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stellen. Allem Großen und Bedeutenden war Liszt mit glühender Begeisterung zu getan— Bach, Beethoven, Schubert, Schumann, Berlioz. Er wurde zum leuchtenden Vorbild nachfolgender Pianistengenerationen. ,,Schüler Liszts“ war das anziehungs kräftigste Aushängeschild, und viele behüteten sein pianistisches Erbe: Eugen d’Albert, Conrad Ansorge, Hans von Bülow, Karl Klindworth, Frederic Lamond, Moritz Rosenthal, Camille Saint-Saens, Emil Sauer, Alexander Siloti, Karl Tausig. Mendelssohn äußerte: ,.Ich habe keinen Musiker gesehen, dem so wie dem Liszt die musikalische Empfindung bis in die Fingerspitzen liefe und da unmittelbar aus strömte!“ Und Schumann schrieb: ,,Das Instrument glüht und sprüht unter seinem Meister 1“ Aber in Paris war nicht allein Paganini von Einfluß auf Liszt. Die Julirevolution von 1830 beeindruckte ihn stark, er trat in Verbindung mit Anhängern der utopisch sozialistischen Ideen Saint-Simsons, die Freundschaft mit Hector Berlioz und der Programmusik gab ihm Anregung zu fruchtbaren, fortschrittlichen Gedanken: Die bloße Arbeitsgeschicklichkeit, die Technik allein reicht nicht aus — der Mensch muß, um Musiker zu werden, vor allem seinen Geist bilden, denken und urteilen lernen. Er muß ,,Ideen“ haben, um seine Kunst mit dem Zeitgeist in Übereinstim mung zu bringen, er muß seine Kunst in Situationen gruppieren, die durch einen poetischen oder philosophischen Faden untereinander verbunden sind. Diese neue ,,poetische Idee“ wendet Liszt auch auf sein heroisch-festliches Klavierkon zert Nr. 1 in Es-Dur (1855 komponiert) an. Ihm liegt zwar der Plan der klassi schen, sinfonischen Viersätzigkeit zugrunde, aber die einzelnen Sätze sind sowohl äußerlich (attacca) wie auch innerlich (motivisch) miteinander verknüpft. Die große rhetorische Geste des Eingangsmotivs im Klavier klingt betörend wie ein ganzes Orchester. Von Nebenmotiven unterbrochen, wird dieses Hauptmotiv vielgestaltig verarbeitet. Das innig-zarte quasi adagio (H-Dur, 12 / 8 -Takt) vertritt den langsamen Satz und geht ohne Absatz in das scherzoartige Allegretto vivace (es-Moll 3 / 4 -Takt) über. Das abschließende Allegro marziale animato (Es-Dur, 4 / 4 -Takt) faßt die wesentlichen Motive glanzvoll und marschartig zusammen. Liszt spielte die Urauf führung in Weimar selber, der Dirigent war Hector Berlioz. Noch heute gilt das Konzert als Prüfstein für virtuose Qualitäten, der Interpret hat ,,beide Hände voll zu tun!“ Die sinfonische Krönung unseres Konzertes ist die 2. Sinfonie in D-Dur op. 36 von Ludwig van Beethoven. Sie geht schon äußerlich um einen be trächtlichen Schritt über den älteren Wiener Sinfonietyp hinaus. Die Einleitung und der Schluß des ersten Satzes überragen an Umfang und Inhalt alles bisher Ge wohnte. Der herrliche Gesang der Einleitung wird durch die drohende Einstimmigkeit aller Instrumente abgelöst. Muntere Trioien vertreiben das Unwetter, und das erste Thema des ersten Allegros beginnt vorerst leise, heimlich und erwartungsvoll. Das zweiteThema, fast die Hauptgestalt des ersten Satzes, erhebt sich nun glanzvoll trium phierend. Daß Beethoven die natürliche Stimmführung des poetischen langsamen (zweiten) Satzes keineswegs einfach einfiel, daß er vielmehr sehr intensiv an seinen Einfällen arbeitete, zeigt ein Brief von Beethovens Schüler Ferdinand Ries: „Das Larghetto (der 2. Sinfonie) ist nämlich so schön, so rein und freundlich gedacht, die Stimmführung so natürlich, daß man sich kaum denken kann, es sei daran etwas ge ändert worden. Allein in der zweiten Violine ist beinahe schon in den ersten Linien bei vielen Stellen ein sehr bedeutender Teil der Begleitung und an einigen Stellen auch in der Altviola (Bratsche) geändert. Ich konnte trotz vieler Mühe nie die Ori ginalidee herausfinden. Ich habe Beethoven gefragt, der mir aber trocken erwiderte: so sei es besser!“ Der dritte Satz ist als Scherzo bezeichnet. Beethoven griff diese Bezeichnung zunächst für die Klaviersonate auf und machte sie nun hiermit auch für die Sinfonie klassisch. Das zart-blttende Trio steht im Gegensatz zum übermü tigen, drastischen Scherzoteil. Vom Schlußsatz hat das erste Thema „Haydnsches Blut in den Adern. Das zweite Thema aber lenkt in die Bahnen jener Kantabilität ein, welche Mozart in das Allegro einführte“ (Herrn. Kretzschmar). Biographisch interessant ist, daß die lebensfreudige 2. Sinfonie, 1803 zum ersten Male aufgeführt, ungefähr um die gleiche Zeit entstand, als Beethoven die verzweifelten Melancho lien des „Heiligenstätter Testaments“ (1802) niederschrieb. Prof. Dr. Mlynarczyk LI T E R AT URHINWEISE: Zsold v. Harsänyi: Ungarische Rapsodie (Liszt), 1947 Cosima Wagner: Franz Liszt, 1911 Karl Schönewolf: Konzertbuch 1961 Hermann Kretzschmar: Führer durch den Konzertsaal, 1921 Paul Bekker: Beethoven, 1922. VORANKÜNDIGUNG : Nächste Konzerte im Anrecht A 11./12. 11. 1961, jeweils 19.30 Uhr Einführungsvorträge jeweils 18.30 Uhr Dienstag, 24. Oktober 1961, 19.30 Uhr 1. Kammermusikabend der Kammermusikvereinigung der Dresdner Philharmonie, Anrecht D sowie Freiverkauf! 2. Philharmonisches Konzert 6216 Ra III-9-5 1061 1,4 It-G 009/70/61