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WMlM TagMaN und Waldenburger Anzeiger Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg Mittwoch, de» 19. Januar 14 18«1 Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. — Der Abonneinentspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. SV Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. "Waldenburg, 18. Januar 1881. Die russischen Zollerhöhungen. Von der fortschrittlichen Partei, die den unbeding ten Freihandel auf ihre Fahne geschrieben hat, ist die russische Zollerhöhung als eine Repressivmaß- regel gegen die deutsche Zollpolitik und als eine Schädigung der deutschen Industrie hingestellt wor den und sie benutzt obige Thatsache, um ihre Frei handelsideen in empfehlende Erinnerung zu bringen. Die russische Regierung verfolgt augenscheinlich damit dasselbe Ziel, was der deutschen Regierung mit der Einführung der neuen Zollpolitik vor Augen schwebte, den Schutz der nationalen Arbeit. Dieses Vorgehen Rußlands mahnt uns daran, den seutschen Markt und den inneren Verkehr als die Hauptsache zu behandeln und die Verwerlhung der heimischen Arbeitskraft, sowie die Befriedigung der Bedürfnisse der Masse der Bevölkerung als die wesentlichste Aufgabe unserer Wirthschaftspolitik bin- zustellen. Wir müssen uns allmählich an den Ge danken gewöhnen, daß wir es in derartigen Zoll erhöhungen nicht mehr mit vereinzelten willkürlichen Maßregeln zu thun haben, sondern daß die einzel nen europäischen Länder dabei einem Gesetze der Notlnvendigkeit folgen, welches sie zwingt, ihre eige nen Arbeitsbedingungen als Ausgangspunkt ihrer Zollpolitik zu behandeln und alle internationalen Beziehungen hinter die Rücksicht auf den eigenen Markl und auf die Verwerlhung der eigenen Ar beitskraft zurücktreten zu lassen. Alles, was inlän dische Arbeitskraft zu leisten vermaa, durch Begün stigung des internationalen Handels und Verkehrs aber dem Auslande zufließl, geht für den nationalen Wohlstand verloren. Auch Amerika hat längst die Wege des Schutzes der nationalen Arbeit betreten und zwar mit greif barem Erfolge; denn Amerika hat nicht nur Deutsch land, sondern selbst England auf vielen industriellen Gebieten überflügelt und steht im Begriff, der große Lieferant Europas selbst auf solchen Gebieten zu werden, die man bisher als eine unentziehbare Domäne der einzelnen Länder betrachtete. Vor allem sind die verschiedenen Arbeitsbe dingungen der verschiedenen Länder als die Vorbe dingungen ihrer Zollpolitik und die Arbeitskraft selbst als der werthvollste Theil des Volksvermögens an zusehen. Camphausen, Bamberger, Delbrück und ihre freihändlerischen Genossen hatten Deutschland glücklich dahin gebracht, zu einer Art Auctionslokal für englische Ramschwaare herabzusinken und den deutschen Hindel zu einem Commissionsgeschäft der großen englischen Importfirmen herabzuwürdigen, und Alles, was man bisher zur Heilung dieser Uebelstände versucht hat, ist deshalb auf halbem Wege stehen geblieben, weil man sich noch immer nicht hat entschließen können, mit der Vergangenheit gründlich zu brechen und die Reform dort zu be ginnen, wo sie allein eine Aussicht auf nachhaltigen Erfolg gewährt, nämlich bei der Verwerlhung der eigenen Arbeitskraft und Productionsfähigkeil. Das Streben unseres östlichen Nachbarn, sich wirthschaftlich unabhängig von anderen Nationen zu machen, wird auch uns dahin führen müssen, für uns selbst zu arbeiten und so aus der Noth eine Tugend zu machen. "Waldenburg, 18. Januar 1881. