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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 08.06.1912
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-06-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120608024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912060802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912060802
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-06
- Tag 1912-06-08
-
Monat
1912-06
-
Jahr
1912
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HI" ist von Hamburg aus zu einer Dauerfahrt aufgesticgen. (S. d. bes. Art.) - Die Streikbewegung im Borinage lDelgien) flaut ab. sS. Ausl.) Die Aufruhrbewcgung im Riff gebiet Marokko) gewinnt an Ausdehnung. sS. d. bes. Art.) * Heute vormittag fiel in einer Fabrik in der Spinnereistraße in L.-Lindenau dem 20 Jahre alten Arbeiter Senftleben ein schweres Eiscnstück aus den Kopf und tötete ihn auf der Stelle. (S. Leipz. u. Umg.) Stimmungen unö Verstimmungen. Aus Rom wird uns geschrieben: Mit einem in früheren Jahren nie gekannten Enthusiasmus hat Italien am Sonntag sein Ver- fassungsfest gefeiert. Es sind förmliche Explo sionen patriotischer Leidenschaft bei den Kundgebungen vor dem Quirinal, bei der Königsparade und vor allem am Abend vor dem glanzvoll illuminierten Monument des Italien einigers Viktor Emanuel II. von den erstaunt dem einzigartigen Schauspiel zubliclenden Fremden beob achtet morden. Das ganze Volk schien in E k st a j e geraten zu sein: Man nenne es Taumel, Delirium öder sonstwie, und stelle sich die Frage: was könnte passieren, wenn angesichts dieser zur Siedehitze ge diehenen V o l k s l c i d c n s ch a f t irgendeine Macht, sagen wir Oesterreich oder Frankreich oder England, irgendwo und irgendwie mit einem jener kleinen ..Zwischenfälle", wie wir sic ja im Laufe des Krieges gerade genugsam kennen lernen konnten, die Ge witterschwüle bis zur Entladung des Kriegsunge witters durch südländisches Temperamenr brächte! Das eine ist klar, die Regierung hat heute den Millen des Volkes nur dann auf ihrer Seite, wenn das Prestige des Reiches keinerlei Schaden nimmt. Das Volk will Krieg und Sieg. Es ist berauscht. . . . Am besten gibt die Stimmung Bergeret in einem Artikel in der „Stampa" wieder, aus dem ich folgendes zur Kennzeichnung der V o l k s p f y ch o l o g i c hervorheben möchte. Bergeret sagt, im Auslande hätte sich die Meinung gefestigt, die Italiener könnten in Kriegszeiten «licht die svrichwörtliche Kaltblütigkeit der Engländer l>e- mahrcn und würden nach wenigen Wochen kriegs müde werden und zu offenem Aufruhr übergehen. ..Aber nun sind acht Monate verflossen, und man sieht kein Zeichen einer Irritation, der Ungeduld, keine aufrührerischen Kundgebungen auf den Straßen. Die Italiener verschlingen die Kriegsberichte und kommentieren sie mit Ruhe und Heiterkeit. Und von den Alpen bis zum Lylibacum geht das Leben seinen gewohnter« Gang. Der König herrscht, Gwlitti regiert und die Deputierten unterhalten sich mit ihren Wählern. Und der Krieg? Es lebe der Krieg!" Diesen Stand der Dinge können wir fremden Beobachter nur bestätigen. Nicht wenig zu der stärker als je entflammten Kricgsbegcisterung trägt die Meldung bei, daß die Staatseinnahmen vom l. Juli v. A. bis Ende d. I. 1 Milliarde 752 Mil lionen ergeben haben, gegenüber der gleichen Periode des vorangegangcn Etatsjahres ein Mehr von 65 Millionen, und daß aus den laufenden lleber schüssen abermals 117 Millionen für die Kriegszwecke bereitgestellt