Volltext Seite (XML)
Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PranumerationS- Preis 22; Sgr. Thlr.l vierteljährlich, g Thaler sür da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der PreuKswen Monarchie. für die Man pränumerirt auf diese« Beiblatt der Altg. Pr. SMts- Zeitung in Berlin in vdr Expedition (Mohren-Straßs. Nr. Kj); tn der Provinz so 'tz wie im Auslande l^ei dos rs Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 1. Berlin, Mittwoch den 2. Zanuar 1833 England. Englische moderne Romanen-Literatur. Wenn Richardson die unbedeutendsten Plaudereien oder die gering sten Bewegungen von Sir Charle« Grandison oder Clarissa Harlowe erzählt, so ziirnen wir ihm wegen dieser Ausführlichkeit nicht. Als Kritiker, die Theile in Beziehung zu dem Ganzen betrachtend, und als Romancn-Lescr erlauben wir die Masse der Details als ein Mit tel, und unterwerfen uns jener Herrschaft über die Phantasie, welche eine in's Einzelne gehende Beschreibung stets erlangen must, voraus gesetzt, daß sic stch aus Gegenstände von Interesse bezieht. Wir ge ben zu, daß man das Laub nicht fortlassen darf, wenn mau einen Baum malen will; und wenn der Gegenstand der Mühe lohnt, und das Kunstwerk im Ganzen wirksam ist, so sind wir verpflichtet, die nothwendigen Zwischen-Ereignisse und Schilderungen zu billigen. Aber in Bezug aus Beschreibungen, so getreu und ausführlich sie auch immer scpn mögen, die in keiner Verbindung mit einem uns interesstrendcn Gegenstand stehen, und die bloß ihrer selbst halber da sind, haben.wir keine solche Verpflichtung. Ein Maler, der uns das genaue Abbild eines Blätter-Haufens oder einer gewissen An zahl Ellen Bandes Vorsteven, und unsere Bewunderung für diese Gegenstände an und für stch in Anspruch nehmen wollte, würde uns sehr in Verlegenheit setzen; und in derselben schwierigen Lage haben wir uns immer befunden, wenn man unser Unheil über die Art von Büchern verlangte, welche gewöhnlich moderne Romane gc- nannt werden. Der Fehler liegt eben so wohl an den Sujets dieser Bücher, als an ihren Verfassern. Es kann in der Thal in der Macht des Genies liegen, dem Gebiete des modernen Lebens, wie dieses in der jetzigen Zeit an uns vorübergeht, ein romantisches Interesse abzuge winnen; denn es gicbi keinen Gegenstand, der durch einen gewissen Zauber nicht gefällig zu machen wäre. Wer des Menschen innerstes Wesen kennt, wird in jeder Art und Form der Gesellschaft etwas finden, das, wenn es mit dem gehörigen Geist entwickelt wird, un sere Aufmerksamkeit aus eine würdige Weife in Anspruch' nehme» kann. Aber derjenige, der solche geistige Kräfte besitzt, wird es sich schwerlich zum Zweck machen, mehr als einen flüchtigen Blick auf eine Lebens-Weise zu werfen, die. wie keine andere, die menschliche Natur in einem so uninteressanten und der Abwechselung entbehren den Lichte darstcllt. Der Gegenstand fällt daher in die Hände An derer, und zwar Derer, die, das Leben lebend, welches sie beschrei ben, sich den Schranken desselben gesügt haben; die mit der mensch lichen Natur im Ganzen und Großen nur unvollkommen bekannt sind, und keinen Urbcrfiuß an Licht aus ihren Sphären mitbringcn können, um den finstern Schauplatz zu erhellen, den sic unseren Blicken darstellcn. Aus der breiten Straße der Gesellschaft wird