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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Prönumeraljonö- Preis 22^ Sgr. ss THIr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für da« ganze Jahr, ahne Er, Höhung, in allen Zheilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man prlinnmerirt aus ditseS Literatur,Blatt in Berlin in der Expedition der Mg. Pr. StaatS,Zeitung (FriedrichSslr. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllödl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 139 Berlin, Freitag den 19. November 1841. Polen. Das Berliner Katheder für Slawenthum. Es ist ein erfreuliches Zeichen unserer Zeit, daß sie, der starren Reproduction satt, sich für den leichteren Fortschritt neue, unberührte Nahrungs-Elemente sucht, die mit aller Frische und Lebendigkeit den an sich selbst gelähmten Geist erfüllen und zur freieren, selbständige ren Forschung anregen. Wir gingen nach Asien und Amerika und bereicherten von dorther mit historischen, geographischen und physika lischen Notizen unser wissenschaftliches Feld; doch bei allen diesen wissenschaftlichen Exkursionen blieb das Slawenthum, wie eine cerr» incvxuita, welche Niemand kennen lernen mochte, zur Seite liegen und hatte für Europa eine bloß politische Bedeutung. Die Schuld daran liegt aber auch theilweise im Slawenthume selbst; denn es giebt kaum eine andere Nation, welche durch einen so langen Zeit- lauf ihres Bestehens so wenig für ihre intellektuellen Interessen ge- than hätte, als die Slawische. Die politischen Verhältnisse des Lan des können eine Rechtfertigung gewähren. Die Intelligenz errang kein Gleichgewicht mit der übrigen Europäischen; das hat das Sla wenthum eingesehen und cingesianden. Aber dieses Eingeständniß war der eigene Sporn zu der lebendigen Entwickelung, die das übrige Europa heute fast anstaunen möchte. Wir sehen nach Ruß land; welcher Eifer für die Entwickelung und welche Schnelligkeit des Fortschritts! wir sehen nach Polen, und welch' ein mächtiger Riesenarm bewegt das ganze Heer der Literatur! bewegt cs einig, nach einem Ziele — die Nation unsterblich zu machen. Wahrlich, eine sichere Unsterblichkeit, sicherer, als wenn Polen mit dem Scepter der Herrschaft das Anrecht auf seinen Nachruhm besiegeln wollte! Aus dem Schutt der vergangenen Jahrhunderte er stand Polen als ein glänzender Phönix, und in frischer Jugendkraft schreitet es wacker vorwärts — der Wahrheit entgegen, jener Wahr heit, die, wenn sie das Eigenthum einer Nation geworden ist, den festesten Grundpfeiler ihrer Existenz bildet — und dieses richtige Be- wußtseyn von der Wahrheit wird Polen unter die Nationen Europa's rinweihen, wenn selbst der Nachdruck der That bei ihm verschwindet. Darum darf man in diesem Sinne wohl sagen: „Noch ist Polen nicht Verloren" — ohne daß der Nation von anderen Seiten der Vorwurf der Rodomontaden-Liebhaberei gemacht werden kann. Diese neue Richtung, die wohl kaum erst seit einem -alben Decennium geweckt ist, nachdem die gelehrte Welt sich über ihren Standpunkt geeinigt hatte, verdient die Anerkennung, welche man nun auch von allen Seiten zu bringen eilt. Der schroffe Gegensatz zwischen Germa nismus und SlawianiSmus fängt an zu schmelzen, es beginnt eine geistige Cvmmunicatioii, und diese bringt neues Leben in beide Theile. Diese Worte, die vielleicht nicht zum erstenmale ausgesprochen sind, sollten uns nur zu der Einsicht führen, eine wie zeitgemäße Er scheinung die durch die Munificenz Sr. Maj. des Königs angeord nete Errichtung eines Lehrstuhles im Herzen von Deutschland für Slawische Literatur ist. Herr Or. CybulSki, der seine Studien der philosophischen Wissenschaften hauptsächlich des SlawenthumS in so umfassender Art gemacht hat, daß er ein würdiger Repräsentant des Slawischen Lehrstuhls in Deutschland zu werden verspricht, hat auf der hiesigen Königlichen Universität zwei Vorlesungen begonnen: über die Polnische Grammatik und über Slawische Alterthümer. Beide können als Vorbereitende Elemente dsr später erfolgenden Vorträge über Sla wische Literatur dienen. In der ersteren Vorlesung lernen wir zu nächst die Varietäten der verschiedenen Slawischen Mundarten kennen und die Gesetze, wonach wir ihren Stamm bcurtheilen sollen; in der letzteren erfahren wir vorläufig die historischen Anfänge der Slawischen Nation, die Sitze der einzelnen Volksstämme, und später wird sich die Vorlesung über das Alterthum in seinem ganzen Um fange auSbreitcn. So wenig diese Vorlesungen bloß für die in Berlin lebenden Polen angeordnet wurden, um so mehr muß man sich wundern, daß