Volltext Seite (XML)
Wi-benUi» «scheint« drei Nummern. PrSnum«<ttion»,P«it 22 j SUöergr. (f Thlr.) virrteljiihrlich, 3 Wr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in aüen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von ledcr Buchhandlung (in Berlin hei Veit u. Eamp., Iägerstraße Rr. 25), so wie van allen König«. Past-Äemtern. angenonmren. Literatur des Auslandes. . 109 Berlin, Donnerstag den il. September 184S. England. Geschichte einer Deportirten. °) DaS Dorf Nacton, der Geburtsort unserer Heldin, liegt in der Graf schaft Suffolk und besteht aus einer einzigen Straße. Kämet ihr in die wal- dige, einsame Bergschlucht, in deren Mitte es ruht, ihr würdet nicht ahnen, in der Nähe von Menschenwohnungen zu seyn, und geht ihr des Nachts durch jene öde Gaffe, so verfolgt euch ein ermüdendes, unermüdliches Dröhnen; das ist das Meer, das in der Ferne grollend den vergeblichen Angriff aus England, seinen mächtigen Bezwinger, immer und immer erneut. In der Nähe Nacton'S münden der Stour und der Orwell. Zwischen diesen und dem Dorfe liegt eine große Ebene, die wegen ihrer Fruchtbarkeit berühmt ist und Wolfkettel heißt, von einem sächsischen Herzog dieses Namens, der daselbst den Dänen eine blutige Schlacht geliefert hat. Es scheint, daß Menschenblut den Boden außerordentlich düngt, oder daß Gott die Leiden, die unser Geschlecht sich selbst bereitet, unö mit Wohlthaten vergelten will, denn fast alle Schlachtfelder sind, wie jenes, durch den Reichthum ihrer Erzeugnisse berühmt geworden. Dieses Land wird seit einem Jahrtausend von einem Ge schlecht von Pächtern bebaut, die größtentheils unmittelbare Sprößlinge der dänischen Eroberer sind. Langes, blondes Haupthaar wallt um die Schultern dieser riesigen Menschen, die vom Morgen dis zum Abend mit unerschütter lichem Ernste ihre Pferde durch eine Furche zur anderen führen. Thiere und Menschen gleichen hier einander-, beide find muskulös, gigantisch, und die reiche Mähne der einen flattert im Seewinde neben dem langen Haar der anderen. Der Dialekt dieser Bauern gehört einer anderen Zeit und einer ankeren Welt an. Wenn das Pferd eine Furche beendet hat, schreien sie „Wnrrah!" als ging' es zum Kriege; wenn eS eine neue ziehen soll, rufen sie „Wurrih!" Die starken nordischen Kehllaute werden aus den kolossalen Kehlen dieser Leute auf eine Weise hervorgestoßen, die ihre Sprache für den Engländer aus London so unverständlich macht, als die der Karaiben. Oft sieht man auf dem Rücken jener Pferde ein kleines sächsisches Mädchen mit blondem Haar und zarter Haut, dessen nackte Beinchen sich in der Mähne ver lieren. Ucberhaupt reiten dort die Frauen ohne Sattel, und bei den vielen Gefechten zwischen den Schmugglern und Küstenwächtern sieht man, oder viel- mehr sah man sie — denn diese Sitten sind im Erlöschen — entschlossen den kurzen Degen oder die Pistole des Matrosen führen. Die Namen wie die Vc- wohncr dieser Gegenden: North-Folk (Norfolk), South-Folk (Suffolk), East- Saxon (Essex) sind noch heute nicht mit normännischen Elementen gemischt, und die Crackuell'S, Catchpole'S, Wringnell'S, Springtree's haben sich Jahr hunderte erhalten, ohne von den Beauclerc'S und Courcp'S (Churchill'S) ver drängt zu werden. Gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts glaubte man noch an eine alte