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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration--Preis 22j Silbergr. sj Tb>r.) vierteliöhrtich, 3 Tdir. für da« gan,e Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Iägttstraße Nr. 28), so wie von alten Königl. Post 'Hemkern, angenommen. Literatur des Auslandes. 126. Berlin, Freitag den 20. Oktober 1843. England. Shakspeare's Sommernachtstraum auf der deutschen Bühne. Das glückliche Zusammentreffen Ludwig Tieck's und Felir Mendelssohn- Bartholdp'S, dem wir bereits die Wiedererweckung der antiken Tragödie zu verdanken haben, gab auch Gelegenheit, eine andere Idee zu verwirklichen, mit der sich Beide schon seit vielen Jahren trugen. Denn Tieck's Studien des alten englischen Theaters, namentlich der Vorgänger und Zeitgenossen Shakspeare's, hatten ihn auch mit der Einrichtung der Bühne jener Zeit so vertraut gemacht, daß er die Bortheile derselben für die Darstellung Shak- spearescher Stücke vollständig erkannte und ost das Bedauern aussprach, nicht auch heutiges Tages eine Bühne zu besitzen, die den Dramen des britischen Dichters diese Vortheile zu gewähren vermochte. Mendelssohn andererseits, den bereits in seinen Jünglingsjahren der phantastisch-romantische „Sommer nachtstraum" zu einer der lieblichsten Musiken begeistert hatte, welche wir als Ouvertüre zu diesem aus Blüthenstaub, Spinneweb und Sackleinwand, Elfen, Athenern und Rüpeln zusammengesetzten Stück kennen, mußte wohl auch immer schon das Verlangen haben, seine Composition mit dem Stücke selbst aufge führt und die musikalischen Theile deS letzteren aus entsprechende Weise ergänzt zu sehen. Den Gedanken beider Männer hat die Aufmunterung eines kunst liebenden Fürsten zur That gemacht, und so darf sich die deutsche Bühne rühmen, sich abermals ein Shakspearesches Werk, und zwar ein solches, das in Deutschland bisher für unausführbar gehalten wurde, angeeignct zu haben. Der „Sommernachtstraum" ist durch seine deutsche Benennung zu kurz gekommen-, die englische sagt viel mehr und ist auch dem Inhalte des Stücks entsprechender. Wll^umner-Kigbt ist keine gewöhnliche Sommernacht, sondern die „Johannisnacht", eine von den herrlichsten Blumen duftende und von tausend Glühwürmchen erleuchtete Nacht, mit der sich von selbst die lieblichsten und romantischsten Ideen verbinden, so daß ein „Johannisnachts-Traum" eben nur das Bunteste, Ausgelassenste und doch zugleich auch Anmuthigste und Feenhafteste voraussetzen läßt. Shakspearc liebte es, die Benennungen seiner Stücke mit solchen Festabenden in Verbindung zu bringen. Eines seiner nicht minder beliebten und durch und durch von dem frischesten Humor belebten Stücke, das auch unter dem Namen „Was Ihr wollt" bekannt ist, heißt eigentlich Vveelstk ><ixln — der Dreikönigs-Abend — und bildet also gewisser- maßen den Winter-Gegensatz zu jenem Traum in der Zeit des Sommer- Solsticiums- Vielleicht waren diese Stücke auch für verschiedene Bühnen ge- schneben, denn London hatte zur Zeit Shakspeare's ein Winter- und ein Sommer-Theater. Jedenfalls aber mußten diese Bühnen anders eingerichtet seyn, als die unsrigen, um Stücke wie den Dreikönigs-Abend und die Johannisnacht mit Erfolg aufführen zu können. Dies war eS auch, was unseren Tieck bewog, über diese Einrichtung nachzudcnken und ihr, weil sie den darstellenden Künstler notbwendig und in jeder Beziehung in den Vorder- grund stellt, trotz aller raffinirten HülfSmittel, welche Kunst und Mechanik für unsere heutige Bühne ersonnen, vor dieser den Vorzug zu geben. Das Theater zur Zeit Shakspeare's, das aus den alten Mysterien-Theatern unmittelbar hervorgcgangen war, batte auch noch von den Einrichtungen der selben Manches beibehalten, namentlich die Eintheilung der Bühne in drei Abstufungen, auf welcher sich die himmlischen Heerschaaren, die Heiligen und die bösen Geister bewegten. Auf der obersten Abtheilung, „Paradies" ge nannt, von der auch noch unsere heutige Galerie den Beinamen hat, thronte die Majestät Gottes; neben dieser zur Rechten erblickte man den „Frieden" und die „Barmherzigkeit", zur Linken die „Gerechtigkeit" und die „Wahr heit." Die unterste Abtheilung hieß „Hölle" und hatte einen großen offenen Rachen, der sich auf den Befehl Gottes schloß und wieder öffnete. Bon einer Abtheilung zur anderen führten Stufen und abwechselnd ging die Handlung auf diesen selbst oder in jenen Abtheilungen vor. In Deutschland, das die ältesten Mysterien in lateinischer Sprache aus der Feder der Nonne Roswitha von Gandersheim aus dem 10. Jahrhundert besitzt, hatten sich diese Dar stellungen auch am längsten erhalten, indem die Reformation sie dazu benutzte, geläuterte religiöse Ideen im Volke zu verbreiten. Wolfgang Menzel erzählt uns von der Aufführung eines solchen Mysteriums zu Stuttgard im Jahre 1871, also zur Zeit Shakspeare's. Es wurde dort das „jüngste Gericht" ge geben, und es traf sich, daß das Feuer der „Hölle" die ihm gestellten Gränzen überschritt