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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Prünumerntivns-Preis 22j Silbergr. <! Tdlr.) ntcrleli-chrliid, Z Tvlr. für das ganze Jahr, ahn« Erhöhung, m allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung sin Berlin bet Best u. Como., IagerNraße Nr. 2!>j. so »ne von aNen sbdiugl. Post-'Sennern, angenommen. Literatur des Auslandes. .M' 24. Berlin, Donnerstag den 25. Februar 1847. Frankreich. Vouis Blanc's Geschichte der französischen Revolution. Dieses schon im voraus durch den Namen des Verfassers berühmt gewor dene Werk liegt uns zwar erst in dem ersten seiner zehn Bände, auf die es berechnet ist, vor, so daß es vielleicht gewagt scheinen möchte, schon jetzt ein Urthcil über dasselbe fällen zu wollen oder auch nur seine Charakteristik zu unternehmen. Andererseis hat sich aber der Verfasser selbst, theilü in seiner Vorrede, theilö in der die allgemeinen Prinzipien unv den Plan des Werkes andeutenden Einleitung zu demselben, so klar über die eigentliche Tendenz seiner ganzen Arbeit ausgelassen, daß wir zur Charakteristik der letzteren nur die wichtigsten Stellen jener anzuführcn nöthig haben. Wir enthalten uns daher vorläufig alles UrthcilenS, bis wir den Leser in die Vorhallen jenes der Revolution gebauten neuen Mausoleums selbst eingeführt und ihn mit seiner inneren Struktur im Allgemeinen bekannt gemacht haben -, wobei wir zunächst nur um die Erlaubniß bitten, ihm als Cicerone dienen zu dürfen. „Die Geschichte", beginnt der berühmte Verfasser seine Vorrede, „fängt nirgends an und endigt nirgends. Die Begebenheiten, aus denen das sich sortwälzende Wcltgetümmel besteht, zeigen so viel Verwirrung und so wenig klaren Zusammenhang, daß man von keinem Ereigniß mit Sicherheit weder die erste Ursache noch die letzte Wirkung anzugeben im Stande ist." Der Verfasser gehört also augenscheinlich nicht zu jener „philosophischen" Schule des westlichen Europa'S, die wir neulich in der Betrachtung der Beziehungen zwischen Spanien und Frankreich zu erwähnen Gelegenheit hatten, und deren philosophisches GlaubenSbekcnntniß und Strebe» eben darin besteht, in dem Fortgange der Weltbegcbenhciten einen leitenden Faden, in ihrer scheinbaren Zufälligkeit und Zusammenhangslosigkeit einen bestimmten Grund und eine innere Noihwendigkeit der Verbindung und in ihrem ganzen scheinbar ver worrenen Gewebe ein vernünftiges System zu entdecken, das in sich selbst sein Prinzip und seinen Zweck trägt: die geistige und sittliche Entwickelung des Menschengeschlechts. Er weiß hiervon nichts oder will davon nichts wissen, sondern beruhigt sich bei dem allerdings bequemen Satze: „Der Anfang und das Ende sind in Gott, das heißt: im Unbekannten", undfährt dann mit Anwendung desselben auf seine Geschichte folgendermaßen fort: „Was ist denn nun der wahre Ausgangspunkt der französischen Revolution, die, als das Resultat der entferntesten Bewegungen des Geistes, Alles in ihrem Schoße enthalten zu haben scheint (qui semble svoir taute csiose «Ians »es prokonäeur«)? Es konnte nicht in meiner Absicht liegen, die Ge- schichte derselben in ihrer ganzen Ausdehnung zu umfassen." — Der Verfasser beginnt nämlich diese Geschichte der französischen Revolution erst mit dem Kostnitzer Konzil; nach seiner Meinung lassen sich ihre Spuren wahr scheinlich schon in der Völkerwanderung oder gar in der Sündfluth nachweisen. Der übrige Theil der Vorrede ergeht sich nur in pathetischen Reflexionen über die „fürchterlichen", aber doch „bewundernswürdigen" Scencn, welche die Revolution darbot. Wir finden darin — nämlich in der Vorrede, nicht in der Revolution, obwohl auch hier mitunter, besonders in der späteren Zeit — viel Rhetorik und wenig Gedanken. Nur aus dem Schluß wollen wir noch Einiges anführcn. „Bor allen Dingen müssen die Ursachen der Revolution, und zwar so weit man ihre Kette zurück verfolgen kann, ausgesucht werden." Dann ist allerdings das Kostnitzer Konzil eine viel zu nahe liegende Ursache ; oder weiß der Verfasser gar keinen Grund für dies Konzil mehr? Ist cs ganz isolirt? Bricht hier die Kette mit einem Male ab? Schwerlich wohl; viel mehr dürfte es leicht sepn, diese Kette von Ursachen und Wirkungen bis zum Anfänge aller Geschichte zurückzuführcn, der nach der Ansicht des Verfassers „in Gott" oder, wie die Alten sagen, „im Schoße der Götter verborgen" liegt. „Alle Nationen haben dazu beigetragcn, die Revolution hervorzu- bringcn, die Zukunft aller Völker hat Antheil an ihr- Darin gerade besteht der Ruhm des großen französischen Volks, daß es quf Kosten seines strömen den BlutS die Arbeit des menschlichen Geschlechts auf sich genommen hat; daß es Europa aufgebracht hat (8cs»äsli8e), um es zu retten; daß es die Sache aller Völker gegen alle Völker bis zum Aeußerstcn, bis zum Tode, verfochten hat: das ist die Bedeutung dieses wahrhaft einzigen, großherzigen Aufstandes, in dem die Revolutionen aller Vergangenheit sich vereinigt und verloren haben, wie