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Nr. SIS. Zehnter Jahrg. Montag. 7. August I8SS. Lrscheiul: «glich früh 7 Uhr. Anserate «vtrdril angenommen: bis Abends v,Sonn tag- bis Mittag» 12 Uhr: Marienstraße IS. >- Mormement: LterleljätzUich SO Ngv bei mienlgctdlicherLttz-i strunz in's Hans. Durch die Königl Pof vierteljährlich 22 Rgti Einzelne Nummer» 1 Ngr. Unzeig. in dies. Blatt«, da» jetzt in LI.OW Exemplaren erscheint, stoben eine erfolgreich« Verbreitung. Tageblatt für Unterhaltung und Geschäftsverkehr. Mitredacteur: Theodor Drobisch. Mcrareilpreise: Für den Raum ein«» gespaltenen Zeile: 1 Ngr. Unter „Eing«- sandt" dir Zeit« 2 Ngr. Druck uud Eigenchum der Herausgeber: Eiepsltj 4k Relltjürdt. — Berantlvvttlicher Redaeleur: JultUS Reuhlirdt« Dresden, den. 7 August. — Se. König!. Maj stät hat dem Chausseegeld-Eionehmer Carl August Grellmann in Rechen die zum Verdienstorden gehörige Medaille in Silber verliehen. — Das Schießen nach dem großen Vogel erreichte wie alljährlich, vorgestern auf der Vogelwiese sein Ende. Den KönigSschnß erhielt He r Zimmermeister Scheibe, indem Herr Meubleur Menzer als Stellvertreter des Elfteren Nachmittags gegen 6 Uhr dm Nest des Vogelcorpus herunterholte Leider ist seit vorgestern Negmwetter und bedeutende Kühle eingetre- trn, zwei entschiedene Feinde des zu Ende gehenden Volks festes, daS mit gestern seinen vollständigen Abschluß erhal ten hat. — ch Orffentliche Gerichtsverhandlungen vom 5. August. (Forts) Die Amalie Henriette Reichet, verehe lichte Fretschner aus Loschwitz gibt zu, daß sie aUS der Meier- schen Kasse in Berlin Geld entnommen, blos aber um sich zu decken, weil Meier ihr Geld schuldete Emil Hänsgm soll sie dazu überredet ''üben Im klebrigen ist sie trotzdem mit Ver lust noch aus Berlin nach Loschwitz zurückgekehrt. Sie erzählt von den verschiedenen Briefen, die an die Frau Niemann ge langten und in welchen Hänsgm Geld verlangte. Hänsgen widerspricht ihr vollständig. Da er sie heute duzt, so verbietet sie sich das, wril sie „Sie" zu ihm sagt. Er dag gen meint, sie würde Wohl wissen, daß er ein Recht dazu habe, sie zu duzen. Sie ist auch m>t Kießling nach Berlin gereist, um die Ehrenerklärung von Meier zu holen Sie weiß, daß die drei Angeklagten bald einzeln, bald zusammen auf das Niemann'sche Grund« stück gekommen seien, daß Trauzold als angeblicher GenSd'arm erschienen, daß die Angeklagten von der verehelichten Niemann unter Drohungen Geld verlangt und auch erhalten hätten Die nächste Zeugin, die 2! jährige Agnes Louise Rudel dient jetzt noch bei Niemann's in Loschwitz. Sie hat selbst im Auf träge der Frau Niemann dem Emil HänS.en Geld gebracht. Sie wurde zum »r. Schaffrath gesch ckt, der den Andringlink: Hänsgen gerichtlich zur Ruhe verweisen sollte. Sie that diet! aber leider nicht, sondern ging zu Kießling, der ja auch als juristischer Rathgeber bekannt sein sollte. Der 39jährige In spector des Dienflmann-Jnstituts „Expresse", Namens Fuchs erzählt, was er über die Löhnung des Emil Hänsgen für die Reise nach Berlin auSzemacht. Er widerspricht den Aus sagen Hänsgcn's. Letzterer habe ihn bei der Rückkehr von Berlin gefragt, ob er nicht von der Frau Niemann noch eine Auslösung fordern solle, er aber, Fuchs, sagte zu ihm, wenn er freie Kost und Wohnung in Berlin gehabt, könne er hin terher keine Auslösung fordern. Wolle die Frau Nie mann freiwillig etwas geben, so sei das ihre Sache. Der 22jährige Schrfft'etzer Herrmann Bruno Trauzold ist der angebliche Gensdarm. Er wurde von den Angeklagten zu einer Landpartie nach Loschwitz eingeladen, sie hätten bei RiemannS eine Schuld einzufordern, da möchte er nur mit- Tommen, es könnte vielleicht Unannehmlichkeiten sitzen, daher wäre es bester, wenn vier Mann kämen. Als er allein auf dem Niemann'schen Grundstück stand und