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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 16.06.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-06-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191206160
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19120616
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19120616
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-06
- Tag 1912-06-16
-
Monat
1912-06
-
Jahr
1912
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Vas Wicktiglte. * Zn dem Spionageprozeh gegen den Buch» Halter Napoleon Barbier erkannte das Neichs- gericht aus F r e i s p r u ch. sS. Letzte Dsp. S. 3.) * Das ungarische M a g u a t e n h a u s uns der Weh raus schuh des österreichischen Abgcocd. netenhauses haben die Wehrreform vor läge angenommen. (S. Letzte Dep. S. 3.) * Zahlreiche italienische Arbeiter der Bagdadbahn haben die Türkei verlassen. * Die für Sonnabend angesetzten Offiziers flüge auf dem Flugplatz Lindenthal sind wegen des stürmischen Wetters auf Montag verlegt worden. Die heutigen Sonntagsflüge werden programmgemäss abgehalten. (S. Letzte Sportnachrichten S. 3.) * Theateranzeigen siehe Leite 21 und 22. Oie „LhriMlchen". Man kann grimmig darüber spotten, man kann es auch voll herzlichen Mitgefühls ansehcn. Das da vor unfern Augen mit den christlichen Gewerkschaften geschieht, hat sich ja schon ungezählte Male mit Bestrebungen des katholi schen Volksteils vollzogen. Der liberale und «italienisch) nationale Katholizismus von der Mitte des vorigen Jahrhunderts, von dem selbst ein Wirtlichkeitsmann wie Cavour viel erhoffte, der deutsche Katholizismus, der den vatikani schen Beschlüssen von 1870 nicht beipflichtete, die Bestrebungen eines Franz Xaver Kraus, eines Schell, eines Chrhard, eines Freiherrn von Hert- ling mit seiner Görresgesellschaft, eines Müller und Spahn sind vorübergerauscht. Sie gingen darauf aus, die katholische Kirche mit „modernen" Ideen zu erfüllen, sie mit Kultur und Wissensclzaft zu versöhnen, den Katholizismus als „Prinzip des Fortschritts" aufzustellen und so fort. Wohl jedem der katholischen Führer zum Fortschritt ist von anderer Seite der Zweifel entgegenge treten, ob er durchdringen werde. Dieser Zwei fel ist oft mit Schärfe und mit dem Gefühl der Ueberlegenheit zurückgewiesen worden. Noch vor wenig Jahren Pflegte Protestanten oder Frei denkern, die einen Zweifel äußerten, ob die Re- sormlatholiken gegenüber Willensmeinungen des Papstes durchhalten und durchdringen würden, etwa erwidert zu werden: jene andern verständen nichts von den katholischen Glaubenslehren, nur solche Kundgebungen des Papstes hätten bin dende Kraft, die ex catbeäi-L erfolgten, diese Ent scheidungen bezögen sich immer nur auf Ange legenheiten des Glaubens und der Sitten-und sic seien auch nicht eigentlich Neufestsetzungen, sondern Definitionen oder Anwendungen urchrist licher Glaubenslehren. Es ist wohl erlaubt, dar auf hinzuweisen, daß jedesmal die hoff- nnungsvollen katholischen Reformer unrecht be halten und die Zweifler recht bekommen haben. Wer also satirische Anlagen hat, ist wohl be rechtigt, jene Reformer mit Schärfe als Illusio nisten zu kennzeichnen. Wer wirklich frei ist, und wem die Freiheit nicht durch große Vorfahren in die Wiege gelegt wurde (falls sich Freiheit überhaupt weiterschenken läßt), wer mit schweren Kämpfen sich einen Weg gebahnt, wo ihm nie mand Füherr