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Wochenblatt für Wilsdruff und Umgegend Fernsprecher Wilsdruff H Postscheckkonto Dresden 2640 Dienstag de« 19. September 1922 Rr. 219 81. Jahrgang Amtlicher Teil. Wilsdruff, am 1L. September 1922. Der Siadtrat. 47« Die Kohlenkarten sind sofort bei dem auf der Grundkarte angegebenen Händler zur An Meldung vorzulegen. zuwmmenbrtcht, wohl aber so, daß in ungezählten Wien Einzeltragödien ein Reich zur Auflösung kommt, dessen stolzer Bau uns für die Ewigkeit gegründet schien. Wer in die Kreise der Maler und Bildhauer, der Schauspieler und Schriftsteller hincinsehen kann, wird schon jetzt oft ge nug bis ins tiefste erschüttert von den Tragödien, die sieb dort abspielen — und wir stehen erst am Anfang dicker Entwicklung. Wäre nicht die krasse Selbstsucht unserer Tage so über wältigend am Werk, und ginge nicht die Aufgabe, der furchtbaren Entwertung unseres Geldes rasch und ent schieden Einhalt zu gebieten, über Menschenkräfte hinaus, man könnte noch hoffen, wenigstens das Äußerste von den geistigen Arbeiten fernhalten zu können. Aber ihre eigene» Sprecher und Sachwalter halten nicht länger mit der Über zeugung zurück, daß sie keine Möglichkeit für eine durch greifende Hilfe mehr gegeben sehen, und was sie allenfalls noch zur Milderung dieses Elends, zu seiner Verlang samung vorzuschlagen wissen, hat kaum die Bedeutung eines Tropfens auf einen heißen Stein. Ahnt das deutsche Volk, was hier auf dem Spiele steht? Gewaltige Erhöhung öer Gisenbahntarife Zum 1. Okto berund zum 1. November. Der ständige Ausschuß des Reichseisenbahnrates beriet auf Einladung des Reichsverkehrsministers über die ge planten Tariferhöhungen für Personen und Güter. Dabet lag ein Plan vor, daß die am 1. Oktober in Kraft tretende Erhöhung der Tarife für den Güter- wie auch für den Personenverkehr bereits am 1. November nochmals uni 100 Prozent vermehrt werden soll. Die am 1. Oktober in Kraft tretende Erhöhung beträgt für die Gütertarife 33 Prozent, für die Personentarife rund SO Prozent. Am 1. November sollen nun diese so gestei gerten Tarife um weitere 100 Prozent erhöht werden. Das bedeutet eine 200prozentige Erhöhung Ler jetzt geltenden Personentarife. Der Neichsverkehrsminister stützt seinen Vorschlag aus die enorme Teuerung, die in der letzten Zeit bei allen Be- triebsmaterialiesi, insbesondere bei der Kohle und dem Eisen, eingetreten ist. Die geltenden Tarife und die für den 1. Oktober in Aussicht genommenen Erhöhungen ent sprächen den Zahlen für die hauptsächlichsten Ausgaben der Reichsbahn nicht im entferntesten. Visses Blatt enthüll die amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meitze», des Amtsgerichts zu Wilsdruff, des Stadtrats zu Wilsdruff, des ForstrenLamts Tharandt und des Finanzamts Nossen. »» Asch«»»« i» Verantwortlicher Schriftleiter: Her«,»» Lässt», für de« Inseratenteil: Arthur Asch«»»«, deid« 1» «Stladr»G. Die Katastrophe vor; Smyrna. 300 000 Obdachlose. Smyrna ist heute ein Aschenhausen. Die Feuersbrunst hat mindestens drei Viertel der Stadt zerstört. Mehr als 800 000 Personen sind ohne Obdach. Der Brand erlischt allmählich nach vollständiger Zerstörung des amerikani schen, des griechischen und der übrigen europäischen Vier tel. Der finanzielle Verlust beträgt annähernd 200 Millio nen Dollar, von denen ungefähr sechs Prozent amerikani sches Eigentum darstellen. Den Verlust an Menschenleben abzuschätzen, ist unmöglich. Voll den Flüchtigen sind zahl reiche schwer verwundet. Die amerikanische Regierung hat eine amtliche Aktion zur Unterstützung der Flüchtlinge aus Smyrna