die Andern im Hause waren, kam ein Mann mit einer Stange, faßte ihn und wollte eben loshauen, als Trauzold in seiner Angst rief: „Ich bin Gensdarm! * Befragt vom Vorsitzenden, warum er das gethan, erklärte er: ,.Na hören Sie, meine Herren, wenn Einem Jemand mit einer solchen Stange zu Leibe geht, da kriegt man Angst!" Sein Hut wurde bei dieser Gelegen heit auch ruinirt, da er mit einem störrischen Baumaste Be kanntschaft machte. Für seine Bemühungen als angeblicher Gensdarm hat e, von den Angeklagten nichts erhallen, wohl ab« ist auf dem Schillerschlößchen eine Erfrischung ihm ge reicht worden. Die Verhandlung hatte nunmehr sich bis 8 Uhr Abends ausgedehnt und doch war man erst bis zum Schluß der Beweisaufnahme gekommen. Da vorauszusehen war, daß die Sitzung mit Einschluß der PlaidoherS und der Fassung des Urtel wohl bis über 12 Uhr Nachts hinaus dauern würde, so erhoben sich die drei Herrm Verteidiger, als auch der Herr Staatsanwalt Roßteuschcr. «nd bemerkten dem Herrn Vor sitzenden, Gerichtsrath Gross, daß ihre Plaidohers wohl kurz -sein dürften, es ihnen aber doch lieb wäre, wenn sie noch vor Mitternacht den Saal verlassen könnten. Der Präsident «klärte in der neunten Abendstunde, daß die Verhandlung bis Montag den 7. August Nach mittags halb 4 Uhr zu ver tagen sei. (Schluß morgen.) Allgemeine W schsnfchav. Der Ernst der Situation. — Untei 'drückungen in und außerhalb Preußens. — Der neue Ministerpräsi »ent in Wien. — Da» Kabel tau. — Aus Mexiko. — Die englischen Wahlen. — Ledm Rollin als Bibekvcrbreiter. — Abd el Kader in ' Paris. — Paßcrleichtcrungen in Dcutschla nd. ^ In Gastein hat sich in vorig« Woche die Lösung her Geschicke Deutschlands in d« nächsten Zeit vorbereitet. Sollten, wie man berichtet, auch noch die Monarchen von Oesterreich, Preußen,. Bayern und Sachsen dort zusammen kommen, so wird sicherlich, je nach dem Ergebnisse, die Zu kunft Deutschlands diese oder jene Phhsionomie tragen. Das Zerwürfniß zwischen dem von den Mittelstaaien unterstützten Oesterreich und Preußen ist so schroff geworden, preußischer Uebermuth hat Oesterreichs Geduld so aus die Probe gestellt, daß die Atmosphäre auf's Aeußerste gespannt ist, u»d wenn ihr nicht die Unterhandlungen des preußischen Königs mit dem nach Gastein von München ans geschickten österreichischen Gesandten, Grafen von Blome, ein Ventil öffnen, ist eine Explosion fast unvermeidlich. Herr von Bismarck scheint aller dings Alles auf eine Karte, das Kriegsglück, setzen zu wollen. Er äußerte in Karlsbad in Gegenwart des französischen Bot schafters: „Ich wünsche den Krieg" - ob seine Meinung aber den Sieg behalten wird, steht sehr in Frage. Nichts wäre unnützer, als über jene Unterhandlungen nur eine einzige Ver mutung zu äußern. Bei einem Minister, d« von keinem Princip getragen, sich einzig auf seine Persönlichkeit verläßt, kann von Berechnung kaum die Neve sein. Wohl aber ver lohnt es sich, für den Fall, daß durch die frivole Neigung des preußischen Premiers der Bürgerkrieg heraufbeschworcn würde, uns zu erinnern, daß wir den Stürmen desselben ruhig entgegen gehen können. Unsre Sache ist dir gerechteste von der Wett — die Unterjochung eures braven Volkostammes zu verhindern und damit den Anfang zu unsrer eignen Unter drückung zu vereiteln — und die Heere der deutschen Bundes staaten allein, wenn sie nur einig sind, können dem preußischen die Spitze bieten. Sind sie mit Oesterreichs sieggewohnten Heeresvölkern vereint, wie sollten sie einem Heere nachstehen, das von dem eignen Volke nicht gestützt wird? Doch immer wird der Refrain unserer Betrachtungen sein: Bewahre uns Gott vor einem Bürgerkriege! Möge er die Frevelhaften zu Schanden machen, die, dem preußischen Könige schmeichelnd, ihn über die wahre Lage im Dunkeln lassen, ihn mit lockenden Aussichten auf