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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 08.12.1911
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-12-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19111208020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911120802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911120802
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-12
- Tag 1911-12-08
-
Monat
1911-12
-
Jahr
1911
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BezugS-Prei- flr L»iviia and <c»ron» d»e- ««Irr» Tröaei und Eoedtt»»», 2» al tllalich tn» bau» aediaatt » VI. «»»atl. 2.7V Wlt. »iettettatzrl Bel «»>,„ Fttlaleii » N»- aatzmtslrllkn adaehett 1» PI. «oiuUl, LL «I. »teNeljLhll. r»rch »l« Bell: ttinerhalb Drulichlond» and der de»tlche» Kolonien »lettellahrl. ».« «k-, menatl. 1.2V Ml. au»j<hl. PoltdefteUgeld. gern« tn Belgien, Dänemark, den Donauftaalen, Italien. Luiemdurg. Niederlande. Nor wegen OHerreich. Ungarn. Nullland. Schweben, Schwelt » Spanien. 2» alle» vbngen tzlaalen nur blrett durch dt« «Liichali»!i«ll, de» Blatt,» «rhäUltch. Da» Lelptig«, Tageblatt «rlcheini 2 mal täglich. Sonn- ». Fetettag» nur morgen». üld»nnem»nt».2lnnahm«. 2otzauut»gaN» 8» d«> unseren Trägern. Filialen. Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Brirsträger». Si»»«lverra»l»»r«i» 10 Pt. Abend-Ausgabe. MMgerTaMaü s 14 892 lNachtooschlu») f 14 «92 (Nacht»,,chltg) Lrl.-^vschl.i 14«9S Tel.-Anschiß 14 8S3 Ämtsblatt des Rates «nd des Vokizeiamtes der Stadt Leipzig. A«ze1-n» Preis str Inserate »u» üeiptig and Umgebung di» lspalttaePetttteil« L Bl-di« Neklame. «il« i Mt. von anowätt» » Ps, NeNamen llv NN. Inserat, »»» Behörden im amt lichen Teil di, Petit.eile 50 Ps chelchLfloangeigen mit Plahvorschttst«, im Preise erhöht. Nada« nach Tatti. Beilage,ebübr ««samt- auslag« 5 Ml. o. Tausend rill. Postgeoähr. Teildeilag« hoher. FefterteUt» Austra a, können nicht ,«rütl- ,erogen werden. Für da» Erscheinen an besliminten Tagen und Plätzen wird lein« Sar.ntie übernommen. Anteil»,-Annahme: S»tz»»ui»,ass« 8, bei sämtlichen Filiale, ». allen Annonren- Erpedlttonen de» In» and Au»land»» D«ch nn» Verl», »,, Fischer ck Kürst«» Inhaber: P«»l NLrlte». Nedattie, und »eschöst.siell«: Johanni»,ass« 8. Haupt-Filiale Dr«»de»: Eeestrag« ch l (Telephon 4621). Nr. 340. /reiwg, öen S. vrrember lSll. 105. Zshrgsng. Die vorliegende Ausgabe umfaßt 8 Seiten. Dss dringt üie NngelteMenverticherung? Von Landesoersicherungsassessor Seel mann, Oldenburg i. Er. 2. Was kostet und leistet die Ange st eilten. Versicherung? Nach der Höhe des Jahresarbeitsverdienstes wer den für üie versicherten Angestellten folgende Ge- Haltsklassen gebildet: Klasse bis zu 550 .t( „ L von mehr als 550 bis 850 „ „ 6 „ „ „ 850 „ 1150 „ v „ 1150 „ 1500 „ ,, L „ „ ,, 1500 2000 „ x „ „ ,, 2000 ,, 2500 „ 6 „ .. 