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Nr. 100. Erster Jahrgang Montag, 31. Dezember 1S06 mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonnlagsblatt. Viese rr<»i»rtt»eV r«nf<rtzt Itt Seiten 1907 werten Kaukasus hatten sich die Tartaren und Armenier direkt inein ander verbissen, daß ein Armeekorps von 30 000 Mann diese Ge biete sür Russland zurückerobern musste. Und in den grossen russischen Städten warteten die Elemente, die nichts zu verlieren hatten, immer nur auf einen Anlass, um über irgend etwas her- zusallen, heute für, morgen gegen die Regierung, wenn es nur dabei etwas zu verdienen gab. Solange das Militär noch unzufrieden war, hatten diese Elemente auch Erfolg. Als aber die Negierung durch Regelung der Dienstzeit und Vorsorge für pünktliche Entlohnung und Verpflegung der Mannschaften den Wünschen der Soldaten nachgekommen war, kam es in den Mili tärstädten nicht mehr zu Ausständen. Nur das Matrosenpersoaal erwies sich als durchaus unzuverlässig und hier wird Russland wohl eine völlige Erneuerung des Mannschastsbestandes vor nehmen müssen. Feststeht jedenfalls, dass das Heer mit den Ma trosen nicht gemeinsame Sache macht. Da es nun mit der offenen Revolution nicht glücken wollte, griffen die Terroristen wieder zum Attentat. Es ist einfach unmöglich, im Rahmen gegen hohe Beamte und Offiziere richteten, ja sogar die Vertreter dieser kurzen Darstellung alle Attentate zu erwähnen, die sich Deutschlands und Oesterreichs in Warschau nicht verschonten, augenscheinlich in der Absicht, auf diese Weise eine Einmischung dieser Länder zu erzwingen. Wir wollen nur erwähnen, dass in einer Woche des Monats August allein 72 solche politische Morde begangen worden sind. Die Gesamtzahl der politischen Morde des Jahres 1008 erscheint mit rund 1000 niedrig angegeben. Merkwürdigerweise hat der Retter Russlands in Portsmouth Ministerpräsident Witte als solcher völlig versagt. Er suchte zweifellos zu früh eine Verständigung mit den regierungs feindlichen Elementen, andererseits konnte der Gegensatz, in dem sein Minister des Innern Dur-iowo zu ihm stand, auch nicht günstig aus ihr Zusammenarbeiten wirken. An seine Stelle trat Goremykin, unter dem die Duma ihr kurzes Dasein fristete. Aber auch dieser war nur Mann der Verhandlungen, kein Mann der Tat, wie man das von seinem Nachfolger Stolypin sagen muss. Zweifellos hätte Stolypin mehrmit der Duma anfangen können. So aber befass die Duma gar keine richtigen Direktiven. Unter den jüngst gepslogenen Verhandlungen zwischen R u ss - land und Japan ist ein russisches Negierungskommunique er schienen, das sich über den Handelsvertrag und das Fischereiab kommen mit Japan auslässt. Abwarten! Man hat ja grosse Hoffnungen an die Tat der Re gierung geknüpft, und man glaubt heute noch, dass es nicht unmöglich ist, dem Zentrum eine Anzahl von Wahlkreisen zu entreissen. W i r hassen das nicht mehr, denn die Einigung der Ordnungsparteien aus eine nationale Parole ist mit zu viel Wenn und Aber durchsetzt, als dass sie beim deutschen Volk beson ders viel nützen könnte, und ausserdem ist das deutsche Volk aus die bisherige Regicrungspolitik keineswegs allzugut zu sprechen. Die allgemeine Teuerung, die nur der Eigennutz ableugnen kann, hat Normen angenommen, die schwer auf die Volksernährung drücken, und naturgemäss Unzufriedenheit im Reiche Hervorrufen müssen. Das ist der Segen der bisherigen Wirtschaftspolitik der Reichsregierung, und darum darf auch diese Reichsregierung nicht auf zuviel Entgegenkommen beim deutschen Volke rechne». Die Nordd. Allg. Ztg. versichert nochmals, dass die Negierung nach wie vor keine konfessionelle Politik will, und dass jede konfessionelle Gehässigkeit oder Einseitigkeit