Sage, die von dem ödesten und höchsten Felsen jener Küste, dem Bawdsep- Cliff, ging. Die Küstenwächter, meist Irländer, die den vielen Schmugglern der Gegend auflauerten, hatten nicht wenig dazu bcigetragen, jene Schrcckens- geschichte im Volke lebendig zu erhalten, denn kein Mensch ist abergläubischer, als ein Irländer. Die Regierung verwendete sie indeß gern zur Küsten- Polizei, denn sie waren tapfer, thätig nnd wachsam; ihre Lebhaftigkeit, ihre Liebe zum Kampf, ihre List, die derjenigen der Wilden gleichkam, machten sie den Feinden der Zollhäuser furchtbar. Sie trotzten Wind und Wetter, und selbst für den Haß rächten sie sich nicht, den ihr trauriges Gewerbe ihnen zu. zog. Sie ließen sich tödten und tödteten mit unerschütterlichem Gleichmuthe. Die Bauern, die die Schmuggelei liebten, vertrugen sich dennoch zuweilen recht gut mit den Irländern, zumal wenn diese sich an ihren Tisch setzten und ihnen Wundergeschichten erzählten, z. B. daß auf der Küste von Bawdsey- Cliff eine Legion Geister Hause, daß dies die Schatten früherer Schmuggler wären und ihre Erscheinung Schlimmes bedeute. Sie verschwänden zuweilen im Sande, und der Wächter, der es wage, ihnen zu folgen, werde unfehlbar von der Erde verschlungen und kehre nie wieder. Die Irländer erzählten zu gut, und ihre Zuhörer waren zu leichtgläubig, als daß die Spukgeschichten sich nicht in den Gemüthirn hätten festsetzen sollen. Der natürliche, aber höchst merkwürdige Grund war folgender: ') Nach: 'n. - of Cutvbpvla, n bussolt: xlrl «r,onS. einem Roman au« den, Balte, besten Inhal« aulhenlisch ist und durch Zeitungen und Aklcn- lwSc bestätig« wird. Versager de« Roman« ist ein englisch« Prediger, der Rev. Richard Eobbold. Auf dem Gipfel des Bawdsep-Cliffs stand eine unscheinbare Hütte und neben ihr ein kleiner Baumgarten, der mit einer steinernen Mauer cingezäunt war. Innerhalb der Mauer befand sich ein Brunnen ohne Geländer nnd von großem Umfang, der durch nichts aufsiel, als durch die Breite des Wasser- eimcrS und die Dicke des TaueS, an welchem dieser befestigt war. Auf dem Rande des Brunnens lagen Haufen von Scherben und zerbrochenem Glas, die den Zugang verhinderten. Diese Vorsicht war nicht ohne Grund, denn etwa zwölf Fuß von der Oberfläche des Bodens öffnet sich in der steinernen Wand des Brunnens ein plattgedrückter Bogengang, der in eine ganz eigen« thümliche Höhle führt, die lange Zeit in der ganzen Gegend unbekannt war und eine Naturmerkwürdigkcit derselben bildet. Wasser, das sich ans dem Brunnen unter der Erbe einen Weg nach dem Meere zu bahnte, hatte diesen Gang ausgchöhlt. Die Schmuggler benutzten diesen Wink, leiteten das Wasser ad, wölbten den Gang und machten in die Wölbung ein Loch, das in den Schornstein der Hütte führte und auf diese Weise den Rauch der Höhlung mit dem der Hätte vermifchte. Endlich hatte man das Gewölbe mit Geräthen und Lebensmitteln versehen, so daß cs für einige Zeit zum Aufent halt dienen konnte. Hinein gelangte man durch den Brunnen, das heißt, in dem Eimer, den eine Freundeshand, entweder der Bauer, der in der Hütte wohnte, oder dessen Frau, anhielt, sobald er an dem Eingang der Grotte angekommen war. Die Mauer versteckte den Brunnen vor denen, die von der Meeresküste aus den Bawdsep-Cliff bestiegen, und ein Schmuggler, wenn er hart verfolgt