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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumcration«- PreiS 22; Sgr. (; Tblr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für daS ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt aus dieses Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. StaatS-Zeitung (FriedrichSstr. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Posi-Aemtern. Literatur des Auslandes. 16. Berlin, Freitag den 5. Fcbrnar 1841 Frankreich. Mademoiselle Svdaine und das literarische Eigenthum. Ein Bries an di- Französisch- D-vutirten-Kammer. Die Presse ist eine Tribüne, besonders für diejenigen, welche die Einsamkeit lieben. Sie genügt für das Wenige, was ich zu sagen habe. Ich will Ihnen al,o schreiben, meine Herren, was ich Ihnen vielleicht gern gesagt hätte. Es scheint auch wohl am passend sten, daß diese Ideen so hervortrcten, wie es hier geschieht. ES hat jetzt Jeder die Zeit, einen Augenblick bei ihnen zu verweilen. Die großen Fragt», welche uns leidenschaftlich erregen, sind zur Sprache gekommen, wenn sie auch nicht erledigt find: in den Kammern ist nicht mehr davon die Rede. Ist dies die Stille, welche aus den Sturm folgt, oder die ihm vorausgeht? Sie haben geglaubt, das politische Schiff sep durch die Wellen auf den Strand getrieben, und Sic haben es umgelenkt. Jedenfalls hat die Toga Frankreichs weder Krieg noch Frieden auSgcschüttet. Man sagt, daß man jetzt endlich das so lange projektirtc Gesetz über das literarische Eigenthum werde beenden können. Diese wichtige Frage ist immer nur angedeutet und mit einer gewissen Flüchtigkeit behandelt worden, weil man fie für leicht hält, und weil diejenigen, die hinlänglich damit vertraut find, nicht genug gesagt haben, so daß eine üble Gewohnheit leicht nur um einige Jahre verlängert werden dürfte. Ich wurde mir es zum Vorwürfe gemacht haben, wenn ich eine Begebenheit, welche die Unvollkommenheit unserer Gesetze so schlagend nachweist, in ein phantastisches Gewand hätte hüllen wollen. Kein Raisonncment hat die Kraft einer Thatsache, wie ich sie ansühren will, und man muß die Kunst zuweilen bei Seite lassen, wenn die Wahrheit in ihrer schmerzlichen Nacktheit und als lebender Vorwurf rntgcgentritt. In einem solchen Falle muß man diese den Gleich gültigen uncntblößt und ungeschmückt vorführen, besonders in einem Augenblicke, wo ein unvollständiges Gesetz ergänzt werden soll. WaS ich zu erzählen habe, ist Folgendes: Eines Morgens vor nicht gar langer Zeit trat zu mir eine alte und unbekannte Person rin , welche mich sprechen wollte. Ich ging ihr rasch entgegen und half ihr in den Lehnstuhl hinein, nach welchem ich fie umhcrtasten sah. Lange Zeit betrachtete ich mit Rührung eine Frau von nicht gewöhnlichem Aeußcrn und feinen Manieren, deren lebhafte, geistreiche Physiognomie und zuvorkommende Sprache die erkünstelte Heiterkeit der Blinden und das gezwungene Lächeln verrieth, welches sich cin- stellt, wenn die Sehkraft entschwunden tst. DaS war Mile. Sedainc, die Tochter des Dichters. Man hatte ihr ein Buch vorgclesen, worin ich von ihrem Vater sprach, und sie hatte geglaubt, daß derjenige, der dessen Andenken so viel Antheil bezeugt, auch ihre Gegenwart nicht ungern sehen würde. Sie hatte sich nicht getäuscht: ihre Er zählung machte einen tiefen Eindruck aus mich. Sie ist jetzt 74 Jahr alt. Sövaine hatte ihrer Mutter und ihr kein anderes Erbthcil hinterlassen, als seine Autorrechte. Nach dem Gesche verfiel dieses Recht zehn Jahre nach seinem Tode. Der Kaiser kannte ihre Lage und wurde davon gerührt. Eine Pension von I2W Fr. ersetzte eine Einnahme, die sich auf mindestens >2,VW Fr. hätte belaufen müssen, in Betracht der vielen Aufführungen, welche die zahlreichen Werke des Dichters erlebten. Sie hatten nun wenigstens Brod. Lud- wig>^ "^ügte den Wein hinzu, indem er die Pension um SW Fr. erhöhte. Mutter und Tochter waren glücklich. Sie konnten doch nun zuwellen der Aufführung ihrer LieblingSstückc beiwohnen. Aber bald folgte die Witwe dem Manne und ließ Mllc. Sedainc allein zurück, die den rhr so wcrthen Ramen nie gegen einen anderen ver tauschen wollte. Da strich ein Minister die I2W Fr. aus und redu- zirte sie auf SOG Das sind nun neun Jahre her. Seitdem hat fie unaufhörlich um die Zurückgabe der kleinen Rente uachgesuchj, aber ihre zitternde Stimme hat kein Gehör gefunden. Nichts ist ihr gc- worden als Schmerzen, Jahre und Blindheit. Eine erste Staar- Operation hat ihr daS Gesicht nicht wiedcrqcqebcn, eine zweite würde zu kostspielig für sic sepn. Das ist Alles. Während mir die Arme in wenigen Worten ihre langen Leiden crzähltc, ließ ich in meinem Gedächtniß die lange Liste der Arbeiten und glänzenden Erfolge ihres VatcrS vorübergleften und fragte mich, wie man seine Familie habe in Roth lassen