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Wöchentlich erscheint» drei Rümmer». Pränumeration«. Preis 22; Sqr. (- -Wr.) viertetjädrtich, 3 THIr. sür da« ganze Jahr, ohne Er- dShung, in allen Theile» Ler Preußischen Monarchie. Magazin für die Man »rännmerirt auf dieses Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der AUg. Pr. StaatS-Jeitung (Fridrich-Nr. Nr. 72); i» der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohlldbl. Post - ilemtern. Literatur des Auslandes. 34. Berlin, Montag den 4. Mai L84O. Frankreich. Die gefährlichen Klassen der Bevölkerung in Hauptstädten. Unter diesem Titel hat Herr Fregicr in Paris ein Werk in zwei Bänden hcrausgcgcben, bas auf den Grund seiner früher erschienenen Prcisschrift über dieselbe Materie abgcfaßt ist. Die Gegenstände, von welchen er handelt, gehören zu denen, welche die Aufmerksamkeit einer Negierung vorzugsweise beschäftigen müssen; ihre Erforschung aber ist eher Sache des Philanthropen und Philo sophen, als des Gesetzgebers schlechthin. Zu den gefährlichen Menschen in der Gesellschaft gehören Nicht bloß solche, deren Namen in den Archiven der Kriminal-Gerichte fignrircn, oder deren zwcidcnngc Lebensweise die Aufmerksamkeit der Polizei auf sie gelenkt hat; son- vcrn alle diejenigen, welche durch irgend eine lasterhafte Gewohnheit ober durch vas vielgestaltige Elend volkreicher Städte mit jenen befreundet oder ihnen benachbart sind. Die offen liegenden verbreche rischen Handlungen, von denen allein das Gesetz Kcuntniß nehmen kann, sind nur sehr unvollkommene Repräsentanten der Masse des Lasters, aus der sie hcrvorgegangcn; und während der Gesetzgeber, gleich dem Chirurgen, bei den krankhaften Symptomen, die sich nach Außen hin kundgcbcn, stehen bleibt, ist es das Geschäft des Mora listen, wie das des Phpstologcn, die innere Wesenheit des Uebels zu stubire», nm auf diesem Wege seine verborgenen Ursachen und Be dingungen zu entdecken. In großen Städten sind Armuth und Verbrechen so vielfältig mit einander verwebt, daß man unaufhörlich eines mit dem anderen verwechselt, und die Elemente des Lasters sind mit dem ganzen Seyn der Gesellschaft so innig verflochten, daß ein System ihrer Be kämpfung, wenn es wirklich sich erfinden ließe, in keinem Staate, der auch nur einen Schatte» von bürgerlicher Freiheit hat, zur An wendung kommen könnte. Die Gesellschaft macht ans groben Ver breche» ihrer Mitglieder kein Hehl und opfert so viel von ihrer Unverletzlichkeit, daß sie die Gesetze ermächtigt, diesen Verbrechen in jedem Schlupfwinkel nachzuforschc». Um aber jedes Laster in seinen mannigfachen Verstecken auSzuspurcn, bedürfte man einer Inquisition, die ganz unerträglich wäre. Die heutigen Ergebnisse aller philan thropischen Untersuchungen dieser Art müssen also gleicher Natur sepn, wie die früheren: Ein verbessertes System der Erziehung des großen HaufcnS"— sorgfältigere Ausbildung dcS sittlichen Gefühls — innigere Sympathie zwischen den verschiedenen Klassen der Ge sellschaft — größere Wachsamkeit jeder dieser Klaffen über diejenige, die ihr unmittelbar untergeordnet ist — dieses sind die einzigen Heilmittel, wodurch man dem Uebel auf den Grund kommen und überall begegnen kann. Untersuchungen, wie die des Herrn Frögier, welche unö eine Statistik dcS Verbrechens