sein konnte, wer „durch eignen Sieg verwundet" wurde und die Narben dieser Wun den an sich trägt, darf mit Stolz herabsehen auf Männer, die sich der Freiheit rühmten und, als ihnen Halt geboten wurde, auch in der Unfrei heit zu leben vermochten, Männer, die ihr Haupt erheben wollten und es dann doch beugten, oft tief bis in den Staub. Hätten diese Männer die Demut und die Unterwerfung gerühmt, dann wäre es anders. So aber kam ein Bruch in ihr Leben, es wurde geknickt und niedergezogen. Das deutsche Zentrum als politisch-re- ligiöse Organisation steht heute M Geruch re formkatholischer und modernistischer, mithin auf rührerischer Neigung. Das mag denen seltsam vorkommen, die eS gerade dem Zentrum ständig zum Vorwurf machten, daß es keine national deutsche Partei sei, sondern von einer inter nationalen, außerhalb Deutschlands ihren Sitz habenden Macht die Direktiven erhalte. Die Be hauptung war sicher nicht ganz falsch. Sic war vielleicht zu neun Zehnteln wahr; nur legte das Zentrum Wert darauf, in rein politi schen Dingen eine gewisse Freiheit vom päpst lichen Stuhle sich zuzuschreiben. Mit Koketterie wies das Zentrum auf die Beispiele hin — so namentlich das Beispiel der von Bismarck vertretenen Wehrvorlage —, wo es seine Un abhängigkeit von vatikanischen Direktiven an den Tag gelegt habe. Zur Begründung dieser Unab hängigkeit mußte eben die Theorie dienen, daß sich die Unfehlbarkeit nur auf Fragen des Glau bens und der Sitten beziehe. Diese Theorie droht aber, außer Gebrauch zu kommen. Es liegen zu viel Kundgebungen von höchste? Stelle vor, die jene Abgrenzung als unehrerbietig oder gar ketze risch erscheinen lassen. Einigermaßen unerwartet kam cs nun, daß, nachdem das Zentrum alle päpstlichen Kund gebungen der letzten Jahre, die sich gegen die Reformbestrcbungen und mithin auch gegen Män ner aus den eigenen Reihen, wie Freiherrn von Hertling und Martin Spahn wandten, gehor sam angenommen hatte, eine der wichtzigsten demokratischen Grundlagen des Zentrums, das christliche Gewerkschaftswesen, ange griffen wurde. Es lohnt sich nicht, all die Aus legungen, Abschwächungen, Unterscheidungen und Hilfsbcgriffe darzulegen, die der Kundgebung des päpstlichen Stuhls zugunsten der katholischen Facharbeitervereinc gefolgt sind. Es genügt, daß der Welt die katholischen Arbeitervereine von neuem und endgültig als die Echten und Erst geborenen, die christliäxn Gewerkschaften, in denen katholische und evangelische Arbeiter ver eint sind, als minder katholisch und nur ge duldet gekennzeichnet worden sind. Das Zentrum aber hängt an den christlichen Gewerkschaften. Aus welchen Gründen — ob einfach aus natür licher Realpolitik und kluger Beurteilung der Stimmung des Volkes, ist hier gleichgültig. Un zweifelhaft ist, daß, während das Zentrum unter Bismarck Wert darauf legte, trotz den Direk tiven des Papsttums in seiner unnationalen Hal- . tung zu verharren, es jetzt entgegen den Direk tiven desselben Papsttums national zu sein wünscht. Denn es ist in einem Staatswesen mit konfessionell gemischter Bevölkerung national, nicht die Konfession, also das Trennende, zur Grundlage großer Organisationen mit wirt schaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Be deutung zu machen. Die Führer des deutschen Zentrums haben nun einen Kampf zu kämpfen, wie ihn in dieser Weise keine andere Partei zu führen hat, weil eben keiner anderen Partei eine außerhalb ihrer