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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.02.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-02-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930203021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893020302
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893020302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1893
-
Monat
1893-02
- Tag 1893-02-03
-
Monat
1893-02
-
Jahr
1893
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Daß diese Angelegenheit eine ticsgehende Bewegung im ganzen evangelischen Bott erzeugt bat, kann angesichts so massen hafter Kundgebungen nicht bestritten werde», und diese Tbat sache kann auch auf die Haltung deS Reichstags nicht ohne Wirkung bleiben. Es nähert sich allmäliz die Zeit, wo der Antrag deS EentrumS aus Abschaffung veS Iesuitengcsrtze« der Reibeufolge nach zur parlamentarischen Verhandlung kommen mutz. Wir mochten bezweifeln, ob den Antragstellern unter den gegenwärtigen kritischen Umständen diese Verhandlung be sonder» erwünscht ist. Vielleicht finden sic auch wieder einen Ausweg, di« Sach« zu verschieben und der parlamen tarischen Erörterung deS Gegenstandes bis aus Weitere» au» dem Wege zu geben. Es könnte der Partei sonst mancherlei Enttäuschung bereitet werden. Boi der tiefgehenden Erregung beö protestantischen Volke«, der man sich weder aus conservativer, noch aus freisinniger Seite wird entziehen können, dürste bei einer Abstimmung da« Ecntrum mit den Socialdemotraten allein bleiben, wa eine schwere Niederlage bedeuten würde. Wenn die Be- ratlmng de- Jesuitenantrags gar noch mit der Entscheidung über die MilitairvorlagrZusammenträfe. wäre eine neue Verwickelung in die politische Situation hineingebracht. Die politischen Reden, welche am Geburtstage de« Kaiser« von mehreren Generälen gehalten wurden, insbesondere die beunruhigende Ansprache de- General« von Schlapp in Köln, sind wie von uns so auch von anderen Blättern abfällig commentirt worden. Derb aber zutreffend schreibt die „Straßb. Post" zu diesem Thema: „Man nimmt e« im Allgemeinen den Generälen nicht übel, wenn sie bei solchen Gelegenheiten, wo sie als Redner öffentlich bewortreten und an den Patriotismus ihrer Zuhörer appelliren, elwa» mit den Sporen klirren und mit dem Sabel raffeln. Da« geschieht überall. Aber — e» ist in der Thai ein starte» „Aber" dabei! - die Sporen klirren und der Säbel raffelt immer nur im Londiiionalt», wenn man so sagen darf. „Hoffentlich wird un» der Fried« stet» erhalten bleiben: sollte aber einmal ein Krieg au-brechen, dann und so weiter und so weiter". Solch eine AuSsüh- rung nimmt man keinem General übel, sie gehören zu einer Generaltred«, wie die Orden zu einer General-uniform. General v Schkopp ober Hot diese Grenz« weit, weit, wett überschritten ... Wenn «in französischer oder ein russischer General mit dieier Bestimmtheit vom gewiß kommenden Kriege geiprochen dälte, so würden wir ihn getadelt haben. Wir können des halb auch dem deutschen General den Tadel nicht er sparen, sa, wir halten den Vorgang für ernst genug, um den Wunsch und die Erwartung anSzusprechen, e» möge da» Geeignete geschehen, um die Wiederkehr ähnlich«! b»daurrlich«r Kundgebungen unmöglich zu machen. Nicht ohn« Absicht und Borbrdacht sind uns«re gelammt«« staatlich«« Einrichtungen so gestaltet, um da» Heer von der Politik fern zu halten. Das ganze Heer, auch der Ofsicier