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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.08.1883
- Erscheinungsdatum
- 1883-08-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188308111
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18830811
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18830811
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1883
-
Monat
1883-08
- Tag 1883-08-11
-
Monat
1883-08
-
Jahr
1883
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.08.1883
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Erscheint täglich früh 6'/, Uhr. Re-artion und Lrpkdition Jobaimesgasjc 33. APrrchllundrn der Lrdaction: Vormittags 10—IS Uhr. Nachmittag- 2—6 Uhr. tzttr hie NüSzabe eingelandter vtaaujcrlvtr die Redactrou vutzt »erhindl.chh Annahme »er für »ie «üchftfal,en»e Nummer »estimmten Jnfferate an Wochentagen bis L Uhr Nachmittag», an Louu- uu» Festtagen früh bis'/,» Uhr. 3ll den /ilialrn snr 3ns.-Annahme: Otto Klemm, NnIversitätSstraße 21, Laut» Lösche, Ilätharinenstraße 18, v. ' nur bt» '/,S Uhr ^- 223. KiMger TaMÄ Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Kandels- nnd Geschäftsverkehr. Sonnabend den 11. August 1883. Auflage LS LV0. IUiannementspreis vienelj. 4'/, MN. ivcl. Bringerlohu 2 Mk., durch die Post bezogen 6 Mk. Jede einzelne Nummer 20 Pf. Belegexemplar 10 Pf. Gebühren »ür Extrabrtlaae» ohne Poftbeiörderung 39 Mk, Mit Postbrsörderun» »8 Mk. Inserate Sgefpaltene Petitzeile 20 Pf. Gröbere Schriften laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer u. Ziffernsatz nach höherm Tarif. Kcrlamen unter dem Redaktion,strich die Gpaltzeile 20 Pf. Inserate sind siel- an die vrprditiou zu senden. — Rabatt wird nicht gegeben. Zahlung prasoumnraixlo oder durch Post« nachnalime. 77. Jahrgang. Jur gefälligen Beachtung. Unsere Expedition ist morgen Sonntag, den 12. August, Vormittags nur bis 1,» Uhr geöffnet. Lxpsültlou (168I-elprlxer 1a^6dlatt68. Amtlicher Theil. Velranntmllchnng, den Verlust der Stimnrberechtigung Wege« Abgubenrückständen betreffend. Nach Vorschrift der Neuidirten Städte«Ordnung Z. 44 unter z sind von der Stimmberechtigung bei den Wahlen alle diejenigen Bürger, welche die Abenlrichtung von Staats- und Gemeindeabgaben, einschließlich der Abgaben zu Schul ung Armen-Casse», länger alö zwei Jahre ganz oder theil- weise im Rückstände gelassen haben, ausgeschlossen. Unter Hinweis aus diese gesetzliche Bestimmung fordern Wir daher aus Veranlassung der in nächster Zeit vorzuneb- menden Ausstellung dcrStadlvcrorvnctcuwahlliste und der dann bevorstehenden Ergänzungswahl des Stadtverordiieteo-Col- legiums alle Abgabeiirestaitten, welche davon betroffen werden, zur ungesäumten Abführung ibrer Rückstände aus, Leipzig, den 31. Juli 1883. Der Rath der Stadt Leipzig. I)r. Trönblin. N. VekanntmächungT" Der Schlcußenbau am Square ist vergeben nnd werden die unberücksichtigt gebliebenen Bewerber de-halb hiermit ihrer Offerten entbunden. Leipzig, den 4. August 1883. Der Rath der Stabt Leipzig. vr. Tröndlin. EichoriuS. Vekanntlnaihimg. Wegen baulicher Veränderungen in unserer Stiftskirche zu Sk. IebanuiS muß der Gottesdienst in derselben vom «tO. ^)uli d. I. ab bis auf Weiteres auSgcsetzt bleiben. Leipzig, am 30/ Juli 1883. Der Rath der Stadt Leipzig. Dr. Tröndlin. Dr.Wangemann. Da die verloren geganacnen Sparkassenbücher Serie I. Nr. 39,505, 65.836. 