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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.07.1893
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-07-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930727015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893072701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893072701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1893
-
Monat
1893-07
- Tag 1893-07-27
-
Monat
1893-07
-
Jahr
1893
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va. UM s 710. UV l V4 >00 V7L. r 8, «7 i«r- l»M »no.1 itLkV liu» Bezugs-Preis h, d« Hauptexpedition oder den im Stadt, bewirk and den Vororten errichteten Au«, gabestellea abgeholt: vierteljährlichst 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau« 5.50. Durch die Post bezogen sür Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 8.—. Direkte tägliche Kreuzbaiibieabuog tat Ausland: monatlich 7^0. LieMorgen-Ausgabe erscheint täglich'/,7 Uhr, di« Abend-Ausgabe Wochentag« 5 Uhr. Ne-arlion und Expedition: AohanueSgaffe 8. Dii Enxditioa ist Wochentag» ununterbrochen ^öffnet «m früh 8 bt» Abend» 7 Uhr. Filialen: vtt« Rle»m'« Eortim. (Alfred Hahnx Universitätsstraß« 1, Laut« Lösche, NaHarinenstr. 14, pari, und König»platz 7. Morgen-Ausgabe. KiPMtr.TWMM Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- nnd Geschäftsverkehr. Arrzeigerr-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile SO Reklame» unter dem Redattion«strlch spalten) bO^j, vor den FamilieanachetchtW (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Zifferufatz nach höherem Tarif. Srtra-Veilagrn (gesalzt), nur mit bed Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördernna 60.—» mit Postbesörderung >ll TO.—. Ännalimeschluß für Anzeigen; Abead-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Marge u-Au-gade: Nachmittag« 4 Uhr. Sonn- nnd Festtag« früh '/,S Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen j« ein« halb« Stund« früher. ^ Anzeigen sind stet« an dt« Expedttt«» zu richte». Druck und Verlag von E. Pol» i» Leipzig. ^ 37!). Donnerstag den 27. Juli 1893. 87. Jahrgang. Amtliche Bekanntmachungen. Bekanntmachung. Die öffentlich ausgeschriebenen Arbeiten zur UcberwölbUNg der Rirhschtc in Leipzig-TcUer Hause» sind vergeben worden. Die unberücksichtigt gebliebenen Bewerber werden deshalb hier durch aus ihren Angeboten entlassen. Leipzig, am 21. Juli 1893. Io. 3021. Ter Math der Stadt Leipzig. 877. vr. Tröndlin. Lichorius. Gefunden wurde hier vor einigen Tagen rin Portemonnaie mit über 100V Mark Inhalt. Zur Ermittelung des EigenthümerS wird dies hierdurch bekannt gemacht. Leipzig, am 21. Juli 1893. Das Polizeiamt der Stadt Leipzig. In Stellvertretung: HI. 3961. vr. Schmid. Gast. Bekanntmachung. Zum Behuf der gegen Ende jedes akademischen Halbjahres zu haltenden Revision der Universitäts-Bibliothek werden die Herren Studirenden, welche Bücher aus derselben entliehen haben, aus- gefordert, diese am 31. Juli, 1.—5. August gegen Zurückgabe der Empfangsbescheinigungen abzuliefern. Die Ablieferung wird in der Weise zu geschehen haben, daß die jenigen, deren Namen mit einem der Buchstaben R anfangen, am 31. Juli und I. August, die, deren Namen mit einem der Buch staben I—U. beginnen, am 2. und 3. August, und die Uebrigen am 4. und 5. August (früh zwischen 10—1 Uhr) abliefcrn. Alle übrigen Entleiher werden aufgesordert, die an sie verliehenen Bücher am 7.