Niemand zur Kennlniß der menschlichen Natur gelangen. Die be schränkte Ansicht, welche man Welikcnntniß zu nennen pflegt, kann daselbst erlangt werden; aber diese schließt in der Regel die Kcnnt- niß der menschlichen Natur mehr aus, als daß sie dieselbe in sich begriffe. Alles das, was in der Natur des Menschen der Forschung am würdigsten ist, Alles das, was di« Leute von Well kaum glau ben, am wenigsten kennen — des Menschen stärkere Neigungen, seine tieferen Leidenschaften, seine innigere Tbeitnabme wie seine unseligen Abneigungen, — sind gewöhnlich die Resultate der Zurück- gezogcnhcft, wo Phantasie und ^cidenschaft üppiger schießen. Volk reiche Städte werden in der Regel sür den erwählten Schauplatz der Verbrechen gehalten; aber in der Wirklichkeit begegnet man dort nur dcm niedriger» Zweige des Lasters. Unsere Kriminal-Sta tistik zeigt, im Gegensatz mit der in dieser Beziehung allgemein ver breiteten Meinung, daß die große Mehrheit der wahrhaft tragischen Verbrechen durch die Bewohner des platten Landes begangen wird. Bei ihnen erscheint da« Gute wie das Böse in seiner unvcrmischte- stcn Gestalt. Haß und Bosbeii i» ihrer unverfälschten Kraft sind bäuerische Leidenschaften; und Liebe, wie fix Johnson dem Lord Chesterfield bemerkt, ist aus den Felsen am meisten heimisch. Wenn daher der Gegenstand des modernen Lebens ein beson der« unfruchtbarer ist, und diejenigen, die ib» bcbandcln, es größlc»- theils ohne Geschick tbun; wenn ihre Werke eine bloße Anhäufung von Details sind, welche sich keinem hervorstechende» Imcresse aii- schltcße» und keinen bleibende» Grdankcn zurücklassc»; we»n dabei lein Grundsatz der Kunst zum Vorschein kommt, den die Kritik bil ligen könnte — woher kommt cs doch, daß die Leser nicht ermüdens Hieraus, fürchten wir, giebt es keine andere Antwort, al« daß eine große Anzahl des lesende» Publikums cs für wichtig hält, zu erfahren, auf welche Weise Personen von einem gewissen Rang und von einer gewissen Bedeu tung in der Gesellschaft sich gegen einander benehme», und geneigt ist, seine eigene Zeil bei einer Lektüre zu verschwenden, bloß um zu wissen, wie vornehmere Mißiggänger die ihrige verbringen. Dies ist ein böser Umstand, und deucht aus eine schlecht angebrachte Neu gierde und auf eine Verirrung der Phantasie in den Klaffen, denen jene Leser angehörcn; denn wie wenige Dinge, die mit der Litera tur in irgend einer Verbindung stehen, habe» gcringcrcn Anspruch aus unsere Achtung s Unter anderen Anzeichen der Bekehrung des vornehmen Lebens auch die Verbreitung solcher Bücher wahrnchmend, sanden wir uns zu der Untersuchung getrieben, worin denn eigentlich die Unabhän gigkeit bestehe, .die nian uns, d. h. dem Englischen Volke, gemein hin zuschrcibe, und durch welche Zeichen sich dieselbe kund gäbes Politische Unabhängigkeit besitzen wir freilich, und wir sind in der That der Gleichheit der politischen Rechte näher, als irgend eine andere Europäische Station. Aber Unabhängigkeit der individuellen Gesinnung scheint bei un« eine scltcnrrc Eigenschaft zu sep», al« sonst bei iraeM einem Volke, selbst diejenige» Nationen cingeschloffen, deren poüMMe Institutionen den klüftigen ganz entgegengesetzt sind. Die WaWUt ist, wie wir besorgen, daß freie Hnstitunoncn mit ihren hervorstechenden Bortheilen