bi» hinaus zum FcldmarichaU. Der Osficier soll eben nur Officier. nicht-, gar nicht- Andere» sein. Darau» müssen alle ohne Unterschieü dir nolhwendtgrn Lonsequenzen ziehen. Lin Kaisertoast, durch einen Benerol auSgebracht, kann gar nicht knapp und kurz genug sein. Moltk«, Waldersre'S Borgänger in der Leitung de- Großen Btneralslabe«, nicht im Halten von Trinksprttchrn, pslegte beim Festmahl an Kaiser» Geburtstag zu sagen: „Seine Majestät der »aiser und König lebe hoch", und Feldmarschall Manteuffel jagte regelmäßig: „Seine Majestät unser allergnädigster Kaiser und Herr soll leben I" Da« stad elassi che Muster für Generalsreden. Tie Muster Wolderste und Schkopp aber bitten wir mit der deutlichen Ueberschrist „Für Deutschland ungeeignet" zu versehen und außer Eur» zu setzen. Für militainsche prouuuciamievtoa haben wir hier keinen Sinn." Auch in RegierunaSkreiscn scheinen gleiche Zweifel an die Zulässigkeil derartiger militairischer Kundgebungen auszu- lauchcn. Wenigsten« hält man e« für nolhwendig, rsficiöS zu versichern, daß die Annabmr, als ob die militairischen Fest redner, welche die Militairvorlaze streiften, „hierzu von einer bestimmten Stelle au« veranlaßt worben seien", haltlos ist. So hat denn Italien in Wirklichkeit sein Panamino. Bisher batte der italienische Bankenscandal mit dem Panama scantal nur eine sehr geringe Acbnlickkeit, eS fehlte ibi», von allem Anderen ganz argeseven, der bestimmte Eharakterzug der Vorgänge in Paris, die Verwickelung de« aesammten Parlamentarismus mit den unsaubere» Machenschaften. Dir erste über allgemeine Verdächtigungen binau-gebende be stimmte Angabe in dieser Richtung brachte der Neapeler „Matlino", der behauptete, einige Mitglieder deS Parla mentsausschusses von 1891 zur Beratbung der Vorlage wegen Verlängerung deS BankprivilegS seien von der Danca Romana mit 30 000 Lire bestochen worden. Alsbald erbebe» einige Mitglieder jenes Ausschusses die gerichtliche Klage gegen da« Blatt, und noch in der MvntagSsitzung der Kammer erklärte Herr Giolitti, keinerlei Kenntniß von der vom „Mattino" bebaupteten Tbatsache zu besitzen. Achtundvierzig Stunden später lag der Kammer da« Ansuchen deS Justiz- minister« um Ermächtigung zur gerichtlichen Verfolgung de« Abg. de Zerbi vor, der nach den bei dem Bankdircetor Tanlango deschlagnabmien Papieren vrrdächlig erscheine, in den Jahren 1888 bis t8v> den Betrag von 400 000 Lire von der Banca Romana empfangen zu haben; e« habe den Anschein, daß zwischen diesen Zahlungen und den parlamen tarischen Verhandlungen über da« Bankgrseh rin unmittelbarer Zusammenhang bestehe. In diesem Sinne habe sich insbesondere der verhaftete Lazzaroni ausgesprochen, wogegen sreitickTanlonao sich dahin geäußert bade, de Zerbi habe da« Geld für Prcß- zwecke und für Reisen bebuss Bearbeitung der öffentlichen Meinung erhalten. De Zerbi selbst leugnet die ihm zuge- sckriebenr Schuld und versichert, sein Gewissen sei rein. Er hat sich am 28. Januar unter jenen t54 Abgeordneten befunden, die auf die Einleitung einer parlamentarischen Untersuchung drangen und gegen den VrrtagungSantrag Giolitti'« stimmten. Unverkennbar hat da« Eabinrt Giolitti mit dem LKrfolaung«- antraa gegen de Zerbi einen sehr geschickten, nach mehr als einer Richtung hin wirksamen Schachzug aethan. ES muß da« öffentlich« Vertrauen in den Willen deS Ministerium«, strenge Musterung unter de» Banksündern jeder Art zu Hallen, beträchtlich erhöhen, daß eS