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Meint täglich v«ch«. mit Ar.S, ahme der So: u- u. Festtage. Bezugspreisr Vierteljahr!. 1 Mk. SV Pf. (ohne Bestellgeld). Post-Bestellnummer -888. Bei autzerdeutschen Postanstalten laut ZeitungS-PreiSliste. Gtnzelmnnmer 19 Pfermtge. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht »md Freiheit. vucdaniclrttU. Redaktion »na kerclMrrtelle: prerde», Pilluitzer Sttaße 43. Inserate werden die 6gespaltene Petitzeile oder deren Raum mit 15 Pf. berechnet, bei Wiederholung bedeutender Rabatt. RedaltionS-Sprechstunde: 11—1 Uhr. Fernsprecher: Amt l. Nr. 1SÜ6. Nr. 119. 3°»am. P. Mittwoch, den 27. Mai 1903. Pro»»-».-»: *>,.„>». 2. Jahrgangs Sozialdemokratie und Mittelstand. Auf dem sozialdemokratischen Parteitage zu Mainz >1900) zeichnete der „Genosse" Dr. Quarck in guter Laune von der Sozialdemokratie ein Bild, dessen Kenntnis einem das Verständnis der Gegenwart bedeutend erleichtert. Er führte aus: „Ich habe dieser Tage mit einem ausländischen Sozialdemokraten gesprochen, der sagte: Wir Sozialdemo kraten sind eine ausgesprochen prinzipientreue Partei; aber wir mogeln, wo mir mogeln können." (Protokoll des Mainzer Parteitages S. 224). „Große Heiterkeit und Bei fall", die auf diese Worte folgten, bezeugten dem Redner, daß diese „Tugend" auch den inländischen Parteigenossen nicht fremd war. Bei dem internationalen Charakter der Sozialdemokratie kann das ja auch weiter nicht befremden. Wer etwas mit den wahren Zielen und der Geschichte der Sozialdemokratie bekannt ist, weiß auch zur Genüge, auf welch eigentümliche Art diese Partei ihre Geschäfte besorgt. Das hatte Bismarck schon vor nahezu 20 Jahren erkannt. Am 9. Mai 1884 führte er im Reichstage ans: ,Fch weiß nicht, ob Sie das schöne Gedicht kennen von Thomas Moore: „IRo vsiloä Dropbot." Der verschleierte Prophet war so hWch, daß er immer einen Schleier trug, er getraute sich nicht, sein wahres Gesicht dem Volke zu zeigen, sonst hatte man ihn des häßlichen Gesichtes wegen verlassen. So ist es auch mit der Sozialdemokratie — sie erscheint nie ohne Schleier." Dieser eigenartige, durch die Länge der Zeit gefestigte „Vorzug" der Sozialdemokratie nimmt naturgemäß bei den jeweiligen Wahlen deutlichere Formen an; daß er aber bei der gegenwärtigen Wahlagitation in einer so derben Weise hervortreten würde, wie das tatsächlich geschieht, übersteigt selbst ganz kühne Erwartungen. Ein gutes Maß von Dreistigkeit verrät es doch wohl, wenn die Sozialdemokratie vor den Wahlen mit dem Mittelstände liebäugelt, dem sie längst die Sterbekerze augezimdet hat. Im ganzen wie auch besonders in einigen Wahlkreisen sind der Sozialdemokratie die Stimmen der Handwerker und der sonstigen Vertreter des Mittelstandes nicht gerade unangenehm, und so gibt sich die Sozialdemo- kratie alle Mühe, sich entweder geradewegs als den wahren Freund des Mittelstandes anzupreisen oder doch den Tat- bestand in punkto Programm und Politik nach Möglichkeit zu verdunkeln. Heißt es doch tatsächlich allen Ernstes am Schlüsse eines von Düsseldorf ausgegangenen sozialdemo kratischen Wahlflugblattes: „Handwerker, Bürger und Bauer, begreift Ihr nun, wie töricht Eure Abneigung gegen die Sozialdemokratie ist? (I)" Aenßerst lehrreich ist auch die Geschichte eines mittelstandsfeindlichen Artikels, der vor einiger Zeit zum Entsetzen der übrigen „Genossen" des Landes das von dem sozialdemokratischen Abgeordneten Bock herausgegebene Schuhmacherfachblatt brachte. Dort hieß es: „lins als Arbeitern kann der Untergang des sog. Mittelstandes gleichgültig sein, im Gegenteil, je eher er verschwindet, desto besser ist cS, denn derselbe ist der größte Hemmschuh in ökono mischer, sozialer, gewerkschaftlicher und politischer Beziehung, überall tritt er uns hindernd in den Weg und darum