—11. August (während der gewöhnlichen Oeffnungsstunden) zurückzugeben. Während der Nevisionszeit (31. Juli bis 14. August incl.) können Bücher nicht ausgeliehen werden. Leipzig, den 25. Juli 1893. Tic Tirection Ser Universitäts-Bibliothek. Bekanntmachung, Wasscrmcistrr bctr. Für unser Im Baue begriffenes städtisches Wasserwerk, besten Inbetriebsetzung spätestens zu Neujahr 1894 zu erwarten ist, soll ein Wassermeisier, welchem das Rohrnetz und die Hausleitungen unterstehen, und welcher zur Ausführung von Reparaturen an den- selben befähigt sein must, baldigst angestcllt werden. Als Anfangsgehalt sind 1200 ,/t jährlich in Aussicht genommen. Gelernte Schlosser oder Mechaniker, welche schon bei größeren Wasserwerken als Wasser- oder Rohrmeister gearbeitet haben, werden ersucht, ihre BewerbungSgesuche nebst Zeugnissen bis zum 7. August 1893 bet uns einzureichcn. Baldiger Antritt ist er wünscht. Wurzen, den 20. Juli 1893. , Ter Ttadtrath. I- 1710. Vr. Krippendorsf. Die preußische Polenpolitik. * Kaum bat die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" der Meldung der Tborner „Osld.Zlg.", daß die preußische Negie rung die Schulinspcctionc» in Posen zu Aeußerungen darüber veranlaßt habe, inwieweit Aenderungen inderErtheilung des polnischen Sprachunterrichts cinlrclen könnten,die Be hauptung entgegengesetzt, „daß seitens der Eentralinstanz eine Beifügung solchen Inhalts nicht ergangen sei", so wird von anderen preußischen Osficiöscn schon eingestanden, daß die preußische Regierung die Erweiterung des polnischen Sprachunterrichts „in Erwägung gezogen" habe. Und nicht nur das wird cingestanden, sondern es wird auch versucht, Stimmung für eine solche Erweiterung zu macken, die angeblich schon lange vor den letzten Reichstags- Wahlen in Erwägung gezogen worden ist. So schreibt man dem „Hamb. Corr." aus Berlin: „Schon seit geraumer Zeit wurde hier in Berlin die Frage wiederholt erwogen, ob die polnisch redenden Schulkinder nicht soweit in der Fähigkeit, das Polnische geläufig lesen und schreiben zu können, gefördert werden müßten, daß sie im Stande seien, in dem von den Geist lichen polnisch ertheilten kirchlichen Beicht- und Communion- unterricht den polnischen Mcmvrirstoff (Gebete, Kirchcn- gesänge, Abschnitte aus der biblischen Geschichte und aus dem Katechismus) selbstständig zu lesen und zu versieben. Von polnischer nnd namentlich geistlicher Seite wird deftige Klage darüber geführt, daß die am kircklichen Beicht- und Eommunion- unterricht tbeilnehmcnden polnischen Kinder nicht einmal die jenige Lesefertigkeit in, Polniscken besäßen, die für die erfolg, reicke Thcilnahmc an diesen! Unterricht, namentlich für die Er lernung und Beherrschung des Memorirstofscs, unentbehrlich sei. Der EultuSministcr hatte bald nach seiner RevisivnS- reise in der Provinz Posen im Abgeordnetenhaus- erklärt, er bade im Allgemeinen nur günstige Ergebnisse der jetzigen Ertheilung des deutschen Unterrichts vorgefunten und finde keinen Anlaß, daran etwas zu ändern; ob die polniscken Klagen über das nickt genügend ermöglichte Verständnis! der Kinder für den polniscken Religionsunterricht begründet seien, betrachte er als eine noch offene Frage. Zn dieser Beziehung könne möglicherweise ein gewisses Entgegenkommen gerechtfertigt sein, da er durchaus nicht wolle, daß die Methode des Schulunterrichts zu einem religiösen Gewissenszwangc sür die polnische Bevölkerung führe. Aehnlickes ist auch in den diesjährigen