Volltext Seite (XML)
MsdmfferTageblatt Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, D«» .Wilsdruffer Tageblatt* erscheint an allen Werktagen nachmittags 5 Uhr. Bezugspreis: Bei Abholung in der Geschäft-stelle und den Ausgabestellen 2 RM. im Monat, bei Zustellung durch die Boten 2,3o NM., der Postbestellung 2 AM. zuzüglich Abtrag- . gebühr. Einzelnummern rbRpfg.AllePos'anstalten A)l)cheNvltl11 sük U. Postboten und unsereAus- trLgerundGeschäftsstellen nehmen zu jeder Zeil De. stellungen entgegen. Im Falle höherer Gewalt, Krieg oder sonstiger Betriebsstörungen besteh! kein Anspruch auf Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. — «ücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Porto beiliegt. für Äürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter. An,klo»nprki,: die »lespaltene Raumzeile 20 Rpfg., die « gespaltene Zeile der amtlichen Bekanntmachungen 40 Reich«. Pfennig, die »gespaltene Reklamezeile im textlichen Teile I Reichsmark. Rachmeisungsgedühr 20 Reichspsrnnige. Bar. geschricdeneErlcheinung«. , tage und Platzvarschriften werden nach MSglichdelt Fernsprecher: Amt Wilsdruff Nr. 6 berücksichtig«. «Njeigen, annakmebi« oorm.lvUbr. — ! Für die Richtigkeit der durch Fernruf übermittelten An-eigen übernehmen wir keine Garantie. Jeder Ra batlanfpruch erlischt, wenn der Betrag durch Klage eingezogen werden mutz oderderAuftraggcberin Konkurs gerüt. Anzeigen nehmen alle Vermittlungsstellen entgegen. Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, des Amts- gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt. Nr 125 — 88 Jahrgangs Telegr-Adr »Amtsblatt« Wilsdruff-Dresden Postscheck: Dresden 2640 Sonnabend, den 1 Juni 192S Großstadtsensationen. Verfallserscheinungen. — Ein ausgepumptes Volk. — Der Kampf um die Fremden. Man hat, wieder einmal, die Wahl: ob man sich mehr an dem Leckerbissen der Diebstahls- und Selbst mordaffäre gütlich tun will, die sich um den Namen und die Persönlichkeit einer ganz plötzlich zu trauriger Be rühmtheit gelangten italienischdeutschen Kom tesse entwickelt Hai; oder an den juristisch-sinanziellen Absonderlichkeiten des sogenannten Stinnes-Pro- zesses, der ja in der Tat recht bemerkenswerte Ein blicke in das auf Großgewinn aus öffentlichen Mitteln gerichtete Treiben internationaler Schwindler und Schie ber vermittelt; oder schließlich an den grauenhaften Kultur- und Sittenbildern des neuen Jakubowski-Pro- jesses im ehemaligen Residenzschloß von Neustrelitz, der Klarheit darüber bringen soll, ob wirklich vor Jahren nnmal in Deutschland der Kopf eines Unschuldigen dem Beil des Henkers hingeopfert worden ist. Wohin wir unseren Blick auch wenden mögen, auf die Höhen oder in vie Tiefen der menschlichen Gesellschaft, überall trifft er aus Verfallserscheinungen, deren unheimliche Häufung sie ernsteste Besorgnis auslösen mutz. Fast sieht es schon so aus, als könnten wir uns ein Leben ohne Skandal geschichten dieser Art gar nicht mehr vorstellen, und wenn sie einmal vorübergehend auszubleiben drohen, so fehlt es nicht an phantasiebegabten Leuten, die sofort ihren erfinderischen Geist spielen lassen, um dem angeblich ewig aeuigkeitslüsternen Publikum den Unterhaltungsstoff zu bieten, dessen unsere Nachkriegszeit anscheinend nicht mehr mtraten kann. * Es ist richtig: den A m e r i k a n e r n, die uns ja auch auf diesem Wege mit — sagen wir — gutem Bei spiel vorangegangen sind, ist die hemmungslose Über fütterung ihrer Zeitungslescr mit Sensationen aller AA bis jetzt wenigstens nicht besonders schlecht bekommen; aber sie sind eine ganz junge Nation und sie wissen in sem unermüdlichen Ringen um die sehr weit gestockten Ziele ihres wirtschaftlichen und geschäftlichen Lebens so siel stärkende Gegenkräfte aufzubringen, datz sie um die