geben und den lasterhaften Theil der Gesellschaft gleichsam in seine Elemente auflösen, sind aber sehr wichtig und wenhvoll, weil sie die Gesellschaft in den Stand setzen, alle Heilmittel solcher Art leichter und allgemeiner anzuwrn- den. Seine Stellung als Büreau-Ehcf in der Präfektur der Seme kam ihm bei der Verfolgung des Gegenstandes sehr zu Statten: um allen Details die gewünschte Vollendung zu geben, besuchte er die Schenken und Splelhäuscr, die Sackgassen und Herbergen, die Ge fängnisse, Hospitäler und Werkstätten, die Schlupfwinkel deö Lasters und die Orte, wo der Arme Obdach sucht. Die Statistik der Bcr« brechcn in Paris ist hinsichtlich der Elemente des Lasters und ihrer Beziehungen die nämliche, wie in anderen großen Hauptstädten — dieselben Ursachen veranlassen ja im Ganzen dieselben Wirkungen — doch bemerkt man auch gewisse eigcnthümliche nationale Phasen des Lasters, und aus diese werden wir u»S in den Auszügen beschränken, die wir dem gehaltreichen Werke entlehnen wollen. Ehe wir jedoch die tragischen Partieen des Gemäldes aufrollc», müssen wir ein Resultat der Forschungen des Herrn Fregier, das gewiß jedem Menschenfreunde wohlthucnd ist, namhaft machen. Herr Fr<-gicr gesteht den arbeitenden Klassen solche Eigenschaften zu, die das Gelingen jeder ihre sittliche Veredlung erstrebenden Bemühung verbürgen müssen, wenn der Menschenfreund'eben so klug als eifrig und edelmüthig zu Werke geht. Lassen wir ihn selbst das Wort nehmen. „Wer nur irgend mit vorurtheklsfrcicm Sinne", sagt er, „die Sitten der handarbcitcndcn Klassen studirt hat, dem kann cs auch nicht entgangen seyn„ daß man bei diesen Leuten Viole Beispiele echter Tugend findet. Der Handarbeiter ist im Durchschnitt offcn- herzig, gntmüthig, hülfreich und oft wahrer Hingebung fähig. Zn solchen Stadtvierteln, deren Bevölkerung hauptsächlich Gewerbe treibt, leisten Handwerker, die nur einigermaßen bemittelt sind, mcht bloß ihren kranken Kameraden, sondern überhaupt allen ihren Hausge nossen und befreundeten Nachbarn aus freiem uneigennützigen An trieb Hülfe. Sie legen einen Theil ihres Arbeitslohns sür solche Zwecke zurück und übernehmen auch wohl die Arbeit eines kranken Kameraden neben ihrer eigenen, damit ihm der Lohn bis zu seiner Herstellung nicht entgehe. Zst der Kranke gezwungen, sich ins Hospital bringen zu lassen, so besucht ihn an dcmsctbc» Tage ein Ausschuß seiner Kameraden und bietet ihm Geld an für die Pflege, die er zu erwarten hat. Kommt er wicdcb zu Kräften, so machen sic sich ein Geschäft daraus, für ihn Arbeit zu suche«, und veranstal te» eine Kollekte, damit er in den ersten vierzehn Tage» keine Noth leide. Ihre Sorgfalt verläßt ihn nicht einmal bei seinen Thorhcitcn und Verbrechen. Zur ersteren Falle ermahnen sie ihn mit freund lichen Worten, mehr Herrschaft über sich selbst zu gewinnen; im anderen Falle besuchen sie ihn in: Gcfängniß unv reichen ihm Unter stützungen. Das Bcrhältniß zwischen den Tagelöhnern und den Fahrikberrc» ist zwar leider nur ausnahmsweise auf gegenseitige Achtung und guten Wille» gegründet; wen» aber der Fabrikherr durch gerechte, u»d menschliche Behandlung die Zuneigung seiner Arbeiter zu gewinne» strebt, so sind sie in löblichem Wetteifer dafür thätig, daß die Anstalt blühend bleibe." Diese Eigenschaften