2500 „ 3000 „ II „ 3000 „ 4000 „ „ I „ „ „ 4000 ,, 5000 „ In Liesen Klaffen werden folgende Beiträge er hoben: In Eehaltsklasse ein Monatsbeitrag von 1,60 .41 L 3.20 0 4,80 v ,, 6,80 L ,, 9,60 ,, Is 13,20 6 »r 16,60 R 20,00 »» 26,60 »» Diese Beiträge werden von den Versicherten und ihren Arbeitgebern je zur Hälfte aufgebracht. Be schäftigen mehrere Arbeitgeber den Versicherten wäh rend des Monats oder findet die Beschäftigung nicht den ganzen Deitragsmonat hindurch statt, so hat jeder Arbeitgeber acht Hundertstel des für die Beschäftigung gezahlten Entgelts als Beitrag zu zahlen. Die Bei- tragsleistung erfolgt in anderer Weis« wie bei der Invalidenversicherung. Zunächst werden die Beiträge nicht wöchentlich, sondern monatlich gezahlt, und zwar sind sie an di« dafür zu errichtenden Veitragsstellen abzuführen. Diese Beitragsstellen quittieren über den Empfang der Beiträge Lurch Ueoerscndung von Marken an den Arbeitgeber. Letzterer klebt die Marlen in di« Quittunaskarte des Versicherten ein. Diese Quittungskarten sind nicht identisch mit den Quittungskarten der Invalidenversicherung. Es kann eine andere Quittunzslerstung und Beitragszahlung zugclassen werden. Auf Gründ dieser Beiträge erhalten die versicher- ten Angestellten ein Ruhegeld, sobald sie 65 Zähre alt sind, oder schon früher, wenn sie vor diesem Zeit punkt berufsunfähig werden, ferner wird der Witwe eines verstorbenen Versicherten eine Witwenrente ge- währt, auch wenn Invalidität nicht vorliegt, und den Hinterbliebenen Kindern unter 18 Jahren Waisen- rente. Zn Ausnahmefällen erkält auch der Hinter bliebene Witwer einer verstorbenen weiblichen An gestellten eine Witwerrente. Das Ruhegeld der Angestellten beträgt nach Ab lauf von 120 Beitragsmonaten ein Viertel der in die- ser Zeit entrichteten Beiträge und ein Achtel der übrigen Beiträge. Tritt bei weiblichen Versicherten der Versicherungsfall nach Ablauf von 60 Beitrags monaten und vor Vollendung von 120 Beitrags monaten ein, so beträgt das Ruhegeld ein Viertel Dshlsukruke. Schon vor beinahe Monatsfrist sind die liberalen Parteien mit ihren Wahlaufrufen an die Wähler schaft herangetreten. Bei Gelegenheit der Berliner Rheingoldtagung haben die Nationalliberalen und gleichzeitig auch die Fortschrittler sich mit einem Appell an das Volk gewandt. Die politischen Landes verbände der einzelnen Parteien sind ihnen bald gefolgt, so u. a. die sächsischen Konservativen. Jetzt der in den ersten 60 Beitraasmonaten entrichteten Beiträge. Ein Reichszuschutz wird nicht gewährt. Hiernach können sich die Versicherten die zustehenden Renten jederzeit berechnen. Wenn ein Versicherter mit einem Gehalt von 2000—2500 zehn Jahre hin durch Beiträge in der Klaffe leistet und dann be rufsunfähig wird, so sind für ihn eingezahlt 13,20 <tt (Monatsbeitrag) . 12 . 10— 1584 .lt. Das Ruhe gehalt beträgt also ein Viertel davon, — 396 Tritt die Berussunfähigkeit erst nach 20 Jahren ein, so erhöht sich die Rente um «in Achtel der weiter eingezahlten Beiträge, also um 1584 : 8 — 198 .<(, so Latz das Ruhegehalt im ganzen 594 .ü beträgt. Liegt auch Invalidität im Sinne der Reichsversiche rungsordnung vor, und hat sich der Versicherte nach den Bestimmungen der Rerchsversicherungsordnung weiter versichert, so kommt zu diesem Ruhegeld die reichsgesetzliche Invalidenrente. Die Witwen- und die Witioerrente beträgt zwei Fünftel des Ruhegeldes, das der Ernährer zur Zeit seines Todes bezog oder bei Berufsunfähigkeit be- zogen hätte. Waisen erhalten je ein Fünftel, Doppel, roäisen je ein Drittel des Betrages der Witwenrente, jedoch dürfen die Hinterbliebenenrenten zusammen den Betrag des Ruhegeldes nicht übersteigen. Es ergibt sich