Verhandlungen des Abgeordnetenhauses vom RcgicrungStische ans, freilick mit großer Vorsicht, angebeutct worden. Die seit länger als Jahresfrist im Flusse befindliche Prüfung der Frage, ob bier ein religiöses Bedürfniß vorlicge, sür dessen Befriedigung durch die Schule etwas geschehen müsse, und, wenn dies zu bejahen wäre, in welcher Weise dies unter Aufrccktcrballung der bewährten Methode deö deutschen Schulunterrichts aus- gefübrt werden könne, scheint noch nickt abgeschlossen zu sein." Dann wird darauf hingcwiesen, daß die Regierung einer Bevölkerung gegenüber, die erfahrungsgemäß in jeder Con- cession den Anlaß zu den extravagantesten Forderungen zu sehen pflegt, äußerst vorsichtig sein müsse, zugleich aber wirb auch versichert, daß die Regierung es an „eiserner Energie" nicht fehlen lasten werde, um die bereits in den polnisch» redenden LandeStheilen gewonnenen Früchte deutscher Eultur- arbeil aus dem Gebiete der Schule nicht wieder in Frage, zu stellen. Ganz ähnlich äußert sich ein Ossiciösus in der „Tägl. Rundsch", der gleichfalls versichert, daß, weil es früher oder später zu Entschließungen kommen sollte, diese Entschließungen sicherlich nicht als gegen deutschnationale Interessen verstoßende Eoncessionen an die Polen aufgefaßt werden dürsten. DaS genannte Blatt bemerkt jedoch zu dieser officiösen StimmungS- macherei mit Recht: „Wie die Dinge hiernach liegen, wird sich noch oft Gelegenheit bieten, die Frage des polnischen Unterrichts zu behandeln. Wir möchten aber schon heule bemerken, daß wir die Ansichten der leitenden Kreise in keiner Weise zu theilen vermögen. Selbst wenn man zugeben könnte, daß eine Schädigung des DeutschthumS aus den geplanten Maßregeln nickt zu befürchten stände, bliebe doch eine bedauerliche Schädigung des Ansehens der Regierung zu befürchten Von welchen inneren Beweg gründen sie immer auch geleitet sein mag: nach außen bedeutet die Wiedcrzulassung deS polnischen Schulunterrichts eine neue Concession an das Polenthum» die in der Nation einen um so peinlicheren Eindruck machen müßte, als sie trotz aller gegentheiligen Verheuerungen als klingende Belohnung für die polnische Ab stimmung in der Heeresfrage aufgefaßt würde. Das Polentbum aber würde seine nationalen Ansprüche nach diesem Erfolge nur höher schrauben und nichts weniger als ein „Vorbild sür Alle" sein. Wir können daher unmöglich glauben, daß der „neue Eurs" die großen Schwierigkeiten, mit denen er ohnehin zu kämpfen hat, noch um neue zu vermehren gedenkt." Der preußischen Regierung wird es ohnehin sehr schwer werden, die polnischen Ansprüche in Schranken zu halten, nachdem die Hoffnungen der Polen durch die bekannten Be weise kaiserlicher Gnade und Dankbar keit ganz wesentlich gesteigert worden sind. Dem edelsten Gefühle entsprungen, haben diese Beweise doch auf eine Nation, deren undeutsches Wesen Len Glauben an Liebe zum Reiche nicht auskommen läßt, nicht so wirken können, wie sie wirken sollten. Edle Gcmüthcr danken auch sür Handlungen, die dem Ganzen zu gute kommen, obgleich sie lediglich der Selbstsucht entsprangen: die selbstsüchtigen Empfänger solchen Dankes gründen aus ihn nur neue Specnlationen und erhöhte Ansprüche. Die deutsche Presse bat bisher über diese Beweise kaiserlicher Gnade und Dankbarkeit gegen die Polen sich nicht eingehender ausgesprochen, weil sie den Anschein vermeiden wollte, als fühlten sich die Parteien, die gleich den Polen, aber auS anderen Gründen sür die