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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.03.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-03-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960320020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896032002
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896032002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-03
- Tag 1896-03-20
-
Monat
1896-03
-
Jahr
1896
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Die redliche Geschäftswelt fühlt sich durch lügenhafte Waarenanpreisungen in besonders großem Maße geschädigt und dem urtheilSfähigen Verbraucher erregen sie um so mehr Aergerniß, als er oft nicht in der Lage ist, zu verhindern, daß der eigene Hausstand das Opfer des aufdring lichen, Frauen, Kinder und Gesinde bethörenden kausmännischen Rattenfängers wird. Die Regierung hat mit gutem Grund die Schutzvorschriften gegen die unlautere Neclame an die Spitze des Entwurfs gestellt und die Commission bat sie bereitwillig und nicht ohne Erweiterung angenommen. Nach ihrer Fassung des tz. 1 kann auf Unterlassung und Schadenersatz in Anspruch genommen werden, „wer in öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mittheilungen, welche für einen größeren Kreis von Personen (bestimmt sind, über geschäftliche Verhält nisse, insbesondere über die Beschaffenheit, die Herstel lungsart oder die Preisbemessung vonWaaren oder gewerblichen Leistungen, über die Art des Bezuges oder die Bezugsquelle von Waaren, über den Besitz von Auszeichnungen, über den Anlaß oder den Zweck des Verkaufs unrichtige Angaben thatsächlicher Art macht, welche geeignet sind, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen." Die Worte „über ge schäftliche Verhältnisse, insbesondere" sind von der Commission eingeschaltet. Sie geben den im tz 1 angeführten, am häufigsten vorkommcnden Fällen von falschen Angaben den Charakter von Beispielen und setzen den Richter in die Lage, bei allen unrichtigen Angaben thatsächlicher Natur, wenn sie den Anschein eines besonders günstigen Angebots Hervor rufen, die civilrechtlichen Ansprüche aufleben zu lassen. Hin sichtlich der strafrechtlichen Verfolgbarkeit (§ 4) hat die Com mission die Regierungsvorlage, welche nur die gekennzeich neten unrichtigen Angaben unter Strafe stellt, unverändert gelassen. Es ist unverkennbar, daß der ß 1 in der Com- missionSfassung dem richterlichen Ermessen einen weiten Spiel raum giebt, aber eS ist auch anzuerkennen, daß ohne einen solchen die Rechtsprechung die Irreführung der Käufer durch falsche Angaben nur mangelhaft verhüten könnte. Die jetzige Fassung ermöglicht es den Gerichten, auch künftigen Fort schritten der Beschwindelungskunst gerecht zu werden. Ist es immerhin möglich, daß die ihr durch die Commissions fassung gegebene ausgedehnte Vollmacht die Recht sprechung anfänglich in Verlegenheit setzt, so wird sie sich mit dem Merkmal der rechtlich verfolgbaren unrichtigen Angabe, daß sie „den Anschein eines besonders günstigen Angebots Hervorrufen" muß, rasch zurecht finden. Man wendet ein, es handle sich hier lediglich um eine Sache des persönlichen Empfindens; der Eine werde einen besonders günstigen Kauf zu machen glauben, wo der Andere nur Unsinn sehe. Darauf ist zu bemerken, daß es eines Gesetzes gegen diese Form des unlauteren Wettbewerbs überhaupt nicht bedürfte, wenn das Publicum in seiner Gesammtheit oder auch nur