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und Tageblatt Lr^hrint jeden Wochentag Abends Ü Uhr für den H/A ß andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mart 2S Pi., zweimonatlich 1 M üv Pf. u. einmonatl. 7b Pf. Amtsblatt für die königlichen Md Wüschen Behörden zn Freiberg »nd Brand. Verantwortlicher Redakteur Julius Braun iu Freiberg. 38. Aahrgm-^ . Sonntag, den 1!Z. März. Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom- men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile > > oder deren Raum IS Pfennige. Die Freiberger Gewerbeausstelluvg. In den letzten Jahren sind große und kleine, allge meine und Fachausstellungen sich in eiliger Weise gefolgt. Dieser Umstand muß schon an sich zum Nachdenken auf fordern. Wohlfeil wäre man damit fertig, wenn man diese Erscheinung auf eine bloße Modelust der Zeit zurück führte. Mag auch die eine oder die andere dieser Lokal ausstellungen sich nicht genügend gerechtfertigt haben, nicht rechtschaffen vorbereitet und geleitet gewesen sein — desto eindrücklicher haben glänzende Erfolge einzelner, wie der in Berlin, in Düsseldorf, in Mannheim in jüngster Zeit gesprochen. Die von ihnen ausgcgangenen An regungen nicht blos auf die verschiedensten, dort bei der Heerschau vertretenen Orts- und Provinzindustrien, sondern auch auf die große Masse des Publikums sind nachhaltige und höchst bedeutende gewesen. Die Industriellen haben sich und ihre Kraft dabei selbst kennen gelernt; die einen, um mit Stolz auf ihre Leistungen erfüllt zu sein, die anderen, um sich zu überzeugen, daß und wie sie sich vervollkommnen müssen, wollen sie auf dem Markte sich behaupten. Das Publikum aber ist sich klarer geworden, was es von seiner heimischen Industrie zu verlangen hat. Glcichgiltig war es gewohnt, daran vorüberzugehen und sich in die Hände legen zu lassen, was ihm von den Händlern und Fabrikanten, von Handwerkern und In dustriellen gereicht wurde. Nun aber sicht es schon prüfender auf die Waare, bcurtheilt sie nach Geschmack und Nutzen zugleich und kennt einen Maßstab des Werthes, auch dessen der Schönheit und Gediegenheit, nach dem cs die heimischen Industrie- und Gcwcrbserzeugnisse beurtheilt. So ist Selbsterkenntniß auf der einen Seite, gesteigerter Antheil an der Arbeit unseres Handwerks und unserer Erzeugnisse überhaupt auf der anderen Seite der greifbare Segen dieser Ausstellungen geworden. Das Volk ist in ideelle Beziehungen zu seiner Arbeit getreten und damit gewinnt diese an Ansehen, an Aufschwung, an Bedeutung für den ganzen wirthschaftlichen Aufschwung der Nation. Daher ist der Zug erklärlich, der immer auf s Neue wieder darauf ausgeht, Produkte und Fabrikate, Kunst werke und Gewerbserzeugnissc, bald hier, bald da, aus kleineren Bezirken zu sammeln, um sie dem öffentlichen Urtheil preiszugeben. An Stelle der Weltausstellungen sind jetzt die Landes-, Provinz-, Bezirks- und Stadtaus stellungen an die Reihe gekommen. Die Ersteren hatten ihre Berechtigung, um allen zivilisirten Völkern die Ueber- zcugung zu geben, daß in unserer Zeit die Arbeit einen Weltmarkt habe; dies Bedürsniß, eine solche Ueberzeugung allgemein werden zu lassen, wodurch Volk auf Volk sich als wie auf ein Glied einer großen Familie mit gemein samen Interessen verwiesen sah, ist zunächst nicht mehr ein dringendes. Desto berechtigter aber der Ehrgeiz einzelner Jndustriestätten und gewerblichen Orte, sich und Anderen zu zeigen, was sie können. Vorher stand im Großen den Weltausstellungen das Vielfältige der Leistungen bei den verschiedenen Nationen obenan; jetzt soll sich im Kleinen die Tüchtigkeit der Einzelnen in ihrer verschiedenen Arbeitskraft erweisen. Das ist das Recht und der Nutzen der Lokalaus- stellungcn. Je ausgebildeter ein Volk darin sich zeigt, um so zweckmäßiger werden solche Unternehmungen aucl betrieben werden. Schon ist denn auch bei uns eine eigene Ausstellungstechnik zur Entwicklung gelangt, welche von jeder