werden konnten. Die Finanzen glänzend, die Börsenkurse steigend, sogar die Theater gut besetzt und mit Ueber- jchüssen, die den Neid mancher deutschen Theater- direktion wecken können, das sind Mittel, die auf die Begeisterunasfähigkeit der Italiener wirken können. Sic haben sich auch sofort für die Schaffung des neuen Kolonialministeriums entflammt, als Herr Giolitti in der Kammer unter stürmischem Jubel der Anwesenden die Notwendigkeit impro- ) visierte, den neuen Kolonien einen besonderen Mini- l ster zu geben. Zu den letzteren schlagen bereits die Blätter die besetzten Inseln im Aegäischen Meer« hinzu. Wehe, wenn jetzt oder später Giolitti käme und erklären müßte, die Inseln, die man pflegt und hegt, seien wieder herauszugeben! Mit einigem Staunen haben wir gelesen, daß man sich in Deutschland über die Hans- wurstiaden des Abgeordneten Bar- zilai erregte, der in der Kammer vergeblich ver suchte, das Schweigen der Regierung über die Klagen gegen den deutschen Konsul in Smyrna zu brechen. Die Blätter hatten allerlei übertriebenes Gerede von den unglücklichen Opfern der türkischen Ausweisungen wiedergegcben, und Herr Salvator Barzilai aus Triest, die letzte Säule des untergehen den Irrcdcntismus, der als Führer der aus den Fugen gehenden republikanischen Partei einer Auf frischung seines Renommees dringend bedarf, beeilte sich, seinem traditionellen Haß gegen alles, was deutsch ist, in einigen bissigen Bemerkungen Ausdruck zu leihen. Klappern gehört zum Handwerk. Herr Barzilai ist die letzte Stütze des fran zösischen Botschafters Mr. Barrore, der sich 15 Jahre lang vergeblich um die Zerreißung des Drcibundvertrages bemüht hat. Die 17 republi kanischen Deputierten l unter 506 Kammcrmit- gliedcrn!) kämpfen zum Teil für, zum Teil gegen den Krieg. Herr Barzilai, der Dcutschenfresser aus Triest, redet bald so, bald so, wie's trifft. . . Nur iin Ausland nimmt man ihn ernst. Es heißt seiner Person wirklich zu viel Ehre antun, wenn die deutsche Regierung in völliger Unkenntnis von Person und Verhältnissen ein offiziöses Organ aufbietct. um den Unmut darüber auszudrücken, daß die Regierung Italiens Herrn Barzilai nicht entgegengetretcn war. Der halbamtliche „Popolo Romano erklärt hierzu, m. E. sehr zutreffend, daß die Regierung von An beginn des Krieges den Grundsatz strikte durchgeführt hatte, auf keinerlei Interpellation über die durch die Kriegswirrcn geschaffene Lag« einzugehen, und daß sie, wenn sie auf die Anzapfungen des Herrn Barzilai eingegangen wäre, ein gefährliches Präjudiz geschaffen haben würde. Im übrigen aber habe Fürst di Scalea, der llnterstaatssekretär iin Aus wärtigen Amt, noch ausdrücklich vorher erklärt, daß die Regierung unter keinen Umständen Herrn Barzilai Rede und Antwort stehen würde. Man sollte auch in Deutschland nicht alles auf die Goldwage legen. Denn wie mir im Verkehr mit amtlichen Organen stets und ständig versichert wird, ist heute die italienische Regierung und die Kammer mit Ausnahme von etwa 11 republikanischen Ab geordneten von der Festigkeit des Dreibundes voll kommen durchdrungen. Dagegen scheint bestem Vernehmen nach in Wien nicht alles in Ordnunazu sein, soweit die Beziehungen zwischen Wien, Petersburg und Rom in Frage kommen. Rußland setzt heute, so höre ich, den Drei bundmächten stärker als je zu, die Dardanellen- frage zum Ausgangspunkt einer neuen Mächtegruppierung zu machen. Es will den Anschein erwecken, als ob man in Wien gegenüber den russischen klaren Wünschen noch etwas