zum größeren Theile dem „Unsinn" nicht zu gänglich wäre. Wenn der UrtheilSfähige sich sagt, daß kein Geschäftsmann ein leinenes Taschentuch zu dem gewöhn lichen Preis eines halbleinenen ablassen wird, wenn er eben sowenig glaubt, daß ein Händler wegen Aufgabe eines Ge schäfts, das nicht für den zweimonatigen Bedarf seiner Kundschaft Waare auf Lager hat, zwei und drei Jahre lang „ausverkausen" kann, und wenn es ihm nicht imponirt, daß ein Kaufmann einen aus der Fabrik bezogenen Artikel für sein eigenes, auf vielen Ausstellungen prämiirtes Erzeugniß ausgiebt, so ändert das alles nichts an der Thal sache, daß solche unsinnige Angaben oft genug geglaubt werden, um dem redlichen Geschäftsmann, der Lug und Trug verschmäht, das Brod zu nehmen. Und auf diesen Punct kommt es an. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb wird nicht für Diejenigen gemacht, die, mit dem früheren Minister Herrfurth zu reden, „nicht alle" werden, sondern für das redliche Gewerbe. Daß es auch dem über mäßig glaubensfähigen Publicum zu Gute kommen wird, ist nicht die angestreble, sondern eine, unseres Erachtens übrigens sehr willkommene Nebenwirkung. Wir haben gestern eine ofsiciöse Auslassung über die künftige PolenpoUtik Preußens mitgetheilt. Sie lautete: „Wenn in den Landestheilen mit polnisch gemischter Bevölkerung hier und da über ein laues Verhalten einiger Beamten gegenüber Polonisirenden Bestrebungen und gegenüber den von deutscher Seite dagegen zu ergreifenden Maßregeln der Ab wehr geklagt worden ist, so dürfte Vorsorge dahin getroffen sein, daß in der Folge zu berechtigten Klagen dieser Art kein Anlaß gegeben wird." Das Merkwürdigste an dieser „Vermuthung" ist, daß es jetzt noch nöthig gewesen ist, sie auszusprechen. Gemäß einer unzweideutigen kaiserlichen Kundgebung hätte die Verwaltung den Bruch mit der Caprivi'schen „Versöhnung" vor nahezu zwei Jahren vollziehen müssen. Nach der vorstehenden Er klärung aber steht man erst jetzt am Anfang des Anfanges einer von den Interessen Preußens und Deutschlands klar vorgezeichneten Polenpolitik. Denn die Diplomatie, mit der die ofsiciöse Notiz abgefaßl ist, kann es nicht verhüllen, daß es sich um erst neuerdings gegebene Verhaltungsmaßregeln handelt. Der Eindruck, dem wir gleich anderen nationalen Organen wiederholt Ausdruck gegeben haben, daß nämlich die lange Zeit her in Posen und Westpreußen kein ernstlicher Wandel in Bezug auf die Behandlung der polnischen Agitation ein getreten war, wird nun als richtig bestätigt. Es ist eine kostbare Zeit, wenn nicht ganz vergeudet, so doch jedenfalls nicht den Verhältnissen entsprechend ausgenutzt worden. Doch, besser spät als gar nicht. Wenn die preußische Regierung jetzt das volle Verständniß für das bekundet, was sie dem Deutsch- thum und dem preußischen Staatsgedanken in den Ost provinzen schuldet, dann wird es immer noch möglich sein, das polnische Vordringen zum Stillstand zu zwingen. Dafür liegt aber zur Zeit keine weitere Gewähr vor, als höchst befriedigende Worte, aber doch nur Worte des Cultusministers vr. Bosse und die erwähnte Auslassung der „Berl. Pol. Nachr." Nach dem, was nach der Thorner Rede des Kaisers geschehen und unterblieben ist, hat man kein Recht, auf das weitgehende Mißtrauen Verzicht zu leisten und darf sogar die Möglichkeit nicht ganz von der Hand weisen, daß das ofsiciöse Organ benutzt worden ist, um die, wie wir wissen, nicht immer und überall angenehm empfundene