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Zweites Blatt. WchmM ßr Wlsdmff Erscheint wöchentlich zweimal u.zwarDienstags und Freitags. — Abonnementspreis vierteljährlich 1 Mk., durch die Post ' bezogen l Mk. 25 Pf. — Einzelne t Nummem 10 Pf. WrM DD. Sirbknlrhii lind die UmMlidkn. Imtsblatt Inserate werden Montags und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Jnsertionspreis 10 Pf. pro dreigespaltene Corpuszeile. für die Kgl. Amtshauxtmannschaft Meißen, für das Rgl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Agl. Lorstrentamt zu Tharandt. No. 102. Dienstag, Sen 29. Dezember 1892. Unheimliche Nachbarn. Erzählung von Emilie Heinrichs. (Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) Die Stiefmutter ließ die Arbeit erschreckt sinken, während der Alte immerwährend seine Seufzer ausstieß. „Aber, Herr Gerichtsvogt, wie sollö denn nun mit dem Unglücklichen werden?" fragte die Frau endlich mit einem tiefen Athemzuge. „O, damit hats keine Noth, Frau Jacobi; ich fange ihn doch ab, — mich grollen nur die vielen langen Wege, die ich seinetwegen hier schon heraus habe macken müssen. Ich gehe heut nicht aus Waldbergen fort, ohne ihn mitzunehmen, und sollt ich den Taugenichts fesseln." Die Frau zuckte schmerzlich zusammen und blickte dann bittend zu dem Alten hinüber. „Vater," sprach sie mit bewegter Stimme, „bedenke den Schimpf, die Schande, wenn der Fritz ins Gefängniß kommt. Dein leibliches Kind, der Sohn des reichen Jacobi aus Wald bergen. Bezabl die Summe noch einmal für ihn, es mag das letztemal sein. Thue es um Deiner eigenen Ehre willen, um unsern guten Wilhelm, auf dessen Namen ja kein Schimpf ruhen darf." „Nein, ich thue es nicht," rief der Alte, indem er wieder heftig seufzte. „Kann Ihrem Mann nur Recht geben, Frau Jacobi," sagte der Gerichtsvogt sehr erregt und bestimmt, „allen Respekt vor einer solchen Stiefmutter, wie Sie sind, aber Sie gehen zu weit in ihrem Erbarmen gegen den Schlemmer, er muß diesmal daran, oder Sie haben ihn ewig als einen Blutsauger an sich hängen, und können selber dereinst mit dem weißen Stabe da vonlaufen. Dieser Bösewicht verkehrt da, seinen Eltern zum Trotz, mit dem Onkel Lüg, der ihn vollends ins Verderben reißt, wenn überhaupt noch etwas an ihm zu verderben wäre. Also, Vater Jacobi, fest bleiben, nichts geben !" „Ins Loch mit ihm, ich zahle nichts mehr," sprach der Alte, sich heftig erhebend. Da wurde die Thür geöffnet und Fritz trat mit einem ge wissen Trotz ein. Als er den Gerichtsvogt wieder erblickte, schreckte er doch jäh zusammen und blieb unschlüssig stehen. „Ah, da hätten wir den sauberen Vogel ja wieder, läuft er mir freiwillig ins Netz," rief der Mann des Gesetzes, sich rasch erhebend. „Nur fort mit dem Taugenichts," schrie der alte Jacobi, beide Hände abwehrend gegen ihn ausstreckend, „bringen Sie ihn nur ja hinter Sckloß und Riegel, daß ich ihn nie wie dersehe." „Jawohl, das wäre Euch recht," rief Fritz mit zitternder heiserer Stimme, „wenn Ihr mich nur erst bei der Mutter be graben könntet, damit Euer Zuckerpüppchen auch mein Erb theil erhielte." „Als wenn Du noch ein Erbtheil zu erwarten hättest, Schlemmer," keuchte der Alte, „keinen rothen Pfennig bekommst Du mehr, und nun marsch ins Loch mit Dir, wohin