sind das echte Salz der Gesellschaft in ihrer sonstigen Fäulniß unv Verderbtheit; diese Tugenden sollte der Gesetz geber, wenn er zugleich ein aufgeklärter Menschenfreund ist, auf alle Weise zu entwickeln suchen, damit sein Wirke» auch da segensreich werde, wohin der Arm des Gesetzes nicht zu dringen vermag. Zu Beziehung hierauf sagt der Dcrf. weiter: „Nach der bestehenden Verfassung der Gesellschaft in der ganzen civilisirten Welt habe» peinliche Gesetze nnr de» ausschließliche» Zweck, solchen Handlungen entgegen zu arbeiten, die entweder denk Gcsammt-Zntcrcsse des Gemeinwesens ooer Pein besondere» Interesse der Individuen, die »nm Gemeinwesen gehören, nachthclllg sind. Wo eine wirkliche (substantielle) Beleidigung oder Beeinträchtigung nicht statlstnvct, da tritt auch die Kriminal-Justiz nicht in Wirksam keit; und hier zeigt sich die DcmareationS-Lime zwischen den Ge bieten der Justiz und denen der Moral. Obgleich aber die Gesetz gebung nur solche Handlungen im Auge hat, Vic bei jeder Nation sür Verbrechen erklärt werden, so ist cs doch nicht minder wahr- daß Handlungen dieser Art auS einer moralischen Schlaffheit oder Entartung entspringen, Vie kein Gesetzbuch erreichen kann. Diese Betrachtung lehrt uns, wie sehr ein kluger Staatsmann über die sittliche Veredlung des Landes wachen müsse, das seiner Obhut an- vertraut ist. Da aber die Moral noch strengere Anforderungen an den Menschen macht, als die Gesetze, so wird sic auch immer der kräftigste Pfeiler der gesellschaftlichen Ordnung bleiben." Herr Ftögicr hat seinen Stoff unter vier Rubriken vcrtheilt. In der ersten sucht er eine» numerischen AnSbruck füv das von ihn» sogenannte Kontingent, welches vic handarbcitendcn Klassen und die höheren Stände zu den verschiedenen Katcgvricen der eigentlich so genannten Lasterhafte» und der gefährlichen Menschen im Allgemeinen veisteuern; sodann vcrtheilt er diese wieder in ihre resvcktiven Untcr- Ab^heilungen und gicbt ugS eine tabellarische Darstellung der ver schiedenen Gewerke, aut welcher die Summen ihrer respektive» Laster- Kontingente verzeichnet sind. Die zweite Abtheilung seines Werkes enthält eine Beschreibung der Sitten, Gewohnheiten und Lebensweise jeder einzelne» Klasse. Dic'drittc AbthcilUng handelt von den vor beugenden Maßregeln, die uian »»wenden sollw; »nd die vierte ist einer Betrachtung der wirksamsten moralische» Heilmittel gewidmet. Besonderes 'Interesse für Ausländer hat Vie zweite Abtheilung. Eine merkwürdige Gattung unter den zahlreichen gefährlichen Klassen vcs Volkes in Paris sind dib Lumpensammler (ehitkunnio»). Man zäbkt ihrer in Allem lOOO Individuen, von denen der Vcr- fasscr die eine Hälfte unbedenklich für moralisch nichtswürdig erklärt, Diese Leute sind die wahrcn Paria'S der Gesellschaft- mit der sie kaum durch das dünnste Band zusammnchängcn. „Die Ausdehnung", sagt der Vers., „welche der Handel von Paris in den letzten dreißig Fahren erhalten, hat dem Gewerbe des Lumpensammlers cinc gewisse Bedeutung gegeben, obschon cs auf der Leiter der Indnstrie die niedrigste Dtasscl cinnimmt. Männer, Weiber nnv Kinder können dieses Handwerk treiben, das keine Lehr zeit erfordert unv dessen Werkzeuge eben so einfach sino, wie die Arbcii, vcc mit denselben gechan wird. Ein Hakcnstock, ein Korb