71,000, Serie II. Nr. 677t, 52.944, 69,092. sowie die gleichfalls verloren gegangenen IntcrimS- scheiue der Filiale I. und II. über die Sparkassenbücher Serie I. Nr. 93,069. Serie II. Nr. 7404, 39.400, 40.310, 64,847, 65,173, 66,399 ungeachtet der auf Grunv von tz. lO der Leipziger Sparcasscu - Ordnung erlassenen Bekannt machungen nicht eiiigelicscrt worden sind, so werde» sowobl die bezeichnetcn Bücher als auch die Interimsscheine hiermit für ungültig erklärt. Leipzig, den 9. August 1883. Die Verwaltung deS Leihhauses und der Spareaffe. Nichtamtlicher Theil. Das Lndgetrecht -es Reichstags. Als die zwei mächtigsten Waffe», durch welche die Volks« Vertretung der Negierung gegenüber den ihr gcbührenden Einfluß erlangen und. behaupten könne, betrachtet dir consii- lnliouelle Tockrin die Ministcranklage und das Stcuerbewil- ligungSreckt. Bekanntlich ist auch in der Reichsverfassung die Verantwortlichkeit deS Kanzlers, in Verbindung mit der Vorschrift, daß alle Negentenbandlungen deS Kaisers seiner Gegenzeichnung bedürfen, ausdrücklich ausgesprochen, und diese Verantwortlichkeit ist als eine rechtliche jedenfalls in dem Sinn zu betrachte», daß ibm dadurch die Pflicht auserlegt werden soll, für die Gesetzmäßigkeit der Negierung-Handlun gen cinzustehcu. Schon dieser nackte Grundsatz ohne weitere AussühruiigSbestimmungen ist von höchstem Werth, denn die natürliche Macht deS Rechts ist so groß, daß sie in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle 'sich von selbst durchsetzt, und um so sicherer, wenn der NechtSsatz, um den eS sich han delt, so klar und fest in dem VolkSbewußlsein steht wie der, daß dasGefetzanch eie Negierung bindet. DicVersassungSvorschrist über die rechtliche Verantwortlichkeit des Reichskanzlers ist aber allerdings, wie so manche andere Satzungen deS öffentlichen Rechts, ei» unvollkommenes Gesetz, eine „lex imperfecta'*, wie die Juristen sagen, insofern diese Verschifft, abgesehen von der rechtlichen Unwirksamkeit de» gegen daS Gesetz Ge- schebenon, durch keine Strafbestimmung geschützt ist und Mittel und Wege zu ibrer Geltendmachung nicht vorgesehen ind. Doch die politische Ministeranklage ist Überhaupt nur ür einen äußersten Fall ein Mittel von zweifelhafter Wirk- amkcit, über dessen Zubereitung zum Bvrau» zu streiten, mit der Gefahr, sich darüber zu entzweien, kaum der Mühe lohnt. Der Reichstag hat nur während der erste» Sessionen deS Norddeutschen Bunde? schwache und beschränkte Versuche ge macht zu weiterer Ausbildung der rechtlichen Verantwort lichkeit der Regierung, und diese Versuche waren ohne Erfolg. Dagegen haben sich namentlich die Nativnalliberalen dadurch ein wesentliches Verdienst erworben, daß sie mil ebenso viel Geschick als Eriolg bemüht waren, die Competenz und die Machtbefugnisse der Regierung möglichst genau zu bestimmen und die Entscheidung streitiger Rechtsfragen in möglichst weiter Aus dehnung an unabhängige Gerichte zu übertragen, und sie haben für die Ausgabe, den öffentlichen RechlSzustanb gegen Verletzungen auch von Seilen der Regierung zu schützen, dadurch mehr geleistet, al» durch taS vollendetste MmisterverantwortlichkeitS- gesey zu erreichen wäre. Auch die öffentliche Meinung scheint in der Wertschätzung eine- solchen Gesetzes etwas schwankend geworden zu sein. Um so lebhafter wendet sich da» öffentliche Interesse der anderen parlamentarischen Waffe zu, dem StcuerbewilligungS- recht, d. h. der Einrichtung, daß die Einnahmen deS Staat- von der Regierung nicht krast einer ibr ein sür alle mal zugestandenen Vollmacht, sondern nur auf Grund einer jeweils nur für eine Etat-periode erfolgenden Bewilligung der Volksvertretung erbeben werden dürfen. ES ist klar, daß die Letztere durch diese- SteuerbcwilligringSrecht der Regierung gegenüber eine sehr große Macht erlangt. Aber daSRecht derDolkS- vertretung, sreinacy ihrem souvcraincnErmessen dieZahlung der Steuern zu hemmen, hat einzigalS Pression-mittel gegen die Ne gierung. namentlich um einen Minffierweckffel im Sinne de- par lamentarischen Systems zu erzwingen, einen Sinn. Die wirk- liche Sisttrung der Steuerzahlung ist rechtlich und tl,ursäch lich unmöglich, rechtlich, weil ohne Steuereinnahmen die rechtlichen Verbindlichkeiten de- Staate- nickt erfüllt werde» können, tatsächlich, weil ohne dieselben der Staat überhaupt nickt rxistircn kann. Es wäre offenbar widersinnig, der Volksvertretung die Absicht unterzuschieben oder da» Recht beizulegen, durch ihre Beschlüsse den Staat aufzuheben. In dem die Volksvertretung die als unentbehrlich anerkannten Steuern verweigert, droht