neuen Erfahrung Nutzanwendungen macht. Nicht nur ist eine Verbesserung und Veredelung alles dessen, was bei solchen Gelegenheiten zur öffentlichen An schauung und Prüfung kommt, zu Tage getreten, sondern namentlich im Vorstcllen und Vorzcigen der Gegenstände selbst, ja sogar im Vertrieb der Kunst und Industrie und in der Unterstützung ihrer Bemühungen um Kund- chaft und Absatz ist eine solche Fertigkeit erreicht, daß ich damit förmlich eine neue wirthschaftlichc Wissenschaft eröffnet hat. Es ist unbestreitbar, daß unser Ausstellungs wesen erst noch seiner höchsten Entwicklung zugeht, und )aß bei der kolossalen Vervollkommnung des Verkehrs und bei immer tieferem Hineinwachsen der Menschen in olche Formen von Stadt- und Landesausstellungen das wechselseitige Schätzen der heimischen Arbeit auch unendlich gewinnen und damit zum allgemeinen Wirthschaftsnutzen des icgrenzten Gewerbsbezirks außerordentlich beitragen muß. Zon einer blos veränderten Mode, von einem Luxus, der auch unterbleiben könnte, oder gar von einer krankhaften mtartung des Gcschästslebens kann hierbei nicht die Rede ein- Wer in einer solchen philisterhaften Auffassung unter den Industriellen und Gewerbtreibendcn sich gefiele, der versteht die bedeutendste Bewegung unserer Zeit nicht, der wird den Fortschritt in der Arbeitsleistung seines Faches an sich vorüber eilen sehen, der ist in seinem „Nichts durchbohrenden Gefühl" wohl auch sich selbst geständig, daß er nicht im Stande ist, an dem Wettkampf mit seines Gleichen sich zu bctheiligen. Gährt es denn nicht gewaltiger als jemals auf dem weiten Gebiet der Arbeit? Hat je der Staat eine solche Aufmerksamkeit darauf gerichtet wie jetzt? Er sucht nach Formen für die neue Organisation der Arbeit, um damit die sozialen Fragen lösen zu können, die darin verborgen liegen. Die Wissenschaft, die Künste werden heute mit dem Handwerk auf alle Art in Verbindung gesetzt. Jeder mann weiß, daß in der althergebrachten Weise Handwerk und Gewerbe nicht weiter schaffen können in dieser Zeit des Dampfes, der Elektrizität, des ungeheuren Rollens aller Kapitalwcrthc. Wenn man krampfhaft heute nach den alten Formen der Arbeitsordnung zurückgreift, so ge schieht cs nur, um einen festen Pol in der Erscheinungen Flucht zu finden, einen Halt in der austoscnden Gährung aller Verhältnisse. Daß diese alten Formen dem neuen Inhalt nicht gewachsen sind, daran zweifelt aber Niemand. Da stellen sich nun diese Lokalausstellungen wie Sammel punkte dar, wo sich alle die verschiedenen Leistungsfähig keiten vereinigen, um sich selbst im Sinne der Neuzeit zu prüfen, wo sic sich gegenseitig zeigen: so war es einstmals, so brachte man es früher fertig — und so heute, und so muß man weiter streben! Lernt, strebet! Wir hier in unserem Orte, in unserem Lande, leisten dies am besten — sehe es Jeder! Wir hier bieten dem Markte unser Eigen artiges in Produkten, unser im Geist des Fortschritts ver vollkommnetes Erzeugniß, unser verbessertes Fabrikat — damit beweisen wir, daß wir fähig sind, auf dem Markte unsere Kundschaft uns zu sichern, daß sie vertrauensvoll zu unserer Arbeit sein darf, daß wir mitmarschiren zu den höchsten Zielen, die gesteckt werden! Und wer dies heute nicht beweisen kann, wer seine Leistungen nicht aller Welt erfolgreich vor Augen zu halten vermag, dem glaubt man nicht, den läßt man bei Seite stehen. Bald wird es bei uns ein Armuthszeugniß für den Mittelpunkt einer Industrie oder Gewerbsthätigkeit sein, in keiner eigenen Ausstellung dies bewiesen zu haben; bald vielleicht eine Schande. Denn es handelt sich bei einer solchen Ausstellung noch um etwas, was von Gewicht in unserer Zeit ist: um die Bcthätigung eines selbstbewußten Bürgersinnes, der in einen Spiegel schaut, wo er sein eigenartiges Wesen, seine Kraft und Begabung und ebenso seine Mängel und Einseitigkeiten erkennen kann. Das giebt die rechte Selbsterkenntniß und Werthschätzung und darauf hin kann man auch