Gesunderhaltung ihres Wesenkerns keine Furcht zu hegen brauchen. In Europa, und zumal bei uns in Deutschland, liegen die Dinge aber erheblich anders. Wn find ein ziemlich ausgepumptes Volk, und der schwere Kampf um das nackte Leben, den breite Schichten -tun schon seit Jahren unausgesetzt zu führen haben, läßt nicht viel Widerstandskraft, seelische und körperliche, ge- aenüber den Gefahren, den Versuchungen und Verlockun gen übrig die sich ihnen heutzutage auf Schritt und Tritt darbieten. Man kann sich schließlich nicht mehr wundern, wenn es jetzt bei der ersten Gerichtsverhandlung gegen die gräfliche Juwelendiebin in einem Zimmer des Ber liner Polizeipräsidiums zu ebenso erschreckenden wie ab stoßenden Szenen im Zuschauerraum gekommen ist, wenn sich hier eine Sensationsgier gegenüber einem jungen Menschenkind betätigte, das sich eigentlich nur durch seinen adligen Namen aus der Menge ähnlicher Sünder gegen das Gesetz heraushob. Wenn ein solches Schau spiel schon in der bekanntlich ungemein „aufgeklärten" Reichshauptstadt möglich war, was will man da erst von den armen und kleinen Leuten einer mecklenburgischen Heidelandschaft etwa erwarten, wenn in ihrer Mitte ein mal über Tod und Leben nächster Dorfgenossen entschie den wird? * Aber Berlin, wie es ist, hat nicht viel Sinn für Ein kehr oder Selbstbesinnung. Es will seine zum erstenmal ins Leben gerufenen Festspielwochen genießen und mag sich, in dieser Stimmung, gar nicht mit dem Gedanken befreunden, daß es in absetzbarer Zeit mit seiner Freude am Genuß, an geräuschvollen Vergnügungen, an mehr oder weniger unterhaltenden Filmvorstellungen sozusagen aufs Trockene gesetzt werden könnte. Und doch ist es so, uab schon ganz bestimmte Beschlüsse der Lichtspieltheater, Kaffeehausbesitzer, Varietödirektoren und Vergnügungs- statlenmtzaber vorliegen, ihre Häuser am 1. Juli auf un- besftmmte Zeft zu schließen, weil sie unter der Herrschaft der nun Iwon seit Jahren bestehenden Lustbarkeitssteuer die Unkosten ihrer Betriebe absolut nicht mehr beraus- wirtschoften können. Eine Demonstration, eine Protest kundgebung also um den hartnäckigen Sinn der stävtischen und staatlichen Gewalten endlich der Notlage eines Ge werbes zugänglich zu machen, ohne dessen Betätigung der vielbewunderte Glanz der Reichshauptstadt einfach erlöschen muß. In Berlin wenigstens ist man fest davon überzeugt, daß der „Mann aus der Provinz" es un fehlbar vorziehen würde, bei Muttern zu bleiben, wenn " hier nicht durch lichtüberströmte Straßen von Unter- haltung zu Unterhaltung wandern könnte. Der fürsorg- uche Her,- Oberbürgermeister wird es wohl nicht zu diesem Äußersten kommen lassen, wenngleich ihm jede neue Schmälerung seiner Steuereinnahmen höllisch unbeguem ""'st- Der ungeheure Wetteifer so ziemlich aller Groß- der Werbung um Fremdenverkehr und Waren- ü,'. chßt es einfach nicht zu daß Berlin auch nur vor- dp/"^^ sich selbst außer Kurs setzt, zumal die Schrecken Hu Maitage dieses Jahres ja wohl noch nicht veralt draußen in der Welt vollständig vergessen sein .Den Luxus, zu rasten, darf sich heute niemand rü '^Es sei denn, daß es ihm nichts ausmachte, morgen 'Non Rost anzusetzen. Dr. Sy. Das parlier Endergebnis JIvftriGe von gen aeutfchen Norbevstten Völlige Einigung in Paris. Verhandlungen wahrscheinlich abgeschlossen. Am Freitag wurde zwischen den deutschen Sachver ständigen bei der Reparationskonserenz und den Ver tretern der Gläubigerstaaten in allen Fragen, deren Rege lung noch ausstand, eine völlige Einigung erzielt, also in der Hauptsache bei den sogenannten Vorbehalten. Es sind nur noch die einzelnen Formulierungen der getroffenen Vereinbarungen festzulcgen. Die Regelung der belgischen Markforderungen steht noch aus, doch dürfte diese kaum noch das Endresultat wesentlich