im Wahl kampfe bedauerlich märe. Petersburger Blätter bestätigen, dass die Regierung das von Kuropatkin verfasste Buch über den russisch-japa nischen Krieg, das soeben, erschienen ist, hat beschlagnahmen lassen. Nicht weniger als acht E i s e n b a h n u »s ä l l e mit ca 20 Toten haben sich in den letzten beiden Tagen ereignet. * Zum französischen Botschafter in Berlin soll Larbon ernannt worden sein. * Ferner sind im abgelaufenen Jahre die neuen Steuer gesetze geschaffen worden, die gleichfalls wenig nach dem Ge schmack des deutschen Volkes ausfielen. Selten hat man so unbe holfen einen Aderlass an den Volkssinanzen vollzogen, wie hier. Und darum kann das Jahr 1906 nicht zu den glücklichen gerechnet werden. Denn es brachte uns Trübes, ohne einen Schritt der Vorwärtsbewegung etwa auf dem Gebiet der Sozialpolitik, oder der Strafprozessreform einzuleiten. Hier Stillstand und dort Rückschritt! Das sind bittere Dinge, und ie Reichsregierung dürfte an diesem Jahresabschnitt eine sehr ernste Eewissenserforschung anstellen — sie würde zu dem Resultat kommen, dass aus d i e se m Weg das deutsche Volk nicht weiter geführt werden kann und darf. Was die auswärtige Politik des Deutschen Reiches im vergangenen Jahr anlangt — sie war nicht kalt und nicht warm. Wir sind mit einem blauen Auge von der Marokkoasfäre weg gekommen, unsere Beziehungen zu den übrigen Weltmächten sind flau, aber nicht gerade unangenehm. Man misstraut uns, aber dass ist schliesslich zu ertragen. Man schliesst Bündnisse gegen uns,, aber das Papier, auf dem sie geschrieben sind, tut uns nicht weh. Es ist ja der ewige Eisersuchtskrieg aller gegen alle, der schliess lich das Gleichgewicht an der grossen politischen Wage aufrecht erhält. Wirtschaftlich wenigstens haben wir im Ausland wenig verloren und doch manches dazugewonnen. In Bezug auf unsere Kolonialpolitik find wir in den letzten Tagen endlich wieder einen Schlitt weiter gekommen. In Südwcstafrika haben sich die Vondelzwarts unterworfen, und es stehe» nur mehr wenig über hundert Leute im Feld. Da wird es doch möglich sein, wie der eine geraume Zahl deutscher Landeskinder von dem Kriegs schauplatz, der so viel deutsches Blut und soviel deutsches Gut ge kostet hat, nach der: Heimat zu beordern. Was aus unseren Kolo nien bei verständiger Bewirtschaftung noch werden kann, das wird uns hoffentlich Herr Dernburg, der so interessante neue Mann zeigen können. Schliessen wir mit dem, was sich ereignet hat im Deutschen Reiche. Draussen in der Welt hat sich viel des Interessanten be geben, aber wenig von einschneidender Bedeutung. Unser Bun desgenosse in Oesterreich hat sich ein neues Wahlrecht zugelcgt, unser zweiter Bundesgenosse jenseits der Alpen flirtet immer noch mit Frankreich. In Russland ist die Revolution latent. Der Nachbar im Westen hat seinen Kulturkampf und ausserdem macht ihm eben das Verschlucken von Marokko einige Beschwerden. Die übrigen Reiche schlagen sich schlecht und recht miteinander herum. Was wird das neue Jahr bringe»? Der Mensch ist selbst im Augenblick der Enttäuschung noch der Hoffnung voll, und so sehen wir dem neuen Jahr voller Erwartung entgegen. Gewissermassen durch die rosenrote Brille sehen wir die Zu kunft in nebliger Ferne, und unsere Wünsche gaukeln uns schöne Bilder vor. Wird die Wirklichkeit, die in der Regel weniger rosenfarben ist, halten, was unsere Hoffnungen uns versprechen? Ergeben wir uns um die Jahreswende nicht der Mutlosigkeit, den» nichts ist unfruchtbarer. Es mag sich ja auch viel ändern im Laufe eines Jahres, denn die Tage folgen sich, aber siegleichen Druck utti> Verlag Gebrüder Beuthner (Inh.: Paul Beuthner) in Aue. Verantwortlicher Redakteur: Fritz Ar» hold. Fttr die