Kriezsru';m und Feld herrnglück kitzeln. Preußen fängt es offenbar in den Hcrzog- thümern darauf an, Oesterreich zu reizen. Die blutigen Schlä gereien österreichischer Soldaten mit preußischen Männern, provocirt von letzteren, die Ausweisung des 1>r. Freese, die Verhaftung des Redakteur May, um eine wichtige Correspon- denz des Herzogs in seinem Besitz zu finden, die Gewaltthat in Ploen, wo preußische Soldaten einen Eiscnbahnarbeit« meuchlings tödteten und zwei verwundeten, die Verweigerung des Abschieds, den Herzog Fiiedrich, welcher früher Major L la suito des 1. preußischen Garderegiments war, aus diesen Militärdiensten verlangte, um sich einer möglichen Discipli- naruntersuchung zu entziehen, die Hetzereien der officiösen Ber liner Presse, Alles das füllt den Becher bis zum Rande. Den gefüllten Becher vermag ein Rosenblatt zum lieberlausen zu bringen — wer weiß, welche unbedeutende Kleinigkcit hier die folgenschwere Entscheidung giebt! Trübe sind auch die innern Verhältnisse Preußens Aus die Maßregelung der Teilnehmer am Kölner Feste ist eine ganze Reihe von Quälereien und andern Ausflüßen des Po- UzeisystemS gefolgt. Mehrere Schriftsteller sind d>s Landes verwiesen worden, keine preußische Zeitung bars über das Kölner Fest etwas drucken, sonst wird sie sofort consiscirt Bismarck will nun einmal Ruhe im Lande hab.n, wäre es auch nur die Ruhe eines Kirchhofs. Claffen-Kappelmann reiste von Köln zur Enthüllung einer Arndt-Statue nach Bonn. Die dortige Gesellschaft im Lesemuseum ließ ihn zum Diner einladen. Der Bürgermeister aber drohte, das Diner und die ganze Arndt-Feier zu untersagen, wenn Kappelmann am Diner sich beteiligte. W.r verstehen zur Noth, daß die Polizei das Comitv für das Abgeordnctensist als einen politischen Verein erklärt und auflöst; wenn wir unseren Verstand in spanische Stieseln schnüren, begreifen w>r am Ende auch, daß die Po lizei einem Privatmann verbieten kann, als Einzelperson ein solches Fest zu arrangiren; wie man aber eine Tischgesellschaft verhindern will, einen einzelnen Staatsbürger zum Essen ein zuladen, das geht doch über unfern beschränkten Untcrthancn- verstand. Kriminalveibrecher vcrurthcilt man zur Einzelhaft, jetzt will man einen unbescholtenen Staatsbürger zur Einzel, kost verdonnern. Was that nun aber der einsam Spe sende? Er sagte: „Na, denn nich! Bitte sehr, ich will durchaus nicht stören Dann bleibe ich vom Essen w g" Das heißt doch andrerseits wieder den Ordnungssinn zu weit treiben. Was hätte cs denn geschadet, wenn Herr Claffen-Kappelmann sich diesem ungesetzlichen Verbot nicht gefügt hätte? Suppe und Braten wären ungegessen, der Wein ungetrunken und die Arndt-Statue unenthüllt geblieben. Wahrlich! Das hätte aut« gesprochen, als alle Ach und Wehs der Zeitungen! Wenn die Menschen schweigen — der unter der Mantelkatpe unenthüllte Stein des ArndtdenkmalS hätte laut zum Himmel geschrieen. Diese entsagende Halbheit, diese überaus strenge Wahrung des formellen Rechtet einerseits und andrerseits kW "i doch die Anmaßung selbst liberaler Blätter Preußens, w.lche SchUewig- Holstein auch trotz alledem unter die Pickelhaube bringen wollen, ist es eben, welche die übrigen deutschen Volksstämme so sehr an Preußen irre macbt, welche kein Vertrauen auf- kommen, welche die Phrase von dem angeblichen Berufe Preu ßens, Deutschlands Führer zu sein, als eine schillernde Sei fenblase erscheinen läßt. Wir müssen Alle am Bau der deut schen Einheit und Freiheit Hand anlezen, Groß-, Mittel- oder Kleinstaaten, und nur Der wird der Wsrkführer sein, d« im Stande ist, jeden Einzelstaat je nach seiner Leistungsfähigkeit bei dem großen Werke frei und selbstthätig zu verwenden^ Die Intelligenz und der Patriotismus haben aber kein schwarz« weißes Monopol. Der neue österreichische Premier, Gcaf von Velcredi, hat