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DU „Weißeritz - Zeitung" erscheint wöchentlich drei mal: Dienstag, Donners tag und Sonnabend. — Preis vierteljiihrlich 1 M. 26 Pfg., zweimonatlich 84 Pfg-, einmonatlich 42 Pfg. Einzelne Nummer« 1V Pfg. — Alle Postan- stalten, Postboten, sowie j>ie Agenten nehmen Br- Mchmtz-IkitW Amtsblatt bedeutrnom Auflage det Blatte- eine schr wirk same Verbreitung, finden, »erden mit 10 Pfg. di« Spaltenzeile oder oeren Raum berechnet. — Ta bellarisch« und complicirt« Inserate mit entsprechen dem Aufschlag. — Einge sandt, im reoaktionellen Theile, die Spaltenzeil« 20 Pfg. für die Königliche Umtshauptmannschast Dippoldiswalde, sowie für die Königlichen Amtsgerichte und die Stadträthe zu Dippoldiswalde und Irauenstein Verantwortlicher Redacteur: Daul Ithnt in Dippoldiswalde. Nr. 121. Eine unerwartete Schwenkung in der bulgarischen Frage. Als Maßstab für die Beurtheilung der bulgarischen Frage galt bisher neben den betreffenden Bestimmungen des Berliner Vertrags die Rücksicht auf die Haltung Rußlands. Die übrigen Großmächte, zumal Oester reich und England, sind zwar nicht in der Lage, die bulgarische Frage im Sinne der Orientpolitik zu lösen, aber sie würden doch nicht zögern, einem Abkommen ihre Zustimmung zu geben, welches den russischen Ein fluß in Bulgarien legal begrenzte und den Frieden auf der Balkanhalbinsel förderte. Da Rußland hier über noch in einer durchaus ablehnenden Haltung ver harrt und mit den gegenwärtigen Machthabern in Bul garien nichts zu schaffen haben will, so lehnen die übrigen Großmächte ein näheres Eingehen auf die bulgarische Frage auch einstweilen ab, denn wollten Oesterreich und England die endgiltige Lösung der bulgarischen Frage betreiben, so könnte dies Bestreben sehr leicht zu einer europäischen Krisis mit nachfolgen dem Weltkriege führen. Einen solchen wegen der bulgarischen Händel entbrennen zu lassen, hat aber in Europa keine Negierung Lust, denn jede weiß wohl, wie sie in einen Weltkrieg hineinzieht, sie weiß aber nicht, wie sie aus einem solchen herauskommen wird. Diesem großen Gesichtspunkte der europäischen Politik steht nun aber der kleinere bulgarische schnurstracks entgegen. Wenn es sich die Bulgaren auch laut nicht merken lasten, so ist es doch eine Thatsache, daß die theils ablehnende, theils verschiebende Politik der Groß mächte sie in eine arge Klemme gebracht hat. Die Bulgaren haben wohl eine Regierung und einen Fürsten, aber offiziell ist der Fürst von keiner Groß macht anerkannt. Daraus sind dem bulgarischen Staatswesen allerlei unfertige Zustände unv Wider wärtigkeiten erwachsen, es fehlt dem bulgarischen Fürstenthume an Ansehen, an Kredit im Auslande, und dieser Mangel muß natürlich auch auf die innere Entwicklung Bulgariens hemmend wirken. Die Bul garen setzen nun im Geheimen Alles daran, um die Anerkennung des Fürsten Ferdinand auf die eine oder andere Weise durchzusetzen. Da ihnen nun offenbar in dieser Hinsicht in letzter Zeit eine neue herbe Ent täuschung zu Theil geworden ist, so platzt auf einmal das bulgarische Regierungsblatt „Swoboda" mit einigen überraschenden Erklärungen heraus. Danach habe die Türkei in letzter Zeit die Absicht auf Andrängen Bul gariens gehabt, an die Großmächte ein Rundschreiben zu richten, in welchem um die Anerkennung des Fürsten Ferdinand von Bulgarien gebeten werden sollte. Diese Absicht des Sultans sei aber durch Ränke und Droh ungen des russischen Gesandten in Konstantinopel, Herrn von Nelidoff, vereitelt worden. Nach dem Ber liner Vertrage stehe aber der Türkei das Recht zu, für den ihr untergebenen Suzeränstaat Bulgarien einen Fürsten zum Vorschlag und zur Anerkennung zu bringen. Die Türkei möge nun endlich in der seit drei Jahren schwebenden Frage entschiedener vorgehen, und die Anerkennung des Fürsten von Bulgarien, besten Oberherr allein der Sultan sei, durchsetzen. Geschähe dies nun nicht bald, so würde Bulgarien die Türkei gar nicht mehr als suzeräne Macht ansehen und mit eigenen Mitteln in der Angelegenheit sich