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LEIPZIGER MONATSCHRIFT FÜR TEXTIL-INDUSTRIE. Heft 8, 1925. Textil-Technischer Teil Aus dem Inhalt: Professor Heinrich Brüggemann. — Die Überwachung und die selbsttätige Reglung der Wärme und Luftfeuchtigkeit in Spinnereien und Webereien. Von Dipl.-Ing. Fritz Kastner. — Das Casablancas-Großverzugsstreckwerk für Baumwoll-Spinnerei. Von Santiago Trias. (Schluß.) — Die Gewichtskontrolle in der Kammgarnspinnerei. Von K. Trommer. — Hartmanns Vorspinnflorteiler. Jugenderinnerungen eines alten Chemnitzers. Von Dipl.-Ing. Richard Gebauer. — Die Branchen der Weberei. Von lug. Otto Kuhn. (Fortsetzung.) — Vorrichten der Jacquardmaschine. Von Josef Funke. — Neue Flaschen spülmaschinen für Wirkereien und Strickereien. Von W. Binder. (Schluß.) — Der mehrschützige Bunt-Automat. Von F. Wächter. — Neue Erfindungen auf dem Gebiete der Textil-Technik. — Der Textil-Technische Ratgeber. — Bücherschau. Professor Heinrich Brüggemann wurde kürzlich zum Honorarprofessor an der Techni schen Hochschule in München ernannt. Diese Ernennung wird nicht verfehlen, in den Textilfachkreisen Deutschlands und des deutsch sprechenden Auslandes die lebhafteste Genugtuung auszulösen, denn sie ist nicht sowohl eine persönliche Ehrung eines ausgezeichneten Textilfachmannes, als vielmehr die Be friedigung eines dringenden Bedürfnisses, die Ausbildung des Nachwuchses in der Textiltechnologie und im Textilmaschinen bau an einer Hochschule in dem großen süddeutschen Indu striegebiete in berufene und bereits bewährte Hände zu legen. Zwingen uns schon seine Lei stungen Achtung und Ehrfurcht vor einer so unerschöpflichen Ar- beiskraft ab, die, fest im Leben wurzelnd, die beiden Komponenten der Technik: Wissenschaft und Praxis umfaßt, so erhöht sich die allgemeine Wertschätzung, wenn wir den Werdegang dieses Mannes verfolgen. Am 3. August 1868 in Deutz bei Köln a. Rh. geboren, kam er im Altor von 4 Jahren nach dem Elsaß, wo sein Vater als Lokomo tivführer tätig war. Dort besuchte er die Realschule mit Maschinen bauabteilung (Gewerbeschule) und die Spinn- und Webschule zu Mül hausen i. E. Diese doppelseitige Ausbildung erklärte es, daß er nebst der eigentlichen Textiltechnologie auch dem Maschinenbau seine Auf merksamkeit widmete und sich vor der Einseitigkeit bewahrte, welche immer noch als ein Haupthindernis für den Fortschritt in der Textil industrie anzusehen ist. Seine all gemeine technische Bildung und Befähigung bekundete sich auch in seiner lehramtlichen Tätigkeit an der Spinn- und Webschule zu Mül hausen i. E., wo er Lehrer für Spin nerei, allgemeine Weberei, Mechanik und Motoren und später Direktor war. Im Nebenamt hielt er Vorträge an der Höheren Chemieschule über Industrierecht und Textilindustrie. Daneben betätigte er sich auch rege im praktischen Leben und war technischer Berater der Maschinenfabrik C. Oswald Lieb scher in Chemnitz, Martinot & Galland in Bitschweiler - Thann (Elsaß), W. Schlafhorst & Co. in M.-Gladbach, N. Schlumberger & Co. in Gebweiler, der Kratzenfabrik Deiß in Ranspach-Wesserling sowie verschiedener anderer Textilbetriebe, ferner auch der Auto mobil Aviatik Aktiengesellschaft in Leipzig. In Anerkennung seiner verdienstlichen Tätigkeit auf dem Gebiete der Textiltechnik wurde ihm am 8. April 1910 vom Deut schen Kaiser das Prädikat „Professor“ verliehen. Sein reger Geist und seine Schaffenslust beschränkten sich aber nicht auf den engeren Schauplatz seiner amtlichen und neben amtlichen Betätigung, sondern cs drängte ihn, darüber hinaus seine eigenen Kenntnisse und Erfahrungen in den Dienst der All gemeinheit zu stellen, woraus sich seine umfassende fachschrift stellerische Tätigkeit erklärt. So verfaßte er das grundlegende Werk „Theorie und Praxis der rationellen Spinnerei“ (3 Bände, 3 Atlanten, Verlag Kröner, Leipzig) und „Die Spinnerei, ihre Roh stoffe, Entwicklung und heutige Bedeutung“ (Verlag - Spamer, Leipzig), gründete die Zeitschrift „Elsässisches Textilblatt“, das in kurzer Zeit zu hohem Ansehen gelangte, leider aber ein Opfer der politischen Ereignisse wurde; auch die Gründung der französischen Schwesterzeitschrift ,,L’Avenir Tex tile“, die heute noch besteht, ist sein Werk. Er war Mitarbeiter an dem Buche der Gewerbe und Indu strien (Verlag Spamer, Leipzig), an „Uhlands Praktischer Maschinen- Konstrukteur“, „Die Pflanzen und der Mensch“, „Konversationslexi kon“ von Herder u. v. a. Zurzeit bearbeitet er das „Technische Wör terbuch“ in 6 Sprachen von Inge nieur Schlomann (Oldenbourgs Ver lag, München). Im Juni 1919 verließ er das Elsaß und zog nach Hirsau (Wttb.), später nach Augsburg und ließ sich am 28. Mai 1920 als Dozent der Textilindustrie derTechnischen Hochschule in München nieder. Neben seiner Tätigkeit als Lehrer hatte er 1890 ein Technisches Büro für die Beratung und Einrichtung der Textilindustrie gegründet, das auch von der aufblühenden Textil industrie Bayerns rege in Anspruch genommen wurde. Eine seiner be deutendsten Arbeiten bestand dar in, daß er den Bau der Spinnerei maschinen in den Deutschen Wer ken in Ingolstadt eingerichtet hat und überwacht; er gehört noch heute der „Deutschen Spin nereimaschinenbau Aktiengesellschaft Ingolstadt“ als technischer Berater an. Bemerkenswert ist auch, daß er alle seine Söhne, 6 an der Zahl, von denen einer in Sumatra starb, zu Textiltechnikern er zogen hat, die ihm treu zur Seite stehen und den Ruf seines „Hau ses“ befestigen. So können wir nur wünschen, daß es ihm noch viele Jahre vergönnt sein möge, sein reiches Wissen, seine gründ lichen Fachkenntnisse und seine umfassenden Erfahrungen im Dienste der heimischen Textilindustrie und des Textilmaschinen baues zu verwerten, ein leuchtendes Vorbild für den technischen Nachwuchs, der berufen sein wird, an der weiteren Ausgestaltung und Entwicklung dieses wichtigen Industriezweiges tätigen Anteil zu nehmen. Ad multos annos!