wurde, schwang sich in den Eimer, zog ihn durch sein eigenes Gewicht herunter, konnte, falls er mit einem Enterhaken »ersehen war, den selben wie einen Anker in den Eingang des Gewölbes werscn und auf diese Weise durch einen Sprung allen Nachforschungen entfliehen. Das zauberhafte Verschwinden der Schmuggler hatte sich so oft wiederholt, daß von Nacton bis Ipswich, dem Hauptort der Gegend, der Spuk auf dem Bawdsep-Cliff ein Glaubensartikel wurde. ES gab indeß einen Irländer, Namens Pat O'Brien, den diese über- natürliche Erklärung nicht befriedigte. Dieser Pat war ein Slöbercr und wollte um jeden Preis über dieGcspenstergeschichtc Gewißheit haben. Er hatte die Mauer und das Koch gesehen, durch welches regelmäßig die verfolgten Schmuggler weggczaubert wurden, und eS wandelte ihn eine unwiderstehliche Lust an, das Innere des „Gcisterbrunncns" kennen zu lernen. Diese Neugier konnte ihm theuer zu stehen kommen, wie wir sogleich sehen werden. Die Hütte wurde von der Familie eines alten Landmanns bewohnt, den sich Schmuggler zum treuen Freunde gemacht hatten. Fast die ganze Bevöl- kerung des Küstenstriches war arm. Mehr als ein Pack Spitzen, mehr als ein werthvoller Shawl, ungerechnet die Fässer Branntwein und Rum, ging von den Schiffern in die Hände der Bauern über, die keine Lust hatten, gegen einen ungesetzlichen Erwerb Partei zu nehmen, der ihnen kostbare Gegenstände zu billigen Preisen verschaffte. Die meisten von ihnen thaten, als merkten sie , nichts, wenn die Schiffs-Capitaine des Nachts ihre sogenannte „Mondschein, ladung" ans Land brachten. Die FraudeS Bauern in der Bawdsep-Hütte theilte seine Duldung gegen die Schmuggler, und Pat, der Küstcnwächter, konnte nicht schlechter berathen sepn, als da er sich an diese Frau wendete, nm die Geheimnisse des Geisterbrunncs zu erfahren. Sie war gleich bereit, ihn hinunterzulasscn, und hieß ihn sich bequem in dein Eimer zurechtsetzcn. Das Tau aber schoß rascher in die Tiefe, als Pat sich gedacht hatte, und im Nu steckte er im Wasser, kam wieder hervor, tauchte wieder unter, wie eS seine freundliche Wirthin wollte. Vergebens suchte er durch Wimmern und Bitten seinen weiblichen Henker zu rühren; sie stieß so lange den Eimer ins Wasser, bis sie keinen Laut mehr hörte. Pat sah seine Dummheit ein, klammerte sich an den eisernen Griff des Eimers und muckste nicht mehr. Er hoffte, wenn er sich todt stellte, seiner Verfolgerin zu entschlüpfen und, nach Art der Matrosen, an dem Tau wieder heraufzukletter». Als Alles still wird, beginnt er seine Reise aus die Oberwelt und befindet sich bald vor dem Eingang des Gewölbes. Schon glaubt er sich gerettet und hält nur ein wenig an, um Luft zu schöpfen, als seine Beine plötzlich von einem eisernen Haken gefaßt und so kräftig an- gezogen werden, daß er kopfunlen in die Grotte emporgehoben wird. Ein Matrose hatte die edle Absicht, ihn mit einem schädelzerbrechendcn Hiebe zu empfangen, traf aber glücklicherweise die Wand des Brunnens. Der arme Pat ward endlich vollends in den Keller gezogen, und mit lautem Gelächter stürzte ein Dutzend Matrosen herbei, die das sonderbare Abenteuer des Küsten- Wächters überaus heiter stimmte. Pat war in der That einem Haufen seiner Todfeinde in die Hände ge- fallen, und wenn wir einen Roman schreiben wollten, so wäre hier der passende