können. Michel Jean Södaine wurde 17 lv in Paris geboren. Er war -I?ohn eines der angesehensten Architekten der Stadt. Er halte tndcß kaum sein dreizehntes Jahr erreicht, als sein Vater sein Ver mögen verlor. Er zog sich mit seinen Kindern nach dem Berri zurück, wo er, verzehrt von tiefer Traurigkeit, bald starb. Der kleine Södaine, der mit einem jüngeren Bruder allein zurückgeblie ben war, nahm ihn bei der Hand und machte sich mit ihm auf den Weg nach Paris, wo seine Mutter in einer Abtei lebte. In seinem ganzen Vermögen hatte er nur 18 Francs. Damit bezahlt er einen Platz für seinen Bruder in der Diligence, gicbt ihm seine Weste zum Schuß gegen die Kälte und folgt dem Wagen zu Fuß. In Paris erlernt er das Handwerk seines Vaters von unten auf und geht munter daran, Steine zu behauen, um zum Unterhalt seiner Mutter und seiner jüngeren Geschwister beizutragen. Reben seiner Mauerkelle lagen indeß Horaz und Virgil, Molierc und Montaigne, und wenn seine Arbeitsgefährten auf dem Rasen schlummerten/las er in seinen theurcn Büchern. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, fürs Theater zu schreiben, bis eines Tages im Jahre 1784 ein gewisser Monnet, Direktor der komischen Oper, an seine Thür klopfte und ihm freies Entröc anbot. Södaiue hatte bis dahin nur kleine Gedichte gemacht. „Ich werde mich wolst hüten", sagte er, „Ihr Entree anzunchmen; man bietet nichts für nichts. Wenn Sie aber von mir eine komische Oper erwarten, so können Sie sicher sepn, sie nicht zu bekommen. Ich baue Häuser und sonst nichts. Ich bin Maurer, um zu leben, unv Dichter, um zu lachen. Nach einiger Zeit kehrte indeß der Be such wieder; er war traurig und niedergeschlagen. Er sep genöthigt, sein Eigenthum zu verkaufen. Da cr aber jetzt kein Werk habe, das Glück mache, so sep cr gezwungen, es unter dem Wcrthe los zuschlagen. Wenn Sövaine ihm eine komische Oper gebe, so hoffe er, cs dagegen zum vollen Wcrthe anzubringcn. Vergeblich waren dessen Ausflüchte. Um den Direktor der komischen Oper zu retten, machte Sedainc den Diablo ä gnotro. Das Stück machte Glück. Er ließ indeß seinen Namen nicht nennen und dachte nicht mehr aus Theater, als fünf Jahre später ein anderer Direktor ibn in Ver suchung führte. Sövaine unterlag ihr; die Leidenschaft fürs Theater ergriff ihn, und jedes Jahr sah nun zwei oder drei Stücke von ihm aufführcn. Vterunddreißig folgten in geringen Zwischenräumen, und auch die unbedeutendsten wurden in ganz Europa ausgeführt, am Oestcrreichischen wie am Russischen Hofe. Seine Stücke wurden Mode, aber cS lag ihnen auch ein wahres und dauerndes Verdienst zu Grunde. Unglücklicherweise gab cr den meisten seiner Werke die am wenigsten literarische Form, die des Libretto. Seine sorglose Wohltbätigkeit wurde nie vergeblich aufgerufen, wenn die komische Oper im Sterben lag. Da dieses aber immer der Fall war, so war der gute Södaine unaufhörlich beschäftigt, Stützen und Krückcn für dieselbe zu zimmern. Nur zweimal dachte cr ernstlich an seincn Ruhm und gab der „Ovmöllio bftanoaiz«" zwei Stücke, welche diese als zwei köstliche Klnaobe bewahrt hat: die unvorhergesehene Wette und den Philo sophen ohne eS zu wissen. Nachdem Sövaine als Ehrenmann gelebt, durch die engste Freund schaft mit allen großen und angesehenen Männern verbunden, besucht von Königen, geehrt und geliebt von Voltaire, DuciS d'Alembert, Diderot, DucloS, La Harpe, Lemierrc, von allen großen Künstlern feiner Zeit, wie Houdon und David, den cr für die Kunst gebildet, nachdem cr zwei Stücke für die „Gunöllio b'ranoai.'ie" geschrieben, die vom glänzendsten Erfolge gekrönt wurden, und 32 Opern, da durfte er doch wohl glauben, daß, wenn er die Augen schlöffe, cr seiner Tochter außer seinem Ruhme einen festen Besitz, ein sicheres Erbtheil hinterlassen würde, und zehn Jahre nach seinem Tode war Alles für sie verloren, und zwar nach dem Gesetze. Das bestehende Gesetz erägt also die Schule. DaS Gesetz vom l3. Januar I7SI bewilligte den Erben des Schriftstellers einen Zeit raum von fünf Jahren, das Gesetz vom lv- Juli I7VZ verlängert ihn auf zehn Jahre nach dem Tode des Verfassers. DaS allgemeine BiliigkeiiSgcsühl hat sich dagegen empört beim Hinblicke auf so viele Familien, welche durch das gegenwärtige Gesetz eine offenbare Be raubung erleiden. Dies gab sich auch in der Sitzung der PairS- Kammer vom 28. Mai >83>> kund. Aher das Gesetz des Konvents herrscht noch immer. Bevor wir auf die Dorschlägc zurnckblicken, welche in der Pafts- Kammer gemacht wurden, dürfte cs wohl angemessen scpn, die Natur dieses BilligkeitSgesühlS zu untersuchen, welches die gesetzgebenden Versammlungen bewegt, den bedrängten Familien von Zeit zu Zeit einen Aufschub zu bewilligen. Ich nehme keinen Anstand, zu erklä- ren, daß dieses Ecsühl nicht einzig und allein ans dcm Mftlcivcn