können wir dessen Untergang nicht früh genug herbeiwünschcn." Das war ja sozialdemokratisch ganz richtig gedacht, aber die „Genossen" fragten sich erstaunt, wie Bock so un vorsichtig sein konnte, vor den Wahlen so unverblümt der Welt diese Wahrheit zu sagen. Bock sah denn auch bald seine Unvorsichtigkeit ein und er beschwichtigte die „Genossen" mit der Erklärung, er habe die Artikel nur mit Widerwillen ausgenommen, die Partei könne für diese unverbindliche Aentzerung eines „Einsenders" nicht verantwortlich gernacht werden. Der Artikel war nun zwar ohne jede redaktionelle Einschränkung erschienen, die Redaktion also dafür verant wortlich zu machen, aber gleichwohl: „Wir Sozialdemokraten sind eine allsgesprochen prinzipientreue Partei, aber wir mogeln, wo wir mogeln können." Ob aber wohl — die bescheidene Frage darf man gewiß aufügen — der Artikel Aufnahme gefunden hätte, wenn er Zwangsinmiiigen und andere mittelstandsfreuudllche Maßnahmen empfohlen hätte? Welche Virtuosität hier die Sozialdemokratie im Ver leugnen ihrer Grundsätze und Geschichte besitzt, zeigt ein kurzer Blick auf ihr Programm und ihre Stellung, die sie bisher zu den Mittelstandsfragen eingenommen hat. Das heute noch giltige sozialdemokratische (Erfurter» Programm beginnt mit den Worten: „Die ökonomische Entwickelung der bürgerlichen Gesellschaft führt mit Natur notwendigkeit zum Untergänge des Kleinbetriebes." Nach sozialdemokratischer Lehre mag sich also der Mittel stand iBaucr, Handwerker, Kleinkanfmann» ruhig schon seinen Sarg zimmern lassen; für ihn ist kein Kraut ge wachsen, er geht unrettbar der Auflösung entgegen. Daß dies die richtige Auslegung des sozialdemokratischen Programm satzes ist, sagt kein Geringerer, als der Verfasser des Erfurter Programmes selbst, nämlich der von der Partei besoldete Schriftsteller Kautsky. In seiner Erläuterung zum „Erfurter Programm" (S. 21) heißt es: „Die Tage des Handwerks sind gezählt. Und was vom Handwerk, gilt auch vom bäuerlichen Kleinbetrieb." Es ist doch wohl schwer, das mißzuverstehen. Die Sozialdemokraten haben es sich aber weiter mit Fleig angelegen sein lassen, ihren Standpunkt gegenüber dem Mittelstände so klar darzulegen, daß auch nicht der mindeste Zweifel über die richtige Auffassung auf- kommen kann. Derselbe Kautsky betonte auf dem Partei tage zu Breslau: „Für die Erhaltung des Bauernstandes eiuzutreteu, haben wir keinen Grund, denn das könnte nur geschehen, indem wir sie in ihrem Besitze befestigen, also ganz entgegengesetzt verfahren wie sonst." (Protokoll des Brest nler Parteitages. S. 128). In der Einleitung der iin Verlage des „Vorwärts" erschienenen Broschüre: „Die Tätigkeit des deutschen Reichstages von 1800—1808" wird dem Mittelstand (Handwerker, Bauern, Händler» der Unter gang erbarmungslos in Aussicht gestellt und darum „sind alle Nettungsmittel vergeblich." (Seite 10.» „Wie der Handwerker-, so geht der Händler- und Krämerstaud an der kapitalistischen Entwickelung zu gründe." „Deni selben rettungslosen Todeskampfe sind die kleinen un mittleren Bauern verfallen." (S- H.) Die Kleinbesitzer sollen ohne Hilfe verelenden, damit auch sie bald in den Schoß der Sozialdemokratie hiuübergeführt werden ^öinien. So betonte der sozialdemokratische Parteischriftsteller Lchippel auf dem Parteitage zu Breslau: „Wir wollen freilich auch den Kleindeßtzer gewinnen, »edoch nur, indem wir ihn überzeugen, das, er als Bcnger. k^ue Z"k"n" hak.sondern daß seine Zukunft die desProlclariatSist. (Protokoll des Breslauer Parteitages. S. l>0). . . Der Sinn der sozialdemokratischen Auffassung über die Mittelstaudsfrage geht also kurz dahin: ^ ^ Ter Mittelstand geht an der kapitalistischen Entwickelung rettungslos zu gründe. Rein vom wirtschaftlichen Standpunkte aus betrachtet, wäre eS darum töricht, für seine