Militairvorlage gestimmt haben, zurückgesetzt und gekränkt. Jetzt, wo die preußische Regierung fick mit dem Gedanken an neue Eoncessionen an die Polen trägt, wird jedoch ein Hinweis auf die Wirkung jener kaiser liehen Gnadenacte und Dankesworte zur Pflicht. Höchst lehrreich sind die Auslastungen der russischen Preste über diese Wirkung. Sic sind nicht ganz richtig, aber sie könnten und müßten richtig werden, wenn die preußische Regierung ihre Absichten verwirklichte. Deshalb tbeilen wir einige zener Auslassungen mit. Die deutsche Gesellschaft, so sührt die „Nowvje Wremja" aus, wird es wohl mit schwerem, dumpfem Gefühle vernommen haben, daß nach Ansicht des Kaisers die Polen in Bezug auf wahren Patriotismus als Vorbild allen anderen Unterlyanen dienen können. Dieses von der Höhe des Tbroncs laut und öffentlich er- thrilie Zeugriiß müsse einen überaus großen Tbcil der regierungs freundlichen Parteien im Reichstage verwirren und schwer ver letzen, denn wenn man nüchtern an die Beurtheilung des kaiserlichen Handschreibens herantrete, so ergebe sich klar und deutlich, daß Kaiser Wilhelm unumwunden feststelle, sür die Annahme der Militairvorlage sei eine deutsche Majorität nicht zu erzielen gewesen. Es wäre besser gewesen, diese Thatsache nicht so offen und rückhaltlos auszusprechen, weil doch die Polen kein Gehcimr.iß daraus gemacht hätten, daß ihre Bereitwilligkeit, sür die Militairvorlage einzutreten, mit der Anhänglichkeit an Kaiser und Reich überhaupt nichts zu thun habe, sondern auf den Neid und Haß zurückzusühren sei, den die Polen besonders seit der Annäherung Frankreichs an Rußland für letzteres cmpsänden. In dessen sei eS nickt ausgeschlossen, daß die Schlußworte des vom deutschen Kaiser an Herrn von KoScielSti gerich teten TelegrammeS nicht, wie manche Beurlheiler anzu- nebmen gern geneigt seien, dem Optimismus und der Warmberzigkeit deS Kaiser- Wilhelm ihren Ursprung verdanken, sondern Ausflüsse einer fein entworfenen und tief durchdachten Taktik seien, indem Graf Caprivi sich die Polen bei der im Reichstage auf eminente Schwierig keiten stoßenden Regelung der finanziellen Seite der Militair vorlage sickern wolle. Doch wenn dem auch so sei, so habe man zur Erreichung diese- Zwecke- ein überaus gewagte- Mittel angewendet, denn es sei nicht- gefährlicher, als All deutschland die Polen als verkörperte Ideale von Loyalität und Patriotismus vorzuhalten. — Den „Peterburgskija Wjedomosti" fällt es schwer, zu glauben, daß der deutsche Kaiser seinen Unterthanen die Polen als nachahmcnSwertbe Borbilder hingeslellt babe, doch stamme diese überraschende Nachricht von der officiösen Wolff'schen Telegraphen-Agentur, und darum sei ein Zweifel an ihrer Authenticität aus geschlossen. Genau mit demselben Rechte dürfe man nun die Elsaß-Lothringer, die Welfen und Dänen als Muster sür NcichStreue und Loyalität hinstellcn. (?) Es sei überhaupt ausfallend, wenn in irgend einem Staate nicht besten Stammbevölkerung, der das Reich doch sein Dasein, seinen Ausbau und seine Größe verdanke, als Muster hingestellt werde, sondern wenn man diese große und schwerwiegende Aus zeichnung fremden Volkselementen zu Theil werden lasse, die sich nur widerwillig in den StaatSorganismuS fügen und nur durch Waffengewalt, Verträge oder freiwillige Unterwerfung einst dem Reicke als nebensächliche, noch zu assimilirende Bestandthcile cinverleibt worden seien. WaS sollten nun die altpreußischen Conservativen, die