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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 07.05.1910
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-05-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19100507021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910050702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910050702
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-05
- Tag 1910-05-07
-
Monat
1910-05
-
Jahr
1910
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BezuftS-Prei» «r Letp^a »»» Voeorr« durch »I«, trtdrr und Spednrur» ttaltch di« k-a-d -«brochi: SV minatt., l.70^k »«rtrliährl Bei unleni NiUale» u. «a. »«»»«delle» «d«eb»l»: 7S ch mimatl.. >.»» »>er««Ijädrl. Lurch »t« «>k: c«»rr-«ld Druilckcand« und der drutlcheu «»Iduie» »irrrelltdrt !t.«» «o»«tl. 1.7» audlchl. Hdftdeftrllaeld. Heiner m Velg en, Ltnemarl. den LonLustaalen, Iialie». Luremdurg, Niederlande. Nor wegen, Oesterreich-Ungarn. Rußland, Schweden, Schwei» u. Spanien In allen übrigen Staaten nur direkt durch di» Vejchtttdliell« de« Blatte« erhältlich. Lae t!eiv»ige, lagedlatt ertcheini Saiat täglich, Soun- n Fei riag« nur morgen«, itldonne^ ent-Annaani«. Vugulluäplatz 8. hei unteren lrtgern, Filialen. Spediteuren und Lnnahmegellen. sowie Pollämtern und Brielträgern Il»i»l»ecka»k«»ret« »er Morgen» »utgad« >U g». der r.dendaudgade ä ch, «rduklto» und (»elchäftäfteltei Iohannisgalle 8. »erntvrecheri t«SSL >4688. I4SS< Abend-Ausgabe. tipiigtr Tagtblaü Handelszeitnng. Änrlsvratt Les Rates und des Votizeiarntes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Prektt chr Iulorate au« >!eiv,i, und Umgedan, die ftgelvaltene SU mm breit» Peritzeil, LS di« 74 mm breite Reklame,eil« I ^g von autwärr« 8V ch, Reklamen l.LV ^gz Jnlerate »in vebbrden >m amlllchen Lei! die 7« w» breit« Pettthril, «U ch. chelchä»,«an>t«>gen mit P agoortchrtfte» »n» in der vbendautaabe im Breite erbodi. ltiabalt nach Laril. BeilagegebLbr b ^g ».Lautend egkl. Poltgebühr. Iekterteilt« «ultrüge können mchi »urück- gezogen werben. Für da« l^rtcheinen an beftunmleii Lagen und Plätzen wir» lein, Garanti« übernommen. «»»eigen- Snnahme, Auguüuäplatz bei tämtllchrn Filiale» u. allen «nnonren- «lpebitionen de« In» und Sailande«. Panpr-Filiale verNn: U»rl Lu ucker Herrogl. vihr. Holbuch- b»»dlung, Lützowstiatze lL (Lelephon VI. Pr. 4603). Haupt.Flltal» Dresden: keeitrab« «. l (Telephon Elt. Nr. l25. Sonnsden», Sen 7. Mal lSlo. 104. Jahrgang. Zum Takle König Süuarüs. Wie wir bereits in einem großen Teile unserer heutigen Morgenausgabe mitteilten, ist der Tod des Königs Eduard kurz vor Mitternacht nach englischer Zeit (in der ersten Morgenstunde nach mitteleuro päischer Zeit) eingetreten: London, 7. Mai. (Telegramm.) Ein amt liches Bulletin von gestern 11 Uhr 5« Min. abends meldet, daß der König um 11 Uhr 45 Min. sanft verschieden ist in Gegenwart der Königin, des Prinzen und der Prinzessin von Wales, der Princeß royal Luise, des Herzogs von Fise, der Prinzessinnen Viktoria und Luise, der Herzogin Argyll. Ueber die letzten Stunden des König» wird aus London noch gemeldet: Alle Mitglieder der königlichen Familie wurden gestern abend nach dem Buckingham-Palast berufen. Auch der Erzbischof von Canterbury begab sich neuer lich in das Palais. — Um 11 Uhr abends war die Stimmung im Publikum ganz verzwei felt, da man jetzt darauf gefasst war, daß die Kata strophe noch in dieser Nacht eintreten werde. Das amtliche Bulletin von (47 Uhr abends wurde durch Sonderausgaben der Abendblätter sehr schnell in ganz London