keinen Augenblick zögerte, gegen einen bochangesehenen Politiker wie de Zerr, vomugehen, sobald ein ernster Verdacht sich gegen ihn ergab. Dabei kann e» dem Eabinrt nur zu Statten kommen, daß diese« erste parlamentarische Opfer den Reihen der Opposition, der Reckten, entstammt; das ist ein Schlag für den Marchese di Rudini, den er so leicht nickt verwinden dürfte, auch wenn ein lückenloser Beweis für die Schuld de Zerbi'« nickt erbracht werden könnte, und auch wenn im weiteren Lause der Dinge einzelne Angehörige der derzeitigen Regierungs mehrheit bloßgestellt werden sollten. An, scharsstcn wird der Name des ersten Beschuldigten im öffentlichen Gedächtniß hasten. Der bei Gelegenheit der Anwesenheit deS russischen Thron folger« in Berlin vom deutschen Kaiser auf den Zaren au-gebrachte Trinkspruch ist nach wie vor in der russischen Preise Gegenstand der ernstesten Aufmerksamkeit. Der „Sswct" bringt in seiner Nummer vom 31. Januar den Wortlaut de« Toastes in russischer Ucbersetzung und fügt demselben folgende Betrachtung hinzu, die deutlich zeigt, daß eS den russischen Journalisten gegen den Strich geht, wenn sick Aus sichten zu einer friedlichen Verständigung zwischen Rußland und Dcnkschlanr eröffnen: „Tiefe temperamentvolle Rete de« deutschen Kaisers", so sagt der „Sswet", „bat überall einen starken Eindruck gemacht. AuS der Rede vernimmt man die bohe Ehrfurcht gegen die Person unsere« Kaisers, aber da« ist sehr natürlich, und in den letzten zwölf Jahren ist in ganz Europa die bohe Achtung gegen den erlauchten Fllbrer Rußland« zur Gewohn heit geworden. Die Erinnerung daran, daß eS eine Zeit gegeben bat. wo russische und preußische Regimenter >br Blut gegen die Franzosen vergossen baden, bringt die Dissonanz in den Vordergrund, welche zwischen die Rede des Kaiser- Wilhelm und der gegenwärtige» Lage der Dinge in Europa, die er übrigens selbst hervorgerusen bat, gehört wird. Jetzt stehen wir in den besten Be ziehungen z» Frankreich, und e« ist kaum möglich, von russische» Monarchen zu sagen, daß sic die Träger der Tra ditionen nur einer beliebigen bistorischc» Epoche wären. Die russischen Selbstherrscher tragen vor Allem die Fahne ihre» eigenen russische» Volkes doch Die Geschichte ist wechselnd. Die Gruppirung der SlaalSbündnisse ist eine verschiedene. Wen» in den Jahren 1800. 1807, l8l3 bis 1815 die russische» Truppen Brust an Brust mit de» Preußen sür die gemeinsame Sacke fochten, so Lars man nicht vergessen, daß 50 Jahre vorher Rußland mit Frankreich verbündet war und gegen Preuße» lämpftc Aber auch da« jetzt hergestellte russisch-sranzösijche Emverständiiiß ist nur ein defensiver Schritt gegen die drohende» Bestrebungen de- Dreibundes, a» dessen Spitze Preußen slcbt, der bis zu diesem Tage ezistirt und durch di glänzende Improvisation de« deutsche» Kaiser« nicht in Trümmer gegangen ist." Es ist der alte Kunstknisi, den Dreibund als de» Friedensstörer binzustellen, wäbrcnd er dock nur gegründet worden ist, um den Gelüsten der Franzosen nach Revanche, wobei sie leider seither von Rußland unter stützt wurden, die Spitze zu dielen. Betreff- der Instructionen de« englischen Special- gesandlen für Marokko verlautet, Sir I. West Rid- geway sei beauftragt, dem Herrscher von Marokko zu er klären. daß England nicht nur keinerlei wie immer gearteten Aufchlag gegen die territoriale Integrität und gegen die Unabhängigkeit Marokko« im Schilde sübre, sondern gegebenen falls sogar