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Erscheint täglich nachm, mit Ausnahme der Sonn- u. Festtage. Bezugspreis r Vierteljährl. 1 Mk. SO Pf. (ohne Bestellgeld). Post-Bestellnummer 8858. Bei auherdeutschen Postanstalten laut Zeitungs-Preisliste. Einzelnummer 18 Pfennige. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit üuedilnrtlrttel. beaaimon una LerclMrztellrr Dresden, Pillnitzer Straße 43. Inserate werden die 6 gespaltene Petitzeile oder deren Raum mit 15 Pf. berechnet, bei Wiederholung bedeutender Rabatt. Redaktions-Sprechstunde: 11—1 Ilhr. Fernsprecher: Amt l. Nr. 1586. Np. 165. Katholiken: Apvllinarins. DoNNevStag, dtN 23. Juli 1903. Protestanten: Apollinarins. Ä. Spanische Überraschungen. Zwei Meldungen kamen letzthin ans Madrid, beide überraschend genug. Die erste gab Kunde van einem spanisch-französischen Bündnis zur Gewährleistung der beiderseitigen Interessen in Nardafrika; und die zweite Nachricht meldete eine Ministerkrise, die kein Mensch in diesem Augenblick erwartet hätte. Sa wenig ans den ersten Blick diese beiden Meldungen mit einander zu tun haben, sa hängen sie dach, wie man bei näherem Zusehen alsbald bemerken wird, nicht blas; zeitlich zusammen. Am Sonnabend machte Ministerpräsident Silvela van dem mit Frankreich abgeschlossenen Vertrage Mitteilung, der natürlich nichts anderes bedeutet als eine Teilung Marokkos unter die beiden Vertragsmächte. Diese Teilung wird freilich nicht van heute ans morgen statt finden. Aber daß das Sultanat Marokko nicht inehr all zulange Bestand haben wird, das lehren die fortwährenden Aufstände zur Genüge. Bricht aber die Herrschaft des Sultans eines schönen Tages zusammen, dann wird die kritische Frage, was ans dem Manrenreiclie werden soll, mit einem Schlage brennend. Frankreich, Spanien und England, vielleicht auch Italien werden sich dann die Erb schaft streitig machen. Für England stände nichts geringeres als die Herrschaft über den Zugang znm Mittelländischen Meere auf den: Spiele. Gibraltar allein könnte ihn nicht schützen, wenn die gegenüberliegende afrikanische Küste im Besitze einer anderen europäischen Macht wäre. Spanien dagegen, das Jahrhunderte lang gegen die Mauren ge kämpft, hat gleichsam ein historisches Anrecht auf Marokko, an dessen Küste es auch seither schon einige Plätze, darunter besonders Centn und Melilla, innehattc. Frankreich ist durch seine benachbarte algerische Kolonie und durch sein Bestreben, über die Sahara hinweg eine Verbindung mit seinen westafrikanischen Besitzungen herznstellen, an Marokko stark interessiert. Italien endlich kommt zwar unmittelbar kaum in Betracht, kann aber nicht wünschen, daß Frankreich an der nordafrikanischen Küste zu mächtig werde. Daraus erhellt, daß ein spanisch-französisches Abkommen über Marokko seine Spitze vornehmlich gegen England, in zweiter Linie auch gegen Italien richtet, wenn inan nicht etwa annehmen will, daß Frankreich und England sich wegen Marokkos ebenfalls schon verständigt haben. Das ist aber trotz des Besuchs, den soeben Präsident Lonbet dem König Eduard abgestattet hat, nicht sehr wahrscheinlich. Von inneren Gründen abgesehen, spricht namentlich auch der Umstand nicht für eine solche Verständigung, daß Silvela gerade mit dem Marokkovertrag die Notwendigkeit einer Flottenverstärknng zu begründen suchte. Das kann er nach Lage der Dinge nur im Hinblick ans die englische Seemacht gesagt haben. Es scheint aber, das; die Aussicht ans einen Konflikt mit England die spanischen Aach geschiedener Ehe. Ein Sittenbild aus dem heutigen Frankreich. Von Comtcsse de Beaurepaire. — Teutsch von Helene Krembs- (32. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) Dieser Gedanke, anstatt die arme Frau zu beruhigen, verursachte ein um so größeres Leid. „Ja, in der Tat." antwortete sie mit Bitterkeit. „Regina hat nun ineine Stelle ganz eingenommen, und ihre Kinder werden die mcinigen vollständig ans dem Herzen des Vaters vertreiben." „Dann können Sie wenigstens ruhig im Besitze der Kleinen bleiben," erwiderte Herr Marande lebhaft. „Allerdings," cntgegnete solange traurig, „aber es gibt Dinge, an die man sich schlecht gewöhnen kann. Es mag nun sein, wie es will, ich kann nicht vergessen, daß vor Gott Bertinet immer noch mein Gatte ist. und es ist mir eine neue Onal, anerkennen zu müssen, daß die Nach- kommenschaft Neginens dieselben Rechte an ihn geltend macht, als die meinige." Martha drückte stumm die Hand der Freundin, und auch Herr Marande blieb die Antwort schuldig. „Dieses Kind." nahm Rolande nach einer Weile des Schweigens die Unterhaltung wieder ans, „dieses Kind ist ja gewiß unschuldig an der Missetat seiner Eltern. Ich möchte es nicht hassen, wie ich überhaupt niemand hassen wollte. Aber es wird mir Mühe kosten, und ich werde Gottes Gnade nötig haben, um zu vergeben. Darum will ich inständig bitten. Die guten Freunde, selbst sehr gerührt, bemühten sich nun, ihr begreiflich zu machen, daß die Kinder jetzt ganz ihr gehörten, und sie nun so mehr Freiheit habe, deren Erziehung zu leiten. Von dieser Seite betrachtet, hatte das Ereignis doch einiges Gute im Gefolge. „Ihr wollt mich noch überzeugen." sagte Uolande mit traurigem Lächeln, „daß diese Geburt ein Glück für mich ist." „Ganz so weit will ich nicht gehen," entgegnete Herr Marande, „denn Sie würden ja doch zu ungläubig sein. Ich darf Ihnen nicht einmal verhehlen, daß dieser Umstand Politiker mehr erschreckt hat. als der Vertrag mit Frank reich sie befriedigen konnte. Denn noch am gleichen Tage reichte Silvela, offenbar weil er im Kabinett und in der konservativen Partei selbst ans starken Widerstand stieß, seine Entlassung ein. Ebenso schnell war das neue Ministerium gebildet: Villaverde, der Kammerpräsident, der als Finanzminister in dem früheren Kabinett Süvelas den Marinefordernngen sich energisch widersetzt hatte und deswegen ans dem Ministerium ansschied, tritt an die Spitze der neuen Negierung. Daraus ergiebt sich wohl ohne weiteres, daß die spanische Flottenvermehrnng zunächst beseitigt oder doch ans ein sehr bescheidenes Maß herabgedrückl ist. Es fragt sich allerdings, ob der Vertrag mit Frankreich nicht schließ lich doch die Spanier zwingt, ihre Rüstungen zur See, die in dem Kriege mit Amerika so völlig zus.nnmengebrochen war, ansznbessern und zu verstärken. Das Abkommen mit Frankreich scheint jedenfalls durch den Ministerwechsel nicht berührt zu werden. Eigentlich lag es ja auch schon längst in der Luft, namentlich seitdem England mit Portugal einen Vertrag geschlossen hatte, welcher der englischen Flotte die Benutzung des Hafens von Lissabon auch in Kriegszeiten sichert, die portugiesische Hauptstadt also in einem Kriege um die marokkanische Erbschaft znm Stützpunkt der eng lischen Flotte macht. Ans die weitere Entwickelung dieser Gegensätze darf man gespannt sein. Uebrigens scheint es noch zweifelhaft, ob es sich bei dem Abkommen zwischen Spanien und Frankreich schon um ein förmliches Bündnis handelt. Vielleicht wird die Nachricht sogar widerrufen, aber vollständig erfunden ist sie gewiß nicht. HeitmigsstimmettüberdenverstorbenettPapst. Beginnen wir mit den sächsischen Zeitungen. Aller Anfang sei gut. Das „Dresd. Journal" schreibt in schlichter vornehmer Weise: „Leo XIII. konnte mit dem trostreichen Gedanken aus dem Leben scheiden, das; er das hohe und verantivortmigSvolle Amt, welches ihm übertragen war, treu und erfolgreich verwaltet hat, er konnte die Angen in dem Bewußtsein schließen, als guter Mensch und gläubiger Christ gelebt z» haben, dessen Andenken bei den Anhängern seines Glaubens nicht vergehen wird, der aber auch bei Andersgläubigen jener bleibenden Achtung sicher sein darf, die ihm gebührt . . . Er schritt im Bewußtsein einer hohen Mission ans geweihtem Pfade dahin bis zum gestrigen Tage, der seiner Erden Wanderung das letzte Ziel setzte. Er ruhe in Frieden!" Der „Dresd. Anzeiger" gibt ein ziemlich umfassendes Lebensbild und äußert sich verschiedenfach. Wir können