bekannt und rief überall große Trauer hervor. Eine neuerliche Untersuchung durch die Aerzte ergab, dass sich die Entzündung der Bronchialrühren ausgedehnt hatte. Prioatmeldungen des „V. L." besagen über die letzten Stunden des Königs folgendes: Der Zustand des Königs ist hoffnungslos. Die Lungenentzündung hat sich auf beide Seiten ausgedehnt. Man befürchtet eine Herz lähmung. Der Tod kann jede Stunde eintreten. Man glaubt, daß der König die Nacht nicht über leben wird. Quälende krampfhafte Zuckun gen des Kehlkopfes, die sich in den ersten Nachmittagsstunden eingestellt hatten, dauern noch fort. Die Gesamtlage will, da die Herztätigkeit nach wie vor durchaus unbefriedigend ist, gerade zu verzweifelt erscheinen. Die Funktionen des Gehirns scheinen noch normal, doch fürchtet man Blutandrang zum Gehirn. Eine andere als dis Sauerstoffbehandlung ist bisher nicht angeordnet. London, 7. Mai. (Telegramm.) Beim Ableben des Königs war von seinen Kindern nur die KöniginvonNorwegennichtanwesend; sie telegraphierte, das; sie sofort abreise. Die Ankunft dürste Sonntag erfolgen. — Dem Vernehmen nach be fand sich der König den ganzen Abend über in einem schlafartigen Zustande, nur zwischen 9 und 10 Uhr trat ein leichtes Erwachen ein. Darauf wurde der König bewußtlos. Der Eindruck der Todesnachricht. London, 7. Mai. (Telegramm.) Die Nachricht vom Tode König Eduards wurde durch den Privat sekretär des Königs, Lord Knollys, den Jour nalisten mit folgenden einfachen Worten mit geteilt: „Omitsmnev, tko Xirur is cieaä!" — Der Tod oes Königs wurde an den Toren des Buckingham- Palastes durch folgende Mitteilung bekanntgegeben: Buckingham-Palast, um 11 Uhr 50 Min. abends, am 6. Mai 1910: Seine Majestät der König hat den letzten Atemzug um 11 Uhr 45 Min. heute nacht ausgehaucht, und zwar in Gegenwart Ihrer Majestät der Königin Alexandra, des Prin zen und der Prinzessin von Wales, der Prinzessin Royal, der Herzogin von Fife, der Prinzessin Vikto ria und der Prinzessin Luise, Herzogin von Argyll. (Es folgen die Unterschriften der fünf Aerzte.) London, 7. Mai. (Telegramm.) Die Nachricht vom Tode des Königs wurde dem vor dem Schloß versammelten Publikum um 12 Uhr 5 Min., unmittelbar nachdem der Prinz von Wales das Schloss verlassen hatte, mitgeteilt und in tiefer Stille ausgenommen. Viele politische Versammlungen wurden gestern abend von den Teilnehmern durch Absingen der National hymne eröffnet. Minister Seely, der in Shef field sprechen sollte, erklärte, er könne angesichts des ernsten Zustandes, in dem der König schwebe, keine politische Rede halten: doch wies er auf die Bedeutung König Eduards als Friedensstifter hin und schilderte ihn als den stärksten Hort des Welt friedens zu unseren Lebzeiten, vielleicht auch für Jahrhunderte. General Botha habe zu ihm ge- äussert, nach seiner Meinung hätte die anziehende Persönlichkeit des Königs mehr als alles andere zur Vereinigung beider weissen Raffen in Südafrika bei getragen. London, 7. Mai. (Privattelegramm.) Bald nach Mitternacht stürzten die Zeitungsträger durch die Strassen und trugen die Extrablätter mit der Todesnachricht aus. In den Restau rants herrschte tiefeTrauerundBestürzung. Ueberall hörte man bange Sorgen um die Zu kunft Grossbritanniens. Ueberall hörte man, dass der Tod des Königs in der fetzigen kritischen Veriodc des Reiches ein unersetzlicher Verlust für Enaland sei. London, 7. Mai. (Tel.) Die Popularität des Königs wird durch die Rede aekennzeichnet, die der sozialistische Führer Will Brocks gestern in einer Versammlung hielt, bei der