stehende Stelle Aufträge, die sich an das Gewissen wenden, erteilen kann. Man mag Mitgefühl und Mitleid mit den Männern empfinden, die plötzlich in Seelenkämpfe gestürzt werden, die für manche sehr schwer sein werden; darf man aber aus der Geschichte Schlußfolge rungen ziehen, so kann man mit Bestimmtheit darauf rechnen, daß auch in diesem Falle die katholische Zentralgewalt siegen, das Zen trum mithin eine vollständige Nie derlage erleiden wird. Das Zeugnis eines Bekehrten. Man schreibt uns: Franz Pechota, einer der bedeutendsten Führer der Sozialdemokratie in der Schweiz, der fast drei Jahrzehnte hindurch mit Hingabe für die Partei tätig gewesen ist, und seiner Erfolge wegen sich der besonderen Wertschätzung seiner Parteigenossen er freute, hat sich von der Sozialdemokratie losgesagt. In einer Broschüre, die er selbst als „Nekrolog eines Enttäuschten" bezeichnet, spricht er sich mit anerken nenswerter Offenheit über seinen eignen bisherigen Irrtum aus. Er schreibt u. a.: „Die Praxis hat mir große Enttäuschungen be reitet. Theoretisch gibt es auf diesem Gebiete k e i- nen Unterschied zwischen radikalen und gemäßigten Sozialdemokraten. Alle arbeiten gleichmäßig daran, in den Arbeiter kreisen die Konkurrenz jeder anderen politischen Partei auszuschalten. All« sind unablässig bestrebt, den Arbeitern plausibel zu machen: Di« Interessen der Arbeiter vertritt nur die Sozialdemokratie. In der Praxis hingegen besteht ein Unterschied. Die einen drängen auf eine Taktik, die einer Theorie entspricht. Den anderen ist die Theorie nur das Mittel, die Konkurrenz aus dem Felde zu schlagen. Im übrigen treiben sie eine Politik, die mit der sozialistischen Politik, wie sie den marxistischen Theorien entspricht, nichts gemein hat als den Namen. Den Arbeitern wird erklärt, ihr Heil liege darin, möglichst viele Stellen und Aemter mit ihren Vertretern zu besetzen. Di« Vertreter beginnen aber in der Regel sehr bald, ihr persö nliches Interesse mit dem der Allgemeinheit zu verwechseln. Wir glauben nicht, daß ein erheblicher Teil der sozialistischen „Führer", die auf die reine Wahl politik eingeschworen sind, bewußt ihr persönliches Interesse mit dem der Arbeiterklasse verwechseln. Aber, ob bewußt oder unbewußt, di« Arbeiter Haden gle ich vieldavon... Seit die sozial demokratische Partei ein reiner Wahlapparat ge worden ist, hört man nicht mehr viel davon, wie die nichtkapitalistische Wirtschaftsweise eigentlich aussehen wird. Das ist höchstens «in Tl)«ma für Festreden, Festartikel und für den Gebrauch der wenigen Nichtpolitiker. Das Gros der Politiker befaßt sich nicht gern mit Wirtschaftsproblemcn, die nicht durch Einbringung einer parlametarischen Motion gelöst oder wenigstens nck acta gelegt wer den können. Staats-, Kommunal- und Genossen schaftsbetrieb? Uederflüssige Frage. Der sozial demokratische Politiker ist für alle drei Systeme; die Hauptsache ist ihm, daß er nicht gezwungen wird, sich den Kopf zu zerbrechen über die Kernfrage des Problems: Wie steigern wir den Ertrag der ge- sellschaftliä>en Arbeit? Aus all den vorstehenden Erwägungen, zu denen mir früher der dazu nötige kritische Sin gefehlt, komm« ich zu dem Schlüsse, daß die wirtschaftliche Entwicklung augenscheinlich nicht zur sozialisti schen Produktionsweise führt, daß di« Sozialdemokratie die Gegenwart der Zukunft opfert. Das heißt, nur die Gegenwart der großen Masse der Arbeiter. Ein kleiner Teil der