Nationalliberalen, die Frei- sinnigen der freisinnigen Vereinigung, die Deutsch-Socialen, die doch gleichfalls für die Militairvorlage wacker eingelreten sind, von dem Telegramm an den Herrn von KoscielSki denken? „In welcher Bezickuna ist für diese Parteien die polnische Fraction vorbildlich?' Da« deutsche Nationalgesühl sei durch das Schönthun mit den Polen schwer verletzt, und energisch werde sich Wohl da- ganze Volt gegen die Zu- mutbulig ausbäumen, von den Polen Loyalität und Patrio tismus zu lernen. Zum Schluffe führt das russische Blatt noch aus, daß diese die inneren Zustände de- deutschen Reiches so sehr charakterisirende Episode jeder internationalen Bedeutung absolut entbehre. Die Zeiten seien schon lange vorüber, wo jedes aus Berlin kommende Wort eine schwer wiegende Bedeutung hatte, und nicht einmal die Polen würden sich dem Trugschlüsse hingeben, daß für sie nunmehr eine neue Äera im Anzuge sei. — Selbst die äußerst vorsichtige und zurückhaltende deutsche „St. Petersburger Zeitung" kann nicht umhin, bezüglich deS kaiserlichen Dankes an Herrn von Ko-ciclSki und die polnische Fraction sür die Treue gegen Kaiser und Kaiserhaus, „die Jedermann zum Beispiel dienen könnte" zu bemerken, „vaß die Worte an Herrn von KoS- cielski einen bösen Nachhall im Herzen des deutschen Volkes finden würden. Es sei durchaus ungewöhnlich und bisher Wohl auch nie dagewesen, daß ein deutscher Kaiser seinem Volle die Treue der Polen gegen das deutsche Herrscherhaus zum Muster empfehle." Wie gesagt, eS ist in diesen Auslastungen manche- Irrige. Die Nicktpolen, die für die Militairvorlage gestimmt haben, sühlen sich durch die von den edelsten Empfindungen cingegebencn Worte des Kaiser- nicht verletzt. In der Hand der preußischen Regierung liegt eS jetzt, daß das so bleibt. Die Pole» sind schon belohnt über ihr Verdienst. Geschieht noch mehr, so werden die Folgen nicht nur in Preußen, sondern in ganz Deutschland sich fühlbar machen. Deutsches Reich. 8S. Berlin» 26. Juli. Die »Köln. Ztg." ergeht sich über Herrn Stöcker und den Antisemitismus in einer Be trachtung, die sehr viel Zutreffendes enthält, aber mit dem gewöhnlichen „eeterum ceuLeo" diese- Blattes endigt, näm lich der Empfehlung, das Reichstagswahlrecht zu ändern. Damit wird ein Widerspruch in die Auseinander setzung getragen. Es wird dargethan, daß Herr Stöcker sich von seinen Schülern, die nunmehr seine Feinde geworben sind, nicht wesentlich unterscheide, daß AhlwardtiSmuS und Böckelthum nur andere Nummern des Fadens Stöckcrei seien. Wenn das richtig ist, und es läßt sich Stichhaltiges kaum dagegen Vorbringen, so bat sich das preußische Wahl recht ebensowenig als eine Schutzwehr gegen den Anti semitismus gezeigt, wie daS Rcichstagswahlrccht. Jenes „Bildung und Besitz" berücksichtigende Wahlgesetz hat denselben Herrn Stöcker ins Abgeordnetenhaus gebracht, der eben bei einer nach dem allgemeinen und gleichen Recht vorgenommenen Wahl einem gemäßigten Liberalen unterlegen ist. Und neben Stöcker saßen im Landtage Herr Wackerbarth, dessen Specialität eS ist, das Ansehen der Justiz zu untergraben, und Herr Crem er, dessen letzte Parlamentsrede über die Juden von keiner Volksversammlungsrede Ahlwardt'S über- troffcn worden ist. Die Angriffe gegen das Reichöwahlsystem lassen fick, wie jede politische Anschauung, durch geschichtSphilo- sophischc Betrachtungen stützen, aber nicht durch die Wahlergeb nisse. Wir haben mit diesem Wahlrecht in den 