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Fürst Bismarck entwickelt in Berlin eine außer ordentliche Thätigkeil. Nicht nur, daß er fast tag täglich mit dem Kaiser conferirt, begab er sich am 16. d. nachmittags auch zum Vortrag zum Kron prinzen. Die Hochzeit Sr. Kgl. Hoheit des Prinzen Wil helm von Hohenzollern ist nach der „Post" defini tiv auf den 27. Februar festgesetzt worden. Am Sonnabend, 26. Februar, wird der Einzug der hohen Braut in Berlin erfolgen, an diesem Tage zugleich der standesamtliche Act vollzogen werden, die Trauung am Sonntag Abend. Das preußische Abgeordnetenhaus genehmigte am 17. den ganzen Rest des Zuständigkeilsgesetzes und beschloß nur wenige unwesentliche Abänderungen. Am 18. steht das Schlachtsteuergesetz auf der Tagesordnung. Der slapst soll zwei Kapiteln die Wahl des Kapitelsvicars anheim gestellt haben. Es handle sich aber hierbei nicht um die Gestattung der Wahl der Kapitelsvicaren in allen bischoflosen preußischen Diöcesen, sondern nur um solche, die durch den Tod der Oberhirten verwaist sind. Der deutsche Landwirthschaftsrath ist am 17. d. in Berlin zusammengetreten. Zum ersten Vor sitzenden wurde v. Wedell-Malchow, zum zweiten Frhr. v. Nordeck zu Rabenau und zum Schriftführer wurde u. A. vr. Frege (Altmannsdorf bei Leipzig) und in den Ausschuß Pros. Richter-Tharandt gewählt. Die Juden verstehen sich außerordentlich auf Re- clame und wenn es gilt, irgend etwas an die große Glocke zu hängen, so thuen sie es. Bei der am letzten Sonnabend in Berlin stattgehabten General versammlung des Vorstandes der unter dem Pro tektorat des deutschen Kronprinzen stehenden Victoria- National-Jnvalidenstiftung sprach sich der Kron prinz zu dem stellvertretenden Vorsitzenden dieser Stiftung, Vorsteher der Berliner Synagogengemeinde Geh. Commerzienrath Mayer Magnus, nachdem Letz- lerer auf diesen Gegenstand hingelenkt hatte (das „Berl. Tgbl." sagt zwar: „selbstverständlich aus eigenster Initiative"), dahin aus, daß er die gegen die Juden gerichteten Bestrebungen auf das Entschiedenste miß billige und verwerfe. Nun schlägt die gesammte Schaar der Judenblätter ;Teramtamtam und scheut sich nicht, den deutschen Kronprinzen für sich zu recla- miren. Hat die antijttdische Bewegung keine Be rechtigung, so wird sie sich wirkungslos wieder ver lieren, hat sie aber Berechtigung, so werden rehn- tausend Judenblätter sie nicht zu ersticken vermögen. Am vergangenen Freitag fand in Berlin in den Reichshallcn abermals eine Studentenversammlung statt, die von ca. 800 Studenten besucht war. Auf der Tagesordnung stand wieder die Juden frage. Als bestes Mittel zur Lösung derselben wurde Auswanderung der Juden bezeichnet. 8t,uä. )ur. v. S. meinte u. A.: Die Hauptsache bleibe für uns die positive Seite der gegenwärtigen Be wegung. Entfaltung der nationalen Kraft nach Innen und Außen. Dazu bedarf es vor Allem eines selbständigeren Reiches. Wir wollen nicht, daß dasselbe wie im Mittelalter beim großen Grundadel, nur bei jüdischen Banquiers um Anleihen betteln, und um jeden nothwendigen Pfennig mit selbstsüch tigen Parteien feilschen muß. 8tuä. matsi.: Am Montag war hier der fortschrittliche Verein Waldeck versammelt, um sein „Stiftungsfest" zu feiern, das ich eine „Gründungsfeier" nennen möchte, weil hauptsächlich Juden dabei waren! Am Dienstag tagte hier eine „freiwillige" Arbeiterversammlung. Da wurde behauptet, die Arbeiter schmachteten unter Ausnahmegesetzen! Sind es nicht viel mehr die Judengesetze, die uns.re jetzige wirth- schaftliche Krisis herbeigeführt haben? Ein einfacher Arbeiter sagte dort: „wohl in allen