und anderen Teilen Kleinasiens eingeleitet. Es find an den Admiral Bristol in Konstantinopel Wei sungen ergangen des Inhalts, er möge sich mit den mili tärischen und Flottenbefehlshabern der anderen Entente mächte in Verbindung setzen und mit ihnen gemeinsam einen Aktionsplan entwerfen. Hunderttausend« sollen vor dem Hungertode stehen. Von türkischer Seite wird be hauptet, Armenier hätten das Feuer angelegt, als sie saheil, daß der türkische Vormarsch nicht auszuhalten war. Die letzten griechischen Abteilungen sind unter dem Schutze des Feuers der griechischen Kriegsschiffe eingeschifft wor den. Der englische Admiral in Smyrna hat Mustapha Kemal Pascha arrgekündigt, daß er ihn für alle Attentate verantwortlich machen werde, die gegen englische Staats angehörige begangen worden sind. Da der türkische Ober- lommandierende einen Empfang des Admirals ablehnte, hat der Engländer Kemal Pascha in einem Schreiben da von in Kenntnis gesetzt, daß er unter Umständen bei Un dauern der gegenwärtigen Unordnung das türkische Stadt viertel in Smyrna bombardieren werde. Es sollen aber überhaupt keine Engländer in Smyrna umgekommen, sein. * Die Neutralität der Meerengen. Die diplomatischen Bemühungen der letzten Tag- Haben zu dem Ergebnis geführt, daß England, Frankreich und Italien über die Aufrechterhaltung der Neutralität der Meerengenzone einig sind. Eine gemeinsame Mitteilung der drei Regierungen in diesem Sinne ist an Kemal ge richtet worden. Die alliierten Regierungen bereiten ferner Verstärkungen vor, die nötigenfalls nach Konstantinopel entsandt werden sollen. Türkische Friedensbedingungen. Aus Konstantinopel wird eine Erklärung verbreitet, wonach die türkische Nation bereit sei, «inen Waffentzill- Havenstems Londoner Verhandlungen Stillschweigende kurze Frist für Deutschland. b. Berlin, 16. September. Die Verhandlungen des Reichsbankpräsidenten Ha be n st e i n in London scheinen zum Wochenende einen Ver lauf zu nehmen, der einige Aussicht auf ein Gelingen der Aktton bietet. Im wesentlichen sind die verbreiteten Nach richten über die Verhandlungen Havensteins mit der Bank von England richtig. Man darf dab«i nicht vergessen, daß diese Londoner Verhandlungen eigentlich eine rein ge schäftliche Angelegenheit der Neichsbank mit der Bank von England ist. Die Sachlage ist so, daß Deutschland die Garantien für die Einlösung der Schatzwechsel an Belgien innerhalb 8 Monaten übernimmt, und daß damit die For derungen der Neparationskommission grundsätzlich erfüllt wären. Da die Reichsbank jedoch nicht in der Lage ist, Liefe Frist von sich aus innezuhalten, so muß sie sich selbst eine Rückendeckung schaffen, und zu diesem Zweck ist Haven stein nach London gefahren. Geht die Bank von England bzw. das von ihr geführte Konsortium auf den Vorschlag ein, dann ist einmal die Forderung Belgiens erfüllt und andererseits die Leistungsfähigkeit der deutschen Regie rung nicht überspannt. Man glaubt nicht, daß sich in Paris gegen diese Lösung der Frage ein Widerspruch geltend machen wird. Bestimmte Anhaltspunkte zu den vielfältig verbreiteten Kombinationen und Vermutungen lagen jedenfalls bis zum Wochenschluß nicht vor, es war alles in der Schwebe. In Berlin fanden jedenfalls vorläufig über die Re- parationsfrage keine weiteren Beratungen statt, da man zunächst die Rückkehr Havensteins abwarten muß. Es ver lautet, daß Havenstein in Gemeinschaft mit Sir John Bradbury am Montag von Lloyd George empfangen wird, so daß man zum Dienstag mit der Rückkehr Havensteins nach Berlin rechnet. Im übrigen besteht die Wahrschein lichkeit, daß Reichsbankpräsident