Volltext Seite (XML)
Vorgtlän-ischer Anzeiger» SiebenundsechSzigster Jahrgang. Verantwortliche Redaction, Druck und Verlag von Moritz Wieprecht in Plaue«. Jährlicher Abonnement-preiS für diese- Platt, auch bei Beziehung durch die Poft, 1 THIr. k Ngr. — Die Jnsertion-getührm werdlN mit 1 Ngr. für die gespaltene Eorpus-Zeile berechnet, größere Schrift nach Verhälmiß de- Raume-. — Dienstag, I 7 iS. 5 Februar 18S6. Unsere Realschule Hl. Der Hauptgrund, den Eltern haben können, um ihre Kinder gleich nach der Konfirmation aus der Schule zu nehmen, ist die Sorge für deren weiteres Fortkommen. Die meisten unserer Schüler widmen sich dem Kausmannsstande, und bietet sich da die Gelegen heit, eine gute Stelle zu erhalten, so hört die Schule auf. Die Lehrzeit dauert 4 Jahre, und je eher diese beendet ist, desto besser, desto eher ist der Sohn selbstständig, er kann sich selbst erhalten. — Wir sind weit entfernt, derartige RaisonnementS leicht zu neh men, und von der Höhe der Idee herab Verachtung der materiellen Interessen zu predigen, im Gegentheil, wir können es nur bedauern, wenn Eltern sich gezwungen sehen, darauf zu achten, daß ihre Söhne sobald als möglich sich selbst ernähren können. Aber wir meinen, daß doch schließlich nur die wirkliche Noth die Eltern bewegen sollte', ihre Kinder ans einer unteren Classe wegzunehmen. Denn waS hat der Knabe biS zum 14. Jahre gelernt? Eine Menge vereinzelter Kenntnisse vielleicht besitzt er, den Zusammenhang der selben lernt er erst später, er wird gerade jetzt erst ein rechter Schüler, bislang ist er dazu geschult worden. Und in diesem Zustande verläßt er die Schule. Ist es denn Pflicht der Eltern, nur für das leibliche Fortkommen ihrer Kinder zu sorgen, nicht auch für die geistige Ausbildung bemüht zu sein? Ein Mensch, der etwas Ordentliches gelernt hat, kommt heutzutage überall gut durch; nun, so lasse man die Kinder etwas Rechtes lernen, dann hat man ein gut Theil weniger für ihr Fortkommen zu sorgen. Die Stel lung, welche ein gründlich gebildeter Mann in der bürgerlichen Ge sellschaft einnimmt, giebt reichliche Zinsen für das angelegte Capi tal. Also unsere Meinung ist die: wenn Eltern nicht unmittelbar durch ihre Verhältnisse gezwungen sind, auf die schnelle Versorgung ihrer Kinder bedacht zu sein, so laven sie eine schwere Verantwor tung auf sich, wenn sie ihre Kinder mitten in ihrer geistigen Ent wickelung aus dem natürlichen Boden der Schicke herausreißen. Wir wollen nicht glauben, daß es auf altes Herkommen gestützte Ansichten sind, welche der Vollendung des Schulbesuchs entgegen- ftehen, welche etwa fr lauten: wir sind gleich nach der Confirma- tion in die Lehre gegangen, folglich müssen es unsere K.nver auch ; wir füllen unsern Platz würdig aus, das praktische Leben wird unsere Binder befähigen, auch den ihrigen später ebenso auszufüllen. Man vergißt dabei, daß 30 Jahre dazwischen liegen und daß in der Zeit die Welt ein gutes Stück vorwärts gegangen ist. Wir wollen schließlich noch ems hervorhrben, an das sich ein Wunsch vielleicht ist es nur ein wommer Wun'ch, anschließt. Con- tractlich wird die Lebnet aut 4 Jabre festgesetzt; gewöhnlich aber wird etwas von der Zeil erlassen, wenn der Lehrling -geh fä> eg zeigt, die Geschäfte eine- CommiS zu versehen. Sollten sich nun nicht unsere Kaufleute dazu verstehen, auch kontraktlich, einem Lehrling die Abkürzung seiner Lehrzeit zu versprechen, wenn derselbe aus der ersten Classe der Realschule ein gutes Zeugniß mitbringt? Tas letztere ist ersorderlich, da sonst der Nachtheil auf Seiten der Lehrherrn zu groß sein würde. Sie büßen sre.lich ein halbes oder ganzes Jahr ein, indem sie die Beihülse des Lehrlings gebrauchen könnten, — indessen, sollte ein so kleines Interesse bei unsern Kauf leuten so mächtig sein, daß sie darüber die großen Vortheile ver gäßen, welche auS et: er tüchtigen Jugendbckdung für ihren eigenen Stand hervorgehe! Wir glauben nicht.' Im Grunde genommen würden sie nur dasselbe thun, was in vielen anderen Städten ge schieht, wo man auf das von der Hanvels- oder Gewerb-Schule ausgestellte gute Zeugniß ein Jahr von der Lehre erläßt. Dort tft es Gesetz, dort ist der Lehrling berechtigt, eine Abkürzung zu ver langen — wir haben das Gesetz nicht, aber können wir e- un- nicht selbst zum Gesetz machen? An anderen Orten bringen Bürger zur Erhaltung und Ausdehnung ihrer Schulen die größten pecu- niairen Opfer — diese sind glücklicherweise bei uns nicht nöthtg, aber sollte das Voigtland, um sich den Ruhm einer tüchtigen Schule zu bewahren, nicht das Opser — wenn eS eins ist — bringen wollen, daß es seinen Söhnen eine vollständige Bildung zu Theil werden ließe?! Wir können nicht besser schließen, als mit den Worten eine- der bewährtesten Realschulmänner, des Direktors der höheren Bürger schule in Hannover, Tellkampf, der durch langjährige Bemühungen diese Anstalt zu der besten Deutschlands emporgehoben hat. „Wo man auf diese Erscheinung stößt", sagt er von der Nichtoollendung des Schulbesuchs, „wird man einen günstigen Einfluß der höheren Bürgerschule (Realschule) auf die Bildung der Stände, für welche sie gegründet ist, mit Recht bezweiscln müssen. Vielmehr können diese Anstalten dann nur dazu dienen, jene Ungründlichkeit im Wissen, die in unsern Tagen schon von so vielen Seiten gewährt wird, und den mit solchem Halbwissen verbundenen Dünkel in noch größerem Umsange zu verbreiten. Ehe man aber eenen solchen Erfolg der neuen Anstalten begünstigte, wäre es besser, ihnen alle wissenschaft liche und auf höbere Geistesbildung berechneten Elemente de- Un terrichts zu entzieh n und sie auf den Standpunkt tüchtiger Bürger- fchulen zu beschranken. Daß man jedoch in unsern Tagen nicht mit Bildungsmittel« ausreichen kann, die früher immkrhin den bürgerlichen Verhältnisse« genügen mochten, wird allgemein anerkannt, wovon gerade die viel verbreitete Gründung höherer Bürgerschulen v.n unmittelbarsten Beweis lie,ert. Es kommt aber wesentlich darauf an, daß der Bii ergand das, was er zu seinem Destin geschaffen, auch