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Wöchentlich erschein«« drei Nummern. Pränumeration»-Preis 22j Tilbergr. (t Thlr.) vierteljühriich, 3 Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in atien Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von leder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., ISgerstraße Nr. 28), so wie von allen König!. Post-Acmtern, angenommen. Litcrntur des Auslandes. L16 Berlin, Sonnabend den 27. September I84S. Frankreich. Marceline Desbordes-Valmore. Nebst einigen Proben ihrer Gedichte, von L. v. PloennieS. Marceline DeSbordeS - Valmore, die erste der lyrischen Dichterinnen Frankreichs, ist noch wenig von uns gekannt. Außer einem Gedicht, welches Freiligrath von ihr mittheilte (der Rufer an der Rhone), sind mir noch keine Uebertragungen ihrer Poesteen zu Gesicht gekommen, und doch haben dieselben schon mehrere Auflagen erlebt und werden von den tüchtigsten Kritikern Frank reichs geschätzt. Die letzte Gesammt-Ausgabe ihrer Dichtungen erschien in Paris 1842, begleitet von einem Vorwort des geistreichen Kritikers Sainte- Beuve, welchem ich einige dieser Notizen entnehme. Marceline DeSbordeS-Valmore vereinigt mit deutscher Innigkeit und Tiefe der Empfindung französische Lebhaftigkeit und Grazie. Ihre Liebeslieder find so naiv graziös und dabei so leidenschaftlich tief, daß sic als einzig in ihrer Art dastehcn. Sie verdient darum vielleicht mit größerem Recht eine neuere Sappho genannt zu werden, als L- E. Landon, welcher der Name „britische Sappho" von ihren Bewunderern beigelegt ward. Sainte-Beuve sagt in seinem Vorwort: Ein von uns seit lange gehegter Wunsch wird heute erfüllt. ES war schon längst unser Verlangen, die Blüthe, den Duft dieser leidenschaftlich zärtlichen Poesie in einem Bande vereinigt zu sehen. Diele Poesie steht wahrhaft einzig da in unserer Zett, denn Madame Valmore hat unbewußt eine ganz besondere Stelle in unserer Lyrik eingenommen. Wenn nxm von Jemand sagen kann, daß er sich selbst vom Anbeginn treu geblieben sey, so ist eS von ihr. Sie hat gesungen wie der Vogel singt, wie die Turtel taube klagt, ohne andere Kunst als die Empfindung des Herzens, ohne andere Hülfsmittel als die einfachen Laute der Natur. Daher weht uns aus ihren ersten Liedern, welche entstanden, ehe sie selbst noch andere Poesie gelesen, etwas Besonderes, UeberraschendeS, voll seltsamer Einfachheit, naiver Grazie, glühend aufrichtig ausgesprochener Leidenschaft entgegen, welches sich in jenen unnachahmlichen Klängen kundgiebt, die sich für immer in liebender Erinne rung mit dem Ausdruck gewisser Gefühle und Schmerzen vereinen. Marceline DeSbordeS ist 1787 in Douai geboren, zwei Jahre vor der Revolution, welche ihre bescheidene Familie ruinirte. Ihr Vater, Maler und Vergolder von Wappenschildcn und Kirchenzierralhen, wurde doppelt von jener Umwälzung getroffen, welche dir Kirche und de» Thron ihres Schmuckes be raubte. Die junge Marceline empfing von jenen Ereignissen Eindrücke, welche ihrer erregbaren Empfindung und ihrem Talent eine bestimmte Richtung gaben. Uebcr der niedrigen Thür ihres geliebten Vaterhauses, in welches ihre Poesieen uns so oft einen Blick gestatten, stand ein kleines Marienbild in einer Nische. DaS junge Kind wurde geboren und lebte unter immer fortdauernder Ver ehrung der Madonna, und dieser goldene Faden zieht sich durch viele ihrer Poesieen. Die folgende, deren Uebertragung ich kürzlich versuchte, mag als Beleg dazu dienen. Die Madouna des Feldes. Umwogt von goldnen Saaten Sie!» ein Marienbild. Die Mutier aller Gnaden Schirmt segnend La« Gefild; Schürend den Arm erhoben Zur Wolke donnerschwer, Vom Weihrauchduft umwoben Der Blumen um sie her. Nicht wölbe» SLulenhallen Sich golz zu ihrem Ruhm, De« Vöglein Lieder schalle» In ihrem Heiligtum. Al« Engel ihr zu Füßen Spielt eine Kinderschaar, Di« AbendgloSen grüßen Sie sanft und wunderbar. Co, immer mild geneiget Dai Haupt, seht ihr sie gehn, Der Blinde, ob sie schweiget, Wirb ihren Gruß verstehn. Den Sünder trifft die Milbe Mit ihrem Blick vow Stein, Er knieet vor dem Bilde Und