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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«-Prei« 22j SUbergr. (1 Tdlr.) vierleljSdrNck, Z Ldlr. sür ba« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preuiisthen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung sin Berlin dei Veit u. Comp., Zägerftraste Nr. 28), so wie von allen König!. Post - Aemiern, angenommen. Literatur des Auslandes. 36. Berlin, Donnerstag den 25. März 1847. China. Ein chinesischer Roman. Wang Keaou Lwan Pich Neen Chang Han, oder die blutige Rache einer jungen Frau. „Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie ewig neu, und wem sie just pasfiret, dem bricht das Herz entzwei": hier haben wir sie in der Auffassung eines Volkes, dem die Gabe der Phantasie von Natur nur in sehr geringem Grade zu Theil worden ist; dennoch hat auch hier das gewaltigste aller Ge fühle, die Liebe in der Seligkeit der ersten Erhörung, in dem verzehrenden Schmerze deS Verrathes, seine Macht bewiesen und die nüchterne verständige Darstellung mit einem erwärmenden Hauche zu durchdringen gewußt. Zwar zeigen auch die Figuren dieses Romanes die steifleinene, in Formeln erstarrte Gestalt des chinesischen Wesens, doch bewegen sie sich nicht selten in fast dra. matischer Lebendigkeit und wissen die Aufmerksamkeit des Lesers zu fesseln. Die Erzählung ist einer größere» chinesischen Sammlung entnommen und im Jahre 1830 zu Canton, durch einen Engländer unter dem angenommenen Namen Slot- übersetzt, in wenigen Exemplaren gedruckt worden. Die uns vorliegende deutsche Ucbersetzung des Herrn A. Böttger ist eine Ucbertragung jener englischen. °) Dem Stile nach gehört das Merkchen, nach Angabe des englischen UcbersetzerS, zu keiner der beiden gebräuchlichen chinesischen Schreib arten, weder zu der älteren klassischen, noch zu der neueren sogenannten feinen Mandarincnsprache, sondern ist in der Umgangssprache des gemeinen Lebens abgefaßt, etwa der prosaischen Dialogform zu vergleichen, deren sich Shakespeare in seinen Dramen häufig bedient. Der Engländer klagt nament lich über die außerordentlichen Schwierigkeiten, mit welchen die Uebcrtragung der vielen eingestreuten Verse verknüpft war, und die sich in keiner anderen Poesie in gleichem Maße wiederfindcn. Sie entspringen aus den conven- tionellcn Redefigurcn, Vergleichungen und Anspielungen, die nur dem wissen schaftlich gebildeten Chinesen geläufig sind, den Geschäftsleuten aber, auf welche allein sich der Umgang der Europäer beschränkt, selbst zum großen Theile unverständlich bleiben. Da die Fabel der kurzen Novelle ziemlich ein fach ist, können wir unseren Lesern einen gedrängten Auszug derselben mit- theilen. Während eines Krieges gegen die rebellischen Mearutßc Barbaren im Jahre I4S8 kam der Oberst Wang chung mit seiner HeereSabtheilung zu spät an und ward deshalb zu einem Capitain degradirt und nach der Militair- Station Nanyang in der Provinz Honan versetzt. Seine Familie bestand auS einer Frau, einer Schwägerin, Tante Tsaou genannt, einem Sohne und zwei Töchtern, von denen die ältere, Keaou Lwan, ein Ausbund von Schönheit und Gelehrsamkeit, noch eines ihrer Vorzüge würdigen Gemahles harrte, während die jüngere bereits als Kind einem Vetter verlobt worden war. Im benach. barten Hause wohnte ein Professor, Namens Chow, mit seinem Sohne Ting chang, welcher den Grad eines Bakkalaureus besaß. Eines Tages vergnügte sich Keaou Lwan im Garten auf der chinesischen Schaukel, als sie plötzlich den ihr persönlich noch unbekannten jungen Gelehrten gewahrte, der ihr durch eine Oeffnung der Gartenmauer zuschaute und Bravo ! Bravo! rief. Sie entfernte sich sogleich mit seltsamer Unruhe im Herzen, der Bakkalaureus aber sprang über die Mauer, in der Hoffnung, weitere Auskunft über die junge Schöne zu entdecken. Im Grase fand er ein langes Halstuch von duftiger Gaze, und da er Fußtritte vernahm, zog er sich eiligst mit seinem Raube zurück. ES war die Dienerin der reizenden Nachbarin, welche das verlorene Tuch suchte. Bald entspann sich eine Unterhaltung zwischen Beiden, die zu einem poetischen Briefwechsel Ting chang'S und Keaou Lwan's führte, aus welchem nur gar zu schnell hervorging, daß Beide in Liebe zu einander entbrannt waren. Doch wie sollte der junge Gelehrte zum ungehinderten Umgänge mit seiner Ange beteten gelangen? Die Leidenschaft machte ihn erfinderisch. Er wußte seinen Vater zu überreden, daß der Aufenthalt in dem engen, geräuschvollen Kollegium der Vollendung seiner Studien hinderlich sey, und erreichte dann durch die Vermittelung desselben die Aufnahme in das Haus und die Familie des Ca pitain Wang, indem dessen Frau, die denselben Familiennamen, Chow, führte, als der Professor, nach chinesischer Sitte seine Adoptivtante ward. Der alte Her» Wang wies dem neuen Neffen zwar eine abgesonderte Wohnung an und ') Leipzig, Iprann, mto, Nl