nicht alles billigen, aber geben gern zu, daß der „Anzeiger" des Verstorbenen in ehrender Weise gedenkt. Wir greifen eilten Satz heraus: „Leo XIII. Politik entsprach seiner Betätigung im Leben überhaupt. Er sah eine Ehre darin, als sozialer Papst zu gellen und wirklich kann man ihm eine gewisse Berechtigung für den Ehrennamen „Arbcitorpapst" nicht absprechen. Wie in den Schriften, in der Folge recht unangenehme Verwicklungen herbeisnhren kann. Aber ich hoffe, daß, was die Gegenwart anbetrint, er zu Ihrer Ruhe viel beitragen wird. Außerdem ist Bertinet zu intelligent, um die Andeutung Marthas hin sichtlich Ihrer Abreise nicht verstanden zu haben. Er ist jetzt gewarnt, er weiß, daß Sie sich bis znm Aenßersten verteidigen würden. Mehr Lärm zu machen, als sich jetzt schon seinetwegen erhebt, wird er wohl vermeiden wollen." „Und wenn er trotz allem von dem Rechte, seine Kinder zu sehen, Gebrauch machen wollte? fragte Rolande. „Daran könnten wir ihn nicht hindern." sagte Herr Marande, „aber wir wollen schon Vorsichtsmaßregeln ergreifen, daß dies ohne Gefahr für Sie geschähe." „Es ist richtig," fuhr iholande nach kurzem Nachdenken fort, „wenn er darauf bestände, könnte ja auch eine etwaige Entfernung hieran nichts ändern, denn ich müßte infolge einer gerichtlichen Aufforderung mit den Kleinen znrückkehren. Dabei wäre also nichts gewonnen. Und ich gäbe mir noch den Anschein, als wollte ich von einem freiwillig ein gegangenen U bereinkommen abweichen." Die Reise, zu welcher ich Ihnen riet, hatte nur den alleinigen Zweck, eine Entführung der Kinder seitens Bertinets zu vereiteln. Da »vir über diesen Punkt beruhigt sind, steht Ihrer Rückkehr nichts im Wege," schloß Herr Marande. „So dachte ich auch, als ich Ihnen schrieb, und es ist mir lieb, daß Ihre Auffassung mit der ineinigen über- einstimint." Da der Abend schon weit vorangeschritten war. trennte man sich unter dem Vorwände, schlafen zu gehen. Obschon die Jahreszeit sich dem Winter näherte, war die Nacht warm und schön, jholande, fieberhaft erregt, öffnete das Balkonfenster und lehnte sich an das Eisengitter. Aber sie sah nicht die tiefen Wasser des Sees, welche im blassen Lichte des Mondes zitterten, sie bewunderte nicht die Niesenhänpter des Rigi und des Pilatus, deren spitze und zackige Felsen in die Bläue des Firmamentes hinein- ragten, noch beschäftigte sich ihr Geist mit der Legende, welche den zerklüfteten Berg znm Grabmal des schuldvollsten der Henker des Heilandes macht, des schuldvollsten, »veil er gegen sein besseres Wissen und Gewissen bandelte . . . die sich mit sdzialeu Fragen beschäftigen, so ist er auch stets in Wort und Schrift für den Frieden zwischen Kultur und Konfession eingetrelen." Der „Anzeiger" sagt allerdings schließlich auch: „'Noch immer halten lOL ZenlrumSmänncr das Heft in den Hände» und die Slaatsregierung muß die Blicke oft »ach Rom wenden und wird »och oft nach Kanossa telegraphieren mimen. Wie wird es aber, wenn auf einen friedliebenden Papst iviedcr ein fechtender folgt, wie Bismarck meinte? Ein Genug der Sorge beschleicht den deutschen Protestantismus." Wir hoffen, daß diese Sorge nicht allzu groß sein wird. Es wird sich schon noch leben lassen, mit dem Zentrum sowohl, wie mit dem künftigen Papst. Die „Dresd. N. Nachr." urteilen in hochanzuerkenneu- der Weise: „Unter den Männern, welche ini Mittelalter das Pontifikat bekleideten, waren manche, welche, gewaltiger an Kampfeslust und Glaubenseifer, ihn überlrafen und tief in die Geschicke der Völker und Staaten eingrisfen. Es waren in ihrer Art Geisteshcroen, aber ihr historischer 'Nachruhm tritt weit hinter denjenigen zurück, der dem jetzt in die Ewigkeit gegangenen Leo XIII. verbleiben wird. Er hat bei voller prinzipieller Wahrung der Ponlifikats- rechte und der Lehren seiner Kirche, immerdar den Standpunkt herausgekehrt, daß römische Katholiken und Andersgläubige durch eine gemeinsame, aus dein Christentum aufgebaule Kultur ver bunden sind. Er mußte als Papst einen