Inserate verantwortlich: Arthur Kupfer, beide iu Aue. werten Lestrlttnen und geschützten llelern briugeu wir hierdurch zum Jahreswechsel unsercu Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntage nachmittags von 4—- Uhr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher ror. Für unverlangt eiugesaudte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Für Russland hat das Jahr 1906 wenigstens die Be freiung von dem drohenden Alp der Revolution gebracht. Eine solche ist nicht mehr wahrscheinlich, da von Tag zu Tag sich die Zahl der Elemente mehrt, denen die ständige Unsicherheit ein Greuel ist und die unter allen Umständen die Wiederkehr ge ordneter Verhältnisse wünschen. Die Nachrichten, die uns während des ganzen Jahres über Russland zugegangen sind, lau teten einander fortwährend widersprechend, je nach dem Blatte, das man gerade in die Hand bekam. Was da alles zusammen gedichtet und vor allem zusammen prophezeit worden ist, genügte, um Russland aus ewig in den Orkus sinken zu lassen. Und was ist geschehen? Russland steht noch immer an seiner Stelle und zeigt nicht die mindeste Lust, diesen Wünschen zu folgen. Das Ministerium Stolypin steht fest und gesichert und die allerdings drakonische Massnahme der Feldkriegsgerichte hat überraschend schnell gewirkt. In dem Donner der Geschütze, mit denen General Dubassow in mehrtägigen Kämpfen Mos kau Anfang Januar von den Aufständischen zurückerobern musste, sank auch die letzte Ambition der Revolutionäre, und die Putsche, die seitdem bald hier bald dort aufslackerten und meistens in blutigen Pogromen ausliefen, waren verzweifelte Bemühungen von Leuten, die im Trüben fischen wollten. Das Jahr 1906 ist für Russland aber nicht nur das Jahr der Meutereien geblieben, es war auch das Jahr der ersten russischen Duma, die leider nur kurzes Leben genossen hat, allerdings grösstenteils durch eigene Schuld. Die Hoffnung der Revolutionäre in den Ostseeprovinzen, durch Vergewaltigung der dortigen Deutschen eine Einmischung Deutschlands in die inneren Streitigkeiten Russlands herbeizuführen, misslang. Leider haben unsere dorti gen Landsleute schwere Tage durchmachen müssen und .die blühen den Edelsttze in Russland sind grösstenteils dem Erdboden gleich gemacht worden. Man muss aber anerkennen, dass die russische Regierung sich endlich bemüht hat, die Ordnung wieder-herzu stellen. Sie hat auch frühere Fehler eingesehen und der deutfchen Sprache die alte Geltung in Schulen und im öffentlichen Leben der Ostseeprovinzen wieder eingeräumt. An allen Orten und Enden flammten übrigens damals die Aufstände empor. Im Zur Jahreswende. - Wieder ist ein Jahr hinabgerauscht in den Schoss der Zetten. Am sausenden Webstuhl der Zeit fass die Sorge und webte, aber das Gewebe ist nicht frisch und weiss geworden — «in bitterer Einschlag von Grau sticht daraus hervor, und auch viele blutige Fäden ziehen sich durch den Abschnitt, den das vergehende Jahr bezeichnet. Es ist üblich, zu solchen Zeitab schnitten eine ernste Rückschau zu halten, und alles, was das Jahr an Gutem und Schlimmem brachte, zu registrieren. Wir wollen es Heuer aus ganz bestimmten Gründen unterlassen, denn es ist durchaus nicht viel des Guten, das zu berichten wäre. Al lerdings wäre es undankbar, das scheidende Jahr beim Abschied zu verlästern — man spricht am besten so wenig als möglich von dem, was uns nicht behagt hat. Ei» kurzer Umriss! In der inneren Politik des Deutschen Reiches hat sich erst zum Schluss des Jahres Nennenswertes zugetragen, und das ist noch zu frisch in unserer Erinnerung, noch zu wenig in die ge schichtliche Perspektive gerückt, als dass wir bereits ein feststehen des Urteil über die Folgen dieses Geschehnisses haben