flehet um Verzeih». O, wühl' sie zur Vertrauten Mit ihrer stummen Lieb', Von allen Menschenlauten Vst keiner treu »ns blieb; Sie steht in keuscher Feier Hoch über Erdenpein, Und hüllt in ihren Schleier Still dein Gcheimniß ein. Oft vor ihr hingegossen, Lag ich in Fiebergluth, Und sanfter ist geflogen Zum Herzen da mein Blut. Ihr Alle, die beladen, O, ruht zu Füßen ihr, Die Mutter aller Gnaden. O, sie weiß mehr al« wir. DaS Vaterhaus der liebenswürdigen Dichterin war von dem Kirchhof unserer lieben Frau begränzt und empfing von dieser Nachbarschaft einen ernsten religiösen Charakter. Ein hoher Kalvarienberg erhob sich über den grünen Hügeln und demüthigen Kreuzen, und das Kind brachte ganze Tage spielend auf dem Kalvarienberg und den Hügeln hin. Außer diesem Einfluß, welcher früh Schauer religiöser Gläubigkeit und poetischen Aberglaubens in ihr weckte, wurde sie von dem spanischen Charakter berührt, welcher der Stadt Douai ausgeprägt ist, und den sie, obgleich gemildert, im Herzen und an der Stirn trägt. Sie glich mit ihren blauen Augen und blonden Haaren einer Portugiesin, während ihre Brüder und Schwestern stark geschnittene und gebräunte Züge hatte». Ganz zuletzt kam das blonde Kind zur Welt, und die Familie de. grüßte eS mit um so größerer Freude, als es ein Abbild seiner Mutter war und zugleich, wie Viele behaupteten, in seinen Zügen den Charakter der Madonna, der Schutzpatronin des Hauses, trug. Im Jahre ftl wurde der Familie DeSbordeS eine sehr bedeutende Erb schaft unter der Bedingung vermacht, daß sic den katholischen Glauben für die resormirte Konfession aufgebcn sollte. Ei» feierlicher Rath wurde in dem kleine» Hanse von den Familicngliedern unter dem Vorsitz der Madonna ge halten. Die Mutter fiel bei der Lesung des Briefes in Ohnmacht, der Vater sah seine Kinder mit der größten Scclenangst an und ging dann auf den Kirchhof, uni in der feierlichen Ruhe dieses Ortes einen Entschluß zu fassen. Als er wieder hereintrat, vereinigte man sich zu dem Vorsatz, die Erbschaft abzuweisen und dem katholischen Glauben treu zu bleiben. Marceline war damals vier Jahr alt, und es prägte sich tief in ihr kind liches Herz, daß ihre Aeltern es vorgezogen hatten, arm zu bleiben, um nur fortdauernd unter dem Schirm der Gnadenmutter zu leben. Dieser Marien- kultuS giebt darum vielen der Poesieen unserer Dichterin jene gläubige religiös poetische Färbung, welche als ein charakteristisches Zeichen der frommen Kindlichkeit des Mittelalters sich besonders in den südlicheren Gegenden er- halten hat. Ein Vetter der Familie DeSbordeS hatte indessen in Amerika Glück ge macht, und die Mutter, welche bei den Ihrigen die Sorgen sich täglich mehren sah, faßte den großen Entschluß, mit ihrer letzten Hoffnung, der lZjährigen Marceline, nach der neuen Welt zu reisen. Doch ihre Hoffnungen sollten bitter getäuscht werden, denn sic fand bei ihrer Ankunft in Amerika die Kolonie im Zustand der Empörung, den Vetter ermordet, dessen Witwe auf der Flucht ins Innere des Landes, nnd die Plantagen durch das Feuer verwüstet. Bald wurde die unglückliche Frau voni gelben Fieber ergriffen, und der jungen so plötzlich verwaisten Tochter blieb nichts übrig, als das Weltmeer zum zweiten mal zu überschiffen. ES war eine herzzerreißende Scene, als man sie eines Abends fast mit Gewalt in das Schiff trug, welches sie ohne die geliebte Mutter zur fernen Heimat zurückbringen sollte. Sie vollendete diese traurige Rückreise, welche ihr durch die Härte des CapitainS noch bitterer wurde, halb aufgelöst in Kummer und Thränen. Sie hatte damals ihr I4tcS Jahr er reicht, das Unglück hatte sie gereist Der Horizont des Kirchhofes von Douai hatte sich bedeutend erweitert, die Poesie ruhte in ihr wie eine der Ent faltung entgegen strebende Blume, die bereits von Strahlen und Schauern inS Leben gerufen wird. Als sie wieder ihre heimische Erde betrat, konnte man ihr sagen: „Sie trug ein reife« Herz in einer Kinbe«brust." Unter das väterliche Dach zurückgekehrt, fand sie ihre Familie noch ärmer als zuvor. Doch war ihr Vater Inspektor der Gefängnisse von Douai ge-