Du von Rechtswegen gehörst." „Du wirst also die Lumperei nicht für mich bezahlen?" fragte Fritz, einen scheuen Blick auf den Gerichtsvogt werfend, welcher zwischen ihn und den Vater getreten war, „kannst es ruhig mit ansehen, wenn Dein rechtmäßiger Sohn und Erbe wie ein Bettler fortgeschleppt wird?" „Marsch, sage ich, — keinen Pfennig bezahl ich mehr für Dich!" „Recht so, Vater Jacobi, keine Umstände mehr mit dem Bruder Lüderlich. Wer eben nicht hören will, der muß auch endlich fühlen." „Nun gut, ich gehe," sagte Fritz mit trotziger Geberde, „aber diese Stunde soll Dich reuen, Rabenvater! Ich wüßte wahrlich nicht, warum ichs länger verschweigen sollte, aus welcher Ursache Du dem Pintscher immer Geld zusteckst, so viel er nur haben will." Der Alte wurde leichenblaß und stand wie vom Donner gerührt. Er öffnete die Lippen, um zu sprechen, doch kein Laut kam darüber, ein plötzliches Entsetzen über des Sohnes Worte schien dem Alten die Kehle zugeschnürt zu haben. Frau Johanne zitterte wie Espenlaub, während der Gerichtsvogt erstaunt den Kopf schüttelte. Mit triumphirender Miene bemerkte Fritz den seltsamen^ Eindruck seiner Worte. Er sah sich bereits als Sieger und freute sich, einen immerwährenden Triumph nun in der Hand> Zu haben. der Ja- war, weichen. Ihr Herz war belastet und ihre Seele betrübt bis in den Tod. Genosse gewesen, besonders in den letzten Wochen, wo Tischler gänzlich heruntergekommen war. Dieser Mann war der Pinscher, der Alp des alten cobi, sein täglicher Vampyr. Er hieß eigentlich Müller, den Ausdruck „Pinscher" Das Gesicht des Säufers, eben noch von Siegesfreudei erhellt, wurde erdfahl, er wollte mit einem Angstschrei hinaus- stürzen und die Flucht ergreifen, doch der Gerichtsvogt ließ ihD nicht zum zweiten Male entschlüpfen. Da erhob sich die Stiefmutter, welche eine stumme, aber entsetzte Zuschauerin bislang gewesen war; den Alten bittend anblickend, tagte sie mit bewegter Stimme: „Ich habe in der ganzen Zeit unserer Ehe noch nie etwas von Dir erbeten Johann — es ist meine erste Bitte, Du darfst Sie mir nicht abschlagen, denn sie gilt Deinem leiblichen Kinde, dem Sohne, Deiner ersten Frau, die sicherlich in diesem Augenblicke auf uns herab —" „Schweig, Weib!" schrie der Alte in so schrecklicher Wuth, und dabei solche Angst in den verzerrten Zügen zeigend, daß die Frau schaudernd zurückfuhr und es ihr war, als zuckte es wie ein Blitzstrahl durch ihr Gehirn. „Schweig," fuhr jener tobend fort, „ich lasse mich nicht abschrecken mit Euren Drohungen. Ich bin Herr im Hause und mein letztes Wort über diesen Buben gilt für alle Ewig keit. Amen!" setzte er leiser hinzu, als könne er es dadurch wie mit einem Eid besiegeln." Der Gerichtsvogt schüttelte den Kopf, doch winkte er dem Alten ob seiner Heftigkeit beifällig zu und packte den Arrestanten am Arm, um ihn mit sich fortzuziehen. „Herr Gerichtsvogt," rief die Stiefmutter plötzlich ent schlossen, „geben Sie Frist bis morgen Mittag; dann zahle ich den Wechsel." Erstaunt wandte sich jener uni und ließ den Tischler los. „Das wollen Sie thun, Frau Jacobi? — Sie, die der Knabe stets mißachtet und verleumdet, gepeinigt und beschimpft Trunkenbold erster Klasse, der keine höhere Freude auf Erden als Branntwein kannte, hatte