affäre ist zweifellos die Art, wie hier das Schicksal eines Kindes in Abhängigkeit von dem Ausgang eines Streites um Geld und Gut gebracht wird, denn der Zwölfjährige, der in Breslau Tertianer ist und als befähigt, fleißig und energisch geschildert wird, ist sicher nicht ohne Kenntnis von diesen Prozeßvor gängen und mag für sein Leben Eindrücke empfangen, die auch einen gefestigten Charakter zerreiben könnten. Aber vielleicht ist ihm das Schicksal doch noch gnädig- vielleicht gibt ihm Leipzig, was ihm Posen versagt hat. Vielleicht aber entschließen sich die Meyers trotz ihrem Schrei nach dem sechsten Kinde doch noch, wenigstens die materielle Für sorge für den Jungen jemand zu überlassen, dem das Geschick dieses Kindes zu Herzen geht. Nach ALonig Leopolds Tode. Die Ankunft der Prinzessin Luise in Brüssel. Nach ihrem Aufenthalt in Köln, der durch Verhandlungen über ihre Begleitung bedingt war, ist Prinzessin Luise am Montagnachmittag 3 Uhr nach der belgischen Hauptstadt abgcreist, wo sie, wie bereits tele- gravhisch gemeldet, abends kurz nach 7 Uhr auf dem Bahnhose in Schär back eintras. Die Prinzessin batte ihre Begleitung, darunter den Grafen Mattachich, in Köln gelassen und lxitte nur eine Kammerfrau mit nach Brüssel genommen. Ein großes Aufgebot von Gendarmerie hatte dem Publikum den Eintritt zum Babnhof verwehrt. Die Gräfin von Flandern hatte bie Hofdame Baronin Vierland zur Begrüßung ent sandt. Als die Prinzessin den Bahnhof verlieh, und die draußen noch Tausenden zählende Menschenmenge ihrer ansichtig wurde, ging ein Jubel und ein wütendes Getöse los. Unter diesem Lärm bestieg die Prinzessin mit ihren Begleitern das ganz in Schwarz gehaltene Automobil des HofeS, das sie in schneller Fahrt zum Schloß in Lacke» brachte.
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