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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PlänumeranonS-Preis 22j Silbergr. (j Td!r.) vierteljährlich, Z Lhlr. für d.iö gan^e Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazi n für die Pränumerationen werken von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Bert u. Cvmp., Iägerftrafie Nr. 25), so wie von allen Ztönial. Poft - Remtern, angenommen. Literatur des Auslandes. l/ 103 Berlin, Dienstag den 27. August 1844 Persien. Chodzko über das persische Theater. Alexander Chodzko, ein Pole, der sich lange Zeit in Persien aufgchalten und im I. 1842 unter dein Patronate der englischen Gesellschaft zur Uebcr- setzung und Herausgabe orientalischer Werke (Oriental Draiwlslion k'uns) eine Sammlung von Volksliedern der Perser, der Turkomanen, der Tataren von Astrachan und der Kalmücken herauSgcgebcn, erzählt von dem persischen Theater in einem der letzten Hefte der lievue lnsepenüsuce Folgendes- Man weiß zwar in Europa, daß die Perser eine Art dramatischer Poesie besitzen, daß „in dem glänzenden Grunde des Nestes, in welchem die unsicht bare Henne Unka die Eier der Pracht und Freigebigkeit legt, auf der gol. denen Achse, um die sich die menschlichen Größen drehen""), nämlich an dem Hofe des Schachs, „Strebepfeiler an das Dach deS StaateS reichen und kleine Schmucksachen an dem kaiserlichen Steigbügel hängen", nämlich die Chans und BegS, die cs übernehmen, Schauspiele aufführen zu lassen, wie eS ihre Standesgenossen in Europa ja auch zu thun pflegen. Was jedoch bis- her die Reisenden über das persische Theater berichtet haben, ist so ungenau und allgemein, daß dasselbe sogar den Orientalisten kaum seinem wahren Wesen nach bekannt sepn möchte. Ich bin im Stande, gründlicher und weitläufiger darüber zu sprechen, da ich mich an Ort und Stelle viel damit beschäftigt habe. Ich habe Trauer- fpicle gesehen, oder, wie sich meine Freunde in Muhammed auSdrückcn würden, „mich in den Spiegeln gespiegelt, deren glänzende Oberfläche von dem Hauche der Traurigkeit getrübt ist". Ich hatte komische Schauspieler in meinem Solde und wurde von ihnen das Leitpferd (Pischaheng) genannt, das, die Glocken schüttelnd, die an seinem Halse hängen, ihre Karavane in den sicheren Hafen führe. Ich beschäftigte zuweilen einen Dichter, oder in persischem Stpl: ich bestrich das Ende deS SeidcnfadcnS mit Wachs, damit er die Perlen seiner poetischen Schätze, eine nach der anderen, leichter aufrcihen könne; ja eS ward mir sogar die Ehre zu Theil, den Leichcnzug der heiligen Jmame anzuführen oder, wie wir u»S bürgerlich ausdrücken würden, auf meine Kosten Trauer spiele aufführen zu lassen. Die Kenntniß der persischen Theaterstücke ist nicht ohne Wichtigkeit für das Studium der Geschichte des europäischen Drama's. Sie erinnern an die lyrischen Dramen der Griechen, vorzüglich aber an die Mysterien des Mittel alters, und es werden die persischen Lust- und Trauerspiele nicht besser be zeichnet werden können, als wenn man sie Farcen und Mysterien (epiawlse sarsitae, m^steria) nennt- Das europäische Publikum kann noch in diesem Jahre am lOten und l2ten deS Monats Moharrem in Teheran eben solche Stücke sehen, als sie zur Zeit Karl'S des Kühnen in Frankreich und Deutsch land aufgeführt wurden, und die Beschreibung der Mysterie von Pierre Grin- goire in Victor Hugo'ö Notre-Dame paßt in Bezug auf den Charakter des Stücks und die Scenerie eben so gut auf eine persische Tragödie. Zuvörderst ist cs nicht weniger asiatisch als mittelalterlich, daß Keiner von Allen, die zur Abfassung oder Ausführung eines Stückes Mitwirken, weder der Dichter, noch die Schauspieler, noch selbst die Verkäufer von Eßwaaren oder Getränken, irgend eine Vergütigung annehmcn. Denn in Persien gilt eS für ein ver dienstliches Werk, dem Volke ein Schauspiel zu geben ; der Unternehmer fördert dadurch das Heil seiner Seele, und die Scencn, die er aufführen läßt, sind eben so viele „Ziegel, die er hier unten brennt, um seinen Palast im Himmel aufzubquen". Unter diese frommen Beweggründe mischen sich zuweilen auch weniger erhabene. Die Reichen und Vornehmen vermehren durch dieses Mittel ihren religiösen und politischen Einfluß, wie sich die römischen Prätoren und Aedilcn der munera bedienten, um zum Konsulat zu gelangen. Auch der Befriedigung der Eitelkeit bieten diese Schauspiele ein weites Feld. Sie liefern dem Unternehmer die beste Gelegenheit, seinen Reichthum an Edelsteinen, ShawlS, kostbaren Stoffen und Geschirren vor dem Publikum zu entfalten und „die fettesten Maulwürfe aus der Höhle seines Harems" dem Volke vor- zuführcn, die sonst ungesehen und unbewundert ewig in der Verborgenheit ihres Schlosses geblieben wären. Zuweilen kommt eS auch vor, daß, wer ein Schauspiel giebt und nicht hinlänglich mit Kostümen und Geschirren ver sehen ist, dieselben von seinen Freunden entlehnt. Eben so lieh auch in Rom Lucullus