belasten. Die Verhand lungen sind als abgeschlossen zu betrachten. Die Einzelheiten der Einigung. Ueber den Inhalt der heute in Paris gefaßten Beschlüsse wird halbamtlich folgende Meldung mit den Darlegungen der wichtigsten neuen Einzelfragen vorbereitet, deren Regelung erst heute getroffen werden konnte: 1. Der ungeschützte Teil der deutschen Iahreszahlungen ist entsprechend der deutschen For derung aus 660 Millionen Goldmart einschließlich des Dienstes der Dawesanleihe, also auf 571 Millionen ohne Dawesanleihe festgesetzt worden. Der transferfreie Teil bleibt somit während der ganzen 37 Jahre unverändert. 2. Die Kontrolle über die Reichsbahn wird restlos abgeschafft. Die Eisenbahn- und Industrieobligationen werden verschwin den. Die neue Regelung sieht vor, baß auf Grund einer besonde ren Abmachung zwischen dem Reich und der Reichsbahn dem Reich jährlich aus den Einnahmen der Reichsbahn als besondere Steuer ein Betrag von 645 Millionen zusließen soll, der für Rechnung der Bonk für internationale Zahlungen bei der Reichsbank ein gezahlt und dann weiter zur Bank für internationale Zahlungen fließen und dort einen Spezialreservefonds bilden soll. 3. Die Regelung der Zahlung für die letzten 21 Jahre ist wie folgt gedacht: Von dem eben genannten Reservefonds sollen 25 v. H. für die letzten 21 Jahre angesammelt werden. Die weitere Deckung der letzten 21 Jahre soll durch einen etwaigen Schuldennachlaß der Amerikaner vor sich gehen, von dem wieder 8^/» v. H. dem gleichen Zweck zugeführt werden sollen. 66-/3 v. H. eines amerikanischen Nachlasses kommen dagegen Deutschland zu gute die restlichen 25 v. H. dagegen den Alliierten. 80 v. H. der etwaigen Gewinne der Bank für internationale Zahlungen, dienen gleichfalls der Abdeckung der letzten 21 Jahre. 4. Das Gesellschastskapital der Bank für internationale Zahlungen wird in Höhe von 400 Millionen Reichsmark in Aussicht genom men. An Betriebsmitteln wird die neue Bank insgesamt 1bis 2 Milliarden jährlich erhalten, worin u. a. eine ungeschützte Iahreszahlung in Höhe von 660 Millionen Reichsmark enthalten ist, die den Alliierten zur Verfügung gestellt werde. Alle Noten banken werden ferner einen bestimmten Betrag in Devisen bei der internationalen Bank hinterlegen, der zu einem geringen Zinsfuß verzinst werden soll. 5. Ueber die Höhe des deutschen Beitrages zum Betriebsfonds ist noch keine Einigung erzielt worden. Es erscheint den deutschen Sachverständigen sehr schwierig, die von alliierter Seite vorge schlagene Summe in Höhe vvon 40 bis 50 Millionen jährlich der Bank zur Verfügung , zu stellen, und zwar hängt die Möglichkeit nicht von dem deutschen Haushalt oder von Transferfragen ab, sondern von der Lage des deutschen Geldmarktes, da wir das Recht erhalten, jederzeit, sobald es die Markverhältnisse als gün stig oder möglich erscheinen lassen, mit Zustimmung des Reichs bankpräsidenten die ausgegebene oder konvertierte Anleihe zu rückzukaufen. 6. Die Frage der Heranziehung der Nachfolgestaaten zur Reparationslösung soll erst in einem Jahre ihre Lösung finden. Die Alliierten haben sich bis zu diesem Zeitpunkte klar zu werden, ob sie von ihren Schuldnern, d. h. von den Nachfolgestaaten, die ihnen geschuldeten Summen eintreiben wollen oder nicht. Auch diese Summe würde, falls die Alliierten sie erhalten, zur Ab deckung der letzten 21 Jahre herangezogen werden. 7. Transfer- und Aufbringnngsmoratorium werden miteinander verbunden. Das Transfermoratorium wird für zwei Jahre durch die deutsche Regierung erklärt werden kön nen. Nach Ablauf eines Jahres kann die deutsche Regierung für die Hälfte der geschützten Iahreszahlungen die Aufbringung ein- stellen. In diesem Punkte sind, wie man sieht, die deutschen Sach verständigen mit ihren Wünschen nicht restlos durchgedrungen. 