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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumerMionS-Preis 22j Silbergr. Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußische» Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Jägerstraße Nr. 28), so wie von allen König!. Post-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. W' 39. Berlin, Sonnabend den 30. März 1844. Frankreich. Lallemand über Curopa's Zukunft. Ein Mann, der sich in Frankreich durch seine wissenschaftlichen Leistungen einen großen Rus erworben, Or. Lallemand, Professor an der medizinischen Schule von Montpellier, hat so eben eine Broschüre erscheinen lassen, die, nicht nur wegen des berühmten Autors, der sich als Verfasser bekannt hat, sondern auch wegen ihres originellen, wenngleich nicht in Allem zu billigenden Inhalts, wohl einige Aufmerksamkeit verdienen dürfte. Herr Lallemand, wel cher der republikanischen Partei angehört, hat in dieser Schrift, die seinen gewöhnlichen Studien so fern liegt, eine Art politisches Glaubensbekenntnis liefern wollen, worin er, neben Ansichten über jetzige Zustände, auch Hoff, nungen oder vielmehr Prophezeiungen in Bezug auf die Zukunft zu geben wagt. Es ist nicht das erste Mal, daß ein solches utopisches Wahrsagen in der Literatur des uns benachbarten Landes sich vernehmen läßt. Der als sinn reicher Maler der Pariser Sitten und durch seine unglücklichen Neuerungen in der dramatischen Dichtkunst bekannte Mercier hatte schon in seinem Werke, „l'^n 2440" betitelt, viel Scharfsinn und Einbildungskraft angewandt, um den Fortschritt oder, wenn man lieber will, die Entwickelung zu schildern, welche nach Jahrhunderten im sozialen Leben sich zugetragen haben könnten. Später fand der Geschichtschreiber Felix Bodin seine Freude daran, einen ähnlichen Roman zu erdichten, der aber, wegen Bodin's frühzeitigen Todes, unvollendet blieb. Der Sozialist Charles Fourier endlich, obwohl er nicht, wie beide Andere, einen vollständigen Abriß der kommenden Zeit entwarf, faßte doch mit Wohlgefallen seine phalanstcrische Theorie in den Rahmen solcher Träumereien ein. Zn manchen Beziehungen erscheint uns Lallemand eben so grundlos als seine Vorgänger von Schwärmerei fortgeriffen. Wie er vorausschen will, werden nach hundert Jahren nur noch drei große Mächte in Europa bestehen, und zwar erstlich ein Bund, der Spanien, Portugal, Frankreich, Italien und auch die Niederlande, unter Oberleitung eines ibergslirale, ver ¬ einigt; zweitens Deutschland, von der Ostsee die Donau entlang bis zum Schwarzen Meere sich erstreckend, und drittens das russische Reich, mit zwei um den Vorrang sich streitenden Hauptstädten Konstantinopel und Peters burg. Was England, Polen und Griechenland betrifft, so ist das erstere von dem Verfasser als seinem gänzlichen Verfalle nahe, die polnische Republik als eine zeitige Schutzwehr gegen russische Eroberungssucht, und das letzte als großer Vermittler des Küstenhandels in unserem Welttheil angenommen worden. Die Vereinigten Staaten Nord-Amerika's sind durch die Aufnahme von Mejiko und Kanada bereichert, leiden aber an den Folgen eines inneren, schauerlichen und langen Krieges, welchen sie gegen ihre Sklaven zu führen gehabt haben. Am entgegengesetzten Ufer des Stillen Meeres steht das wieder geborene-China im Begriffe, mit Indien, das britische Joch abzuschütteln und eine Aera der glänzendsten Wohlfahrt im alten Asien zu beginnen. Dieser Umriß der prophezeiten Weltkarte wird dem Leser genügen. Bei näherer Betrachtung könnte uns Deutschen ein besonderer Umstand nicht Wohl gefallen, nämlich daß der Franzose seinem Lande auch das linke Rheinufer zugeeignct hat. Die Gerechtigkeit muß man ihm aber widerfahren lassen, daß er sich dessen wenigstens nicht durch die Waffen zu bemächtigen wagt, sondern daß er jenes fingirte Streben nach Pariser Konzentrirung dem guten Willen des Rheinvolkes selber zuschreibt. Andere Erläuterungen der von Herrn Lallc- mand erwarteten Zukunft scheinen uns der Vernunft und der Wahrscheinlichkeit mehr gemäß, so die Errichtung eines in allen Staaten Europa's angenomme- neu Maß-, Gewicht- und Münz-Systems u. s. w. ES würde uns aber zu weit führen, alle Ansichten zu erwähnen, welche in diesem, nicht ohne durch dringenden Geist und ausgedehnte Forschungen, erdachten Utopien Vorkommen. Alle, denen unsere kurzen Andeutungen ein Interesse cingeflößt haben, ver weisen wir auf daS Buch selber und wollen nur noch Einiges in Bezug auf seinen Titel hinzusctzen. Das Buch heißt „le Uscb^vll", ein Wort, das Vielen unbekannt lauten ">ag. Ii!rcb>cfi ist nichts Anderes als unser Hanf, jedoch durch die Macht des afrikanische» KlimaP umgewandelt und in seiner Wirkung verstärkt. Der Samen davon, in warmcS Wasser gethan, liefert ein Getränk, das den Trinkenden in einen begeisternden und traumreichcn Rausch versetzt. Diese Art Thee wird von den Arabern leidenschaftlich gegossen. Seine