Wachsamkeit eines TheileS der Presse einzulullen. Die Kriterien einer geänderten Politik werden nur in Thatsachen gefunden werden können, insbesondere in der Berücksichtigung der pol nischen Agitation bei der Anstelluugvon Beamten, auck von Subalternbeamten, und in einem Wandel der Dinge dahin, daß die obersten staatlichen Funktionäre ihre Untergebenen nicht im Zweifel darüber lassen, daß sie auch im außerdienst lichen Verkehre die polnische Bewegung nicht indirect fördern dürfen. Dazu ist vor Allem nöthig, daß ein ensprechendes Beispiel gegeben werde. Und an diesem Puncte zerschellt, so lange nicht Personalvcränderungen stattfinden, das Vertrauen zu einer gründlichen Abkehr von der selbstmörderischen Polenpolitik deS „neuen Curses". Die rgyptische Frage, welche noch vor Kurzem durch englisch-französische Verhandlungen, um eine Annäherung beider Staaten mit der Spike gegen Deutschland anzubahnen, auf dem Wege friedlichen Vergleichs aus der Welt geschafft werden sollte, beherrscht jetzt fast allein die Tagesordnung der internationalen Diplomatie und wird von derselben so bald nicht verschwinden. Ihr Auftauchen hat plötzlich ein ganz neues Bild der Stellung der europäischen Großmächte zu einander geschaffen. England und Frankreich stehen sich, wenn auch in Paris nach der bekannten Note der „Agence HavaS" officiös rasch zum Rückzug geblasen worden ist, mit schwer verhaltenem Groll gegenüber, und Deutschland, vou dem man in Paris gehofft hatte, daß es, wie in der ostasiatischen Frage, mit Frankreich und Rußland zusammengehen werde, bat sich mit den anderen Dreibund mächten zu einem äußerst werthvollen Entgegenkommen den Aspirationen Englands in Egypten und im Sudan gegen über bereit finden lassen, während bis vor Kurzem noch in der Transvaalfrage ein ernstlicher Zwiespalt zwischen beiden Nationen bestanden. In Frankreich ist man natürlich über die Haltung Deutschlands ebenso verschnupft wie in England erfreut. Der „Gaulois" und nicht dieser allein hatte es als wahrscheinlich bezeichnet, daß Deutschland, so bald es erwiesen sein werde, daß die Frage deS Dongola- Zuges eine rein englische sei, „gewissen ritterlichen Regungen folgend nicht zögern werbe, sich auf Seite Rußlands und Franlreichs zu stellen, denn es unterliege keinem Zweifel, daß Kaiser Wilhelm jede Gelegenheit sucbe, zwischen Rußland und Frankreich bineinzurutscken (ss glisber) und mit diesen beiden Mächten im Einverständniß zu handeln." Darin hat man sich nun freilich gründlichst getäuscht. Allerdings war es ein kluger Schachzug der deutschen Diplomatie, in der ostasiatischen Frage, Hand in Hand mit Frankreich und Rußland zu gehen, denn eS zerstörte damit die Legende, daß Rußland Frankreich zu Liebe die deutsche Freundschaft stets perhorreSciren werde und verpflichtete sich Rußland. Allein es kam damals hinzu, daß unsere Interessen mit denen des franco-russischen Zweibundes in Ostasien durch weg identisch waren. In dem gegenwärtigen Falle liegt daS anders. Uns kann eS weniger berühren, wer imSudan dominirt und wir haben durchaus kein Interesse daran, England zum Rückzug aus Egypten dadurch genöthigt zu sehen, daß wir die Querelen Frankreichs unterstützen. Uns kann es nur will kommen sein, wenn der englisch-französische Antagonismus wegen Egyptens in seiner ganzen Tiefe und Scharfe fort besteht. Dagegen mußte, wie wir schon gestern andeuteten, der Wunsch Italiens, England gegen Dongvla freie Hand zu