und die Stufen entlang zum „Paradies" hinaufstrebte. Die Teufel liefen davon, und der Schauspieler, welcher oben saß und Gott den Vater dar- stelltc, schrie fürchterlich, weil er in Gefahr war, von den Flammen der Hölle ergriffen zu werden. Auch von einem anderen Mysterium, einer ss'rsgico- t-'omeüm äposwllc», die noch im I. I3S3 zu Lauingen an der Donau aufge- sührt wurde und wobei nicht weniger als 246 Personen mitwirkten, berichtet uns Menzel. Gleichwohl scheinen mit dem 16. Jahrhundert diese Darstellungen in Deutschland aufgchört zu haben, obgleich die Landleute zu Ammergau in Bayern auch heutiges Tages noch das Vorrecht haben, die Leidensgeschichte Christi theatralisch aufführen zu dürfen. Andreas Gryphius, der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts lebte, schrieb bereits Trauerspiele im Ge- schmacke der damaligen englischen Bühne; ja er schon hat Shakspeare's „Sommernachtstraum", wenigstens zum Theil, auf das deutsche Theater gebracht, indem sein „Peter Squenz" eine Erweiterung des burlesken Trauer spiels „Pyramus und Thisbe" ist und durch ihn auch jener Name, der bei Shakspeare Hmrwe heißt, und der der gesammten Rüpel-Compagnie in Deutschland eingebürgert worden. Zur Zeit des Gryphius mochten die deutschen Bühnen wohl auch noch so beschaffen seyn, wie die Mysterien-Darsteller sie eingerichtet hatten, und erst die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts um sich greifende Macht des französischen Einflusses hat ihnen ihre heutige Gestalt gegeben, so daß sie für die Abtheilungen und Stufen, welche sie verloren, an Tiefe und Ausdehnung um so mehr gewannen. Sollten wir jedoch eine so verwickelte und phanta stische Sccncrie wie die des „SommcrnachtötraumS" vollkommen begreifen und namentlich die Schläfer-Scenen nicht widerwärtig finden, so mußte uns Tieck, wie er gethan hat, die Shakspearesche Bühne wieder schaffen, die mit den einfachsten Mitteln, durch die bloße Verwandlung des Hintergrundes, das Kombinirteste zu erreichen weiß, und aus der allein gleichzeitig die verschiedensten Scenen dargestellt werden können, ohne daß diese ins Unwahre oder Lächerliche verfallen. ES wird vielleicht die Intentionen Tieck's bei der Einrichtung des Shak speare-Theaters am deutlichsten machen, wenn wir ihn selbst reden lassen. Zu diesem Behufe wollen wir hier eine Episode aus der im Jahr 1836 er schienenen, aber von Tieck, wie er in der Vorrede sagt, schon im Jahre I7S8 begonnenen und I8I I fortgesetzten Novelle „Der junge Tischlermeister" mit- theilen. ES handelt sich im vierten Abschnitt dieser Novelle um eine gesell schaftliche Aufführung von 'I>velftK->HAkt (Waö Ihr wollt), und hierzu läßt Professor Emmrich im Saale deS Schlosses durch den jungen Architekten und Tischlermeister Leonhard eine Bühne aufschlagen, wie sie zu Shakspeare's Zeit wohl, bevor das französische Drama die europäischen Theater über schwemmt hatte, und wie namentlich das im Jahre 1613 abgebrannte 6Iobe- Theater, in welchem auch die Shakspeareschen Dramen aufgeführt worden waren, auSgesehen haben mochte: „Leonhard begab sich nach dem Rittersaal, wo der stets rüstige Emmrich schon seiner wartete. Er war sehr verwundert, daß Emmrich ihm sogleich mit dem Vorschlag entgegen trat, das Theater umzustellen und es in die volle Länge des Saales zu legen, statt daß cS jetzt die Hälfte des oblongen Raumes einnahm. Wir gewinnen damit, sagte der Professor, daß die Zuschauer alle uns viel näher sitzen, und daß wir ein viel breiteres Prvscenium be kommen. Die Tiefe der Bühne geht freilich dadurch verloren, aber die Tiefe ist es auch, die mich bei jedem anderen Theater ärgert und die dem guten Schauspieler das Spiel unendlich erschwert. Göthe sagt einmal im Meister, eS wäre zu wünschen, die Spielenden bewegten sich auf dem schmalen Streifen einer Leine. Gewiß kommen sie dem Ziele bedeutend näher, wenn wir die unnütze Tiefe unserer Bühnen abschaffen. Freilich kann nicht mehr von einem unglücklichen Krönungszug die Rede seyn, der um das ganze tiefe Viereck der Bübne marschirt, um dann im Hintergründe in das zu niedrige Portal einer mächtigen Kathedrale hincinzukriechen. Dergleichen Züge, wenn sie denn ein mal seyn sollen, müssen dann vorn aus der ersten oder zweiten Coulisse im Profil nach der gegenüberliegenden Oeffnung sich begeben, und nur auf diese Weise kann es mit Verstand und kunstmäßig geschehen, wie wir ja auch, wenn wir die Wahl haben, jene Fenster miethen, denen ein wirklicher Aufzug oder eine Prozession auf diese Weise vorübergeht. „Mit Hülfe der Arbeiter wurde die Erhöhung der Bühne sogleich nach ihren Theilen so an einander geschoben, daß sie den Raum einnahm, welchen Emmrich bestimmt hatte. „Wir haben hierbei außerdem den Vortheil, sagte der Professor, daß wir die Thür in der Mitte, die aus dem Saal in die Kabinette dort führt, be nutzen und hinter der Bühne die Ankleidezimmer einrichten können; rechts und links find ebenfalls Ausgänge, so daß das ganze Theater bequem zum