zum Schutze de- marokkanischen ^tnt»^ <>uc> gegen etwaige BeeinträchligungSversuchc anderer europäischer Mächte bereit sei. Die Dauer der Ibätigkeit Sir I. West Ridgcway's in Marokko dürfte sich auf etwa ein halbes Jahr erstrecken. Die hawaiische Angelegenheit beschäftigt die Ame rikaner auf da« Lebhafteste. Der Minister des Auswärtigen, Foster, welcher sich in diesen Tagen »ach Paris begeben wollte, um tcn Sitzungen de? BeringSmecr-Schiedsgerichtes beizu- wobnen, hat in Folge der Veigänge aus Hawaii seine Ab reise verschoben. Der ^New-sstork Herald" sagt, die Regie rung und der Senat seien einer Annckion der Inselgruppe geneigt, das Repräsentantenhaus aber würde sich einem solchen Beschluß widcrsetzen, und eS sei vahsr eine rasche Entscheidung nicht zu erwarten. An der Börse zu Ncw-?)ork stiegen auf die Kunde von den Ereignissen in Honolulu die Hawaiischen Werthe von 10 EentS auf 5 Dollar-. Einzelne Blätter stellen das Pro gramm auf, daß, um vollständig zu sein, die Vereinigten Staaten jedenfalls noch Hawaii, Eanada und Euba mit der Zeit sich cinverlcibcn müßten. ErstcreS sei ein Vorposten gegen Australien und die Inselwelt der Sütsce, wo die Ver einigten Staaten bedeutende Interessen, tbeilweise allerdings zukünftiger Art, zu wahren hätten. UeberdieS bilde die Insel gruppe ein Gegengewicht gegen die britische Kohlenstalion ESgui- malt an der Südküste der Vancouverinscl. Wollte die Regie rung die Inselgruppe de» Engländern überlassen, so würde Sa» Francisco aus eigene Faust die Aiinezioii übernehmen.— England bat in 'Washington gegen etwaige Aiinezioiiö- absichlen noch keine» Einspruch erhoben. Bis fetzt vernimmt man auch noch nichts davon, daß englische Kriegsschiffe »ach tcn Sandwichsinseln beordert worden sind. Rur sür de» Kreuzer „Garnet", welcher bereit« am 7. Januar von Acapiilco an der mepikanischcn Küste nach Honolulu ab- gegangcn war, und welcher unter normale» Verhältnissen am 21. oder einem der auf diesen folgenden Tage dort angckommcii sein dürste, sind Verhaltungsmaßregeln nach Honolulu abgcgangen. Deutsches Reich. lü Berlin, 2. Februar. Die anarchistische Ver sammlung^, welche gestern Abend im Kaisersaale teö Buggen- bagen'schen Etablissement« am Moritzplatz abgcbaltc» worden ist, lieferte den Beweis, daß sick die Anarchisten hier im WachStbuin befinden und de» Socialdcmokrate» und Unab hängige» Terrain ahgcwoniic» haben Die Versammlung, in der sich 700—800 Mensche» befunden baden, bestand z» aus Anarchisten und zu aus Soeialdcmokrale»; Unab hängige wäre» nicht anwesend. Wir sahen auch zahl reiche Arbeiter-Frauen in reiferem Alter und junge Mädchen, die von ihren Bräutigams mitgenommen worden waren. Die Tagesordnung lautete: „Die Anarchisten i» Berlin trotz alledem". „Die Todfeinde dcS Anarchis mus", die Socialdcmokratc», waren besonder« cingeladcii worden. Von anarchistischer Seile sprachen »liiitcstcnü l 5 Redner, Jünglinge und ältere Männer, die früher der socialdemokratischeii Partei angcbört hatten, während als Vertreter der Socialdemokratic fast nur Jünglinge aus- tratcn. Die Hanptredner, die bekannten Anarchisten Sattler Börner, Eigarre»i»achcr Witzkc, Schlosser Pawlowitsch u A. griffen die socialdcmokratischc» Führer, insbesondere Lieb knecht, Singer und Bebel, der sich selbst schon „als König der Arbeiter" bezeichnet babc, deftig an und erklärten sie nicht mehr würdig, sich Revolutionairc und Arbeitervertreter zu »eiinen. Ter socialtcmokratiscbe