er die Zu hörer aufforderte, die Nationalhymne zu singen. Dann sagte er: „Ich fühle und weiss aus dem Grunde meines Herzens, dass der König der größte Staatsmann ist, den die Welt gegenwärtig besitzt. Der Weltfrieden ist in seinen Händen vollkommen sicher Ich weiss, er sorgt für das gemeine Volk sowie für die Behaglichkeit des armen Mannes. Er ist in der Tat öer Vater von uns allen. Ich bete ans dem Grunde meines Herzens, dass er uns erhalten bleibe." Der Thronfolger an die ausländischen Mächte. London, 7. Mai. (Tel.) Sofort nach dem Ab leben König Eduards hat der Thronfolger alle Souveräne und auswärtigen Staatschefs telegraphisch vom Tode seines Vaters benach richtigt. Von einigen Höfen sind bereits Kon- dolcnztelegramme eingeqangen, darunter vom Deutschen Kaiser. Zu heute vormittag ist ein Ministerrat einberufen, um über die Leichen feierlichkeiten Bestimmungen zu treffen. Die Londoner Stadtvertretung. London, 7. Mai. (Tel.) Der Thronfolger richtete folgende Depesche an den Bürgermeister von London: „Ich bin tief bewegt, Ihnen mitteilcn zu müssen, dass mein vielgeliebter Vater und König um 11 Uhr 45 Min. heute abend sanft entschlafen ist. gez. Georg." Hierauf sandte der Lordmayor von London folgendes Telegramm an die Königin: „Die Stadt London hat mit grosser Be wegung gehört, dass Gott unseren vielgeliebten König und huldvollen Souverän abberufen hat. Sie wünscht Euer Majestät ihre tiefe Bewegung und Sym pathie zu Füssen zu legen. Sie bittet Gott, Sie zu segnen und Ihnen in dieser traurigen Stunde bei zustehen. gez. John Knill, Lordmayor der City von London." An den Prinzen von Wales sandte der Bürgermeister folgendes Telegramm: „Ich bringe Euer Königlichen Hoheit den Ausdruck des tiefsten Mitgefühls und Beileids der Bevölkerung Londons dar. Möge Gott in seiner Liebe und Barmherzigkeit Ihnen und der Frau Prin zessin Trost verleihen. Die ganze englische Nation vereinigt sich mit Ihnen und alle teilen Ihr Leid." Minister Churchill sandte an den Lordmayor von London folgendes Telegramm' „Ich habe die traurige Pflicht, Sie vom Tode unseres huldvollen Monarchen zu unterrichten. Das traurige Ereignis Hot sich im Buckingham-Palast um 11 Uhr 45 Min. heute abend ereignet. Ich bitte Sie, Auftrag zu geben, daß die Glocken der Kathedrale von St. Paul ge läutet werden." Die Teilnahme des Deutschen Kaiser». Der Kaiser nimmt als Neffe König Eduards, wie wir bereits berichteten, innigen Anteil an dem traurigen Ereignis in London. Er hat gestern in Wiesbaden weder dem Galakonzert noch der Theater vorstellung beigewohnt. Wiesbaden, 7. Mai. (Tel.) Kaiser Wilhelm liess sich seit Einlaufen der ernsten Meldungen über das Befinden König Eduards fortgesetzt von der deutschen Botschaft in London Bericht erstatten. Kestern vormittag hatte der Kaiser bei der englischen Botschaft in Berlin Erkundigungen einziehcn lassen. Dem Galakonzert, das gestern auf Befehl des Kaisers im grossen Kursaal stattfand, blieb der Kaiser fern, ebenso der „ Oberon "-Auf- führung am Abend. Neber die Ursachen der Erkrankung teilte der Marienbader Arzt Dr. O t t, der den König bei dessen Kuraebrauch stets behandelt hat und auch wiederholt nach England berufen worden ist, einem Mitarbeiter der Wiener „N. Fr. Pr." folgendes mit: „Es ist natürlich, dass bei dem Alter des Königs, seiner Korpulenz und seinem etwas zur Stauung neigenden Zustande Zirkulationsstörungen leichter cintreten als bei anderen Menschen, und dass ein Vronchialkatarrh bei ihm eine gewisse Gefahr involviert. Momentan ist aber nach den Nachrichten, die