8. Die Sachlieserungen die in den ersten zehn Jahren einen bedeutenden Teil der deut schen geschützten Iahreszahlungen ousmachen, beginnen in Höhe von 750 Millionen jährlich und fallen bis auf einen Betrag von 300 Millionen jährlich um 50 Millionen, um nach zehn Jahren ganz aufzuhören. Langfristige Verträge sollen bei Inkrafttreten des Tansserschutzes in besonderen Fällen weiterlausen können. 9. Die Liquidationen und die hierfür vorgesehenen ge mischten Schiedsgerichte hören auf. 10. Der Recovery Akt wird mit den Sachlieferungen verbunden. Nach dem Recovery- Alt werden künftige Beträge nur in Höhe von 20 v. H. der je weiligen Sachlieferungen erhoben werden können. Mr erhobene Betrag sinkt somit in seinem Werte von 150 aus 60 Millionen Goldmark im Jahre und hört gleichzeitig mit den Sachlieferungen auf. 11. Sämtliche Diskriminierungen des Versailler Vertrages fallen fort. 12. Formal wird der Schlußbericht wie folgt gehalten sein: Dem Schlußbericht werden drei Anlagen beigefügt: über die Sachlieferungen, über das Statut der Internationalen Bank und über die Verteilung der von Deutschland jährlich gezahlten Sum men unter die Gläubigermächte. Nicht im Schlußbericht enthalten wird hingegen das Abkom men über die Verteilung eines etwaigen Nachlasses der amerika nischen Schuldenforderungen an die alliierten Mächte sein und die eben erwähnten Einzelbestimmungen über die Verteilung der Zahlungen Deutschlands und den Mächten, die als selbständige Erklärung neben dem Schlußbericht herlaufen werden. Man erwartet, daß der Schlußbericht de» Regierungen am Sonnabend den 8. Juni vorgelegt werden wird. * Eine Anfrage der Deutschnationalen Die deutschnationale Fraktion hat im Reichs- tage eine Anfrage über die Reparationskonferenz ein gebracht, in der sie die am 29. Mai in Paris getroffene Vereinbarung über die deutschen Zahlungen für unan - ne hm bar erklärt. Es wird gefragt, ob die Reichs regierung geneigt sei, die Vereinbarungen abzulehnen. Der Reichskanzler möge Erklärungen noch vor der Abreise des Reichsaußenministers Dr. Stresemann zur Völker- bundtagung nach Madrid abgeben. Reichskanzler Müller hat zugesagt, die deutschnationale Anfrage sofort nach Ab schluß der Pariser Verhandlungen im Plenum des Reichs- tages zu beantworten. Sie MhlmWe der MsmMn io England London ohne Bedenken von Macdonald als dem künf tigen Premierminister sprach Dieses Amt hat er bekannt- lick schon einmal verwaltet. Das neue Unterhaus. Die Ergebnisse der Nnterhauswahlen in England zeigen einen nicht ganz unerwarteten Aufstieg der Arbeiterpartei. Bis Freitag nachmittag wurden fest- gestellt als endgültig gewählt 206 Vertreter der Arbeiter partei. I73 Konservative, 26 Liberale, 7 Unabhängige. Die Arbeiterpartei gewann über 70 Sitze und verlor 3. die Konservativen verloren über 70 Sitze und gewannen nur 2, die Liberalen hielten sich auf der bisherigen Höhe Wicdergewählt sind die Führer der drei großen Parteien: Macdonald, Baldwin und Lloyd George. Ebenfalls ge wählt ist die Tochter Lloyd Georges. Auch in den Abendstunden des Freitags war noch nicht bestimmt zu übersehen, wie die endgültige Gestaltung des neuen Unterhauses sein wird, wenn auch angesichts des starken Vormarsches der Arbeitervarlei man schon in Macdonalds Sieg. Die Regierung in der Minderheit. Die außerordentlichen Erfolge der Arbeiterpartei bei den Wahlen zum Englischen Unterhause haben bei der festgesetzten Zählung im Laufe des Freitagnachmittag stetig zugenommcn. Uin 7,00 Uhr stellte man folgende Mandate in London fest: Arbeiterpartei 283, Konservative 236. Liberale 50, sonstige Parteien 7. Man rechnete mit der Möglichkeit einer, wenn auch kleinen, doch absoluten Mehrheit Macdonalds im Unterhause. Damit würde seine Partei die Regieruna übernehmen.