Staat werde ein ZwangSstaat sei», in dem die Arbeiter ein kolossale« Heer von Aufsehern und Beamte» würde» ernähren muffen. Bevor nicht ein Ansschcr fcstgestcllt, daß der Arbeiter sein Pciisum geleistet, werde letzterer nicht zur „Futterkrippe" zugelasscn werden. Nur die Anarchistc» erstrebten die Freiheit de« Individuums. Der Mensch sei vo» Geburt gut und edel Jeder werde als „freier Anarchist" gern arbeite». Die- wurde vom Anarchisten Pawlowitsch nicht zugegeben, der vielmehr erklärte, wer dann nicht arbeiten wolle, brauche nicht, am Notb- wendigcn würde cs ibm dennoch nickt mangeln! Wenn man >n der Gegenwart einem ArbcilSiinlnstigen, statt ib» zu bestrafen und euizusperrcii, was viel Geldkostc» ver ursache, diese« Geld zu seinem Unterhalt zahlen würde, da»» käme der Slaal ebenso gut weg! Die socialdemo kratischcn Redner waren de» anarchistischen entschieden nicht gewachsen, IvcSbalb sie auch bedauerten, daß keiner ihrer Führer erschienen sei Von anarchistischer Seite wurde ihnen erwidert, sic seien zu feig, sich eine Nieder lage zu holen. Wenn auch die Rede» einiger Anarchisten ausrcizend gewirkt baden können, so ließ sich doch aus dem Gcsammtciiitrnck folgern, daß keine Neigung vorhanden sein dürste, die „Propaganda der Tkat", wie sie noch neuerdings im AuSlandc stattgefunden, in Denischland nachzuabmcn. Gegen l Uhr wurde die Versammlung geschlossen. Ansamm- lungcn auf der Slraßc verhinderte die zahlreich ausgcbotcne Schuyniannschast. — In der socialdemokra tischen Genosse»sch aftSbäckerci sind schon wieder erhebliche Unregelmäßigkeiten vorgckommcn, weshalb der AufsichlSralh Feuilleton. Werben und Freien am Hopatcong. Eine verteufelt naturgetreue Studie au» dem amerikanischen Htnterwald. 8j Bon Philipp Berges. »I.chdruS »erdete». (Fortsetzung.) NI. Die Nacht war herabzesunkcn, und am Himmel funkelten die goldenen Sterne. Weit drüben in der Ferne sangen die Wasser de« Hopatcong ibre eintönigen Weisen, uralte Schlummerlieder, den Indianern abgelauscht, die nun längst deimgekebrt sind in die seligen Jagdacfiloe ihrer Väter, oder al» l'ngirrende Seelen über die Geisterstraße ziehen, doch oben durch den bläulich-düsteren HinimelSdom, aus jener gießen, von Geistern wimmelnden Brücke, die von den Bleich gesichtern „Milchstraße" genannt wird. In den Echilswälkern, die sich tbauschwer, nickend und flüsternd wie im Schlummer, gegen die Wasserfläche neigten, seufzte der Nachtwind; ab mir zu erscholl caS klagende Flöte» eine« einsamen Wasser- Huhne«. Hier oben aber, an der Landstraße, war Alle« still. In tiefer Ruhe lag da- Farmbau- de» sebr achtbaren Jonathan KmibaUS. Längst batte der Würdige die Flinte im Arm, ten letzten Rundganz um seine engere Besitzung beendet, und nun schlief er ohne Zweifel schon längst den Schlaf deS Ge rechten, mit ihm der Zartfuß au« dem Osten und da« ganze HauSzesinde bis auf Eine. Betlv wackle. In ein Licke», graue« Tuck einzehüllt, stand sie auf dem verabredeten Platze hinter der Hecke und wartete auf ihren Liebbaber. Uur sie wartete nickt umsonst. Punct zwölf Ubr erschien rin kleine» Gesäbrt an der Hecke, und eine bcblc Stimme sragie a«S den Lüsten berab: „Bist Tu da, Betty bö — krrrr — Lb bist Du da?" — „Hier bin ich", flüsterte sie und kletterte lcicklsüßig aus den Wagen, um sich von dem verliebten Strichmcnschen umarmen und küssen zu lassen Dann setzte sich da« Gesäbrt wieder in Bewegung und rollte eilig die Landstraße entlang, die sich