ich aus zweifellos sicherer Quelle erhalten habe, keine Gefahr vorhanden. Es liegt die Möglichkeit vor, daß ich an das Krankenlager des Königs nach London berufen werde. Ich habe im November vorigen Jahres Lei dem König als Gast in Sandrrngham geweilt, und der König hat sich damals, wie ich aus eigener Beobachtung in Ueber- einstimmung mit der Beobachtung der Familie und der Aerzte feststellen konnte, ausgezeichnet be funden. Er selbst äußerte sich damals, er habe sich seit Jahren nicht so wohl gefühlt wie gerade jetzt. Im Januar dieses Jahres habe ich direkte Nachrichten aus der Umgehung Sr. Majestät wie auch von seinen Aerzten erhalten, in denen mir mitgeteilt wurde, dass sich der König sehr gut befinde. Allerdings hat sich König Eduard dann in Biarritz eine heftige Erkaltung mit influenzaartigen Nebenerscheinun gen zugezogen, und wahrscheinlich ist die jetzt einge tretene Verschlimmerung im Befinden Eduards VII. eine direkte Folge dieser heftigen Erkältung. Der König ist der Mann, der sich nie schont, und er will auch von Schonung nichts hören, wenn er un päßlich ist. In seinem Alter werden Leute mit viel leichteren Erkrankungen zu Bette geschickt. König Eduard aber will selbst bei einer heftigen Erkrankung nichts von Ruhe wissen. Der König leidet seit 15 bis 20 Jahren an Zu ständen, die wiederholt, so auch in Berlin, das Ge rücht hervorgerufen haben, daß er einen Schlaganfall erlitten habe. Wenn er zum Beispiel in Aufregung gerät oder sich der Wirkung grosser Hitze aussetzt, dann bekommt er Blutüberfüllung gegen den Kehlkopfdeckel und infolge dieser Hyperämie einen Stimmritzenkrampf. Dieser Zustand er weckt dann in seiner Umgebung die Befürchtung, als ob der König ersticken müsste. Ein solcher Vorfall er eignete sich seinerzeit auch in Berlin, als er im Kasino des ersten Eardedragoner-Regi- ments, dessen Inhaber er ist, einem von den Offi zieren ihm zu Ehren gegebenen Bankett beiwohnte. Damals erlitt er, gewiss infolge der großen Hitze, diesen Stimmritzenkrampf, und er mußte das Mahl verlassen. Anläßlich der Durchfahrt des Königs durch Paris, die vor achtTagen erfolgte, erhielt ich von dort von wohlunterrichteter Seite die Mitteilung, dass der König nicht besonders gut aussehe. Nach meinen Informationen hat König Eduard da mals aber nicht gehustet. Die Konstitution Eduards VII. muß im allgemeinen als gesund und robust und im Verhältnis zu dem, was er schon durchgemacht hat, besonders mit Rücksicht auf die schwere Operation im Jahre 1902, sogar als sehr gut bezeichnet werden. Die einzige Gesahr besteht bei ihm, wie bei allen zur Fettleibigkeit und zu Stau- ungserscheinungen im Lungenwege inklinierenden Personen darin, daß es zu einer Entzündung des Lungengewebes kommen könnte." Nach den vorliegenden Bulletins ist diese Gefahr in der Tat eingetreten und hat offenbar den Tod herbeigeführt. Der Lebensqang des Königs. Eduard VII., König von Großbritannien und Irland, Kaiser von Indien, geboren 9. November 1841 in London, ältester Sohn des Prinzen Albert und der Königin Viktoria von Großbritannien und Irland, wurde sorgfältig erzogen, besuchte die Universitäten Oxford und Cambridge, machte 1860 eine Reise nach Amerika, 1862 nach dem Orient und vermählte sich am 10. März 1863 mit der Prinzessin Alexandra von Dänemark (geb. 1. Dezember 1814), Tochter des Königs Christian IX., die ihm sechs Kinder (drei Prinzen und drei Prinzessinnen) gebar, von denen der dritte Sohn am Tage nach seiner Geburt (7. April 1871), der älteste, Herzog von Clarence, It.Zanuar 1892 starb: die älteste Tochter ist an den Herzog von Fi e, die dritte an den Prinzen Karl von Dänemark, den jetzigen König Haakon von Norwegen, verheiratet. Eduard VII. trat 1863 als Oberst in die Armee, ru der er bis zum Feldmarschall avancierte, ohne indes einen mehr als vorübergehenden Anteil an den Heeresangelegenheiten zu nehmen. Im preußischen Heer erhielt er 1883 den Rang eines Generalfeld marschalls und war Chef der Bliicherschen Husaren. 