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Unterhaltungs- und Intelligenz-Blatt. 46. Stück. Sonnabends, den 15. November 1828. XVI. Iahlg. Leben der türkischen Thronfolger als Kronprinzen. (Mktgetheilt vom Doctor Ehr. Miller m Genf.) ie. Sohne des Sultans, selbst der vcrmuthliche Thronerbe, sind. Jeder getrennt von dem Andern, singe schlossen in abgeschiedene Gemacher oder viel mehr Gefängnisse, die auf türkisch Kafessa oder eiserne Käsige heißen, im Innern des Serails (kai- serl. Schloß) liegen und mit hohen Mauern um geben sind. In diesen Gemächern wohnen nur die armen Sultanssöhn-e mit vier bis fünf Eunuchen (Verschnittenen) und ungefähr sechs alten Weibern, von denen keine Geburt mehr zu furchten ist. Bekanntlich fürchtet der regierende Sultan in jedem Sohne einen künftigen Nebenbuhler, und hat daher ein argwöhnisches Äuge auf sie. Niemandem ist erlaubt, sich ihnen zu nähern, und bei Todes strafe ist es verboten, nut ihnen Briefe zu wechseln. Er läßt sie nie erfahren, was im Reiche vorgcht, und zu Lehrern sind ihnen schwache Greise gegeben, deren er versichert ist, und die den Knaben Unterricht im Schreiben, so wie im Arabischen und Persischen, geben, — freilich kümmerlich genug. Soliman brachte es auf, die vermutlichen Thron erben bis zum Augenblick einzusperrcn, wo sie zur Regierung kommen. Daher waren seitdem fast alle Sultane außerordentlich unwissend, wenn sie aus ihrer Haft kamen. Ihre handschriftlichen Befehle waren oft von lakonischer Kürze, aber nicht von lakonischem Scharf'm n und Verstand. Wir haben mehrere Briefe Mustapha's IV. an seine Lieblinge gelesen; sie sind so voll orthographischer Fei ler und die Schrift ist so schlecht und undeutlich, daß sie fast nicht g^esen werden können. Der Sultam Selim Liebte seinen Steffen M a h m ud, den jetzigen Groß Herrn , ausnehmend , und ließ ihm daher eine etwas bessere Erziehung geben, das heißt, sein Unterricht im Arabischen und Persischen brachte ihn in diesen Sprachen ziemlich wein daher hat er En Koran (Gesetzbuch, Bibel der Türken) mehrmals durchlesen, und er bringt auch in der Rede oft Stellen auS dem Buche des Propheten an. Schöne Handschriften hat^ er sehr gern : als er auf den Thron stieg , befahl er allen Schreibern in Constantinopel, ihm ein Muster ihrer Handschrift zu schicken. Selbst einer seiner Mi nister gab die semige ein; Mahmud sah sie lange an, verglich sie mit den übrigen und erklärte sie dann für die schönste. Der Minister war gewandt genug, dem Sultan ein neues Blatt zu senden, worauf nur dir Sentenz eines persischen Dichters in meisterlichen Zügen stand: « Jeder Fehler, den der Shah billigt, wird zur Auszeichnung. > Diese schmeichelnde Be scheidenheit gefiel Mahmud so , daß er den Schön- schreiber zum Reiseffendi oder Minister der auswär tigen Angelegenheiten ernannte. ' Doch, kehren wir zu den gefangenen Prinzen zu* rück. — Einige ihrer Eunuchen, die ihre Pagen und Lehrer zugleich sind, lehren ihnen irgend ein Hand werk. Hat der regierende Sultan jüngere Brüder, so macht er es mit ihnen, wie mit seinen Söhnen, und auch in ihrem reifem Alter erhalten sie keine Erziehung. Die mehrsten Großherren sind schon alt, wenn sie zur Regierung kommen. Hatte die Janit- scharen-Empörung Selim nicht um Thron und Leben gebracht, und hatte sein Neffe und Nachfolger Mu stapha IV., Bruder des gegenwärtigen Sultans, nicht gleiches Schicksal gehabt, so wäre dieser, statt in voller Kraft des Maunesalters , erst als Greis zur Regierung gekommen. Wenn nun diese Thronerben den größten Theil ihres Lebens in Müßiggang und Unwissenheit zu- gcbracht haben, und ihnen jede Art von Vergnügen