70er Jahren eine in jeder Hinsicht glänzende Vertretung gehabt, daS allgemeine und gleiche Stimmrecht hat 1887 einen erhebenden Sieg des nationalen Gedankens nicht verhindert, und wenn bei den letzten Wahlen statt eines solchen Sieges nur ein knapper Erfolg erzielt worden ist, so ist die Ursache nicht in dem Recht der „Masten", von denen die „Köln. Zeitung" spricht, sondern in der nicht grundlos entstandenen Verstimmung der „Massen" zu suchen. Es würde jeden falls einer Besserung der öffentlichen Zustände dienen, wenn die Frage einer WahlrechtSänderung künftig von der öffentlichen Erörterung gänzlich ausgeschlossen bliebe. Dies dürfen sich nicht nur die Gegner des allgemeinen und gleichen Stimmrechts, sondern auch die Freunde der Diätengewährung gesagt sein lasten. Wenn jemals eine politische Lehre all Ld3urcknm geführt worden ist, so ist es diejenige, daß Tiätenlvsigkeit unbemittelten Personen daS Parlament verschlösse. Ein Weiteres hierüber auSzusübren, erübrigt sich angesichts notorischer Tbatsachen. Nur daran sei erinnert, daß trotz der Verweigerung von Tagegeldern in der vorletzten Session ein Volksvertreter — eS war Herr Pickcnbach — Anlaß nehmen konnte, den deutschen Reichstag über die Entstehung seiner ringeklagten Weinschulden des Längeren zu unterhalten. 0. ü. Berlin, 26. Juli. Auf dem internationalen Socialistencongreß in Zürich wird bekanntlich auch folgender Antrag der holländischen socialdemokratischen Partei zur Verhandlung kommen: „Der Congrcß beschließt, die inter nationale Arbeiterpartei einzuladcn, sich bereit zu halten, um unverzüglich auf eine Kriegserklärung durch die Ne gierung mit einer allgemeinen Arbeitseinstellung zu antworten, überall da, wo die Arbeiter einen Einfluß auf den Krieg ausüben können; und in den fraglichen Ländern die Kriegserklärung zu beantworten mit einer militairischen Dienstverweigerung." Aus solchen internationalen Eon- greffen pflegt bekanntlich der Eine ven Anderen in revo- lutionairen Reden und Anträgen zu überbieten, die Möglich keit ist daher nicht völlig ausgeschlossen, daß der holländische Antrag zur Annahme gelangt. Außer den holländischen „Ge nossen" dürften die heißblütigen italienischen und spanischen, die belgischen, die dänischen und vielleicht auch die schweize rischen Delegirten sich dafür erklären; die Genosse» der drei letztgenannten Staaten dcskalb, weil Dänemark, Belgien und die Schweiz so leicht nicht in die Lage kommen, in einen Krieg ver wickelt zu werden. Die deutschen Genossen sind selbstverständ lich gegen den Antrag und Herr Bebel wird den Holländern den Kopf wohl tüchtig waschen. Er wird darauf Hinweisen, daß selbst der hervorragende holländische Genosse van der G»eS den Antrag bekämpft bat, und ferner wird er hervorheben, daß im vergangenen Winter in den revolutionairsten Kreisen Hollands einige Polizisten und Gendarmen die aufgeklärtesten und erleuchtetsten „Genoffen" wieder zur Raison gebracht baben. Die praktischen Engländer dürfen denselben Stand- punct vertreten und sich hierin mit den Franzosen be gegnen, die auch den birnverbrannten Nieuwenhui«scheu Er güssen wenig Geschmack abgewinnen können. So ist also die Möglichkeit vorhanden, daß die Holländer mit ihrem Anträge durchsallen, aber sicher ist das, wie gesagt, noch nicht. Die schweizerischen „Genossen", die ja ganz selbstverständlich in sehr stattlicher Anzahl erscheinen werden, geben den Aus schlag. in der Hand, denn in größerer Stärke als 