seine Bürgerrechte bei der Regierung des Landes nachdrucksvoll zur Geltung bringen. Mehr als in allem Anderen beruht das bürgerliche Be wußtsein heute in der Leistungsfähigkeit der Industrie und der Gewerbe, auf welche es sich beziehen kann; mehr als in anderen Demonstrationen vermag sich dieses Be wußtsein in einer lokalen Ausstellung zum Ausdruck zu bringen, die ja auch vom Willen, mit dem Kapital und der uneigennützigen Hilfskraft der Bürgerschaft allein in Szene gesetzt wird. Das ist ein Zcugniß bürgerlichen Selbstthuns, an dem ein Jeder in der Gemeinde an Achtung vor sich selbst gewinnt. Unsere Freiberger Ausstellung wird darnach von uns selbst, wie von unseren Landsleuten und den hcrzukom- mcnden Fremden gewürdigt werden. Unsere Bergindustrie wird hoffentlich darauf vertreten sein, ebenso unsere Maschinen-, Flachs-, Silbcrtressen - Fabrikation u. s. w. In Stuttgart stellt man die schwäbische Leistungsfähigkeit zur Parade, in Nürnberg einen Theil der bairischen, in Frankfurt die der großen Mainstadt. Freiberg wird einen Theil des Antheils vorführen an der reichen Arbeits- thätigkeit unseres industriellen Sachsens. Bei dieser Musterung werden wir erkennen, welche Stelle wir ein nehmen in der gewerblichen Leistungsfähigkeit Deutschlands und das wird uns gleichsam zur Rüste dienen, um auf der Gewerbe- und Industrie-Ausstellung, welche das ge- sammtc deutsche Reich umfassen und 1882 in Berlin statt- findcn soll, in Ehren dazustchen. Erst im Kleinen sich erproben und dann im Großen sich bewähren. So arbeiten wir mit unserer Ausstellung auch für den wirthschaftlichen Erfolg des deutschen Reiches! Die Frist zur Anmeldung läuft am 1. April ab; versäume Niemand diese Frist, um nicht durch ein „zu spät" von der Theilnahme am heimischen Ehren-Wett kampfe ausgeschlossen zu werden! Die Woche. Neben der Genehmigung einiger Positionen des Haus haltsplanes hat der Reichstag in vergangener Woche die Regierungsvorlage wegen zweijähriger Etatsperioden einer besonder« Kommission überwiesen. Ob Letztere mit einer Befürwortung oder Ablehnung des Entwurfs vor das Plenum tritt, wird sich darnach richten, wie Fürst Bismarck seinen Frieden mit dem Zentrum schließt. Zu fürchten ist allerdings, daß Windthorst und Genossen zum ersten Male in der Lage sich befinden, ihren Dank für Bismarcks Entgegenkommen gegen Rom abzustatten. Das Zentrum war bisher stets ein Gegner der deutschen Einheit. Es kann somit in moralischer Beziehung keine gute Wirkung äußern, wenn bei uns diese Partei das große Wort führt und leider jetzt maßgebend ist. Vorläufig hat die in fast allen unabhängigen Blättern geführte Polemik gegen den Reichs kanzler einen persönlichen und daher auch höchst unange nehmen Charakter angenommen. Dazu kommt der Kon flikt des Reichskanzlers mit den Berliner Stadtbehörden und so muß man wohl sagen, daß das Mögliche bei uns geschieht, um die Dinge in Deutschland in Verwirrung zu ^halten. In Oesterreich sieht's nicht viel anders aus. Dem Kabinet Taaffe ist es ja gelungen, auch im Herrenhause eine Majorität zu finden. Um so entschiedener drückt es nun darauf, daß die Rechte im Abgcocdnetenhause in rascher Folge die Steuergesetze votire, damit nach oben hin der Beweis gegeben werde, daß die heutige Parlaments-Majo rität eine „regierungsfähige" Partei darstclle, woran man bereits zu zweifeln aügefangcn hat. Das ist die augenblickliche Situation. Es sind dumpfe Mißstimmungen in den drei Frak tionen der Rechten vorhanden, das gegenseitige Vertrauen ist kein besonders lebhaftes, die Polen beginnen zu klagen, daß sie ganz und gar nichts für sich zu erreichen vermögen und daß sie in faktischer Beziehung eigentlich cs unter den Verfassungstreuen besser hatten; die Ultramontanen sehen gar keine Resultate; die Czccheu sind, wie immer, unzn- sricdcu, und Alles, was die Regierung verlangt, hat den Charakter von Opfern, für die Niemand eine rechte Gegen leistung erhalten zu haben behauptet.