harthörig zu sein vorgidt. und daß man dort die Schuld an dem russischen Aufbegehren aus italienische Ein flüsterungen zurückzusührcn glaubt. Es wäre ja nicht ganz ausgeschlossen, daß Wien da ein bißchen die Geschäfte von Paris gcgcnülcer Petersburg wahr nimmt, das sich mit seinem französischen Bundes genossen über der orientalischen Frage stärker in den Haaren liegt, als die Diplomatie zugeben möchte. Italien soll das Karnickel sein. Kleine Reibungen, die ost aber große Wirkungen haben könnten. Lieber eine Novelle zum Ssnüelsgeletzduch wird, wie inan uns schreibt, der Bundesrat in seiner heutigen Sitzung Beschluß» fassen. Es handelt sich um ciuc Abäudcruug der 88 71, 75 und 76 Abs. 1; das sind diejenigen Para graphen, welche die K o u k u r re n z k l a u s c l zwischen Prinzipal und Handlungs gehilfen regeln. Aus der Tatsache, daß, die Frage der KoukurrcuzUauscl lediglich durch eine Novelle zum Handelsgesetzbuch geregelt wird und nicht auch durch eine solche zur Gewerbeord nung, geht hervor, daß. ein Bedürfnis einer Regelung für technische Angestellte und für gewerbliche Betriebe von der Reichs- regierung nichl anerkannt ist. Der Gesetzentwurf wird dem Reichstag schon im Beginn seiner Herbsttagung zugehen. Er beruht auf jahrelangen Borarbeiten, bei denen Gutachten der Handelsvertretungen und der Ver bände der Arbeitgeber und Handlungsgehilfen eingeholt lvurdcn. Es bestanden bekanntlich zwi schen den Forderungen der Prinzipale und der Angestellten außerordentlich scharfe Gegensätze, deren Lösung nur auf einer mittleren Linie zu erzielen war. Nach den« gegenwärtigen Recht ist die Vereinbarung einer Konkurrenzklauscl, die den Angestellten nach Beendigung des Dienstver- IMMisses in seiner gewerblichen Tätigkeit be schränkt, zulässig, sofern die Beschränkung nach Zeit, Ort und Gegenstand nicht die Grenzen überschreitet, durch welche eine unbillige Erschwe- rung des Fortkommens des Handlungsgehilfen ausgeschlossen wird. Die Beschränkung darf sich höchstens auf 3 Jahre erstrecken. Eine Entschädi gung für die vereinbarte Beschränkung der gc- iverbliche-n Tätigkeit eines Angestellten sieht das Handelsgesetzbuch nicht vor. Die vorgeschlagene Neuregelung stellt nun das Prinzip der bezahlten Karenz auf, d. h. der Prinzipal soll versuchtet sein, für die Einhaltung des Konkurrenzklausclvertra- gcs seitens des Angestellten eine Entscl-ädigung zu zahlen. Der Zweck dieses Prinzips ist, zu erreichen daß die Prinzipale nur in solchen Fäl len in dem Anstellungsvcrtrage eine Konkur- rcnzklausel vereinbaren, wo wichtige geschäft liche Interessen es erforderlich machen. Man verspricht si'ch also von der Verpflichtung zur Zahlung einer Entschädigung eine wesentliche Einschränkung in dec Anwendung der Konkur- reuzllauscl. Die bisherige Grenze der Gel tungsdauer von 3 Jahren ist im Ent wurf fest geh alten. Die militärMe Seüeutung üer Fernfahrt ües L.Z. 12. Ein Verkehrstruppcuosfizicr schreibt der „M. P. K.": Bei der großen Fernfahrt des L.Z. 12, der unter der Bezeichnung Z. lll von der deutschen Heeresverwaltung als Militärlustkreuzer über- noinmen werden soll, har oas neueste der Zcv- pelin-Luftschisfc geradezu glänzend seine nutzer- ordentliclL Leistungsfähigkeit an den Tag ge legt. Wenn man bedenkt, daß der vom L.Z. 12 von Friedrichshafen nach Hamburg zu- rückgelcgte Weg den Entfernungen Hamburg— London, Metz—Bordeaux, Memel—Petersburg qleichkommt und daß bei der Ankunft in Ham burg der Oel- und Bcnzinvvrrat noch zu einer weiteren sechsstündigen Fahrt gereicht hätte, dann wird man davon überzeugt sein, welche gewal tige AufklärungStätigkcit mit einem Z.