60 bis 70 Mann werden die Deutschen wohl nicht kommen. Sollten alle Stricke reißen, so kann ja Herr Bebel die Abstimmung mit dem Einwand bekämpfen, daß eine Partei, für welche bei den deutschen Neichstagswahlen 1 700 000 Stimmen ab gegeben wurden, sich nickt von dem kleinen Hausen hollän discher „Genossen" terrorisiren lasten dürfe. Jedenfalls bereitet der holländische Antrag den Deutschen diesmal sehr viel Pein, und man wird sroh sein, wenn man über diesen Berg hinüber ist. * Berlin, 26. Juli. Nach den im Reichö-VersichenmgS- amt angesertigten, vom „Reichsanz." veröffentlichten Zu sammenstellungen betrug am 1. Juli 1893 die Zahl der seit dem Inkrafttreten des Invaliditäts- und Alters- Versicherungs-Gesetzes erhobenen Ansprüche auf Be willigung von Altersrente bei den 3l Bersickerungs- Anstalten und den 9 vorhandenen Caffcneinrichtungen 245 Ol3. Von diesen wurden 103114 Rentenansprüche anerkannt und 42 984 zurückgcwiesen. 3810 blieben un erledigt, während die übrigen 5105 Anträge auf andere Weise ihre Erledigung gefunden haben. Von den erhobenen Ansprüchen entfallen auf Schlesien 28 331, Ostpreußen 22 414, Brandenburg 18 814, Rhein- Provinz 16178, Hannover 14 208, Sachsen-Anhalt 13 984, Posen 12 777, Schleswig-Holstein 9356, Wcslprcußen 9266, Westfalen 9255, Pommern 825l, Hessen-Nassau 5352, Berlin 2703. Auf die 8 Versicherungsanstalten des Königreichs Bayern kommen 24 631 Altersrentenansprüche, auf das Königreich Sachsen 10 254, Württemberg 5468, Baden 4635, Groß- berzogthuin Hessen 4026, beide Mecklenburg 5034, die Thüringischen Staaten 5103, Oldenburg 892, Braunschweig 1718, Hansestädte 1718, Elsaß-Lothringen 7200 und auf die 9 zugelaffcnen Easseneiiirichtuugcn insgesammt 3445. Die Zahl der während desselben Zeitraus erhobenen Ansprüche auf Bewilligung von Invalidenrente betrug bei den 31 Versicherungsanstalten und den 9 Eaffcneinrichtungen inSgesammt 59 247. Bon diesen wurden :!4 74<i Renten ansprüche anerkannt und 15 938 zurückgewicsen, 5722 blieben unerledigt, während die übrigen 284 l Anträge auf andere Weise ihre Erledigung gefunden baben. Von den geltend gemachten Invalikenrenteii-Ansprücken entfallen aus Schlesien 8284, Rheinprovinz 4660, Ostpreußen 4468, Branden burg 3107, Hannover 3072, Sachscn-Anbalt 2672, West- prcußen 2483, Westfalen 2121 , Posen 2096, Pommern 2065, Hessen-Nassau 1272, Schleswig-Holstein 89l, Berlin 863. Aus die 8 Versicherungsanstalten des Königreichs Bayern kommen 7308 Jnvalidenrentenansprüche, auf das König reich Sachsen 2138, Württemberg 159l, Baden 1686, Großberzogthum Hessen 686, beide Mecklenburg 657, die Thüringischen Staaten >006, Oldenburg 158, Braunschweig 373, Hansestädte 297, Elsaß-Lothringen 1154 und auf die 9 Eaffeneneinrichtungei! insgesammt 4139. Unter den Per sonen, die in den Genuß der Invalidenrente traten, befinden sich 1025, welche bereits vorher eine Altersrente bezogen. * Berlin, 26. Juli. Zu stürmischen Sccnen kam es vorgestern Abend in einer öffentlichen, von über lOOO Perlonen besuchten Ver sammlung der „Unabhängigen" und „Anarchisten" in der Berliner Ressource (Eonimandantensiraßc). Tie Tagesordnung lautete: „Discussion über die Demokratie". Gleich bei der Eröffnung geriethen — so berichtet die „Post" — die feindseligen Parteien aneinander. TerEinbernfcr, Vertrauensmann Großmann, wollte die Praxis der Anarchisten, kein Bureau zu wählen, acceptiren. Maler Buhr protestirt gegen eine solche Handhabung der