sich bei seinem Amtsantritt einen günstigen Empfang damit zu erwerben gewußt, daß er eine Generalamnestie für alle Preßvergchen erlassen Hai. Ein Circular, das er an alle Landeschefs richtete, spricht solche gesunde Grundsätze über die Thätigkeit eines Beamten im Dienste und über sein Verhalten der Ocffentlichkeit, dem Publikum und der Presse gegenüb« aus, daß man denselben nur opplaudiren kann. Wenn sie nur auch befolgt werden! Infolge der vielen Pensionirungen, die aus dem Ministerwechsel folgten, und da nur wenige Mi nister, wie z. V. Herr v. Schmerling, als Präsident des ober sten Gerichtshofes eine neue Thätigkeit im Staatsdienste er hielten, erwächst dem Pensionifond eine neue Last von 150,000 Fl. Wie Hilst man sich? Man setzt von den ohnehin sehr dürftig gestellten niederen Beamten einen großen Theil auf Wartcgeld, d. h. auf ^ ihres Gehaltes. Die Legung des telegraphischen Kabeltaus zwischen Ir land und Amerika scheint, nachdem alle Hindernisse, welche alle Hoffnungen zu zerstören drohten, glücklich gehoben sind, ruhig vor sich zu gehen. Die welthistorische Bedeutung die ses großartigen Unternehmens springt Jedem in die Angen^ Jetzt bildet sich jenseits des OceanS bereits eine neue Com pagnie, um der ersten Concurrenz zu machen, deren hohe Preise die Benutzung des electrischm Funkens allerdings sehr erschweren. Man befürchtete bis vor Kurzem den Zusammenstoß zwi schen französischen Truppen in Mexico und den amerikanischen in Texas. Dadurch aber, das an Stelle der ersteren kaiser- lich-mexiranische Soldaten an die Grenze poftirt wurden, ist d:e nächste Gefahr des Zusammenstoßes einstweilen beseitigt. Nachdem die englischen Wahlen jetzt beendigt, kommen nach und nach die heitersten, oder wenn man sich aus einen staatsbürgerlichen Standpunkt stellt, die traurigsten Details zum Vorschein. Jede Partri hat auf das »»verschämteste be stochen, Mister Smith von den Whigs und Mister Brown von den Tories Jener hat diesen aber geschlagen und nun beschuldigt Brown seinen glücklicheren Nebenbuhler in den heuchlerischsten Ausdrücken des entsetzlichen Verbrechens der Wahlbestechung. Palmerston, der alte Lord Feuerbrand, konnte in seinem alten Wahlkreise Tivcrton nur dadurch obsiegen, daß ein geschickt« Agent noch schnell 3 Wahnsinnige, die in einer Privatirrenanstalt geheilt werden sollten, Len gcscheidten Streich machen ließ, für Palmerston zu stimmen. Auch Wahl- circularfälschungcn kommen auf beiden Seiten vor und beide Parteien setzen einen Preis auf die Entlarvung des Fälschers. Die französischen Zollbeamten machten kürzlich einen origi nellen Fang. Ledru Nollin, der bekannte republikanische Flüchtling, hatte sich über Arbeitseinstellungen in einer Bro schüre ausgesprochen, welche in Frankreich vrrboten wurde. Er suchte nun diese Schrrft in einer Höhe von 50,000 Exem plaren als — Bibel nach Frankreich zu schmuggeln. Man erwischte ihn jedoch. Große Noth hat von der Zudringlichkeit der Pariser Abdel-Kader zu leiden, so daß er wohl ba!d nach Asien zu- rückkrhren wird. Nicht nur, daß ihn unzählige Personen sehen d. h als Wunderihier anstaunsn wollen, so wird er überallhin zu Landpartie«., Mittags- und Abendessen cingela» den. Der eine gemüthliche Pariser bittet ihn zu Gevatter, der ander? als TrauungSzcugcn und Hochzeitsgasi und na mentlich will man seinen Harem inspiciren. Werden diese Gesuche abgeschlagen, so «gehen sich die sonst so höflichen Franzosen in den ordinärsten Schimpfworten und Schelt reden. Zum Schluß etwas Erfreuliches aus unseren lieben Deutsch, land! D e 4 deurichen Königreiche haben vor Kurzem einen Paßvcrtrag abgeschlossen, wornach ihre Unterthanen, wenn sie in eines der andern Länder reisen, k-ine Paßkarle zu lösen brauchen. Diesem Vertrag ist jetzt Oldenburg beigetreten. Gehet hin und thut desgleichen!