Erhaltung auch nur einen Finger zu rühren. Vielmehr kann es nnS ganz recht sein, wenn der Mittelstand als solcher beim nachiten Meilenstein ns Grab sinkt. Denn dadurch wird die Proletaristernng der Ee- ellschaft, und damit auch der große „Kladderadatsch", ans den unser ganzes Sinnen und Streben gerichtet ist, nur bcichlcumgt. Aber trotz alledem: Handwerker, Bürger und Bauer! begreift Ihr mm. wie töricht Eure Abneigung gegen die. Sozialdemokratie ist? Wohl niemals hat die politische Uu- ehrlichkeit stärkere Blüten getrieben. Ein sozialpolitisches Musterland. Der Eisenbahuerstreik in Süd-Australien ist vollkommen mißlungen, trotz des großen Einflusses, dessen sich in jenem Weltteil die Organisationen der Arbeiter erfreuen. Mail kann eben alles auf die Spitze treiben, und der zu straff gespannte Bogen zerspringt. Das Publikum, obwohl es doch gewiß größtenteils aus Klassengenossen der Streikenden besteht, bezeigte diesen offen seine Miß billi^gnng; ein Verkehrsstreik mit der sich daraus ergebenden Stockung des ganzen gewerblichen Lebens und der Lebensmittelver sorgung trifft zu viele Leute unmittelbar, als daß er der Regel nach ans die Sympathie der Menge zählen könnte. Und wo die Macht der Gewerkschaften so groß geworden ist, daß sie wie eine scharfe Nebenregierung im Lande sich fühlbar macht, gerade dort droht ihr zuerst die Gefahr eines Sturzes von der Höhe. Etwas Aehnliches bereitet sich, wie es scheint, auch in Neu-Seeland vor, jener britischen Kolonie östlich vom australischen Festland, die seit der noch gar nicht so fernen Zeit, wo die wilden Maoris noch als Menschenfresser ge fürchtet wurden, eine so überaus rasche Entwickelung zu einem Staatswesen modernster Art durchgemacht hat. Seit vielen Jahren herrschen in Nen-Serlaud die Gewerkvereiue unumschränkt; sie regieren im Parlament und stellen die Minister. Nun besteht ein Gesetz, wonach alle Streitig keiten zwischen Arbeitern und Arbeitgebern einem Ver söhn ungs- und in zweiter Instanz einem Schiedsgericht zu unterbreiten sind, dessen Entscheidungen durchaus bin dend sind. Das Schiedsgericht, ans welches allein alles ankommt, besteht ans einem Vertreter der Arbeiter, einem Nprtri'tpr kt»,' i»,ik Der «rriftralisehe Erbe. Roman von Edgar Pickering. Deutsch von Franz Paul. E-. Fortsetzung.) «Nachdruck verboten.) „So haben Sie sein Leben gerettet," sagte Madge, „und damit auch meines. Ich glaube, ich wäre gestorben, wenn er gestorben wäre." „Sie lieben ihn so sehr und haben bisher seiner mit keinem Worte erwähnt?" fragte Teresa erstaunt. „Warum flohen Sie in Vastia nicht zu ihm? Er hätte Sie gegen tausend Feinde geschützt." „Das wagte ich nicht," erwiderte Madge. „Sie wissen nicht und kein Mensch soll es wissen, warum er und ich uns getrennt haben." „Haben Sie sich gestritten?" erwiderte Teresa. „Liebende streiten sich manchmal, das habe ich oft bemerkt, aber treue Liebe überwindet jeden Zwiespalt," setzte sie er- rötend hinzu. „Wir haben uns nie gezankt," erwiderte Madge. „Dann verstehe ich Sie nicht," sagte Teresa, kopf schüttelnd. Während sie noch so plauderte, trat Madame zu ihnen, und obwohl sie Teresa mit bitterbösen Blicken musterte, wagte sie es doch nicht, ihrem Aerger Ansdruck zu geben. Sie sprach zu ihr französisch, und obwohl Madge Teresas langsam gesprochener Sprache ganz gut zu folgen vermochte, war sie nicht imstande, auch nur eiu Wort aus Madames dahinrauschendem Redestrom zu erfassen. „So kennst Du mich, Teresa Brasco?" fragte Madame. „Du hast wohl die Geschichte meines Lebens gehört?" „Ich weiß, daß Sie Celesta Doria sind," erwiderte Teresa. „Doch was die Leute von Euch erzählten, darauf habe ich nicht gehört. Nasone wollte cs nicht hören!" „Nasone war immer klug." fuhr die andere fort. „Doch was soll'- nun mit Dir? Du wirst uns in Marseille