hieraus, datz sich die Berechnung der Renten viel günstiger gestaltet, wenn in den ersten zehn Jahren höhere Beiträge entrichtet sind, und da ist es denn von besonderer Bedeutung, datz die Ver sicherten bis zum vollendeten 25 Lebensjahre in ein« Höker« Gehaltsklasse als der Höhe ihres Jahres- aroeitsverdienstes entsprechend übertreten können. Auch wenn derJahresarbeitsoerdienst sinkt, ist Weiter versicherung in der höheren Lohnklass« zulässig. Die Wartezeit beträgt beim Ruhegeld für männ liche Versicherte 120 Beitragsmonate, für weibliche Versicherte 60 B«itragsmonate, bei den Hinterblie benenrenten wieder 120 Beitragsmonate. Unter Um- ständen ist sie länger. Für die ersten Jahre sind jedoch Uebergangsbestimmungen getroffen. Di« Reichsversicherungsanstalt kann nämlich in den ersten drei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes einzelnen Versicherten nach vorhergehender ärztlicher Unter suchung gestatten, die Wartezeit zum Bezüge der Leistungen durch Einzahlung der entsprechenden Prä mienreserve abzukiirzen. Zur Erfüllung der Warte zeit bei den Hinterbliebenenrenten genügt ferner in den ersten zehn Jahren nach Inkrafttreten des Ge setzes das Zurücklegen von 60 Beitragsmonaien aus Grund der Versicherungspflicht. Zur Abwendung drohender Berufsunfähigkeit kann ein Heilverfahren gewahrt werden, ferner an Stelle von Ruhegeld und Rente Verpflegung in einem In validen- oder Waisenhaus. Wenn weibliche Personen versterben oder heiraten, ohne in den Genutz von Rente gelangt zu sein, so besteht ein Anspruch auf Erstattung der Hälft« der für sie geleisteten Beiträge. Beim Ausscheiden aus der nersicherungsvflichtigen Beschäftigung wird weiblichen Personen auch an Stelle der freiwilligen Weiterversicherunq oder der Erstat tung von Beiträgen eine Leibrente gewährt. nach Schlutz des Reichstages erscheinen die rechts stehenden Parteien und die Sozialdemokraten mit ihren Aufrufen. Der Wahlkampf kann also jetzt in sein ent scheidendes Stadium eintreten, nachdem der Felb- zugsplan der Parteien in seinen Hauptzügen ver öffentlicht ist. Möchten diegesamtenbürgerlichen Parteien im Wahlkampfe nicht vergessen, datz trotz aller Differenzen im eigenen Lager die Nieder haltung der sozialdemokratischen Umstürzler das höchste Ziel in den bevorstehenden Kämpfen sein und bleiben mutz. Der Wahlaufruf der deutsch-konservativen Partei, den der geschäftsführende Ausschutz der Partei soeben veröffentlicht, hat folgenden Wortlaut: „Reichstagswahlen von höchster Bedeu tung stehen uns bevor. Die deutsch-konservative Partei geht ihnen mit dem Bewußtsein treuester Pflichterfüllung, mit der Ruhe und mit dem Mute des guten Gewissens ent gegen. Wir überlasten es gern dem Urteile der Wähler und der Geschichte, ob unsere Abgeordneten recht daran taten, als sie das grotze nationale Werk der Reichsfinanzreform nach fünfmonate langer Verschleppung durch eine entschlossene Tat zustande gebracht haben, trotz der gewissenlosen, nur der Sozialdemokratie förderlichen Steuerhetze, die wir vorausgesehen haben. Aber ohne Belastung des Volkes war das Reformwerk überhaupt unaus führbar, und manche der bewilligten Steuern mag auch nicht einwandfrei sein. Anders war es jeden falls nicht zu Ende zu bringen und es mutzte, um des Vaterlandes