doch auch die Beimischung dcs Nachthciligcn haben, welches allen mcnschlichcn Dingen anklcbt, daß sic nämlich die Eitclkcit und Ehrsucht nähren, mit denen ächte Un abhängigkeit nicht bestehen kann. Um unabhängig zu sepn, müsse» wir uns nicht allein von äußerem Druck, sondern auch von dcm Kamps im Gcmüth bcsrcic»; wir muffen genügsam und mit dem uns be- schicdenen Loose zufrieden scvn. Aber nicht so bald entschlüpfen wir dciii Joch, welches äußere Gewalt auscrlcgt, — nicht so bald haben wir die Freiheit erlangt, ungcbiiidert die Welt zu betreten, die sich in ihrem ganze» Umsangc vor im« auSdehiit, als wir auch die Skla ven unseres eigenen unersättlichen Ehrgeizes werden. Dcmnächst bringt die Veribcilung' des RcichthumS in den ver- schiedcncn Kanälen und Vcrhältmffc», in oic er sich unter einem freien Rcgierungs-Shstcm mamügsach ergießt, eine Stufenleiter dcs gescllschastlichen Range« hervor, die zwar ängstlich beobachtet wird, aber doch nicht genau unterschieden werden kann. Viele Leute der mittleren Klaffe» glauben, daß sie es durch Anmaßung oder Bestre bungen in ihrer Gewalt haben, in der Achtung ihrer Nachbarn we nigsten« eine um einen Grad höhere Stufe cinzttncbmcn, als die Umstände ihnen angewiesen habe»; und ist die eine Stufe erlangt, so scbeii sic immer wieder eine andere vor sich, dir ihnen ebenfalls erreichbar scheint. Der Wunsch, in der Welt zu steigen, und die Schaan, vor dcm Sinken, find allen Klaffen gemein, weil allen die Aussicht aus ein Wcuerstcigen offen ist; und ein ungeregeltes Gefühl dieser Art, wenn c« einmal allgemein geworden ist, theill sich in größerem oder geringeren, Grade selbst den demiilhigsic» und an spruchslosesten Naturen mit, und selbst der Weiseste wird ibn, nicht ganz entgehen. Was die ganze Welt al« kostbar betrachtet, muß, wen» es auch innerlich werthlos ist, selbst in dei, Augen des Philo sophen einigen Werth erlangen; denn Niemand kann sich so gänzlich von der Welt absoiidcrn, daß cr dem Einfluß cinc« künstlichen Wcr- Ibcs auf die wirklichen Quellen seiner Glückseligkeit trotzen dürste. Einem weilen Man» können zum Beispiel die tausend Anncbmlich- kciten, welche der Rcichthum gewahrt, um ihrer selbst willen im höchsten Grade gleichgültig sczm; aber weil sic ihn, fchlc», kann cr vicllcicht nicht die Hand dcs Mädchen« erlangen, das ihn glücklich machen würde; denn der furchtbare Troß der Verwandtschaft, der über sic vcrsügl, ist weit davon entfcrnt, in scine Philosophie ein- zuskimmcii. So stehen eingebildete Mängel mit wirklichen in Ver bindung; und Dinge, welche in der Welt einmal allgemein für Vor züge gelten, besitzen wenigstens einen austauschbaren, wenn auch keinen wirkliche» Werth. Ob »»» aus diesen oder au« anderen Gründen, so viel ist ge wiß, daß Ehrgeiz, mehr als irgend eine andere Eigenschaft, der charakteristische Zug der Englischen Gesellschaft ist, der in seinem Gefolge alle niedrigen Wünsche und alle ,,„billigen Ansprüche mit sich führt. In den höchsten Klaffen der Gesellschaft, unter de»c,i, die durch Hobe Geburt und Vcrbälmissc vollkommen sicher gestellt sind, sollte man doch, da ihnen nicht« mehr zu errcichcn übrig bleibt, den Reiz de« Vertrauen« und der GemüthSrube zu findc» meinen. Aber hier, als ob Pas Schicksal nun einmal keinen Theil der Gesell-