1875 bis 1876 machte er eine Reise nach Indien, wo er mit großer Begeisterung empfangen wurde. Am 18. April 1900 wurde in Brüssel ein Attentat gegen ibn unternommen, bei dem er jedoch unverletzt blieb. Am 22. Januar 1901 folgte er seiner Mutter, der Königin Viktoria, auf den Thron und beschwor am folgenden Tage die Verfassung des Reiches. Im Jahre darauf schwebte er infolge Erkrankung an Blinddarmentzündung in ernster Lebensgefahr. Am 9. August 1902 wurde er zum König gekrönt. Im Sommer 1904 stattete er dem Kaiser einen mehr tägigen Besuch in Kiel ab. Auch wurde er in Ham burg offiziell empfangen. In den nächsten Jahren folgten die verschiedenen, politisch wichtigen Reisen Literarische Physiognomien. Joseph Hofmillers „Zeitgenossen". Objektivität und Urteilsvorsicht schon im Titel dieses neuen Kritikerbuches. (Verlag der „Süddeut schen Monatshefte", München.) Der Kritiker geht zehn oder zwölf Dichtern nach, ohne für ihr Schaffen von Anbeginn Dithyramben zu verheißen. Sie stehen in der Zeit, manchmal unterschätzt, oft überschätzt, und nur der Klang ihrer Namen, der sie vor die Menge als Führer hinstellt, reiht sie mit einer Art Gleich maß Schulter an Schulter auf: „Zeitgenossen." Und dann will das Hofmillersche Buch für Korrekturen sorgen. Die Korrektur geschieht gründlich. Kritikerfahrten ins Ausland, die Vertrautheit vor allem mit der Literatur Frankreichs, die Kenntnis aller wichtigen künstlerischen Physiognomien, von denen besonderer Abglanz auf die Zeit fällt, geben Hofmiller eine starke, ruhige Sicherheit, die den schärfsten Angriff sachlich zügelt. Es ist eine bewußte Verbindung fast von sachlicher Nüchternheit und farbigem, drängendem Impressionismus in diesen Essays, die glühend und fiebernd, wuchtig und mit heroischem Akzent, ironisch, parodistisch nachschaffen, um zuletzt ein kühles, präg nantes, klar überdachtes, unverwischtes Bildnis des Dichters zu zeigen. Gerhart Hauptmann an des Rei gens Spitze, breit und Zug um Zug verfolgt, der Hauptmann seines letzten mühseligen Jahrzehnts, der Hauptmann der ,Mga" bis zur „Eriselda" und bis zum „Griechischen Frühling", der keinem solch befremd liche, drückende Enttäuschung hätte sein können, der nicht schon das „Webermelodram" eines zeichnerisch jein Begabten allzu maßlos überschätzt hätte. Ueber Frank Wedekind ein brillantes Stück: nicht bloß die Vision von „Frühlinaserwachen", dieses dichterischen ^Alpdruck»", dieser Fieberängste" und „Zyklus von Radierungen" — brillant auch der Wik, die Abwehr, die groteske Parade der letzten Wedekindschen Helden, die Wedekind selbst find. Amüsant, wie hier die Grenzwand zwischen Mensch und Dichter, zwischen Künstler und Poseur aufaerichtet wird, amüsant, wie hier der Kritiker dem Dichter die Absage an den Menschen empfiehlt. „Ein Stück von Frank Wedekind wird uns nur mehr interessieren, wenn Frank Wede kind nicht darin vorkommt. Nicht als Held und nicht al» Prügeljunge. Nicht als König und nicht als Clown. Nicht al» Hetmann noch als Lindekuh, noch als Buridan, noch als Bouterweck. Gar nicht mehr darf er darin vorkommen. Denn wir haben Frank Wedekind satt. Wir wollen