willen, gemacht werden. Wir sind unseren Abgeordneten deshalb dankbar, sie haben das Reich aus seiner jämmerlichen Schuldenwirtschaft befreit, haben ihm gesundeFinanzen ge schaffen, haben die Mittel geliefert, unsere Rü ft ungen zu Wasser und zu Lande auf- recht zu erhalten, unsere Beamten auskömmlich zu besolden und die soziale Versicherungsgesetzgebung zu fördern. Aber die Wahlen entscheiden auch über die Fort dauer des Schutzes der nationalen Arbeit. Landwirtschaft, Industrie, Handel, Handwerk und Arbeiterschaft haben ein gleiches Interesse am Weiter blühen unseres Wirtschaftslebens. Der von den Liberalen gewünschte allmähliche „Abbau" des Zollschutzes ist am Endziele nicht anderes, als die von den Sozialdemokraten verlangte sofortige und völlige Beseitigung der Zölle. Deshalb gehen Liberale und Demokraten überall imWahlkampfe gegen uns zusammen und unterstützen sich, wo sie können. Wir Konservativen erstreben für den Landmann keine Teuerunaspreise, sondern nur einen mäßigen, aber gesicherten Lohn für seine Arbeit gegenüber dem billiger produzierenden Auslande. Der neue liberale Deutsche Bauernbund behauptet, das gleiche Ziel zu verfolgen. Was tut er aber? Er geht Hand in Hand mit den liberalen Feinden unserer Schutzzollpolitik und erfreut sich in seinen Versammlungen des Beifalls der Sozialdemokraten. Er zersplittert den Berufsstand, dessen Einigkeit allein die Landwirtschaft aus schweren Nöten ge rettet hat. Eine zerrissene und uneinige Landwirt schaft bedeutet auch in der Zukunft ihren Rückgang und ihren Ruin. Der liberale Deutsche Bauern, bund ist also der Totengräber der Landwirt- schäft. Der Hansabund gibt vor, den Mittelstand zu schützen. In Wirklichkeit aber schützt er die grössten Feinde des selbständigen Mittelstandes, deren Geld mittel seine Wahlkassen füllen, und hetzt die Er werbsstände in Stadt und Land gegen einander auf. Mit seiner unklaren und zweideutigen Haltung gegenüber der Sozialdemokratie fördert er deren Ziele. Sein ganzes Wirken bedroht und vernichtet das gegenseitige Vertrauen und die Einigkeit der schaffenden Stände in Stadt und Land. Unsere gesamte Wirtschaftsordnung ist also jetzt in Gefahr. Keine Ausflüchte des Bauernbundes und des Hansabundes werden uns darüber täuschen. Insbesondere der Mittelstand wird sich nicht irreführen lasten. Er weitz durch jahr zehntelange Erfahrung, datz die konservative Partei seine stets bewährte und zukunftssichere Stütze auch die überhandnehmende Macht des Grofstapitals, namentlich der Warenhäuser, ist. Die konservative Partei hält unverbrüchlich fest an den starken Grund lagen unserer Staats- und Gesellschaftsordnung. Sie tritt ein für eine ungeschwäckte Kaisergewalt, für eine starke Regierung und für alle Autorität in unserem öffentlichen Leben. Wir wollen unsere Wehrkraft zur Wahrung der Ehre und Machtstellung unseres Vaterlandes stark und mächtig erhalten und sind, wie bisher, bereit, dafür die notwendigen Opfer zu bringen. Wir wünichen eine tatkräftige Vertretung unserer nationalen Interessen dem Auslände gegenüber und eine sorgsame Pflege und einen weiteren Ausbau unseres kolonialen Besitzes. Wir fordern einen entschlossenen Kampf gegen die vaterlandslose, religions- und eigentumsseindliche Sozialdemokratie und ihre Helfersheller. Wir