unte»dcn Zuhörern fast gar keine Deutschen zu entdecken sind. Da gegen nehmen die hier weilenden Polen ein sehr lebhaftes Interesse an jenen Vorlesungen; ja es darf überhaupt nicht verkannt werden, daß die Polnischen Studirenden ein echt wissenschaftliches Element in sich tragen und zu dem eigentlich nationellen Geiste erfreu lich anstreben. Wir wünschen dem Studium deS Slawenthums in Deutschland Gedeihen, dessen Vertretern einen umfänglichen Wir kungskreis und auch den Deutschen Studirenden einige Empfänglich keit dafür. A. M- Frankreich. Der Kardinal del Pietro als Staatsgefangener. lEin Beitrag zur Ges-dichte der Regierung Napoleon s.) Noch ist die Zeit der ruhigen, unparteiischen Beurtheilung für. Napoleon nicht gekommen. Während er von den Einen fast zum Pygmäen herabgcwürdigt wird, erheben ihn die Anderen als einen Halbgott dis zum Himmel. Erst in der Zukunft, die vielleicht ent fernter liegt, als wir glauben, wenn unsere eigenen Erinnerungen und Traditionen, wenn wir, seine Zeitgenossen, ausgestorbcn seyn werden, erst alsdann wird der Kaiser, der für sich allein eine ganze Dynastie bildet, die Stelle in der Geschichte einnehmen, die ihm nach einem gerechten, unparteiischen Urtheil gebührt. Eine unbestreitbare Thatsachc bleibt rS, daß Napoleon, trotz seiner ungeheuren geistigen Ueberlegenheit, sich vor einem gewissen Rausche, einer Art Schwindel, nicht in Acht zu nehmen wußte, der alle diejenigen überfällt, die von unten hinaus zum Gipfel der höch sten Macht emporsteigen. Unter den von ihm begangenen zahlreichen Fehlern dürfte keiner wohl so geeignet seyn, die Wahrheit dieser Behauptung zu bezeugen, als sein plötzlicher Bruch mit dem Papst Pius VH., und die geschichtlichen Erörterungen werden eS bestätigen, daß die grausame Härte, deren er sich gegen einen edlen, Gott ergebenen Greis schuldig machte, gewissermaßen den fatalen Wende punkt, den ersten Schritt bezeichnete, der Napoleon zu dem Ab grunde fortriß, welcher endlich fein Glück und seinen Genius ver nichten sollte. Pius VII. war, auf Befehl des Kaisers, schon seit einiger Zeit nach Savona zurückgekehrt, als der Kardinal del Pietro, den der Papst, als er Rom verließ, zum Delegaten ernannt hätte, nach Paris beordert wurde. Er begab sich dahin, ohne jedoch die Verwaltung der Kirchen-Angelegenheiten aufzugeben; aber da er der religiösen Feierlichkeit der Vermählung Napoleon's mit Marie Louise nicht bei wohnen wollte, wurde er unmittelbar darauf nach Semur verwiesen. Man verbot ihm zu gleicher Zeit, die Insignien seiner Würde zu tragen, und untersagte ihm die Korrespondenz mit dem-Papste. Inmitten dieses durch den beleidigten Stolz Napoleon's aufgereg ten Sturms fand Pius VII. ruhig in seinem Gewissen und Glauben die nöthige Kraft für den Kampf, den er zu bestehen hatte. Ein gegen den Kaiser geschleuderter Bannstrahl ward insgeheim mehreren Französischen Bischöfen und Kardinälen, so wie dem Kardinal del Pietro, zugesertigt; aber die Polizei, die auf Anordnung des Herrn von Chabrot den Papst in seiner Umgebung bewachte, war so auf merksam, daß die Liste der Personen, denen die Bulle zugesandt wurde, zu Paris bereits bekannt war, bevor noch die Bulle selbst an ihre Bestimmung gelangt war. Wüthend über diesen feindseligen Akt, gab Napoleon sogleich Befehl, die Jtaliänischen Kardinäle, die sich in Frankreich befänden, arretiren und in Vincennes einsperren zu lassen. Achtundvierzig Stunden darauf wurde der Kardinal del Pietro zu Semur aufge hoben, auf einen Postwagen geworfen und unter der Eskorte eines Gendarmerie-OffizierS nach Paris abgesührt. ES war acht Uhr Abends, als der ganz mit Staub bedeckte Wagen im Hotel des Polizei-Ministers, das damals am Quai Vol taire gelegen war, anhielt. Der Minister und Desmarct, der ihn in dergleichen Angelegenheiten zu vertreten pflegte, waren gerade abwesend. So wurde denn die Jtaliänische Eminenz von dem General-Inspektor Päques empfangen. „Mein Herr", sagte der Kardinal in geläufigem Französisch, aber mit Jtaliänischem Accent, „man hat mich zur Abreise genöthigt, ohne mir auch nur Zeit zum Frühstücken zu lassen, und ich habe auf dem ganzen Wege, den wir ohne Aufenthalt zurücklegten, nichts zu mir genommen: ich bitte Sic demnach vor Allem, mir ein Mittags mahl geben zu lassen." „„Herr Kardinal"", antwortete PäqucS, „„Sie werden im Hotel de la Force speisen."" „Nun, so werde ich Ihnen sehr verbunden seyn, wenn Sie mich sogleich nach diesem Hotel führen lassen." „„Ich werde selber die Ehre haben, Ew. Eminenz zu beglei ten; lassen Sic mich nur vorher einige nothwcndige Anordnungen treffen." "