verlassen. Die Engländerin und ich gehen nach Paris." „Ja. nach Paris!" nickte Teresa. „Wenn Du nach Bastia zurückkehrst, so sage denen, die über Celesta Doria schwätzen, sie möchten sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern." „Ja, das will ich tun, wenn ich nach Bastia zurück kehre." Madame wandte sich an Madge. „Sie werden sich freuen, mein Schätzchen," sagte sie in ihrem fehlerhaften Englisch. „Paris kennen zu lernen. Wir wollen uns dort gut unterhalb», Sie und ich. ^ln tm! Es ist eine herrliche Stadt, voll Freude und Lust. Wir wollen uns auch neue Kleider kaisseu. da wir doch alles auf der häßlichen jhacht zurücklassen mußten. Ach was, denken wir nicht weiter daran." „Ich werde sofort nach England zurückkehren." erwiderte Madge. Ich werde nichts mehr von Ihnen annehmen. Sie leben von Mr. Dormanus Geld und ich weigere mich ent schieden. in Paris zu bleiben." „Hört doch nur dieses närrische Kind." rief Madame, offenbar zu den Segeln der „Les deux anges" sprechend. „Sie wird nichts annehmen, sie ist stolz und zornig, wes- halb? Parblcu! Lach'nicht. Teresa, Du verrückte Springerin. Andere können auch so stolz und zornig sein." „Es ist ganz nntzlos, Madame Duval, weiter zn sprechen." sagte Madge. „Ich kenne Sie jetzt, und bei der ersten Gelegenheit werde ich Sie verlassen." „Du falsche Schlange." zischte Madame Teresa z». „Ich werde Dir sie heimzahlen, die lügenhafte Geschichte, die Du ihr von mir erzählt hast." „Ich habe ihr nichts erzählt," erwiderte Teresa ruhig. „Miß Selby hat mir alles von Ihnen und dem Engländer, mit dem Sie sich verschworen haben, gesagt." Madame brummte noch etwas und ging, ihren Zorn bei sich behaltend, hinweg. Teresa erwies sich ihr als ein sehr gefährliches Hindernis, vor der sie auf der Hut sein müsse. Wenn Celesta Doria das Mädchen ungestraft hätte erdolchen können, sie hätte es auf der Stelle getan. Endlich erreichten sic Marseille, und mit einem Ans- druck des höchsten Entzückens betrat Madame wieder einmal den Boden ihres vielgeliebten Frankreichs. All' ihre gute La,me war wiedergekehrt, keine Spur des Aergers gegen Teresa mehr bemerkbar. Sie schien die Stadt ans das Genaueste zn kennen, denn sie ging geradenwegs ans das erste Hotel zn. ohne einen Führer in Anspruch zu nehmen, und machte auf dem Wege im Laden eines Friseurs die verschiedensten Einkäufe, um sich wieder halbwegs menschlich machen zn können, »nie sie Madge erklärte. „Wir wollen sofort essen und dann nach Paris fahren," sagte Madame. — „Nicht wahr, mein Schätzchen?" Und Madge nickte, ohne zu sprechen. Sie hätte ja dieses Weibes Gesellschaft nur zn gern schon jetzt aufgegeben, aber ohne sie wäre sie ja nicht im Stande gewesen, die Reise in die Heimat fortzusetzeu. Am Bahnhofe nahm Madame stürmisch Abschied von Teresa, die sie in der rührendsten Weise umarmte. „Addis Teresa," sagte sie. „Ich verzeihe Dir alles," Teresa ließ sich diese Umarmung ruhig gefallen, stieg aber dann ebenso ruhig in das Conpee. das Madge anSge- wählt hatte. „Ich fahre mit Ihnen nach Paris." sagte sie lachend, Madames wütendes Gesicht betrachtend. „Soll ich denn diese Spion», nie los werden?" brummte sie in sich hinein, mit einem unheilvollen Blick in ihren schwarzen Angen. - » anges" in Marseille erreichte Doktor Mortimer au Bord des Obstschiffes „La Sylphe" diesen Hafen und begann von, Augenblicke an. wo er ans Land trat, seine Nach- forschnngen nach Madge. Diese fielen ihn, auch nicht schwer, denn Madame war eine zn auffällige Erscheinung, um imbemerkt geblieben zu sein, und so verfolgte er leicht ,hre Spur von dem Hafen zum Hotel, von dort zum Bahn- Hof wo er erfuhr, daß sie Marseille verlassen habe, um nach Paris zn fahren. Dorthin eilte denn auch Mortimer mit dem nächsten Zuge, ohne aber in der Riesenstadt die (Fortsetzung folgt.)