-Luftschiff entfaltet werden kann. Mit Leich tigkeit kann es von Hamburg, Metz, Straßburg, Köln, Königsberg, Thorn aus ganz Frankreich und den Kanal oder einen erheblichen Teil Ruß lands überfliegen, schnell kriegsmäßige Höhen über 1200 m erreichen und sich in ihnen halten. Auf diese 2lKisc kann sofort nach Ausbruch eines Krieges nicht nur mit einer weitansgreifenden Aufklärung auf den Landkriegsschauplützen einge setzt, sondern diese auch in der Nordsee, im Kanal und bis nach England ausgedehnt werden. Die Fortschritte in der Funkcutclc- araphie ermöglichen eine Ucbermittlung der Erkundungsergebnissc während der Fahrt und gestatten damit eine ununierbrochene Aufklä rung. Ein Zeppelin-Luftschiff kann aber neben seiner Besatzung, dem für diese Dauerfahrten nötigen Betriebsstoff, dem Ballast und dem Fun- kcnapparat, noch gut 1000 Kilogramm Munition mit sich führen und auf seinen Aufklärungs fahrten durst> Herabwerfen von Sprengstoffen als Angriffswasfc wichtige Dienste leisten. Angesichts der hohen Leistungen des L.Z. 12 kann die Bedeutung der Z.-Schisfe für Heer und Marine nicht genug gewürdigt werden, denn sie werden im Kriege sowohl unserem Laudycer als auch der heimischen Flotte noch nicht übersehbare, ganz ausgezeichnete Dienste leisten. Es wird aber nicht allein ihre Tätigkeit von weittragen dem Erfolg begleitet sein, schon die Erwartung dieser Luftsstnsse wird bei unseren Gegnern Be klemmung und Aufregung Hervorrufen. Der Besitz so vorzüglicher leistungsfähiger Luftschiffe bedeutet deshalb für uns einen gewaltigen Vorsprung vor allen übrigen Staaten, ans den wir dank der unermüdlichen Arbeit des Gra- fen Zeppelin stolz sein können, und der auch von unseren westlichen Nachbarn nnumwnnden an- erkannt wird. Deshalb ist es mit Freuden zu begrüßen, daß nunmehr auch die Reichs-Ma rineverwaltung daran geht, durch den Er werb eines Z.-Luftschiffes die Ueberlegenheik die ses Typs für ihre Zwecke anszunntzen. * Eine neue Daurrfghrl des „Z. III." Hamburg, 6. Juni. Das Luftschiff „Z. Ill" ist nachts 12 Uhr 15 Min. nach Friedrichshafen n Heimliche Liebe. Roman von Konrad Remling. (Nachdruck verboten.) ..Wir haben ja oft uno viel darüber gesprochen, Georg." „Jawohl. Aber niemals mit der Ruhe und — Objektivität, di« ich gerade heute in mir finde. Also: ich komme nach jahrelanger Abwesenheit in die Hei' mat zurück und finde dich als Gattin meines Jugend freundes wieder. Ich sehe dich und fühle schon nach Len ersten Augenblicken ües Wiedersehens, daß ich dich — liebe. Ich läge dir das, und du bist ehrlich genug, deine Gegenliebe nicht zu leugnen. Wir ver- suchen, gegen diese Liebe anzukämpfen, und — ein flüchtig hingehauchtcr Kuß, ein Händedruck, ein paar hastig geflüsterte Liebesrvorte in den Wochen, die nun folgen — das ist das Unrecht, Las wir an Rudolf Warnom begehen. Der unglückselige Zufall will es, daß -u krank wirst und in deinen Fieberfantasien von unserer — heimlichen LiSbc sprichst. Rudolf ahnt, begreift und — kommt zu mir. Er ist ein Mensch mit einem großen, edlen Herzen. Er ver sucht mit mir darüber zu sprechen, kommt aber zu keinem Schluß. Er reicht mir noch einmal seine Hand und geht hin, um — zu sterben. Das geschah vor zwei Jahren. Das war unser Unrecht Rudolf Warnow gegenüber. Heute bist du meine Frau, und wir sprechen davon, daß wir „schuldig" seien; wir glauben, daß alle Welt um diese unsere Schuld