könnten Die Neichstagsauslösung mit allem Drum und Dran hat wie ein Donnerschlag gewirkt, aber ob die Lust gereinigt wird, oder aber ob es nur ein Theaterdonner war, das weiss man noch nicht. Das politische Jahr 1900. (Schluss.) (Nachdruck verboten.) Auch in Niger ien musste ein blutiger Ausstand nieder geschlagen werden, der auch das französische Nachbargebiet von Eokoto in Mitleidenschaft gezogen hatte. Die Thasosfrage, die durch die konservative Presse zu einer Haupt- und Staats aktion gegen Deutschland aufgcbauscht werden sollte, verschwand angesichts der kühlen Ruhe der Regierung, die das Verhältnis zu Deutschland ständig zu besser» bemüht war. Die Verträge wegen der Regulierung der deutsch-englischen Grenzen in Ka- merün und Ostafrika kamen glatt zustande und König Eduard stattete'seit lunqer Zeit wieder einmal unserem Kaiser einen Besuch ab. Eine^ größere Tragweite schien eine Zeit lang die Akabah-Frage gewinnen zu sollen. Die Türkei hatte die ägyptischen Grenzpfähle entfernt und die Sinaihalbinsel mili tärisch besetzt. Nach langem Zögern zog sie es indessen doch vor, - ihre Truppen zurllckzuberufen. Zweifellos hatte sich die Türkei bei ihrem Vorgehe» von einer Uebcrschätzung des panislumi- tischen Gefühls leiten lassen, das zurzeit in Nordasrika besteht. Die Mohammedaner möchten am liebsten Franzosen und Englän der aus Nordafrika zum Teufel jagen. England hat damit auch schon insofern gerechnet, als es seine Besatzungstruppen in Aegyp ten wesentlich verstärkte. Die Mohammedaner, denen der heilige Krieg überall in den Gliedern zuckt, fühlen sich aber doch wohl noch nicht stark genug, loszuschlagen. Auch von schweren Un- glllcksfällen ist England nicht verschont geblieben, wir erinnern an das furchtbare Eisenbahnunglück bei Salisbury, wo ein Zug an einer Kurve entgleiste und an 60 Menschen unter seinen Trümemrn begrub, sowie an die Explosion in der Wtngate-Grube, wo die gleiche Zahl von Menschen um da» Leben kam. Wir schliessen unsere Ausführungen mit dem Hinweis aus die Meu t? rei t n P 0 r ts m 0 u t h, die den Be weis geliefert hat, dass ähnlich wie in der russischen Marine auch in England mancher^faul ist. Man sieht auch hier, dass die Schiffe allein es nicht' machen, wenn der Geist der Truppe nicht ges««» »st- B»zu g» preis: Durch unsere Bote» frei ins Haus monailich so pfg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich 40 pfg. und wScheutlich to pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich ).so Mk. — Durch den Briefträger frei ins Haus vierteljährlich tgr Mk. — Einzelne Nummer »0 pfg. — Deutscher Postzeilnngs- katalog — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonu- und Feiertagen. Das Wichtigste vom Tage. Al» Kandidat der Ordnung? Parteien im 19. Eächs. Wahlkreis Stollberg-Sch neeberg ist Pfar rer Löscher-Zwönitz ausgestellt worden. " Annahme von Anzeigen bis spätestens g>/, Uhr vormittags. Für Ausnahme von größeren Anzeigen an bestimmten Stellen kann nur dann geblirgt werden, wenn sie am Tage vorher bei uns cingehen. Insertion sp reis: Die sicbengespaltene Korpnszeilc oder deren Raum zo Pfg., Reklamen es pfg. Lei grdßcren Aufträgen entsprechender Rabatt. Imrlicksten Sliltvurrti -ar, wobei wir der Hoffnung Ausdruck geben, -atz anch inr neuen Jahr das Auer Tageblatt sich fcrnerhiu -er Freuu-schast -er weiteste» Kreise erfreuen möge, damit es -em geehrten Publikum immer mehr aus Herz wächst u d unzertrennbar sich kettet an die Einwohner schaft Anes nn- seiner Umgebung. In -iescm Sinne noch einmal ein ehrlicbes 6lüak auf! Hochachtnngsvoll IWaktlon unü vriläg cker Hurt Tageblatt?. Allen unsere») Abonnenten, Veit WIUMDU° »Ueilr Ster vlFvUs UtiMite»! 5luer Tageblatt und Anzeiger Nr das Erzgebirge