lasten, für uns ausschlaggebend sein. Welchen Eindruck würde es gemacht haben, wenn Deutschland hier versagt hätte! Man hätte dann mit größerem Recht als bisher behaupten können, der Dreibund existire nur mehr auf dem Papier. Bis jetzt sind die Pariser Blätter noch ziemlich wortkarg über die hoch- officiöse Mittbeilung der „Nordd. Allg. Ztg." in Betreff der Zustimmung Italiens, Oesterreich Ungarns und Deutschlands zur Ueberlasfung von einer halben Million Pfund aus der egyptischen Staatsschuldencasse für die Zwecke der Expedition. Der „Figaro" constatirt nur, daß diese Mittheilung äußerst ernster Art sei, im Uebrigen aber macht sich der Aerger über die neue Lage der Dinge vorläufig in scharfen Aeußerungen gegen den Minister des Aeußeren, Berthelot Luft, der die drohende Note der „Agence HavaS" in die Presse gebracht hat, es nun schlankweg leugnet und alle Verantwortung von sich auf eine, natürlich unbekannte, „schlecht informirte Persönlichkeit" abzuwälzen sucht. Hier einige Preßstimmen: Der „Gaulois", das „Journal" und andere Blätter tadeln Berthelot, daß er die Dongola-Affaire „leichtsinnig" mit einer Drohnote gegen England begonnen habe, ohne sich vorher genügend informirt, insbesondere sich der Unterstützung der Mächte versichert zu haben. Diese Blätter verlangen, daß ein Berufsdiplomat das Ministerium des Auswärtigen übernehmen solle. — Ter „Gaulois" schreibt: „Hätte die französische Regierung die Antworten der Mächte vorausgejehen, so würde sie wahrscheinlich ihre Haltung geändert haben. Sie hätte sicherlich Nicht einen international en Zwischen- fall hervorgerusen, der bewirkt, daß die Tripelallianz sich neugefestigt und der Deutschland die Gelegenheit bietet, sich England anzunähern und einen Antagonismus zu beseitigen, der Frankreich wohlgefirl." Der „Matin" will wissen, daß Rußland die Veröffeul lichung der NoteBertbelot's ausdrücklich gebilligt habe, auch sonst herrsche völlige Uebereinstimmung zwischen Rußland und Frank reich über das Vorgehen in der Dongola-Affaire. Thatsächlich bat noch nichts verlautet, wie man in Petersburg die Sachlage, namentlich die Haltung Deutschlands, an sieht; daher auch die Wortkargheit der Pariser Presse: sie wartet offenbar auf daS russische Stichwort. Die Lon doner Presse geht natürlich über Frankreich und seine diplomatische Niederlage mit Hohn zur Tagesordnung über. Ueber Deutschlands Verhalten spricht sich der „Standard" befriedigt auS, glaubt jedoch, daß es von der Erkennlniß dictirt sei, daß die englische Expedition Italien das Verbleiben im Dreibunde ermögliche. „Daily Chrvnicle" sieht in der Ver leihung eines englischen Regiments an den Kaiser von Oesterreich eine neue Bestätigung der Ansicht, daß Englands Beziehungen zum Dreibund geändert seien und das Blatt warnt nach drücklich vor den Folgen der neuen Politik. Eine solche ist möglicher Weise von englischer Seite beabsichtigt, ja wir halten sie sogar für sehr wahrscheinlich, da England mit aller Macht aus seiner Jsolirtheit berauSslrebl und inter nationalen Anschluß sucht. Daß noch unausgeglichene Differenzen mit Deutschland wegen der Transvaalangelegenheil bestehen, genirt an der „Themse" nicht im Geringsten. Diese wird man um des höheren Zweckes willen schon zu beseitigen wissen. Nur ein mächtiger Bundesgenosse, wer es auch sei, der England den Rücken deckt, ohne eine Gegenleistung zu verlangen! In Deutschland ist man dagegen in der „neuen Politik" so weit noch