helfen müssen. Bedeutet dieser Alarmartikel einen Schreckschuß, um die halbtodte Türkei zu veranlassen, etwas für Bulgarien zu thun, oder führen die Bul garen wirklich einen neuen Staatsstreich wie vor vier Jahren im Schilde? Formell hat ja der Sultan die Oberherrschaft über Bulgarien, aber in Wirklichkeit beansprucht Rußland die Beschützerrolle. Daraus er geben sich politische Ungeheuerlichkeiten, aus denen nichts Gutes entstehen kann. Lokales «nd Sächsisches. Dippoldiswalde, II. Oktober. Zu den berech- Sonnabend, den 12. Oktober 1889 tigten Eigenthümlichkeiten unseres — nicht blos des sächsischen, sondern des deutschen — Volkes gehören ohne Frage die Kirmsen oder Kirchweihfeste. Freilich denkt der Landmann und Bürger weniger an die eigentliche Bedeutung derselben als vielmehr an die damit verbundene hauptsächlich in gutem und möglichst vielem Essen und Trinken bestehende Lust barkeit. Es mag sein, daß hier und da bezüglich der Genüsse ein wenig über die Schnur gehauen wird; doch verbietet sich ein Zuviel bei unserem übrigens im Ganzen mehr zur Sparsamkeit angelegten sächsischen Stamme aus naheliegenden Gründen schon von selbst — im Allgemeinen gelten die Kirmsen als willkommene Besuchsgelegenheiten und dienen so besonders dazu, die Familienzusammengehörigkeit einigermaßen zu pfle gen. Die Ernte ist vorüber, die Wintersaat bestellt; da hält es nicht so schwer, einmal einzuspannen und die Vetterschafl zur Kirmes zu besuchen. Man achte diese von alten Zeiten herstammende Sitte nicht zu gering, obschon wir weit davon entfernt sind, ihr eine besonders wichtige Bedeutung beilegen zu wollen; vor Allem meine man nicht, daß Anträge auf Verlegung sämmtlicher Kirmsen des Landes oder eines Bezirks auf einen Tag, wie sie hier und da laut geworden sind, besondere Aussicht auf Annahme hätten. Mit Zähigkeit hält das Volk an seinen Gewohnheiten fest, und eine gemüthliche Kirmesfeier mit ihrem beliebten Kuchen gehört doch wohl nicht zu den tadelnswsrthen Gebräuchen. — Auch bei uns bereitet man sich jetzt zur beliebten Kirmesfeier vor. Aus den Backhäusern dringen bereits ganz verlockende Düfte; am großen Teiche entwickelt sich ein lebhafter Fischhandel und wir selbst haben in letzter Nummer nicht weniger als 3 Anzeigen, bez. Einladungen zu Kirmesbelustigungen gebracht. Stehende Nummer ist das Concert des Männergesangvereins am Sonntag im Schießhaussaale, das immer aus sein ständiges Publikum rechnen kann; am Montag folgt dann ein Concert der königl. sächs. Schützenkapelle in der Reichskrone, welchem ein Kon kurrenzunternehmen im Schießhause, in dem Concert des Muldenthaler Männerquartetts aus Döbeln gegen übersteht. Ob das des Guten nicht ein wenig zu viel ist? Nun, wir werden ja sehen, wer den Vogel ab schießt. Uebrigens allerseits viel Vergnügen! — II. Oktober. Wie wir neulich schon meldeten, hatten die Lehrer des hiesigen Schulaufsichtsbezirks be schlossen, gelegentlich ihrer diesjährigen Hauptversamm lung ein Concert zum Besten des Pestalozfivereins zu veranstalten. Wie wir hören, soll dasselbe nächsten Mittwoch, am Vorabende der Hauptversammlung, be stimmt stattfinden und soll das Nähere in nächster Nümmer bekannt gegeben werden. Je schwieriger es ist, einen größeren Chor von guten Kräften zusammen zu bringen und je größer der Erfolg bei einem Chor durchweg geübter Sänger zu werden verspricht, um so mehr ist dem Unternehmen, auch in Anbetracht seines wohlthätigen Zweckes, zahlreicher Besuch zu wünschen und machen wir deshalb schon jetzt auf das nächste Mittwoch bevorstehende Concert aufmerksam. Kipödorf. Der Besitzer des hiesigen Kurhauses, der kgl. Musikdirektor, frühere Stabstrompeter Fried rich Wagner ist nach längerer Krankheit im Karola- hause in Dresden am 8. Oktober gestorben. S Glashütte. Die Kartoffelernte ist ziemlich beendet. Dieselbe ist in Bezug auf Quantität eine gute Mittel-, stellenweise sogar eine reiche Ernte. Was die Qualität betrifft, so finden sich nur auf einigen Felbern, meist unter den Bisquitkartoffeln, viele schwarze Kartoffeln. H Poffendorf. Mit nächstem Sonntag erreichen die diesjährigen I4tägigen Herbstferien ihr Ende und beginnt nun der Schulunterricht Montag früh 8 Uhr. Von nächstem Dienstag, Nachmittag 5 Uhr, nimmt auch der halbjährliche Unterricht in der Fortbildungs schule wieder seinen Anfang. 