SS. 8, inst paffend»,; Verjstrungm und Einband. erlaubte ihm nicht, mit seiner Tochter zu verkehren, doch als die Schöne vor Sehnsucht krank ward und der Bakkalaureus, medizinische Kenntnisse vorge bend, ihr rasch zur Besserung verhalf, schwand dem Vater alle Besorgniß, und er beförderte sogar fortan den Umgang der jungen Leute. Das Verhältniß ward immer vertraulicher. Tante Tsaou, die man in das Gcheimniß gezogen hatte, rieth endlich zu einer in China nicht anstößigen und sogar häufig vorkommenden heimlichen Vermahlung. ES wurden dem nach vier gleichlautende Heirats-Kontrakte ausgeschrieben, einer derselben vor Himmel und Erde verbrannt, um die guten und bösen Geister zu Zeugen an- zurusen, der andere der Tante Tsaou zum Zcugniß für künftige Zufälle ein gehändigt, den dritten und vierten behielten die beiden Vermählten. Tante Tsaou sprach daraus einen feierlichen Fluch über die Untreue, reichte dem Lie bespaare Früchte und süßen Wein, trank einen Becher auf ihr Wohl, und die Ccrcmonie war vollendet. So lebten die Glücklichen wohl ein halbes Jahr, als der Professor Chow in eine höhere Stellung nach der im Westen gelege nen gebirgigen Provinz Szechucn versetzt ward; diesmal jedoch war in Ting chang die Liebe noch zu mächtig; durch mancherlei Entschuldigungen und Vor wände wußte er seinen Vater zu bewegen, daß dieser ihn in Nanyang zu rückließ. Wiederum war ein halbes Jahr verflossen, als Ting chang aus der Pekinger Zeitung ersah, daß sein Vater das Klima des neuen Wohnorts nicht habe vertragen können und mit Erlaubniß des Kaisers nach seiner Heimat zurück gekehrt sey. Da regte sich auch in ihm das Verlangen, Acltern und Heimat wider^fehen, und von Lwan selbst in seinem Vorhaben bestärkt, reiste er ab, mit dem Versprechen, spätestens in Jahresfrist zurückzukehren. Doch sein Vater überraschte ihn sogleich bei seiner Ankunft in Werkcang mit dem Vorschläge, ein schönes und sehr reiches Mädchen aus vornehmer Familie zu heiraten. Nach kurzem Zögern willigte er ein und hatte seine bisherige Gemahlin gar bald vergessen. Die arme verlassene Keaou Lwan harrte indcß geduldig der Wiederkehr des Gatten. Endlich, als die gesetzte Frist verstrichen und weder der Ersehnte noch auch nur die geringste Kunde von ihm angelangt war, benutzte sie zu verschiedenen Malen Gelegenheiten, um an ihn zu schreiben und Nachricht von ihm einzuziehen. Selbst seine ausweichenden Antworten konnten ihren Glauben an seine Treue nicht überwältigen, bis sie zuletzt nach jahrelangem vergeblichen Hoffen durch einen treuen Voten den ganzen Umfang ihres Un glücks erfuhr. Alle Ermahnungen der Tante Tsaou, des Ungetreuen zu vergessen und in den Armen eines anderen Gemahles Ersatz für den Verlust zu suchen, blieben fruchtlos. Sie packte ihren ganzen früheren Briefwechsel, einige Gedichte und die Heirats-Kontrakte zusammen, versiegelte sie mit dem AmtSsicgcl ihres Vaters und schrieb darauf die Adresse: „Capitain Wang, welcher das Siegel der Militair-Station von Nan Aang verwahrt, sendet dies an den Haupt-Magistrat von Werkeang in dem kaiserlichen Distrikt von Sochow, um es zu eröffnen in dem kaiserlichen GcrichtSsaal." Darauf über- gab sie das Paket einem Boten zur Besorgung, ging in ihr Zimmer, verschloß die Thür und erhängte sich mit dem Gazctuch, welches die Veranlassung aller ihrer Schmerzen gewesen war. Als das Paket zu Händen des Magistrats von Werkeang gelangte, be fand sich zufällig ein aus einer Inspektionsreise begriffener kaiserlicher Censor am Orte. Dieser hatte von dem Inhalte der Schriften nicht sobald Kenntniß genommen, als er Ting chang ergreifen ließ und, nachdem er durch Erkun digungen in Nanyang die Bestätigung der Wahrheit erfahren, das Urtheil verkündigte. „In eurem Heirats-Kontrakte", sprach er, „steht geschrieben: Wenn der Mann das Weib hintergeht., sollen zahllose Pfeile seinen Körper treffen. In Ermangelung der Pfeile sollst du mit Stöcken, gleich einem Hunde, todtgeschlagcn werden, so daß du als ein Beispiel allen ehrlosen Schurken in Zukunft dienen mögest." Aus einen Wink stürzten die GcrichtS- dicner herbei und schlugen mit wildem Lärmen den unglücklichen Verbrecher, von dessen Körper die Stücke nach allen Richtungen in der Halle umherflogcn. Im nächsten Augenblicke bezeichnete nur ein blutiger häßlicher Klumpen den Körper des Verräthers der armen unglücklichen Lwan. Der Verfasser des chinesischen RomaucS hat demselben eine ganz kurze Geschichte ähnlichen Inhalts, gewissermaßen als Einleitung, vorausgesendet, in deren Gestalten und Stil wir deutlich die Volkssage erkennen, welche durch charakteristische Züge aus dem Volksglauben ein höheres Interesse gewinnt. Ein Kaufmann, Changyih, erzählt sie, wurde einst nach Vollendung seiner Geschäfte im Hauptorte seines Bezirkes von der hercinbrcchcnden Nacht über- rascht und gezwungen, in einer außerhalb der Stadt gelegenen Herberge