merkwürdigste Eigenschaft besteht dq,in, wie Lallemand sagt, daß er die Ideen desjenigen, der ihn getrunken hat, rraltirt, ihm seine verwickeltsten Pläne in ein klares Licht setzt, seine theuersten Entwürfe als gelungen vorstellt, die Anschauung von dem, wonach er strebt, in vollem Umfang verleiht, ihm, mit einem Worte, den frühzeitigen und ungemischten Genuß alles dessen verschafft, was seinen gewöhnlichen Gedanken, Wünschen oder Leidenschaften entspricht. Auf diese Weise hat der Verfasser oder, um seine Erdichtung anzunehmen, sein junger Landsmann, der, aus Ekel an der Gegenwart, von Frankreich sich entfernt und nach Aegypten reist, durch eine Tasse Hachych die Verwirklichung aller seiner Phantasieen erlangt. Albert und Consuelo, oder der Bund der Unsichtbaren. Schluß-Kapitel von Gevrpe Sand'S ..Gräfin von Rudolstadt". (Fortsetzung.) Wir kehren nach dieser Abschweifung zu Albert zurück. Ihn zu enterben und zu ächten, brauchte man nicht so viele Künste. Es genügte, ihn als tvdt anzusehen und ihm das Auferstehen zu verbieten, da seine Auferstehung unbe- quem war. Albert hatte wahrscheinlich nichts reklamirt; wir wissen nur, daß zur Zeit seiner Verhaftung die Stiftsdame Wenzeslaw« in Prag, wohin sie sich einer Augen krankheit wegen begeben hatte, gestorben war. Als Albert er- fahren hatte, daß sie auf dem Todtenbette liege, konnte er der Stimme seines Herzens nicht widerstehen; er trennte sich auf der österreichischen Gränze von Consuelo und eilte nach Prag, seiner theuren Verwandten die Augen zuzu- drücken. Dies war das erste Mal seit seiner Verheiratung, daß er sich wieder nach Deutschland wagte; er hoffte, seine nun zehnjährige Abwesenheit und gewisse Vorsichts-Maßregeln würden bewirken, daß er unerkannt bleibe, und er wünschte nichts, als den Segen seiner Tante zu empfangen und ihr durch seine Liebe und seinen Schmerz noch zuletzt zu beweisen, daß er nicht anders gekonnt. Die säst erblindete Stiftsdame erkannte ihn nur noch an der Stimme; ihre ganze alte Zärtlichkeit brach bald hervor, sie umschlang ihn mit ihren kraftlosen Armen und nannte ihn ihren geliebten Albert, ihren theuren Sohn. Die Baronesse Amalie und eine Frau aus dem Böhmerwald, welche Albert s Krankenpflegerin in früheren Zeiten gewesen war und nun die StiftS- dame bediente, erschraken über die Aehnlichkeit, welche dieser angebliche Arzt mit dem jungen Grafen hatte. Doch scheint Amalie ihn nicht sicher erkannt zu haben; wenigstens möchten wir sie nicht gern zu den Mitschuldigen bei den Verfolgungen machen, welche für Albert begannen, sobald Wenzcslawa in den Armen des Neffen ihr Leben ausgehaucht hatte. Man nahm ihn gefangen und befragte ihn zunächst über seine Verhältnisse und über die Veranlassungen, welche ihn zu der Sterbenden geführt; man wollte sein ärztliches Diplom sehen, und als er dasselbe zeigte (denn er führte gewöhnlich eines bei sich), er klärte man ihm, daß er nicht Liverani heißen könne, da er sonst, wie gewisse Leute versicherten, Trismegistos geheißen habe. Darauf konfrontirte man ihn mit der Baroneß Amalie, und dies war sein Verderben. Schon unmuthig über die vielen Nachforschungen, die man über ihn anstcllte, und der Vorsicht müde, mit der er sich verbergen und verstellen mußte, gestand er seiner Cousine in einem Gespräch unter vier Augen, welches gerichtlich belauscht wurde, offen, daß er Albert von Rudolstadt sey. Amalie erkannte ihn in diesem Augenblicke ohne Zweifel; doch durch ein so unerwartetes Geständniß plötzlich überrascht, fiel fie in Ohnmacht. Hiermit nahm die Sache eine andere Wendung. Man wollte Albert als einen Betrüger vcrurthcilen. ES wurden Zeugen, welche seinen Tod nicht bezweifelten, beigebracht; sein Grab wurde geöffnet, und es fand sich ein Skelett in demselben, welches man vielleicht am Tage zuvor hineingelcgt hatte ; man überredete Amalien, daß sie gegen einen Abenteurer auftreten müsse, der sie ihres Eigenthums berauben wolle, und ohne Zweifel ließ man sie nie mehr mit Albert zusammenkommen. Es war vergeblich, daß Albert erklärte, er wolle der Erbschaft entsagen, er wolle sie gerichtlich seiner Cousine zuerkennen; man wünschte den Prozeß zu verlängern und zu ver wickeln, und dies gelang vollkommen, sey es nun, daß man die Kaiserin täuschte, oder, daß man ihr vorstellte, die Confiscation des Vermögens sey hier eben so wenig zu verachten wie bei dem Panduren. Um dieses Ziel zu erreichen, machinirte man gegen Amalie selbst; man kam auf ihre Flucht mit Anzoleto zurück, man hob ihren Mangel an Religiosität hervor und drohte ihr endlich im Geheimen, sie in ein Kloster zu sperren, wenn sie ihren Ansprüchen aus die streitige Erbschaft nicht entsage. Sie mußte sich daher mit dem Nachlaß ihres Vaters begnügen und sah sich noch genöthigt, einen Theil desselben als Kosten für einen Prozeß hinzugeben, zu dem man fie gezwungen hatte. Das Schloß Niesenburg und die dazu gehörigen Ländereien wurden konfiszirt, und zwei