bald dem Ceeufer »äherte, bald von ibm entfernte und den weiten dunkel glitzernden Spiegel endlich ganz dinier sich ließ, um hllgel- auswärtS durch die wogenden MaiSselder ihren Laus sort- zuseyen. Nach einigen Stunden, es mochte nahezu drei Uhr sein, und schon dämmerten am östlichen Horizont violette Streifen, die Vorboten de- jungen Tage«, hielt das Gefährt vor dem letzten Hause des Dorfes Shetby, der Wohnung de« Friedens richters. Ohne Säuuien kletterte Abraham vom Wage» zur Erde, näherte sich dem Hause und begann an der Thür einen gelinden Generalmarsch zu trommeln. Zwar bcmüklc sich Acrabai», so saust wie möglich zu klopfen, aber seine Ricsenfäuste ließen sich aus solchen Humbug nicht ein und schienen gewillt, ihrem Umfang Ehre zu macken da» ganze Hau- wackelte. Ob nun der erschreckte Friedensrichter aus dem Bette gefallen oder in der Meinung, e« brenne, mit beiden Füßen zugleich aus seinem Schlaskastrn heraus gesprungen war, da« wird Wohl ewig ein Gebeimniß bleibe», Tbatsache ist nur, daß in den oberen Räumen ein Gepolter entstand, worauf sich drei Fenster zugleich öffneten unv drei Köpfe erschienen — zwei weibliche und ein männlicher. Ter Letztere, ein von weißen Haaren um rahmtes, ehrwürdige« Haupt, war persönliche« Eigenthum Seiner Ehren deS Friedensrichter«. „Seid Ihr toll?" schrie der Letztere. „Welcher Narr da unten auck steht, er möge sagen, wa« ibm den Kops verderbt, bier in nachtschlafender Zeit mit seinen Fäusten gegen die Tkllr zu trampeln! Heb?" „Seid Ihr«, Richter?" fragte Abraham statt aller Antwort. „Ja, ick bin'S — Hieram Samuel Morton, seit zwei Tagen Friedensrichter in Sbclby, Broom Eounty Da« soll'«?" „Kommt schleunigst herunter, Euer Ebren", rief Abrabam nun, „Ihr »ilißt mir sofort die- Mädel hier antrauen. Wir sind anSgekrayt, und kein Augenblick Zeit ist zu verlieren " „Wollt Jdr nickt warte» bi« deute Nachmittag? Jbr müßt jetzt, so lange e« Nackt ist, doppelte Gebühren zahlen. Wißt Jbr Da«? „Wenn « sein muß, zable ick sogar dreifache Gebübre», Richter. Aber trauen müßt Jbr uns jetzt auf jeden Fall, sonst sabrcn wir weiter, nach Lakcville binüber, und suchen uns einen Priester." „Nun denn, ich komme schon." ,.>!> riglit. 8ir!" Tie drei Fenster schloffen sich, und Abrabam stieg wieder auf den Wagen, um neben der Geliebten Platz zu nehmen. Oben begann der alte, oder vielmebr der neue Friedens richter sich mit Hilfe von Frau und Magd (ihnen gehörte» die beiden Köpfe) »1 großer Verlrgcnbeit anzukleide». Er war erst seit zwei Tagen Friedensrichter und batte keine Ahnung davon, wie man eine Trauung vornimmt. Sein ganze« Leben hatte er ehrlich und arbeitsam als Bauer auf dem Lande verbracht, und nur die Liebe seiner Nachbar» war eS. die ibn ans den Ehrenposten des Friedensrichter« erhoben hatte. WaS thun! Zwar wußte er, wie man mit ibm selbst verfahren war, a>« er sich verkeiratbctc — da- war nämlich in der Kirche gewesen, denn damals ging eS noch nicht obne Priester aber beute war ja Alle« neumodisch geworden, und a»S einer Trauung wurde eine GcrichtSverbantlnng ge- macht. Nun war Mr. Hiram Samuel Morton zwar Richter, allein von Gerichtsverhandlungen verstand er nicht mebr al« ein Kaffer von der Malbematik. Er batte vor vielen Jahren in New - sssork einmal einer SchwurgerichtSsiyung beigewobnt, die damals einen großen Eindruck aus ibn machte — weiter war er in seinem Studium von Recht und Rechtsprechung oder in seine» Kenntnissen von richterlichen