wissen müsse uno uns in Acht und Bann getan habe. Ist cs so, Hanna?" Er kam zurück und seht« sich wieder. „Ja. So ist cs." Sie harte sich zurückgelehnt, hatte die Hände ge faltet und klopfte mit den beiden ousgcstrecklen Zeigefingern gegen die Kante pes Tisches; es lag ««was Starres uno Hoffnungsloses in ihrer ganzen Haltung und in dem kurzen, einförmigen Klopfen. „Eine — unverzeihliche Schuld?" Sie nickte nur. An der wir zugrunde gehen werden?" „Ja. Gestern begann die Vergeltung." „Erst gestern?" „Ich spreche von dem — Richteramt. dos die Welt sich anmaßt über uns. Was wir selber denken und empsinoen oder auch schon hinter uns haben, das kommt ja nicht in Betracht dabei." Em Hoffnungsschimmer stieg bei den letzten Wor ten Hannas in Georg auf. „Das die Welt sich — anmaßt, sagst du? Also die Leute um uns her ? Was gehen sic uns an? — Wir werden ihre Gesellschaft «neiden und hinaus wandern in die weite Welt. Wir werden Hellöorf und die Heimat verlassen; wenn es sein muß, für immer." Hanna lächelte wehmütig. „Mein armer, lieber Freund! Weißt du nicht, daß das unmöglich ist?" „Du hast es selbst gesagt — im Herbst, als wir zurückkamen von unierer Reise, und drr alles hier so still uno traurig erschien." „Jawohl. Damals brachte es die Stimmung mit sich, und -er Rost von Hoffnung, ver noch in mir war; inzwischen habe ich auch diesen verloren. Wir sind ja so festyewachsen — mit allen Wurzeln unseres Daseins an dieses Land gebunden — und so sonder bar cs klingen mag: auch an diese Menschen." — Sie schwieg einen Augenblick und fuhr dann leiser fort, während eine leichte Nöte der Verlegenheit über ihr Gesicht huschte :„E-s gibt aber dann noch etwas anderes, woran du bisher noch nicht gedacht hast — ich mein« — das Gut und der Name Helldorr selbst — noch ist kein Erbe dafür vorhanden — aber — wenn dir nun eines Tages ein — Sohn geboren würde" . . . „Hanna!" Georg sprang auf und trat zu ihr; im Augenblicke hatten sich sein Gesicht, seine Belegungen,, sein gan zes Aeußeres verändert. Wehmütig lächelnd wehrte sie ab. während sie noch verlegener, zugleich aber auch trauriger wurde. „O mein armer, lieber Georg! Daß ich dir in einer solchen Stunde und in einer solchen Stimmung dieses Geständnis machen muß!" Sie hatte den Kopf vornüber gebeugt, um d«e Tränen zu verbergen. Aber schon im nächsten Augen blick kniet« er neben ihr, faltete ihre Hände und drückte seine Lippen darauf, während er, alles Leid vergessend, in beseligter Freude stammelte: „Hanna! Du, mein Weib! Mein über alles ge liebtes. gesegnetes Weib! — Was gelten uns noch die Menschen und ihr lächerliches, törichtes Urteil in dieser Stunde. Wir sind ja nicht mehr allein — nicht mehr verurteilt und gerichtet! — Ich, du, wir beide sind jo gesegnet. Wir können nun nicht mehr zugrunde gehen — wir dürfen ja nicht. Das Schicksal, von dem wir glaubten, daß es uns vernichte»« wollte, es hat uns gesegnet mit dem Höchsten, das es für uns auf der Welt gibt. Nein, weine nicht, Hanna, oder sage, daß du es vor lauter Glück tust, daß es Freudcntränen sind, die du weinst! Ich wage ja kaum, dich anzusehcn oder deinen Mund zu küssen, weil ich fühle, daß ich dich nur anbeten darf." Er sprang wieder auf. „Nun mag ich an gar nichts anderes mehr denken — oder doch: in den nächsten Tagen, morgen — am liebsten schon heute muß ich es tun. „Was mußt du tun, Georg?" Sie hatte die Verlegenheit und Scham überwun den und sah ihm zärtlich ins Gesicht. „Hinfahren zu den Leuten, zum alten Halbach, auch zu den