nichts, aber auch gar nichts mehr von ihm wissen. Wenn er uns als Dichter etwas zu sagen hat, ist er uns willkommen." Die Hofmillerschen Studien bringen „Zeitgenos sen", unbekümmert um die Gegensätze ihrer Künstler art. Man wird nach der Begegnung mit Wedekind, „der nur mehr eine Walze hat", das Kulturland durchwandern, worin Hofmannsthal, ein überreicher Formverschwender an Zartem, Sanftem und Nach schöpfer edler Hinterlassenschaften, den enormen Schritt von dem schwärmenden Lyriker von „Gestern" zu dem Gestalter der „Oedipus" tut, man wird den Frischen und Kräftigen begegnen den Ruederer und Bartsch, dem Oesterreicher voll warmer Froheit, die von innen strahlt. Ein Sonderkapitel gilt Rudolf Alexander Schröder, dem „absoluten Dichter", den — niemand kennt. Seine Lyrik liebt, wenn man von der Mitteilungsmöglichkeit an das Publikum spricht, die einsamen Wege der Gruppe um George. Hos- miller will werben für diese Eedichtsbücher, die „so gut wie unzugänglich" und darum bisher so gut wie unbemerkt sind: auch in ihnen ein „Zeitgenosse", der hörbar aus seiner Einsamkeit wird. Zwei Toten ist noch ein Denkstein in dieser Studienreihe aufgerichtet: Ibsen und Busch. Mag man auch nicht überall die kritischen Wege Hofmillers mitbeschreiten wollen, mag man manchmal auch ihn nur mit dem gleichen „Respekt" anhören, mit dem er einmal vor Hofmannsthal auf Borchardts „Rede über Hofmannsthal' verweist, ohne „seiner Wertung in allem und jedem beizupflichten": an den beiden Denk steinen wird niemand zu mäkeln haben. Wenn auch das Thema über den lachenden Humoristen, den alle so jubelnd hochheben, daß sie es alle seine Tag nicht bemerkten, wie sehr der lachende Humorist eigentlich ein Pessimist, ein Verächter voll Schopenhauerschcr Bitterkeit war. wenn auch das Buschsche Thema ein wenig zu breit geführt erscheint, wird hinter der Maske schließlich des Alten wahres Antlitz in lapi darer Zeichnung sichtbar. Hofmillers Totenworte um Ibsen endlich können dem Magus kein Geheimnis mehr entlocken. Sie wollen es auch nicht. Aber Ibsens Geheimnis, die schwere, fast mystische Macht von Ibsens Erscheinung, durchweht sie. Kein Essay. Ein Totenchor: nordische Ballade. ... Lari I . Horvol . . . ve- rr Geltung. Es ist Mißliches um die Symbolik im sie nicht aus dem Stofflichen selbst c kann. Wenn also am * Münchener Theater. Man schreibt uns: Das Residenztheater brachte zwei Einakter zur Urauf- aussührung, von denen die Komödie „M ü n ch - Hausens Antwort" von HannsvonGumppen- berg das meiste Interesse erregte. In dieser Komödie kommt der berühmte Münchhausen in eigener Person auf die Bühne und zwar als Held einer Liebesaffäre, bei der er zuerst schlecht abschneidet, sich aber dann entsprechend rächt. Münchhausen liebte einst die jetzige Gräfin Cramm, deren Mann der richtige Theatertrottel ist und zum Kreise jener Adeligen ge hört, die allwöchentlich bei Münchhausen sich ver sammeln, um sich dessen tolle Geschichten erzählen zu lassen. Die Gräfin erscheint an einem dieser Abende, angeblich aus Neugierde, mit ihrem Mann im Schloß Münchhausens, in Wirklichkeit aber, weil sie Münch hausen noch liebt. Minister von Rotenkreutz, ein unverbesserlicher Don Juan, stellt der schönen Gräfin aber auch nach und küßt sie in einem kurzen Augen blick des Alleinseins, um dann gleich darauf das gleiche bei der Stalldirne zu tun, die dem galanten Minister freilich mit einer gehörigen Ohrfeige quittiert. Münchhausen erfährt in allerdings etwas gesuchter und konstruierter Form die Geschichte von diesen Küssen und seine Rache besteht