Functionen nicht gekommen Kein Wunder also, daß Mr. Morton sich in Verlegenbeil befand. Jin Nu war er angekleiket und stand der fürchterliche» Ealamiläl. welche die erste Trauung ibm bereiten würde, von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Unten begann der ungeduldig werdende Abrabam auf« Neue mit de» Fäusten gegen die Tbür zu schlagen »nd i» allen Tonarten den Richter um Eile anzusichen. WaS war zu thun? Ter Richter raffle sich auf. Da er keine Zeit finden konnte, die Gesetzbücher über den vorliegenden Fall zu consultircn, so beschloß er denn, seine in der Schwur» aerichissitziing gesammelten Kenntnisse zu verwcrtben und eine Gerichtsverhandlung — obne eine solche konnte Seine Ebren nun leider eine richterliche Trauung sich nickt denken! — zu veranstalten, di« wenigstens an Vollständigkeit und Würde Nichts zu wünschen übrig lasse» sollte, wenn sic iui klebrigen vielleicht auck nicht in allen Puucten mit den Gesetzen im Einklang stand. Mit diesen Gedanken erschien der Richter vor der Thür, begrüßte das Brautpaar mit ernster Würde und wies ibm einen Platz im geräumigen Hofe biiiter dem Hause an. Seine Ebren selber eilte wieder fort und trommelte die Nachbar» zusammen, die ihrerseits wieder andere Nachbarn berbeikelten, so daß sich binnen einer Viertelstunde alle wasien- sähigeii Männer des Orte«, vicriindvicrzig an der Zabl. um de» Richter versammelt batte». Auch anderes Volk strömte berbei: Frauen mit »ngetämmten Haaren, junge Burschen und Mädchen und Kinder, »nd diese ganze Horde, fast die gesainmte Bevölkerung des Ortes, begab sich in den Hof des Friedensrichters, um der Dinge zu darren, die da kommen sollte». Besonder- die Frauen und Mädchen drängten sich vor — schnell hatte sich das Gerückt unter ihnen ver breitet, eS handle sick »1» eine »cuiiiodisckc Trauung; der neue Richter, da- sab man ja an seinem Gebabren, würde tcn Act ganz anders und viel feierlicher gestalten, als alle seine Vorgänger. Der Richter selbst batte alle Hände voll zu tbun. Zu nächst wäblte er mit Hilfe einiger Vcrtrauciismänncr zwölf Geschworene aus — er selbst »abm ihnen an Eike« Statt einen Handschlag ab, nach bestem Wissen »nd Gewissen zu richten — da« war die Jur« Sie fand an der Seite deS HoscS aus einer langen Bank Platz. Recht« wurde ein Mann, seine« Zeichen- ein Lohgerber, placirl, den der Richter mit der Wahrnehmung der Interessen des Staate« betraute — das war der Staateanwalt. Zur Linken saß der OrtS- schreiber, der in seinem Sinne dachte, der alte Richter sei verrückt geworden, aber sich Nicht« zu sagen getraute, aus Furcht, seine Stellung z» verlieren — das war der Ve>- tbcidiger. In der Mitte des Hose« endlich aus eine kleine Bank hieß man den iinglücklichcn Abraham sich niedcrscycn, denn er. er war ja der Angcllagte. Wofür, oder al« Wa der Rickter die erstaunte Beity ansab, ob als k'nrfni-c ckolieli, oder etwas AcbnlicheS, muß einstweilen dahingestellt bleiben — er ordnete a», daß sie von Abrabam geschieden werde und sick, neben den Staatsanwalt »nd Lohgerber hinsctze. Abrabam scwobl als Betty machten böchst erstaunte Gesichter — — so schwer batten sie sich eine richterliche Trauung nickt gedacht. Ganz vorn, der ganzen Versammlung gegenüber, saß der Rickter (er saß aus einer umgcstülptcn Honne>, »nd aus der ankern Seile dcS Hofe- stand das Volk, die Bursck cn, Frauen, Mädchen und Kinder. (Schluß folgt.)
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