nicht, ja man dürste da überhaupt keine Lust verspüren, den „alten CourS" zu verlassen, der es sich zur Hauptaufgabe gesetzt hat, den Weltfrieden zu erhalten und zu diesem Zwecke freundschaftliche Beziehungen zu Ruß land zu pflegen. Daß die letzteren durch Deutschlands jüngste Stellungnahme in der egyptischen Frage getrübt seien, glauben wir nicht, denn man wird auch in Petersburg anerkennen, daß Deutschland correcter Weise nicht anders bandeln konnte. Wie dem aber auch sei, so ist es im Interesse des Friedens hoch erfreulich, daß der Dreibund gerade jetzt seine Existenz bekundet, und sich so fest als je erweist. Als äußeres Zeichen seines unerschütterten Bestandes wird die bevorstehende Begeg nung des deutschen Kaisers mit dein Kaiser Franz Joseph in Wien und dann mit dem König Humbert in Venedig dienen. Im Staat Rew-Uork beschäftigt die Frage der Sonn tagsfreiheit fortgesetzt daS deutsch-amerikanische Bürger- thum. Am 27. Februar entsandte der Deutsch-Amerikanische Fenilletsn. Gottbegnadet. 4) Noma» von Konrad Telmann. Nachdruck verboten. Sie hatte ausführlicher gesprochen, als eS ursprünglich in ihrer Absicht gelegen haben mochte, wie von ihrem Gegen stände fortgerissen. Vielleicht waren es auch allerlei auf steigende Gedanken gewesen, die sie selber hatte in sich zur Ruhe sprechen wollen. Nun flog ihr Blick wieder unruhig und ermahnend zugleich zu ihrem Sohn hinüber, der noch immer keine Miene machte, aufzubrechen. Es ist immerhin schade, sagte Frau Marcella nachdenklich, halb zu sich selber. Auch sie sah in die gleiche Richtung, wartete ab, daß Thea's Augen den ihren einmal begegneten, und gab ihr dann ein Zeichen, worauf daS junge Mädchen sich sofort erhob. Thea batte sich ganz heiß gesprochen und sah mit ihren glühenden Wangen und leuchtenden Augen liebreizender aus als je. Als Frau Marcella sich von Frau von Sennfeldt ver abschiedete, trat Harry heran und sagte: „Ich begleite die Damen nach Hause, Mama, — wenn die gnädige Frau eS erlaubt." „Aber Harrn! Frau von Sennfeldt war ganz entsetzt. Dich jetzt unnöthig der Nachtkühle aussetzen, — nach solcher Anstrengung! Ich bitte Dich!" „Sie sind sehr freundlich, Herr von Sennfeldt", fiel Frau Marcella ein, „aber wir finden unser« Weg wirklich allein." „Ach, bitte, erlauben Sie mirs doch!" rief er und sah mit einem treuherzigen Blick zu ihr auf, die ihn fast um einen Kopf überragte. Etwas Kindlich GutmüthigeS lag jetzt in seinen Zügen. „Es ist mir eine so große Freude. Und daß es mir schaden könnte, davon ist ja gar nicht die Rede. Mama ist immer so übertrieben ängstlich. Also — ich darf, nicht wabr? Und nachher komme ich zurück und bringe Dich und Frau von Flügge ins Hotel zurück, Mama. Bis auf bald also!" FraU von Sennfeldt hatte keinen weitern Einspruch er hoben, aber ihre sich fest übereinander pressenden Lippen und ein harter, verkNiffenver Ausdruck in ihren Mienen redeten davon, daß sie nur mit Mübe und Kraft einer durch strenge Erziehung angelernten Beherrschung sich bezwang. Ihr Abschied von Frau Marcella und Thea fiel kalt und förmlich aus. Es lag beinahe etwas wie Haß in den grauen Augen, welche das junge Mädchen betrachteten. In Asta's Abschieds worte mischte sich dagegen etwas von Spott und Empfindlich keit zugleich. „Cousinchen, Cvusincken", sagte sie, Thea auf die Schulter klopfend, „Du entführst mir ja meinen an gestammten Ritter. Hast Du den fahrenden Sänger denn immer noch nicht genug angeschwärmt?" Als