fordern einen wirksamen Schutz der bürgerlichen Gesellschaft gegen den immer rücksichtsloser werdenden sozial demokratischen Terrorismus und Schutz der Arbeits willigen vor den Bedrängungen der Sozialdemokraten. So gehen wir denn zielbewusst, mutig und opfer bereit in den schweren Kamps um uns. re besten Güter. Unsere Gegner sind zahlreich, rührig und reich an Mitteln. Parteifreunde! Wir mitten unser Aeutzerstes tun, jeder an seiner vtelle, um den Ansturm gegen uns sicher zu überwinden. Dazu rufen wir Euch auf, und der Erfolg wird, wenn jeder seine Pflicht tut, unser sein. Vorwärts denn mit Gott für Kaiser und Reich! * Der Ton, den der vorstehende Wahlaufruf den liberalen Parteien gegenüber anschlägt, ist nun ge rade nicht geeignet, ein Zusammengehen zwischen den bürgerlichen Parteien zu erleichtern. Etwas weniger Schroffheit wäre hier unseres Erachtens sehr wohl am Platze gewesen. Auch hätte man das Loblied auf die Finanzreform ruhig etwas weniger stark in den Vordergrund stellen können. Datz die Reichs finanzreform eine Besserung unserer Finanzen ge bracht hat, wird wohl kaum bestritten werden: ebenso kann man ruhig zugeben, datz ein grotzer Teil der Presse mit der Kritik zuweit gegangen ist. Aber als ein Meisterstück des höchsten Lobes wert ist Loch wohl die Reform kaum anzujprechen. Eine viel versöhnlichere Note, die vor allen Dingen die Notwendigkeit der Einigung der natio nalen Parteien zu unterstreichen sucht, klingt aus dem freikonsrrvativen Mastlaufruf heraus, dem wir folgendes entnehme:: Die Wahlen zum Deutschen Reichstag stehen bevor. Die deutsche Reichspartei saht Ziel und Aufaben ihrer Bestrebungen zusammen in dem Eintreten für ein nach nutzen starkes, nach innen kräftiges Deutsches Reich. Wir fordern deshalb eine zweck- und ziel- dewutzte machtvolle nationale Politik nach innen und nach autzen. Wir fordern gegen die oft schmerzlichen Erfahrungen der letzten Jahre mit vollstem Nachdruck Rückkehr zur ruhigen, macht- Der Giftmilcher. Kriminalgeschichte von Hans Hyan. 51 (Nachdruck verböte«.) Uebrigens erlebte der Chemiker gleich beim Eintritt seines Gastes eine Enttäuschung: Dieser sagte ihm, er habe heute nur wenige Minuten Zeit; ein alter, lange Jahre nicht mehr ge sehener Freund habe ihm seine Ankunft — er käme direkt von Kalkutta über London hierher! — für heute abend telegraphisch angezeigt. Den könne er nicht im Stick lassen, das werde Heinz ja wohl begreiflich finden. Der Chemiker war zu aut erzogen, um seine Verstimmung merken zu lassen; er bedankte sich im Gegenteil für die Aufmerksamkeit des an dern, der trotzdem hergekommen wäre, und sprach die Hoffnung aus, Herrn Dr. Wengler recht bald einmal und dann desto länger bei sich zu sehen! Das versprach der mit großer Herzlichkeit, ver abschiedete sich und war schon im Weggehen, als er sich plötzlich mit der Linken vor den Kopf schlug und sagte: „Beinah hätt' ich dock die Hauptsache verges- scn! . . . Das Buch, daS ick Ihnen versprochen habe, mitzubringen! . . . Hier, bitte!". . . Heinz bedankte sich herzlich... So wüßte er wenigstens, wie er den heutigen Abend inter essant verbringen würde. Und wenn Herr Dr. Wengler es erlaubte, wollte er ihm bei der nächsten Zusammenkunft seine Eindrücke aus dem Buche mitteilen . . . „Und