nun darin, daß er oer Gesell schaft, die vorher beschlossen hatte, Münchhausen mit der Wette, daß er für keine seiner unglaublichen Geschichten Beweise erbringen kann, hereinzuleacn und ihn dann gehörig auszulachen, nun das eben Geschehene in dem bunten Kleid eines seiner tollen Abenteuer erzählt. Als die Gesellschaft nun Beweise verlangt, intervenieren der Minister und die Gräfin, die den Streich sofort durchschaut haben, und die Ge sellschaft verläßt im höchsten Grade indigniert das Schloß. Das in der Wette gewonnene Geld schenkt Münchhausen der Stalldirne, damit sie den Leibjäger Steohan heiraten kann. Im Grunde genommen handelt es sich also in dieser Komödie nur um eine Anekdote, die dramatisch ausgebaut ist, und man könnte vielleicht sagen, daß die notwendige Exposition verhältnismäßig einen zu breiten Raum einnimmt zur eigentlichen Pointe. Aber Gumppenberg hat das alles so liebenswürdig und mit einer gewissen dra matischen Verve geschildert und vor allem den Baron Münchhausen so eigenartig und prägnant gezeichnet daß das Publikum vom Anfang bis zum Schluß mitaing. Es ist ein sehr wir kungsvolles. amüsantes Stück, das bei dem sonst sehr zurückhaltenden Residenztheaterpublikum einen vollen Erfolg erzielte. Der Autor mußte vielmals vor der Rampe erscheinen. — Das zweite Stück: „Vor Sonnenaufgang", ein Drama von Robert Hessen, zeigt uns Julius Cäsar am Tage vor seiner Ermordung. Von verschiedenen Seiten ist er gewarnt worden, aber er nimmt das Komplott nicht ernst. Nun erscheint die blinde Servilia, die frühere Geliebte Casars und gesteht ihm, daß Brutus, einer der Hauptverschworenen, ihr und Cäsars Sohn sei, was der sonst so gewaltige Cäsar mit etwas weinerlicher Sentimentalität ausnimmt. Er setzt sich nun mit Brutus auseinander, ohne daß er ihm verrät, welche enge Bande sie eigentlich verbinden. Brutus bleibt aber starrköpfig, denn er sieht in Cäsar einen aejährlichen Feind des Vater landes. Cäsar ebenfalls starrköpfig erklärt, er werde, obwohl er wisse, was ihm devorstehe, morgen trotz dem in den Senat kommen. Diese Szene bildet den Höhepunkt des Dramas oder sollte ihn wenigsten» bilden. Dem Dichter ist cs aber nicht gelungen, dieser Szene zur notwendigen dramatischen Wirkung zu verhelfen. Sie verpufft wie eine feucht gewordene Rackete. Und darum kam der mehr lyrisch haltens Schluß auch nicht recht zur Geltuw immer etwas Mißliches -— Drama, wenn s herausgebildet werden Schluß sich Cäsar zum Schlafe niederlegt und dann ein Sklave kommt und den Echeimschreiber anfleht. Cäsar zu wecken, sein Leben sei bedroht, und der Geheimschreiber mit unausgesprochenem Hinweis auf die Unterredung zwischen Cäsar und Brutus antwortet: Er will doch schlafen, so wirkt das gesucht und absichtlich, nicht aber wie der Dichter sich gedacht hat als psychologischer Konflikt, der Cäsar, nachdem sogar sein SohnNch gegen ihn wendet, den Tod an der Statue des Pompeius durch die Verschworenen gewissermassen suchen läßt. Auffallend ist die Sprache, die diese Römer sprechen, alles mutet so modern an. Was z. B. dieser Dolabella redet, das könnte ebenso gut ein heutiger Leutnant der Kavallerie sprechen. Das Zeitmilieu ist höchstens dadurch gewahrt, daß die Servilia. als sie bei Cäsar vorgelassen sein will, einen Skarabäus statt einer Visitenkarte abaibt. Das Drama wurde freundlich ausgenommen. — Den beiden Stücken folgte Hartlebens lustige Komödie „Lore", die mit ihrem famosen, kecken Dialog auch hier im Rcstdenztheater ihre Wirkung ausübte. Ll. X.
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