Sozial demokraten kommt schon heute auf seine Rechnung. Daß sich da wieder eine bevor zugte Schicht bildet, daran ist nicht zuletzt die sozialdemokratische Klassenkampftheoreic schuld, wie eine Betrachtung der wirtschaftlichen Bewegung der Sozialdemokratie recht anschaulich zeigt. Ich bin Sozialdemokrat geworden in der Meinung, nur in der Sozialdemokratie liege das Heil der Arbei terschaft. Nur die Arbciterintercsscn lagen mir am Herzen. In dem Momente, wo ich erkannte, daß die Zukunftshoffnung, der zuliebe ich jederzeit mit vollem Bewußtsein die Gegenwart zu opfern bereit war, eine Illusion ist, trug ich keine Bedenken, der Sozialdemokratie den Rücken zu kehre n." Dies Zeugnis eines Bekehrten ist der sozialdemo kratischen Führerschaft arg auf die Nerven gefallen. Natürlich jucht die rote Parteipresse den ehemaligen Parteigenossen, dem sie einst, als er noch zur Partei gehörte, und als Schriftleiter der Winterthurer „Arbeiterzeitung" ihre Sache verfocht, hohe Intelli genz rachrühmte, jetzt zu diskreditieren. Pechota hat das selbstverständlich vorausgesehen. Allein die zu erwartenden Anfeindungen seiner ehemaligen Partei genossen haben ihn nicht abgehalten, der sozialdemo kratischen Führerschaft in seiner Broschüre den Spie gel vorzuhalten. Sein Zeugnis zeigt eine so intime Kenntnis der Verhältnisse, daß es die weiteste Ver breitung verdient. Manzieile Kriegsbereitllhslt. -s- Im Laufe der letzten Jahre hat man sich mit der finanziellen Kriegsbereitschaft Deutschlands von verschiedenen Seiten her sehr lebhaft beschäftigt. Es ist einmal feftgcstellt worden, daß wir an finan zieller Tragfähigkeit wesentlich stärker sind, als namentlich im Ausland bisher angenommen worden ist. Es ist aber zum andern auch festgestellt, daß wir gleichwohl an finanzieller Kriegs- bereitschaft nicht auf der wünschenswerten Höhe stehen. Wir sind also fähig, im Notfall bedeutende Lasten zu tragen, aber wir sind nicht genügend vor bereitet. im gegebenen Augenblick die nötigen Mittel flüssig zu haben. Dem aufmerksamen Beobachter ist diese Tatsache namentlich in den kriegerischen Zeiten des vorigen Herbstes rcchr deutlich vor Augen ge rückt worden. Die damals gemachten Erfahrungen haben jetzt eine wissenschaftliche Untersuchung ge funden in einem Aufsatz des Dozenten an der Ber liner Handelshochschule Dr. Felix Somary über: „Tie Erfahrungen des letzten Jahres für die Kriegs bereitschaft des deutschen Geld- und Kapitalmarktes" in Schmollers Jahrbüchern. Der Verfasser legt die ungünstige Lage des deut schen Geldmarktes mit Bezug auf finanziclleKricgs- bereitschaft zu jenen kriegerischen Zeitläuften dar und untersucht eingehend die Ursachen jener Lage. Als Hauptursachen der Schwächen des deutschen Geldmarktes sieht Somary die A n l a g e p o l i t i k der S p a r k a s s e n an, die dem Geldmarkt nur win zige Beträge zur Verfügung stellen; die zunehmende Immobilisierung der Depositen der Provinzbanken im Jndustriekredit; den Mangel eines or ganischen Anschlusses der Staats kassen an das Bankwesen. Er verlangt das Halten von Barreserven bei den Spar kassen — deren Einlagen in Kriegszeitcn sehr ge fährdet seien — bankmäßige Organisation des Kassenwesens des Reichs und der Bundesstaaten uno vor allem eine reichliche Dotie rung der Kassenbestände im Reichsbudget. » Daß das Reich in einem Zeitpunkt der politischen Krise ohne verfügbare Mittel war und die ohnedies schwerbelastete