ausgeprägten kirchlichen Sinn haben, aber er besaß zugleich jenen höheren religiösen Sinn, den mit ihm die erleuchtetsten Geister anderer Kircheugemei»schäften teilen. Alle wahre Religion äußert sich als jene heilige Geistes macht. welche die Menschen aus den 'Niederungen des Lebens, aus 'Nöten und Kämpfen des Herzens, aus den Finsternissen ihres Schicksals zu den seligen Höhen des Lichts und der Freude zu führen bestimmt ist. ES ist hier die Verwandtschaft und nahe Berührung mit der Geistesrichtuug unseres modernen Kullurdranges und unserer sozialpolitischen Bestrebungen. In diesem Sinne war Leo XIII. ein moderner Mensch, ein Vertreter und leuchtender Führer in der modernen Kulturrichtung." Die nationalliberale „Dresd. Ztg." hat von ihrem Standpunkte ans manches am Verstorbenen ansznsetzen. Wir beschweren uns nicht darüber. Es kann von Nicht katholiken nicht verlangt werden, daß sie alles ans katho lischer Seite gut finden sollten. Aber die genannte Zeitung ist durchaus nicht engherzig, sie widmet Lev XIII. folgende, gewiß ehrenden Sätze: „Ein so bedeutender Gelehrter und Kunstfreund, ein so ge wiegter Politiker, ein so wahrhaft hoherpriesierlicher Kirchenfürsl er war, verschwand Leo Xlll. als Privatmann vollständig. Man weiß von ihm nur, daß er höchst einfach lebte und in seinen Muße stunden Verse voll hohen Schwunges in klassischem Latein dichtete. 'Nun in er heimgegangen, der Mann, der nach der 'Aussage von Augenzeuge» schön seit Fahren kaum mehr etwa* Körperlichem an sich halte, dessen durchgeistigte 'Natur auch dein 'Nichtkatholiken aus richtige Bewunderung abnotigle. Er war der beste Papst, der seit langen Jahren aus Petri Stuhl saß, und die katholische Kirche hat wohl Anlaß, nm ihn zu trauern, die »ichtkatholische Welt, ihm Worte aufrichtiger Ehrung zu widmen." Die soldemokratische „Sächs. Arbeiterztg." bringt einen »mfnssenden Artikel über den verstorbenen Papst, in dem sie n. a. zngesteht: „Ter Papst habe die Katholiken öffentlich vor dem in den Lehrsätzen des Sozialismus versteckten schweren Irrtum und dem .... Nein, was Rolande suchte, war Beruhigung ihrer aufgeregten Phantasie in der Kühle des Abends. Was vor ihren Angen schwebte, war ein Wiegenbettchen mit einem schlafenden, gebrechlichen kleinen Wesen. Und dieses Wesen war sie versucht, zu verfluchen! Sie bat de» Himmel, ihr in dieser schweren Stunde bei- znstehen. Gab es ein grausameres Spiel der Ironie als ihr Schicksal! Bitter ist es ja. geliebte Tote zu beweinen, aber viel bitterer »och. Lebende, die »vir geliebt, verachten und ver gessen zu müssen. Sie konnte nicht anfhören, über Bertinet zu weinen, er war der Vater ihrer Kinder und würde ihr niemals ein Fremder sein. Sie erwartete nichts mehr von ihm und konnte auch nichts mehr von ihm erwarten, aber jedes Band, das ihn fester an Regina knüpfte, löste mehr und inehr die Verbindung mit seiner legitimen Familie. Lange Stunden stand die arme Fra» ans derselben Stelle, die Angen znm Himmel gerichtet, ein inbrünstiges Gebet ans den Lippen. Endlich stellte sich einige Erleichterung ein. Eine Flut von Tränen löste den Druck, der ans ihrem Herzen lastete. Dann trocknete sie die Angen und ösfnete behutsam die Türe des Zinnners. wo ihre Töchterche» schliefe». Die silbernen Mondstrahlen drangen durch das nnverhüllte Fenster und beleuchteten die lieblichen Gesichter. Beide schliefen so ruhig, und Margnerile halte ein holdes Lächeln ans den Lippen, als träume sie von den Engeln. „Da ist mein Trost und mein einziges Glück", wieder holte sich Bolande. „Aber werden sie auch glücklich sein?" Das Betragen ihres Vaters berechtigte wohl zu einer solchen Frage. Hermine bewegte sich. Die Mutter fürchtete, sie zu wecken, »nd entfernte sich ans den Fußspitzen. Einige Tage später befand die Familie sich wieder in ihrem alten Heim. Für Hokttnde war cs eine Wohltat, in den Räumen zu »veile», die so eng mit ihren» bisherigen Leben, mit allen frohen oder trüben Stunden verknüpft waren. (Fortsetzung folgt.)