ich bin Ihnen doppelt dankbar für das Buch!" plauderte er weiter, „weil ich sonst heute wirklich nicht gewußt hätte, waS ich anfangen sollte". . . Dr. Wengler nickte lächelnd. „Ihren Onkel wollen Sie also trotzdem für heute seiner Langeweile überlassen?". . . Heinz Bolesku, der seinen wissenschaftlichen Freund und Lehrer inzwischen mit all seinen Ver hältnissen so ziemlich vertraut gemacht hatte, nickte heiter. „Ja, ich bin wirklich froh, mal nicht mit dem Alten zusammen fein zu müssen! .. . Sie glauben nicht- wie das anstrengt, wenn man fort während um jemand herum sein muß, dem nichts, aber auch nichts recht zu machen ist! . . . Ach, wenn ich das mal abschütteln konnte". . . Dr. Wengler klopfte ihm begütigend auf die Schulter. „Alles hat seine Zeit, lieber Freund!. . . Und Ungeduld stört die Bildung eines Charak ters . . . Nur Schritt vor Schritt lernt unser Wille laufen und schreiten. . . Alles Sprung- und Stoßhafte ist zu meiden!". . . Der Chemiker nickte eifrig, ganz im Banne dieser hypnotischen Lehre. „Ick weiß ... ich weiß! . . . und ich gebe mir auch so viel Mühe . . . aber . . . ich". . . Der Mystiker bewegte ernst seinen großen, wie aus Stein gehauenen Kopf, dessen Haare so kurz geschoren waren, daß man ihre Farbe nicht recht zu bestimmen vermochte, was ein Grund mehr war, über das Alter dieses Mannes im Zweifel zu sein. „Der Anfang ist schwer," sagte er,, „ich weiß daS auS meiner eigenen Lehrzeit . . . und ich lerne immer noch ... es ist ja so berauschend, weiter und immer weiter zu kommen auf diesen pfad losen Pfaden". . . . Er hatte wie in Begeisterung daS Gesicht erhoben . . . Heinz sah genau den breiten grau roten Strich feines MundeS, der wie geschminkt unter der grotesken Nase stand. Er sah auch die großen Ohren, die kein Haarbüschel von den ge waltsam hervorspringendenBackenknochen trennte; und etwas wie Furcht vor diesem harten, unbeug samen Gesicht überkam den Jüngling . . . Aber dann rik ihn doch die Bewunderung wieder hin für diesen seltenen Mann, der von sich selbst sagte, daß das Wort „unmöglich" für ihn keine Geltung mehr besitze! . . . Kaum war Heinz Bolesku allein, so zün dete er die Lampe an, denn es war mittlerweile recht dunkel geworden, und begann in dem ihm von Dr. Wengler geliehenen Buche zu lesen. Das Werk behandelte die Künste und Zau berwunder der indischen Fakire und gina dann zu den bewiesenen und nicht bewiesenen „Fakten" der okkulten Wissenschaften über, die an den Ufern des heiligen Ganges von jeher zu so seltsamer Ungeheuerlichkeit emporwuchsen. Diese Erzählun gen von Männern, die, während ihr Körper lethargisch in der Bastmatte ruhte, mit der Seele buchstäblich ihre Lieben suchten, deren todwundes Herz über Tausende von Meilen hinweg den fer nen Angehörigen ein Zeichen ihres leidensoollen Endes gab; diese Legenden von Frauen, deren übernatürliche Willensstärke sie in Tiger oder Schlangen verwandelte, damit sie so mit Reiß« zahn und Gift den Schänder ihrer Ehre oder den treulosen Geliebten töteten; und die Mär von den heillosen Giftstoffen, die kein Arzt kennt, von den Blütenfäden des Uvas, mit denen heim liche Mörder grausiges Siechtum in die Wohnun gen ihrer Opfer tragen — alle diese finsteren und schauerlichen, in der Purpurfarbe des Todes glühenden