die drei von der Terrasse dc« Curhauses ins Freie hinauStraten und die Strandpromenade gegen Ahlbeck zu hinabwanderten, umfing sie die Linde der Sommernacht. Das Meer zu ihrer Linken lag regungslos, wie eine gewaltige, schwarzgraue Masse unter einem wolkigen, nur hier und da von Sternen durchblitzten Himmel, einzig am llferrand war ein langer, weißer Schaunistreifen sichtbar, in dem sich die Lichter auS den Strandlaterncn brachen. Hier und da sah man ein Boot sich leise schaukelnd heben und senken, wie im Schlaf. Aus den Gärten der Landhäuser zur Rechten zog Rosenduft herüber. Ganz fern vor ihnen wie aus nebelndem Dust schimmerte die Lampe deS LeuchtthurmeS von Swine- münde. Harry plauderte (angeregt. Er richtete das Wort fast ausschließlich an Frau Marcella, die ihm gern zuhörte. Auch wenn er nichts Bedeutendes sagte, that ihr der Klang seiner vollen, weichen Stimme wohl. „Sie haben eine zärt liche Mutter", sagte sie einmal, „mir scheint, daß Sie ihr viel verdanken." „O, ich bete meine Mutter an", fiel Harry mit einem schwärmerischen Ausdruck ein, „ich verehre sie wie eine Heilige. Ihr ganzes Leben hat sie ja nur mir gewidmet. Manchmal freilich" — er sprach den Satz nicht zu Ende, fuhr sich hastig mit der Hand über die Stirn bin und fuhr dann in völlig verändertem Ton fort: „Sie wissen doch, daß Ihr Fräulein Tochter und ich schon alte Bekannte sind, gnädige Frau? Wie ein Kind babc ich mich auf heute Abend gefreut, wo sie mich erkennen würde. Und nun wären Sie beinahe gar nicht gekommen, wie ich höre. Gnädige Frau, — ich habe eine große Bitte an Sie!" „Lassen Sie hören!" „Erlauben Sie mir, zu Ihnen zu kommen, — öfter«, meine ich. Ich habe gehört, daß Sie em Pianino haben. Ich möchte Ihnen etwa« Vorsingen. Ich möchte bei Ihnen auS- und ringeben dürfen, wie ein Hausfreund. Ist das sehr un verschämt? Ich will auch ganz artig sein, Sie sollen gar nicht über mich zu klagen haben." Frau Marcella mußte lachen. Es klang alles ganz auf richtig und treuherzig, wie er cs sagte, ein Ausdruck kindlichen Verlangens leuchtete aus seinen Augen. Er kam ihr nicht viel anders vor als ein Knabe, der irgend ein Spielzeug haben will. „Das geht etwas rasch", sagte sie ohne alle Unfreundlichkeit, „wir müssen uns doch erst kennen lernen. Sie wissen ja noch gar nicht, ob es Ihnen bei uns gefallen wird." „O", machte er, „wenn ich Alles so sicher wüßte. — Es kommt mir vor, als ob wir die ältesten Freunde wären. Finden Sie das so drollig, gnädiges Fräulein? Ich gar nicht. Es giebt doch so etwas wie geheime Sympathie, nicht? Und daS macht sich gleich in der ersten Stunde geltend. Also: darf ich kommen, gnädige Frau? Morgen? Oder heute Abend noch — was meinen Sie? Ich spiele und singe Ihnen heute Abend noch gleich etwas vor! Mir ist ganz darnach zu Mutbe. Ich war nie so aufgelegt. Und dann geben Sie mir eine Tasse Tbee, — Thre ist nämlich mein Lieblingsgetränk, recht stark und etwas Sahne drin, merken Sie sich das, bitte, für alle Fälle, — und eS kann reizend gemütblich werden." Mutter und Tochter lachten gleichzeitig. ES war Alles so natürlich und ungekünstelt herausgekommen, daß man dem Sprecher nickt gram sein konnte; seine Zudringlichkeit hatte etwas ganz Naives und Unbewußt-Kindliches. „Was würde wohl Frau von Sennfeldt dazu sagen!" rief Tbea unwill kürlich aus. Und Frau Marcella setzte, während ein Schatten über Harrv'S Gesicht lief, hinzu: „Ich denke, eS ist doch schon besser, es