Kramsdorffs und zu allen, die ich durch meine Worte beleidigt habe." „Aber du kannst doch nicht .. ." Sic erschrak förmlich. „Nein, das ist fa wahr" — er besann sich — „ich meine ja auch nicht, daß ich ihnen das sagen soll. Aber sie um Verzeihung bitten, mich aussprecl)cn mit ihnen — alles zurücknehmcn — Klarheit schaffen überall — und — den Weg ebnen für den Erben auf Helldorf . . . O, wenn ich ihnen doch auch das sagen könnte!" Nun endlich wagte er es, sich seiner Frau wieder zu nähern. Scheu und beinahe zaghaft küßte er sie und zog sic zärtlich an seine Brust. Hanna erwiderte seine Liebkosung; aber sie blieb ernst und nachdenklich. Seine starke Freude fand keinen Widerhall in ihrem Herzen. Sie dachte an die Szene des ver gangenen Abends, und sie sagte sich, daß es ihm nie mehr gelingen würde, den Weg zu ebnen. Sie wollte seine Hoffnungen nicht schon «m Keime ersticken und schwieg deshalb. Georg aber vergaß Gegenwart und Vergangenheit und dachte nur an die Zukunft, die dem Erben auf Helldorf gehören sollte. Fünfzehntes Kapitel. Der Gedanke an einen Sohn und Erben, über haupt an ein Kind — mochte cs nun auch ein Mädchen sein — war das letzte Aufflackern der Hoffnung in Georg von Helldorf gewesen Schon die nächsten acht Tage rissen alles nieder, was an Lebensmut und Zukunft-freudigkeit noch einmal aufgebläht "ar in seinem Herzen Er hatte sich aufgemacht zu der „Bußsahrt" um Hannas und des erwarteten Kindes willen, so schwer cs ihm wurde, und so sehr sich sein Stolz dagegen auflehnte. Zuerst zu den Kramsdorffs; dieser ZPeg wurde ihm am schwersten. Aber cs muhte ja sein — Um sonst! Die Aufregung und das Herzklopfen, das er empfand, als er die Treppe hnaufsticg und seine Karte abgab, hätte er sich ersparen können: er fand eine verschloßene Tür. „Die Herrschaften bedauer ten" . . . Man gab sich nicht einmal die Mühe, eine Ausrede zu erfinden. Man ließ es ihn offen und ohne jede Rücksicht fühlen. Das hatte er nicht erwartet. Er hatte sich auf eine kühle Zurückhaltung vorbereitet, auf ein paar konventionelle Phrasen und auf ein nachsichtiges, vielleicht sogar geringschätziges Lächeln, wenn er seine Entschuldigung vorbringen würde. Er war ja takt los gewesen an jenem Abend; das sah er ein. Aber er wollte ja auch das Demütigende der Abbitte auf sich nehmen — um der Zukunft willen. Und nun ließ man ihn vor der Tür stehen, wies ihn ab mie einen lästigen Bettler. Er war ia auch nichts an deres in diesem Augenblicke. Er kam, um zu betteln für sich, für sein lltzeib und für das Kind, dem er den Weg ebnen wollte, noch ehe es geboren war. „Fa — so — dann empfehlen Sie mich also den Damen." Er wußte gar nicht, was er sprach — daß diese Antwort, die er dem Mädchen gab, ja gar nicht paßte, daß sie lächerlich war und ihn selbst vor dem Dienst boten entwürdigen mußt«. Er verließ das Haus, schwankenden Schrittes, leichenblaß im Gesicht und mit einem trockenen Wür gen in der Kehle. Jetzt sah man ihm wohl nach vom Fenster aus? Dann schnell nur! Daß diese» klägliche Schauspiel ein Ende nahm! Schnell zum Wagen und fort — fort, was die Pferde jagen kennten! Er lenkte selbst und schlug auf di« Tiere ein, daß sie sich hoch aufbäumtcn. „Der Herr Baron sind ja über den Denziner Weg hinausgesahren. Wollten der Herr Baron nicht noch zum Herrn Rittmeister Degenhardt?" Georg wandte sich um. Dann zog er die Leine am; „So. Ia — dann also um kehren!" (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)
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