von Havenstein nicht nur mit den Leitern der Bank von England, sondern auch mit anderen bedeutenden Finanzleuten Englands verhandeln wird, um ihnen die wirtschaftliche Lage Deutschlands dar- zulcgen. Der deutsche Geschäftsführer in Brüssel, Dr. Landsberg, hat dem belgischen Außenminister mitge teilt, die deutsche Regierung werde alsbald ihre Antwort aus die belgische Garantteforderung erteilen. Aus Paris meldeten die dortigen Blätter, daß Deutschland stillschwei gend eine Frist von einigen Tagen gewährt worden fei, um seine Entschließungen zu fassen. England zahlt seine Schulden an Amerika Ab 15. Oktober. Das Schatzamt der Vereinigten Staaten von Amerika erklärt, Großbritannien habe formell mitgeteilt, daß es ohne Rücksicht duf die europäische Lage seine gesamte Schuld an die Bereinigten Staaten zu zahlen beabsichtige. Die Zahlung würde am 15. Oktober, wo der halbjährliche Zinsbetrag in Höhe von 125 Millionen Dollar fällig ist, ihren Anfang nehmen. Die britische Kommission für die Schuldenfrage werde Ende dieses Monats in Washington ankommen und am 1. Oktober die Verhandlungen begin nen, die die Umwandlung der gegenwärtigen Schuldscheine in langfristige Obligationen bezwecken. Geistige Not Spät, vielleicht auch schon zu spät beginnt man sich in Deutschland daran zu erinnern, daß und wie sehr neben der Handarbeit auch die geistige Arbeit von der wirtschaftlichen Rot dieser Tage betroffen wird. Dort frei lich, bei der Handarbeit, sind die weiten Volksmafsen sicht- barlich zusammengedrängt, in großen Verbänden.und Par teien wirtschaftlich und politisch organisiert, die ihr wach sendes Leid mit tausend Zungen in die Welt hinausschreieu können. Hier einzelne versprengte oder bestenfalls zu Hun derten und, wenn es ganz hoch kommt, zu wenigen Tausen den in Berufsverbänden zusammengeschlossene Geistes menschen, Eigenbrödler zumeist, die sich mit Händen und Füßen dagegen sträuben, die Öffentlichkeit für ihre Privat- nöte in Anspruch zu nehmen. Künstler, Wissenschaftler, Gelehrte und Schriftsteller, die nicht zu arbeiten pflegen, um davon zu leben, sondern weil ihnen geistiges und künstlerisches Schassen uni seiner selbst willen unentbehr lich ist. Bis jetzt, bis gestern und vorgestern ging es noch einigermaßen, sie halfen sich so gut sie es konnten mit Nebenbeschäftigung, wurden so oder so über Wasser ge halten, verwerteten diesen oder jenen Privatbesitz, über den sie noch verfügten, und hungerten sich durch die ewigen Preissteigerungen hindurch, wobei ihnen bald ihre einge borene Geringschätzung des Materiellen, bald ein etwas künstlich angezüchteter Galgenhumor zustatten kam. Jetzt aber, wo sich die Dinge in ständigem Galopptempo weiter entwickeln, sind auch sie ani Ende ihrer Kraft und ihres Könnens angelangt. Schon hat ein Großer im Reiche der Wissenschaft, der französische Philosoph Henry Berg- s o n sogar in einer der letzten Sitzungen des Völkerbunds rates in Genf mit eindringlichen Worten auf die ver heerende materielle und ideelle Not der geistigen Arbeiter . Europas hingewiesen, und der englische Minister Balfour besaß sogar die Unparteilichkeit, im unmittel baren Anschluß daran ein paar teilnehmende Sätze für die besondere Not der geistigen Arbeiter Deutsch lands zu sprechen. Aber Hand 'aufs Herz, hat der Völ kerbundsrat, seitdem er existiert, überhaupt schon irgend eine gute Tat vollbracht, und wird er gar imstande sein, ein Unglück wie dieses, das mit den allgemeinen Zeitver- bältnissen verbunden ist, aus der Welt zu schaffen? Frei lich, wenn die deutschen Lehranstalten veröden, wenn die Arbeit in unseren