Reii- gionsbüchern, auch in den christlichen, finden sich Vorschriften, ähnlich der des Talmud, „daß es ein verdienstliches Werk für jeden Juden sei, die Toch ter eines „Goi" zu schänden! (Pfui!) Uns Studen ten nannte man „unieife Bursche"! Der das gesagt hat, war allerdings vielleicht „reif", wofür, will ich nicht verrathen! Und nun von gestern. Ein Mann hat uns da mit der bekannten sittlichen Entrüstung „dumme Jungen " genannt, „die ihren verehrten Mei ster Treitschke im Judenhetzen längst überholt hätten!" Er sagte, „wir sollten den Mund nicht wo möglich noch weiter ausreißen in dieser Frage, als er, Eugen Richter, selbst." Wir sind in letzter Zeit so oft daran erinnert worden, daß wir noch „Schüler" sind, da ist mir denn auch eine Rede von Cicero eingefallen, die fängt an: „^uousgue tanckem", ich fahre fort: „Zuäatzi, abuwinini patisntia nostra?" Ich will's auch übersetzen: „Wie lange denn noch in aller Welt wollt ihr, Juden und Judengenossen, unsere deutsche Michelgeduld mißbrauchen?" rc. rc. Zum Schluß wurde ein kräftiger Salamander auf den Kronprinzen gerieben. Der Gesetzentwurf, betreffend „die Besteuerung der zum Militärdienst nicht herangezogenen Wehrpflichtigen" liegt jetzr vor. Es ist zweifel los, daß derselbe ohne wesentliche Aenderungen vom Bundesrathe angenommen werden wird. Der Ent wurf setzt in der Hauptsache fest: Wehrpflichtige, welche vom Dienst im Heer oder der Marine aus geschloffen oder ausgemustert der Ersatzreserve 1. oder 2. Clnsse oder der Seewehr 2. Classe überwiesen werden oder vor erfüllter Dienstpflicht aus jedem Militärverhältniß ausscheiden, haben, und zwar auf die Zeit von längstens zwölf Jahren, eine Steuer zu entrichten. Dieselbe beträgt zunächst sür jedes neue Jahr 4 M. und es sind zur Zahlung der selben die Eltern, bezw. Adoptiv-Eltern der Wehr pflichtigen für die Zeit verpflichtet, in welcher sie dieselben erhalten müssen. Außer der festen Steuer haben die Wehrpflichtigen, deren steuerpflichtiges Einkommen den Betrag von 6000 M. übersteigt, eine Jahressteuer von 3 Procent zu entrichten, welche bei einem Jahres-Einkommen von mehr als 6000 bis 7000 M. 180 M-, von mehr als 7000 bis 8000 M. 210 M. und so fort sür jedes weitere Einkommen von 1000 M. 30 M. Steuer mehr beträgt. Die Steuer Wehrpflichtiger, deren Ein kommen 6000 M. nicht übersteigt, zerfällt in Sätze von 148 bis 10 M. bei 1000 M. Einkommen. Das Gesetz tritt mit dem 1. October d. I. und die erste Festsetzung bezw. Veranlagung der Steuer für den Zeitraum vom 1. October 1881 bis zum 31. März 1882 in Kraft. Unter der Ueberschrift: „Drei Zeichen" schreibt die „Kreuzztg.": Je entschiedener wir bei der Be handlung der „Judenfrage" alles gemißbilligt und zurückgewiesen haben, was entweder zur persönlichen Beleidigung gereicht oder dem Racenhaß und dem Fanatismus Vorschub leistet, um so ernster fordern wir von den besseren und einsichtigeren Juden, so weit wenigstens die Ansprüche und Aussprüche ihrer Stammes- und Glaubensgenossen im Zaume halten zu helfen, daß nicht der Groll über Maßlosigkeiten jener Seite zur Hellen Flamme auflodere. Drei Zeichen führen mir an, die keinen Zweifel darüber lassen können, in welcher Verblendung ein Theil der Juden und Juvenfreunde sich befindet und darin sich geradezu gehen läßt. In Charlottenburg werden bei einer Weihnachtsbescheerung christliche Lieder ge sungen. Da wird von judenfreundlicher Seite der Ausspruch gethan, es sei „taktlos," in Gegenwart jüdischer Kinder Weihnachtslieder zu singen. Man lasse also künftig mit Rücksicht auf die Juden die