in glücklicher Stunde den Spitz namen erhalten und führte ihn seitdem bei Jung und Alt, als sei er auf denselben getauft. ! Bei einem in der Nähe wohnenden Gutsbesitzer, einem alten Major a. D., hatte der Pinscher indessen einen ganz ab sonderlichen Einfluß gewonnen. Man redete viel darüber hin und her, doch errieth man nie den rechten Grund. Die eigentliche Ursache mochte wohl die sein, daß der Major den Säufer seiner noch immer straffen, militärischen Haltung wegen vorzog, und ihn dann auch als Neuigkeitsquelle benutzte; besonders in dieser aufgeregten Zeit, wo die Subor dination zum Schattenbilde geworden, mochte der Pinscher ihm als geheimer Horcher, um die Stimmung der Bauern im Kruge zu erforschen, von großem Nutzen sein. Das war also der Mann, welcher in diesem Augenblick in die Wohnstube zum Vater Jacobi trat, und, die abgeschabte Kappe in der Hand drehend, den Alten mit einem seltsamen Blick anstierte. „Herr Jesus behüte mich in Gnaden, wie hast Du mich erschreckt, Pinscher," rief Letzterer mit zitternder Stimme, was ! willst Du nun schon wieder?" „O, nichts, lieber Herr Jacobi," versetzte der Pinscher un terwürfig, „wollt nur eben mal anfragen, ob Ihr gute Fische vorräthig hättet, so recht kapitale Aale oder Külinge, wie der Herr Major sagt?" „Ja, die kannst Du kriegen, Pinscher! Der Mathias mag sie Dir aussuchen." Doch der Mann blieb demüthig an der Thür stehen und blinzelte den Alten wieder so seltsam an. „Ich habe seit gestern keinen Schluck gehabt, Herr Jacobi. Der Wirth will nicht mehr borgen." Mechanisch griff der Alte in die Tasche, um den Dränger abzufcrtigen. Dann besann er sich plötzlich und trat ihm einige Schritte näher. „Du bist ein Judas," flüsterte er, „hastmir einen zweiten Blutsauger auf den Nacken gesetzt, — da muß ich Dich auf halbe Löhnung setzen, Pinscher!" „Versteh' nicht, Herr Jacobi," erwiderte dieser nun wirklich erstaunt. „Hast Du nicht — hm — Du wolltest vor vielen, vielen Jahren etwas gesehen haben drüben am Strom. Es ist Lüge, sage ich Dir, aber Du hast diese Lüge einem Andem noch, als mir, erzählt, Pinscher. Besinne Dich, Du wirst sie dem wie sich denken läßt, nur sein Spitzname, den ihm der Onkel Lüg vor undenklicher Zeit gegeben, wahrscheinlich in einem An- ' fall von Laune, oder in Folge seiner wunderlich gestutzten Der alte Jacobi aber stand auf und sah seinen Schrank nach, ob auch die Schlösser alle in Ordnung waren; dann zählte er die Schlüssel, verschloß diese und barg den Haupt schlüssel auf seiner Brust. „Muß mich vorsehen," murmelte er, „wo will sie das Geld anders hernehmen, als aus meinem Kasten? — Und wenn sie das thörichte Weib einstecken für den Wechsel, sie mag ihre Haut selber zum Markte tragen. Ach, wenn die Angst nur von mir ließe, ich kann sie nicht wegspotten. Weiß der Junge das Geheimniß — hats ihm der Pintscher verrathen? — — Er hat mich in seiner Gewalt, — hu, um Alles zu sagen — Nein, es ist gut, daß er frei ist, aber Geld zahle ich nicht mehr, — der Pintscher plündert mich so schon, daß ich noch betteln gehen kann im Alter." So rief er Plötzlich mit lauter drohender Stimme, um gleichsam sein Gewissen zu übertönen. Da hörte er die Stubenthür gehen, wandte sich erschreckt um und fuhr mit einem Aufschrei