Notenbank im ungünstigsten Zeitpunkt in Anspruch nehmen mußte, gibt in der Tat allen An laß, auf künftige Stärkung unserer finanziellen Kriegsbereitschaft zu sinnen. Mannigfache Be mühungen sind ja schon im Gange, das Geld mehr zu sammenzuhalten und den Umlauf des Bargeldes durch die bekannten Ersatzmittel zu verringern. Somary beschäftigt sich am eingehendsten mit der De zentralisation des deutschen Sparkasscnwesens und dem Gedanken, durch eine Zentralstelle der Sparkassen einerseits die Bereitstellung einer größeren Geldreserve bewerkstelligen zu lasten, ander seits zu ermöglichen, daß in kriegerischen Augenblicken von einem Punkte aus die gesamte Finanzgebarung der Sparkasten der politischen Lage angepaßt werde. Da auf unseren Sparkasten rund 15 Milliarden Ein legerguthaben liegen, ist ohne weiteres klar, welche Bedeutung in der Tat die Sparkastenpolitik für die finanzielle Kriegsbereitschaft haben muß. Auf einen andern Punkt geht die erwähnte Unter suchung nicht ein: das ist die starke Inanspruchnahme des deutschen Geldmarktes durch die Konkurrenz der kommunalen Anleihen. Die einzelstaatlichen j Anleihen sind auf ihrem derzeitigen Stande ohne Be denken, da ihnen sehr hohe Werte im Staatsbesitz an Eisenbahnen. Domänen, Forsten, Bergwerken usw. gegenüberstehen. Wie haben aber in Deutschland neben 1,5 Milliarden Reichsanleihen gegen 6 Mil liarden allein an Inhaberschuldoerschreibungen der Stadt- und Landgemeinden. Als das Reich zu einer äußerst zurückhaltenden Anleihepolitik überging, ver mochte es doch nicht, das Sinken des Anlcihekurses zu verringern, da seitens der Kommunen diese Zeit der Enthaltsamkeit von Reich und Emzclstaaten benutzt wurde, um ihrerseits den Markt mit neuen Anleihen zu überschwemmen. Unsere Kommunen sind finan ziell stark überlastet; die schwersten Lasten werden ihnen auferlcgt durch die Aufwendungen, die sie nicht nach freiem Ermessen, sondern auf Grund staatlicher Ordnung für das Schulwesen zu machen haben. Diese kommunalen Lasten dürfen nicht außer acht bleiben, wenn jetzt im Reiche die Frage der Besitz- steuer ihrer Lösung entgegengcbt. Je stärker der Besitz für die Zwecke des Reiches herangezogen wird, um so weniger werden die Gemeinden aus dieser Steuerquellc zu schöpfen vermögen, wenn die Be lastung des Besitzes an vielen Orten nicht die Grenzen des Erträglichen übersteigen soll. Somit wird die Frage der finanziellen Entlastung der Gemeinden mit der Einführung der Bcsitzsteuer für das Reich hoch aktuell und auch im Intereste finanzieller Kriegs bereitschaft der Lösung dringend bedürftig. NeusuMellmigen in üer ülterreichilch-ungsrllltien Armee. lVon unserem Prager Mitarbeiter.) Prag, 15. Juni. Es ist nur eine Frage kurzer Zeit, daß das Wehr gesetz in beiden Reichshälften verabschiedet sein wird. Nebst der zweijährigen Dienstzeit bringt es eine starke Vermehrung der Nekrutenaushebung. Die Folge davon werden Aenderungen des Baues der Armee in allen Waffengattungen sein. Bei der Infanterie soll schon im laufenden Jahre eine Neuformation der Ergänzungsbezirks kommandos, die von den Regimentern ganz abge trennt und vollkommen selbständig gemacht werden, eintreten, ferner wird die Aufstellung von zwei Maschinengcwehrabteilungen für jedes der 106 In- fanterieregimenter erfolgen, dem im Lause der näch sten drei ^zahre eine weitere Vermehrung dieser Ab teilungen folgen wird, so daß dann jedes Infanterie bataillon mit einer