bis morgen zu verschieben. Sie haben beute genug gesungen und die Damen erwarten Sie im Curhause. Wer eine Stimme hat wie Sie, muß mit dem ihm anvertrauten Pfunde schonend umgehen. E« ist ein großes und seltenes Gut, für da« Sie verantwortlich sind. Harry nickte. „Ja, eS ist eine gottbegnadete Stimme", sagte er ohne jeden Accent, al« ob er etwa« ganz Alltägliches und ihn persönlich nicht Berührende« aussprache. NicktS von Ziererei oder Einbildung klang darau«, nur eine ruhige Ueberzeugung, die der Sprecher offenbar schon häufig zum Ausdruck gebracht hatte, nachdem er sie unzählige Male von Andern vernommen. „Sie legt mir Pflichten aus", fuhr er fort, „manchmal nicht ganz leichte, und bestimmt Uber meine ganze Lebensführung. Zuweilen habe ich schon gedacht, daß ne ein wahrer Tyrann sei, denn ich muß ihr tausend Opfer bringen und kann eigentlich nie, wie ich möchte. Immer Rücksichten auf diese Stimme nehmen! DaS ist eine Unfrei- heit, von der junge Männer meine« Alter« und meine- Stande« sonst gar nichts wissen. Aber entbehren möchte ich sie darum doch nicht, diese Stimme!" Seine Augen strahlten dabei und ein sieghaftes Lächeln lag auf seinen Lippen. Inzwischen hatten die drei daS Landbaus erreicht, in dem Frau Marcella Lindheim wohnte, und sie selbst reichte jetzt Harry die Hand hin. „Ich danke Ihnen für Ihre Be gleitung, Herr von Sennfeldt", sagte sie. „Und Ihr Besuch bei uns wird mir angenehm sein. Meine Empfehlungen dcn Damen! Gute Nacht." Harry küßte ihr die Hand. Als er daS Gleiche auch bei Thea wollte, entzog diese ihm die ihrige mit einer erschreckten Geberde. Dann traten die beiden Damen ins Haus. Sie hörten ihn im Weggehen noch mit halber Stimme singen: „So leb denn wohl, mein lieber Schwan!" „Wie findest Du ihn, Mama?" fragte Thea, während sie drinnen Hut und Jacke ablegte. „Das ist schwer zu sagen", erwiderte Frau Marcella, „denn ich glaube, er ist eine ziemlich complicirte Natur, — vielleicht nicht von Haus aus, dock durch Menschen und Ver hältnisse dazu geworden. Aber der Kern ist edel. Jeden falls scheint er mir ein guter Mensch zu sein, und das ist schon viel." 3. Harry kam gleich am anderen Tage. Die Damen hatten eben üach Tische in dcn Wald gehen wollen, denn der Tag war schwül und im Garten gab es keine Küble, als er sich melven ließ. Er trug einen blendend weißen Anzug, der Zipfel eines lilaseidenen Taschcntnckes schaute auS der vorderen Brusttasche seines Iackets, einen gelben Strokhut mit gleich farbigem Bande hielt er in der Hand, welche Helle Handschuhe mit dicke», schwarzen Raupen bedeckten. Es lag etwas Gecken bastes in seiner Erscheinung, das mit der inunteren Frische in Widerspruch stand, die er bei seinem Eintritt zeigte. „Eine ganz unpassende Zeit, nicht wahr, gnädige Frau?" rief er, Frau Marcella die Hand küssend. „Aber, bitte, werfen Sie mich nicht hinaus! Um diese Stunde fühle ich mich am freiesten, da kann ich am besten abkommen. Mama schläft dann und Niemand macht Ansprüche an mich. Also —? Wie hübsch eS hier ist! Und so kühl und traulich dieser Salon! Ah, da ist ja da« Pianino." — Er schlug eS auf und ließ seine Finger über die Tasten gleiten — „ganz rein im Ton. Das ist gut. Soll ich Ihnen etwas fingen? Was zum Beispiel? Was habe» Sie denn gern?" Frau Marcella lachte. „Erst lassen Sie unS nur ein Wort zusammen plaudern." „Ach ja", fiel er rin und warf seiorn Hut auf einen
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