zurück. Mit einem freundlichen Grinsen trat in diesem Augen- Doch Plötzlich schien sich der Vater zu besinnen. Er faltete, der Küche, um allen Erörterungen für den Augenblick auszu- die Hände und murmelte etwas in sich hinein. Dann warf -- er einen Blick des tödtlichsten Hasses auf den Sohn, und die Hand ausstreckend, rief er mit lauter Stimme: „Geh ins Ge-! fängniß, ich bezahle nichts!" blick ein abschreckend häßlicher Mann in die Stube. Sein aufgedunsenes Gesicht mit der feuerrothen Nase, seine ganze äußere Erscheinung mit dem unsauberen Kittel und den plumpen zugebundenen Schuhen, lieferte das Bild eines völlig verwahr losten Säufers, er war deshalb auch sehr häufig Fritz Jacobis „Thut auch nicht nöthig, Vater Jacobi!" versetzte der Ge richtsvogt fest, „Ihre Frau ist mir seiber schon Bürgschaft ge nug. Aber es sollte mir in der Seele leid thun, ließen Sie sich von ihrem edlen Herzen Hinreißen." „Wäre es mein leiblicher Sohn, dann thäte ich es doch so wie so," versetzte die Frau mit Festigkeit und Würde, „als Stiefmutter bin ich aber doppelt genöthigt, für ihn einzutreten, denn das Loos derselben ist das härteste auf Erden, da es den niedrigsten Menschen berechtigt, seine eigene Schuld auf die Stiefmutter zu wälzen. Sie warten also bis morgen Mittag Herr Gerichtsvogt?" „Wenn Sie mir versprechen, bis dahin Zahlung zu leisten". „Ich verspreche es Ihnen." „Gut, Frau Jacobi, dann haften Sie für den Wechsel von 150 Thalern. Ich kann die Frist nicht weiter ausdehnen, da ich schon seit acht Tagen hinter dem Taugenichts herlaufe." „O, Sie brauchen sich deshalb nicht wieder herzube mühen," rief Fritz, dem der Muth wiedergekehrt, mit frechem Trotz, „ich selber bringe Ihnen das Geld nach der Stadt." „Damit es unterwegs in irgend einem Wirthshaus bliebe," bemerkte der Gerichtsvogt verächtlich. „Ich bringe Ihnen das Geld nach ihrem Hause, da ich nach der Stadt muß," sagte die Stiefmutter ruhig. Der alte Jacobi blickte finster drein, dann lachte er spöttisch und schien Plötzlich über sich selbst zu erschrecken, denn er mur melte leise vor sich hin. „Na, dann wären wir ja miteinander fertig," sprach Fritz mit hämischem Lachen „adieu, Herr Gerichtsvogt, ich werde mich künftig mit einer guten Flinte versehen, um die Fanghunde von mir fern zu halten." Ohne die Stiefmutter eines Blickes zu würdigen, oder ihr nur mit einem Worte zu danken, verließ er pfeifend die Stube und nach einer kleinen Weile sah man ihn durch den Garten hinaus gehen." „Da haben Sie gleich auf frischer That die Bescheerung Frau Jacobi," rief der Gerichtsvogt zürnend, „nicht einmal einen Dank von dem Schlingel. O, ich habe mich nie darüber gefreut, einen armen Teufel, der nicht zahlen konnte, ins Ge fängniß zu schleppen, aber bei diesem Buben wäre es mir ein Herzensgaudium gewesen. Na, sie wollen es ja nicht anders. Adieu, miteinander, morgen Mittag, Frau Jacobi, nicht später, ich muß abliefern, einen Menschen oder Geld." Er verließ das Haus und die Frau begab sich rasch nach hat? — Nein, Frau, thun Sie es nicht, der Bösewicht zahlt Frisur, welche ihm in der That diese Aehnlichkeit gab. Ihnen nur mit Undank zurück." ! Genug, Müller, ein früherer Artillerist, im Uebrigen ein „Ich bürge nicht für meine Frau!" rief der Alte hastig