wissenschaftlichen, technischen und künstlerischen Unternehmungen zum Erliegen kommt, wen» das deutsche Verlags- und Buchwesen, die Presse, die freien Unterrichtsanftalten zugrunde gehen, den unermeß- lrchen Verlust, den das Geistesleben erlitte, würde auch das außerdeutsche Europa, ja die gesamte Kulturwelt zu sehr erheblichen Teilen mit zu tragen haben. Und sehr mit Recht ist eben erst in einem sozialistischen ArLeiterblatt der Not des vierten Standes gegenüber hervorgehoben wor- den, wie sehr auch die Aufrechterhaltung unserer gesamten Volkswirtschaft und damit die Weiterbeschäftigung unseres nach Millionen zählenden Arbeiterheeres mit der ferneren Lebensmöglichkeit unserer geistigen Arbeiter verknüpft ist. Aber was nutzt das alles: Sind die Löhne der Arbeiter in manchen Schichten vielleicht schon rrm das Hundertfache, in vielen sicher um das Siebzig- bis Achtzigfache gestiegen, die Einnahmen der geistigen Arbeiter werden sich im Durch schnitt höchstens nur das Zehnfache gesteigert haben. Da neben aber sind sehr viele von ihnen schon jetzt überhaupt nm jede Vcrdienstmöglichkeit gekommen, und wie die Dinge liegen wird die Fähigkeit, ihnen noch fernerhin Arbeit und Brot zu erhalten, mehr und mehr dahinschwinden. Machen wir uns nichts vor: Hier ist eine ganze geistige Welt von dem Untergang bedroht —, nicht so, daß Re mit einem Schlage, mit hörbarem Krachen und Stürze« Mittwoch de« 2ü. September vormittags s—1 Uhr Ausgabe der neuen Kohlengrundkarten und Bezugsscheine. Kleine Enienie und Polen. Geheimabkommen in Marienbad. Am 31. August fand in Marienbad eine Zusammen kunft der Negierungsvertreter der Tschechoslowakei, Jugo slawiens, Rumäniens und Polens statt. Dabei wurde nach zuverlässigen Mitteilungen ein Geheimabkommen unter zeichnet, das im wesentlichen folgendes bestimmt: Die vertragschließenden Parteien verpflichten sich, gemein- ichaftlich den Statusquo im mittleren und östlichen Europa zu verteidigen. Jede Bedrohung durch eine oder mehrere fremde Mächte gegen sine oder mehrere der Parteien wird als eine Bedrohung der Gesamtheit dieser Mächte betrachtet werden, über Schritte bei einer auswärtigen Macht soll jeder Vertrag schließende sich vorher mit den anderen Unterzeichnern verstän digen, ebenw soll jede Beschwerde bei fremden Mächten durch alle unterstützt werden. Jin Falle eines Krieges verpflichten sich die Parteien, sich gegenseitig mit allen Kräften zu unter stützen und ihren Generalstüben sofort dementsprechende Wei- jungen zu geben. Schließlich wird ausdrücklich bestimmt, daß das Über einkommen nicht veröffentlicht werden darf. Kieme Zeitung für eilige Leier. * Die Eifenbahntarife sollen zum 1. Oktober und erneut zum 1. November dermaßen erhöht werden, daß für Güter das 370sache, für Personen das lüsachc der Friedenspreise gezahlt werden soll. * Der deutsche Reichstag wird am 17. Oktober seine Arbeiten wieder aufnehmcn, der preußische Landtag am 27. September. * Die deutschen Eisenbahner forderten durch ihre Spitzen- organisationcu eine einmalige Teuerungszulage vo» 15 000 Mark. * Die Nachricht von einer bevorstehenden Umbildung des Kabinetts Poincars wird bestritten. * Das Finanzkomitee der französischen Kammer hat be schlossen, Kredite für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete in Höhe von 300 Millionen Frank zu streichen. * Großbritannien hat in Amerika amtlich erklären lassen, daß cs bereit wäre, seine sämtlichen Schulden an die Vereinigten Staaten zurückzuzahlen. * Der Brand von Smyrna hat drei Viertel der Stadt in Asche gelegt. 300 000 Personen sind obdachlos. Es droht eine Hungersnot.