Geschäfte. (Widerspruch, Beifall und Unruhe.) Wiese (Anarchist): Wir frei- denkenden Männer haben mit diesem Knechtschasissysiem gebrochen. (Sehr richtig I Unruhe.) Buhr stellt den Antrag, ein Bureau zu wählen und schlägt die Genoffen Link, Wildbergcr und Ernst vor. (Hohn geiächter, Lärm. Rufe: Zur Tagesordnung! Unsinn!) Der Antrag Buhr wird schließlich mit großer Mehrheit abgelehnt und die Ver sammlung beginnt ohne Bureau. Buhr: Ich conslatire, daß der erste Blödsinn gemacht ist. (Allgemeiner Lärm und Zurufe). Hierauf nimmt Redacteur Landauer vom „Socialist" das Wort: Der Begriff der Herrschaft ist von der Demokratie nicht wegzndenken. Es ist eine Abdankung der eigenen Freiheit, wenn man von einer Leitung» einer Eentralgewalt sich nicht entäußern könne. Die die« jedoch befürworten, verlangten nicht, selber beherrscht zu werden, sondern dächten dabei nur an eine große dumme Masse, die sie mit ihrem demokratischen Princip beherrschen wollen. (Unterbrechungen.) Wenn Jeder sich selbst beherrschen lernt, kann von Demokratie nicht die Rede sein. Sehr gut kann eine freie Gesellschaft ohne einschränkende Gesetze hergeslellt werden. Eines freien Menschen sei daS Gesetz unwürdig; es sei eine Frei heitsbeschränkung, jemals sür die Zukunft ein bindendes Gelübde zu geben. (Beifall und Widerspruch.) Es gehe sehr leicht an, mit einem Schlage nicht blos die Aus beutungsgesellschaft, sondern auch jedwede Herrschaftsform zu be- fettigen. (Beifall.) Die Socialdemokratie führe zum Staats- knechtsthum des Staatssocialismus und beseitige noch lange nicht die Ausbeutung, sondern führe eher das Gegentheil herbei. (Leb hafte Zustimmung.) Tapezierer Wildberger: Die socialdemo- kratische Pattei sei nicht demokratisch, sondern eine Oligarchie. Die wahre Demokratie habe es noch niemals gegeben, die erstrebe er selbst und seine Partei. Redner giebt sodann ein sehr unklares Bild „seines" Zukunslsslaates. Die Partei des Herrn Landauer habe keine Zukunft (Gelächter!, sie nehme der Masse de» Glauben. Die be geisterte Anhängerschaar Ahlwardt'S sei weit revolutionairer als die Leser des „Socialist". (Oho!). Jene seien eine wilde Horde, die auf die jüdischen Geldschränke dressirt sei, aber auch vor den andern nicht „Halt" machen werde. (Zustimmung.) Ter „Socialist" ist ein Organ sür die Bourgeoisie, ober nicht sür die Arbeüermassen. (Beifall und starker Widerspruch.) Schlosser Wiese (Anarchist): Der Anarchismus könne auch handelnde Menschen erzeuge», das bewiesen die Thate» eines Reinsdorf. Bei den Unabhängigen wären solche edle Männer aber nicht zu finden. (Beifall und Wider spruch.) Maler Buhr: Tie Unabhängigen und Anarchisten lausen im Ganzen auch nur irgend einem Popanz als Führer nach. Große Männer, wie ReinSdorf und Ravachol seien nicht durch da- Spintisiren zu ihrem thalkräsligcn Handeln gelangt. (Beifall.) Redner bezeichnet unter großem Tumult die Kampsesweise Landauer's wiederholt als eine bodenlose Unverschämtheit. Schlosser Litsin (Unabhängiger): Herr Landauer möge erst einmal sechs Monate in die Fabrik gehen und dann von der Individualität der geknechteten Arbeiter reden. Tie Genossen in der Provinz verstehen di« theoretische Schreibweise des „Socialist" nicht, die verstehen eher, daß eine Bombe mehr wirft, als zehn Maidemonstrationen. Die Anarchisten seien überhaupt Leute, die nicht mehr Mitarbeiten wollen. (Allgemeiner Tumult, Ruse und Lärmen.) Frau Kühn
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