einem seiner Freunde, der eine dramatische Vorstellung veranstaltete, ') Dieser Ausdrücke bedienen sich die persischen Kanzleien bei der Abfassung der Fermane und anderer offiziellen Papiere. fünftausend phönizische Purpurmäntel. Bei der berühmten Aufführung, die Mirsa Abul Hassan, ehemaliger Gesandter in Paris, im Jahre I83Z in Folge der Genesung seines Sohnes crekutiren ließ und die vierzehn Tage dauerte, sah ich diesen persischen LuculluS zur Ansicht des Publikums achtzig Käschcmirs und Juwelen im Wcrthe von ungefähr drei Millionen Francs ausstellcn. Die glänzendsten Kostüme der großen Oper in Paris würden der bea» muiule in Teheran werthloser Plunder scheinen. Der Dichter lebt auf Kosten deS Entrepreneurs. Wir werden später seine Functionen näher kennen lernen und uns erst über die verschiedenen Gattungen der dramatischen Poesie unterrichten, die in Persien gebräuch lich find. I. Dsmaclm, Farce, Posse. Sie wird von den Luty'S, einer Art von Jongleurs, improvisirt. ES sind dies die einzigen Musiker und Tänzer von Profession, die es in Persien giebt. Sie führen Bajaderen, Markischeicr uno, wenn ihre Truppe auf Vollständigkeit Anspruch machen will, auch Affen und Bären mit sich, von denen sie bei ihren Späßen unterstützt werden. Da eS hier darauf ankommt, den großen Haufen zu amüsircn, suchen die Luty'S durch derbe Witze und per sönliche oder lokale Anspielungen Lachen zu erregen und durch — gelind ge sagt — unanständige Gebcrden die Leidenschaften zu erwecken. Jndeß habe ich doch einige sehr spaßhafte Stücke dieser Art gesehen, und will, um eine Idee davon zu geben, den Gang einer solchen Tcmacha erzählen. Die Aehnlichkeit mit dem, was uns von den Darstellungen des TheSpis und Musarion über liefert wird, ist nicht zu verkennen. Die Schauspieler der ältesten Griechen beschmierten sich mit Weinhese; die persischen Komiker bestreuen sich mit Mehl. Der Stoff der Temacha's ist immer aus dem Landleben genommen, wie sich auch die tabula« stellsna« der Römer stets in demselben bewegten. Wir lassen das Sujet einer Posse, betitelt: die Gärtner, folgen, schicken aber voraus, daß natürlich das Wesen derselben mehr in der Action, als in dem Inhalte besteht. Das Theater soll einen Garten vorstellen. Man befindet sich mitten im Sommer. Zwei Gärtner erscheinen in paradiesischem Kostüm, ohne alle andere Bekleidung, als ein Stück Schaffell um die Hüften. Der ältere heißt Bagyr, ist reich und Vater eines schönen Mädchens, das er in seinem Gynäceum verborgen hält. Der jüngere, Ncdschef, ist arm und listig. Das Gespräch beginnt, indem jeder die Melonen seines Gartens preist. „Das Fleisch der meinigen", sagt Bagyr, „macht den weißesten Zucker vor Eifersucht erblassen." — „Die sammetne Rinde der meinigen", sagt Ncdschef, „fühlt sich so zart an, wie der Flaum, der die Wange einer fünfzehnjährigen Schönheit bedeckt." Der Streit spinnt sich fort in der Weise der thcokritschen Schäscr und endigt mit einer Schlägerei. Nedschcf's Faustschläge siegen ; man schließt Frieden, und Bagyr proponirt seinem Nachbar, „den Brand dcr Zwietracht in den Wellen jenes Tranks zu löschen, den der Prophet verboten." — „Trinke du immer das Blut erlegter Kämpfer, ich trinke das dec Traube." Bagyr nimmt es auf sich, alle Kosten des Mahles zu tragen. Nedschcf läuft davon, um Wein zu holen; Bagyr ruft ihn zurück und empfiehlt ihm, ja nicht den Hammelbraten zu vergessen. Nedschcf geht, Bagyr ruft ihn wieder zurück und trägt ihm neue Gerichte auf. Kaum ist er fort, so schreit ihm der unersättliche Gastgeber von neuem nach. Er will umsinken vor Müdigkeit, und doch kann er der lockenden Versuchung nicht widerstehen, sich immer wieder Aufträge geben zu lassen. Endlich faßt er einen herzhaften Entschluß, stopft sich, wie Ulysses, die Ohren zu und rennt aus Leibeskräften davon. Bagyr, der allein zurückgeblieben ist, bereitet sich mit ErnH zu dem bevorstehenden Mahle vor. Er macht die rituellen Waschungen und parodirt überhaupt die religiösen Gc- bräuche der frommen Muselmänner. Die Scene endigt mit dem Banket, das Nedschef durch Guitarrenspiel erheitert und auf dem von beiden Nachbarn sehr viel getrunken wird. Die Gewandtheit dcr Schauspieler und das Komische dcr Scene bestehen nun darin, daß alle Symptome des zunehmenden Rausches vollkommen nachgcahmt werden. In Persien, wo keine öffentliche Schenken eristiren und das Volk sehr nüchtern ist, muß eine solche Darstellung das Publikum sehr belustigen. Bagyr fällt endlich in Schlaf. Nedschef, dessen ganze Betrunkenheit nur die Finte eines Verliebten war, holt sich rasch das junge Mädchen und besingt vor ihr seinen Sieg. — Noch interessanter als die Tcmacha ist in dem komischen Genre das Kara- geiir (das schwarze Auge) oder das Marionettentheater. Diese Art des Schau- spiels ist in Persien national und schon im frühesten Alterthum dort bekannt gewesen. In Europa hat man die Nationaldramen dcr verschiedenen Völker