solchen Abteilung ausgerüstet sein wird, wie das zurzeit bereits bei der Landwehr der Fall ist. Bei den Jägern werden die 4. Bataillone der vier Kaiserjägerregimenter abgetrennt und zu selbständigen Feldjägerbataillonen umgestaltet werden. Bei vier im Küstenlande stehenden Feldjäger bataillonen sind seit 1911 die vierten Kompanien nach dem Muster der italienischen Bersaglieri in Rad- fabrkompanien umgewandelt worden. Diese Rad- sayrkompanien sollen bereits im Herbst l. I. eine Erhöhung erfahren. Später werden diese Abteilungen bei gleichzeitiger Verbesserung ihrer Ausrüstung durch Beigabe von Motorrädern und Automobilen selb ständig gemacht und auch wieder vermehrt werden, so daß jedes der 17 Korps eine solche Abteilung erhalten wird. Die fehlenden vier Kompanien der vier oben erwähnten küstenländischen Jägerbataillone 11, 20, 24 und 29 sollen durch neue ersetzt werden. Jedes Infanterieregiment und Iägerbataillon erhält weiter eine aus weniger für den Frontdienst geeigneter Mannschaft bestehende „Arbciterabteilung" (3 Unter offiziere, 22 Mann, bzw. 1 Unteroffizier, 11 Manns, so daß für Handwerksarbeiten keine Mannschaft ab kommandiert werden muß. Auch die Artillerie wird eine bedeutende Ver mehrung erfahren dadurch, daß die jetzt für die Land wehr bestinimtcn Artilleriedivisionen in Regimenter umgewandelt werden. Die Vermehrung der Kavallerie wird vorläufig gering sein, doch plant inan in späterer Zeit die Abtrennung von zwei «Schwadronen von jedem Regiment, die sodann nur 4 Eskadrons besitzen werden. Hierdurch würde der Stand der Kavallerieregimenter auf 63 erhöht und jedes Regiment auch einen Pionicrzug erhalten. Da gegen sollen die Kaoalleriemaschinengewehrabteilungen verringert werden. Auch bei den technischen Truppen und beim Train werden Neuformationen eintrcten. Frankreich unü üie Begegnung «les Sailers mit Sem Zaren. cVon unserem Pariser Mitarbeiter.) Pari«, 14. Juni. Tie Begegnung Kaiser Wilhelms mit dem Zaren in den baltischen Gewässern ruft bei den französisck-en Politikern merkwürdigerweise schon jetzt kitzliche Gefühle hervor, die sich wohl nur aus den letzten Unstimmigkeiten Jswolki-Lvuis erklären lassen. Der „Temps" läßt sich aus St. Petersburg telegraphieren, Minister Ssasonow habe Botschafter Louis nachdrücklichst aus die „rein persönliche und private Bedeutung der Begegnung" hingewicsen, der weder er noch Ministerpräsident Kokowzew bei wohnen würden. Herr Poincars wird Ende Juli in St. Petersburg eintreffen, und sein Besuch soll nyit großer Freude erwartet werden. Herr Kokowzew soll letzthin sogar nach dem „Temps" gesagt lHaben: „Ich wünsche so sehnlichst eine Unterhaltung mit meinem französischen Kollegen, daß, wenn ihn die parlamentarischen Arbeiten in Paris zurückgehalten hätten, ich selbst zu ihm gefahren wäre." Schon diskutiert mau an der Seine darüber, ob Poincars auf der Hin» oder Rückreise die Bahn benützen und so Deutschland durchqueren werde . . .! Tas „Echo de Paris" weiß zu melden, daß der Ministerpräsident mit einem Kriegsschiff fahren will, das ihn auf der Newa bis nach st. Peters burg tragen soll. So wird Herr Poincars jeder Berührung mit dem deutschen Boden aus dem Wege gehen und natürlich auch keine Berliner Diplomaten sehen müssen. In der „Action" zeigt sich Jean Herbette beunruhigt: „Man kündigte vor einigen Wochen eine Begegnung zwischen dem Zaren und
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