die Flüsse sich in dem Meere vereinigen und verlieren." Interessanter sind tiestr« Einsicht in die ANschauUng-N-eist des Bersasser« gewährend ist die kurze Einleitung, die er seinem Werke voranschickt und die, wie wir schon erwähnt, das Prinzip und den Plan desselben angiebt Vorher eine kurze Bemerkung. Zn der Auffassung historischer Momente kann es nur zwei wahrhaft ersprießliche, d. h. das objektive Verständniß derselben wirklich fördernde Methoden geben: die historische im eigentlichen Sinn, deren Prinzip der reale Kausalnerus sowohl in Rücksicht aus den äußeren als de» inneren Zusammenhang der Begebenheiten ist, und die philosophische, die diesen Kausalnerus nur als die Form betrachtet, worin der in der Weltgeschichte sich offenbarende eine Gedanke systematisch sich gliedert. Für die letztere Methode muß es daher ein höheres Prinzip geben, das rein idealer Natur ist unv als letzter Erklärungsgrund alles welthistorischen Geschehens gilt. ES kommt uns hier nicht darauf an, dies Prinzip und seine Idee auseinander zusetzen, geschweige zu begründen ; vielmehr haben wir diese Bemerkung, deren Richtigkeit wohl Niemand bestreiten dürfte, nur gemacht, um für die Beur- theilung der Methode unseres Verfassers einen Maßstab zu gewinnen. Der Leser urtheile nun selbst: „Drei große Prinzipien" — beginnt die Einleitung — „theilen sich in die Welt und in die Geschichte: die Autorität, der Individualismus, die Verbrüderung (In lrmernu«).... „DaS Prinzip der Autorität begründet (k-u roposer) das Leben der Nationen auf blind angenommenen Glaubenssätze», auf der abergläubischen Ehrfurcht vor der Tradition, auf der Ungleichheit unv bringt, in der Form der Regierung (pour moz-en ü« gouvernement), den Zwang in Anwendung. DaS Prinzip des Individualismus faßt den Menschen in seiner Jsolirt- heit (en stvliorn üe In 8oc>vle) auf, macht ihn zum alleinigen Richter seiner Umgebung und seiner selbst, giebt ihm ein überspanntes (oxalte) Gefühl seiner Rechte, ohne ihn zugleich mit seinen Pflichten bekannt zu machen, überläßt ihn seinen eigenen Kräften und verkündigt statt jeder Regierung als Grund satz das „Leben und Leben-Lassen". — Das Prinzip der Verbrüderung betrachtet die Glieder der großen Familie in ihrer solidarischen Verpflichtung, strebt dahin, die Gesellschaft eines Tages zu organifircn — ein Werk des Menschen nach dem Vorbilde des menschlichen Körpers, eines Werkes der Gottheit — und gründet die Macht der Regierung auf die Ueberzeugung, auf die freiwillige Zustimmung der Herzen. „Die Autorität wurde durch den Katholizismus mit erstaunenswerthem Erfolge und Glanze gehandhabt; sie herrschte bis auf Luther. — Der Indi- vidualismus, durch Luther gelehrt, hat sich mit unwiderstehlicher Gewalt entwickelt und triumphirte, entblößt vom religiösen Element, in Frankreich durch die Publizisten der konstituirendcn Versammlung. Er beherrscht die Ge- gcnwart; er ist die Seele der heute bestehenden Verhältnisse. — Die Ver. brüderung, verkündet durch die Denker der Bergpartei, verschwand damals in einem Sturm und erscheint uns heute nur noch in der Perspektive einer idealen Zukunft. Aber alle große Seelen rufen sie herbei, und schon beschäf tigt und erleuchtet sie die intelligentesten Köpfe unserer Zeit- „Von diesen drei Prinzipien erzeugt das erste die Unterdrückung durch die Aufhebung der Persönlichkeit; das zweite führt ebenfalls zur Unterdrückung, durch die Anarchie; das dritte allein leitet durch die Harmonie zur Freiheit. „Freiheit! hatte Luther gesagt; Freiheit! haben im Chor di« Philo sophen des l8ten Jahrhunderts wiederholt; Freiheit! ist endlich auch das Losungswort unserer Tage, das auf dem Banner der Civilisation geschrieben steht. Aber es ist Alles eitel Lüge und Mißverständniß, und seit Luther hat dies Mißverständniß, diese Lüge die Geschichte erfüllt; «S war der Jndivi- dualismus, der erschienen war, nicht die Freiheit. „Fürwahr! Wenn man den Individualismus in seinem historischen Rah- men betrachtet, wenn man ihn — anstatt mit dem, was ihm folgen soll — mit dem vergleicht, was ihm voraufging, so hat er allerdings die große Be deutung eines großen historischen Fortschritts. Sein Werk bestand darin, dem so lauge niedergehaltenen menschlichen Gedanken freien Spielraum zu ge- währen; ihn mit Kühnheit und Stolz auszurüsten; die ganze Masse der Tra ditionen, die Jahrhunderte, ihre Arbeiten und Ueberzcugungcn seiner Kon- trole zu unterwerfen; den Menschen in eine unruh- und gefahrvolle, aber zuweilen auch großartige Selbständigkeit zu versetzen und ihm mitten in einem ungeheuren Kampf, mitten in dem Geräusch eines allgemeinen Meinungsstreits die Lösung des Problems zu überlassen, wie er sein Glück und seine Bestimmung aus eigener Kraft zu schaffen habe. -DaS ist das Werk des Individualismus. ES ist ein großes Werk; und wir müssen deshalb mit Achtung von ihm sprechen, wie von einer nothwendigen UebergangSphase. Aker wtnn wir ihm diesen Tribut dargebracht, so wird e« uns wohl gestattet