55. Jahrgang. - t- - i - ---> n 1 Lungkwitz, 10. Oktober. Heute früh gegen 6 Uhr wurde die hiesige Einwohnerschaft schon wieder durch Feuerallarm in Schrecken versetzt, das zweite Mal innerhalb 6 Tagen! Auf noch unaufgeklärte Weise brach im Hause des Handarbeiters Preuße Feuer aus und, da das Haus aus Lehmfachwerk gebaut und Strohbedachung hatte, wurde dasselbe in kürzester Zeit bis auf die Umfassungsmauern zerstört. Als oaS Feuer entstand, war Preuße, dessen Ehefrau und deren Bruder, Handarbeiter Reinhardt, bereits auf dem Wege zur Arbeit, die Möbel, Betten u. s. w. wurden von schnell herbeigeeilten Einwohnern gerettet. Preuße hatte nicht versichert. Ein Glück war es, daß Wind stille herrschte, da sonst das Unglück ein großes werden konnte, weil sich mit Stroh gedeckte Güter in nächster Nähe befinden. Dresden. Der Umbau des Residenzschlosses an der Westfront beschäftigt sehr viele Einwohner, welche glauben, es werde ein neuer Schloßflügel zur Erbauung gelangen. Dies ist keineswegs der Fall; nach dem jetzt zu allerhöchster Entschließung vorge führten Modell kommt an die N.-W.-Ecke und S.-W.-- Ecke je ein schlanker, 25 bis 30 Meter hoher Thurm im Styl des großen Schloßthurmes, am Dache werden noch zwei Giebelbauten angebracht. An der ein springenden Schloßgebäude-Ecke am Taschenberge findet ein ca. 20 Meter hohes Kuppel- oder Haubenthürm- chen Errichtung. Das Modell in Gips wurde nach dem Hofbauamlsplane vom Bildhauer Roch hergestellt. — Die zanzibaritische Gesandtschaft hat am 10. Oktober, nachdem sie Tags vorher vom König in Audienz empfangen worden, Dresden wieder verlassen und sich zunächst nach Wien begeben. — In der hiesigen städtischen Arbeitsanstalt ist seit Mitte Mai d. I. eine taubstumme Frauens person untergebracht, welche hilfsbedürftig aufgegriffen worden, deren Verhältnisse aufzuklären, bisher nicht gelungen ist. Die Person hat schwarzes, kurzgeschorenes Haar, schwarze Augenbrauen, braune Augen, spitze Nase, aufgeworfene Lippen, gute Zähne, fpitzes Kinn, längliche Gesichtsbildung; ihr Hals ist durch einen Kropf entstellt, ihre Hautfarbe hellbraun an Gesicht und Körper; die Gestalt ist mittelgroß, die rechte Schulter etwas höher, der Gang schleppend, der ganze Körper schwächlich. Die Kleivung der Unbekannten war vollständig abgetragen; sie führte eine dunkelblaue, mit grobem Barchent gefütterte Tuchjacke, einen Woll rock, einen Löffel von Blech und 2 Tassen von Stein gut mit sich. Die Unbekannte ist der Geberdensprache unkundig, geistig beschränkt und ist zweifellos voll ständig taub, während verständliche Mundlaute eS wahrscheinlich machen, daß sie das vorhandene Ver mögen, in deutscher Sprache zu reden, nachträglich verloren hat. Sie hat ein lebhaftes Bedürfniß, zu erzählen; verständlich sind die Worte: „Schwester", „Himmelvater, mein, dein, naus, Hause, weit, Erd äpfel, Kaffee, gestorben, Mann, Ida (wohl ihr eigener Name?), Michau (eines Mannes Name, bei dessen Er innerung sie sich freut), Vater, Mutter (die wohl ge storben, bei deren Erwähnung sie traurig)". Geld nennt sie „Keiler" (Kreuzer), das Portemonnaie „Bürte" (Börse), Pflaumen „Zwetschen", die Auf seherinnen „Schwestern". Es wird angenommen, daß die Taubstumme aus dem deutschen Sprachgebiete Böhmens oder aus Schlesien stammend, von einer Arbeitertruppe (vielleicht Maurer) auf der Reise nach Sachsen sich getrennt hat. Ihre Angehörigen dürften sie schmerzlichst vermissen. Vielleicht tragen obige Be merkungen über die Taubstumme zur Feststellung der Heimath und Familie der armen Unglücklichen bei. Die Direktion der Arbeits-Anstalt zu Dressen würde die Sammlung und Verwerthung etwaigen Aufklärungs materials, um dessen Mittheilung gebeten wird, gern übernehmen. Freiberg. Vom kgl. Landgericht wurde am 9.