Geschichten rissen den jungen Menschen jo hin, daß er seine Umgebung und sich selbst vergaß . . . Erst die letzte Zeile auf der letzten Seite des Buches ließ ihn sich mit einem schweren Seufzer von seinem Platz in der Sofaecke er heben. Und flektsanr,' als solle jetzt, in dieser Stunde, die Lehre dieser wilden, phantastischen Kapitel an ihm selber zur Wahrsten, werden, sah er, ohne vorher im geringsten an den alten Mann gedacht zu haben, auf einmal seinen Onkel vor sich, der die Arme mlt einer Angstgebärde nach ihm ausstreckte. Ja, er meinte, selbst heimlich zitternd, ihn zwei mal laut um Hilfe flehend seinen Namen rufen zu hören. Verstört griff er nack seiner Uhr . . . Nein, eS war längst neun vorbei, da schlief der Onkel schon. . . Und daS war ja auch Torheit! Nur die aufregende Lektüre zauberte ihm solche Schreckgesichte vor das innere Auge! Hier, wie in allen Dingen, handelte cs sich nur darum, den festen Willen zu haben um solche Albernheiten »u unterdrücken . . . Aber soviel Heinz Bolesku sich auch Mühe gab, ruhiger zu werden und an andre Dinge zu denken, seine Phantasie war diesmal stärker als sein Wille. Er trank Wasser, nahm «in Brausepulver und war schon im Begriff, sich zu Bett zu legen, als er plötzlich seine Kleider wieder anzog, den Hut aufstülptc und seine Wohnung verließ. Es war erst nach neun Uhr, er kam noch aut in des Onkels Haus hinein. . . Und dann batte er wenigstens seine Pflicht getan.... Gerade weil es der alte Mann ihm gegenüber daran fehlen ließ, mußte er erst recht seine Schul digkeit tun! ... Es konnte dem Onkel ja wirk lich was zugestoßen sein. . . Vielleicht tarn er dann noch rechtzeitig, um ihm zu helfen . . . oder um ihm wenigstens das Ende leicht zu machen... Heinz schüttelte unwillig über sich selbst den Kopf. Es war wirklich nicht recht, fortwährend an den Tod eines Mitmenschen und obendrein eines Ver wandten zu denken! . . . Darin mußte er seiner Grete beipflichten, die heute abend bei Bekann ten in Charlottenburg zum Besuch war und die er sicher abgeholt haben würde, hätte er nicht ge glaubt, den Abend in Gesellschaft des Dr. Weng ler zubringen zu können. Während sich jetzt seine Gedanken an diesen ungewöhnlichen Mann hingen, der so seltsame Dinge lehrte und sie in so uneigennütziger Weise preisgab, eilte Heinz Bolesku die drei Treppen hinab, zum Hause hinaus, auf die Straße . . . Draußen in der milden Luft des Frühlings- abends, die die Leute vor i^ren Türen genossen, im letzten Lärm der Tagesarbeit, die hier in dieser betriebsamen Gegend auch jetzt noch nicht zur Ruhe kam, verschwanden die Beängstigungen ein wenig auS dem Herzen des jungen ManneS... Aber er wollte doch tun, waS er für seine Pflicht hielt... Es war ja nicht weit bis zur Woh nung seines Onkels. . . Und wenn'S schon dunkel bei ihm war, waS man von der Straße gut sehen konnte, nun dann ging er eben zurück und legte sich schlafen. . . Und froh, daß er zu diesem Entschluß gekommen, daß er sich nicht mit seinen Einbildungen eine böse, schlaflos« Nacht gemacht hatte und im Gedanken an fein Mädchen, dem er sich im schönen Bewußtsein feiner Pflicht erfüllung näher fühlte, ging der Chemiker rasch seines Weges... tFortketzuna In der Morgenausgabe.)
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