sie nur, um ihre Fordernngcn durchzusetzcn, mit der Auslösung der Staatsordnung, in der Hoffnung, die Krone werde, um diese Gefahr zu vermeiden, dieselben lieber zugesteheii, Unter unseren heutigen Verhält nissen ist da- absolute StcuerverweigerungSrccht also nur unter der Voraussetzung annehmbar, daß die Pflicht der Krone unzweifelhaft fcststebt, daS Ministerium nach dem Willen de- Parlament- zusammenzusctzen. DieS ist bei u»S nickt der Fall; die Steucrverweigcrung aber als Mittel zu gebrauchen, um diese- noch nicht zur Anerkennung gelangte System gegen den Willen der Krone durchzusetzcn, ist mindestens außerordentlich gefährlich. Für unser nicht parlamentarische», aber konstitutionelles System ist eine andere Auffassung deS Budgetrechts begründet. Auch bei diesem System empsiehlt cS sich, daS ganze Budget, di« Einnahmen ebenso wie die Ausgaben von der periodischen Gcncbmigung der Volksvertretung abhängig zu mache», nicht um eines konstitutionellen PrincipS willen oder um ein PressionSmitlcl gegen die Negierung zu sck'afscn, sondern Sü den, rein sachlichen Grunde, weil daS Budget nach seinen leiden Seiten, den Ausgaben und den Einnahmen, ein »ntrcniibarcS Ganzes ist, welches nickt zur einen Hälfte in Betreff der Einnahmen durch dauernde Gesetze, zur ande ren in Betreff der Ausgaben je »iir für eine Budgetperiode durch StaatShauShaltSctat fe„gcsctzt werden kann. Die Volksvertretung darf aber das ihr zusiehende Reckt in seinen Heiken Beziehungen nicht wie einPrivalrcckt nach freiem Belieben verwenden, sondern sie ist verpflichtet, die als notbweiidig an- erkannten Ausgaben und die enisprcchcildcn Einnahme» zu bewilligen. Diese Pflickt der VclkSvertretung ist so selbst verständlich, daß zur Anerkennung derselben besondere gesetz liche Maßnahmen vorzusehcn, nickt erforderlich ist. Bei dieser Auffassung kcS Budgetrechts kommt die praktisch größere Bedeutung dem Recht zu. die Ausgaben zu be willigen. Ein großer Theil derselben beruht allerdings un mittelbar aus gesetzlichen Vorschriften und darf schon deshalb, wie auch in der parlamentarischen Praxis unbedingt an erkannt ist, nickt verweigert werden, und ein anderer Theil ist thaksäcklich so uiiwidersprechlick nothwcnvig, daß die Ab lehnung unmöglich ist. Die Volksvertrelung hat aber dock immer das hockst wertbvolle Recht, alle diese Ausgaben aus das unentbehrliche Minimum zu reduciren und überdies die in jedem Budget sehr zahlreich verkommenden Anfor derungen, deren Gewährung mir zweckmäßig oder wünschcnS- werth wäre, »ach freiem Ermessen zu bewilligen oder nicht zu bewilligen, und sie besitzt darin ein' vollkom men ausreichendes Mittel, nicht nur um im Interesse der Steuerzahler aus richtige Sparsamkeit hinzuwirken, sondern auch um einen zwar indirekten, aber keineswegs unerheblicher, Einfluß auf die Regierung auSzuübcn, welche, um ihre An forderungen leichter durchzusetzcn, auf die Anschauungen und Wünsche deS Parlament- eine gewisse Rücksicht nehme» muß. Das Neckt der Einnabmebewilligung hat, wenn cS als Zwangsmittel gegen die Regierung nickt anerkannt ist, vraklisch einen geringere» Werth, indem die Einnahmen mindestens bis zum Betrag der genehmigten Ausgaben bewilligt werden müsse». Immerhin gewährt eS der Volksvertretung die Mög lichkeit. dafür zu sorgen, daß nicht Einnahmen über den Bedarf erhoben werden, und vor Allem ist die Bewilligung aller Einnabmen oder wenigstens eines Ausschlag gebenden ThcilS derselben ja nur für eine Budgetperiove und nach dem Bedarf derselben im Interesse einer sicheren und geordneten Finanzverwaltung dringend geboten. Im Reich ist da» Budgetrecht nach diesen Gesicht-, punctcn geordnet und hat sich bewährt. Der Reichs tag hat da- Recht der AuSgabe-Bcwilligung mit dem Vorbehalt, daß bei Feststellung de- Mitilair-AiiSgabe-Etats die gesetzlich bestehende Organisation deS ReichSheercS zu Grunde gelegt werden muß. Dieser Bcrbcbalt heißt aber nicht- Andere?: der Reichstag ist, unbeschadet seine- Reckt- der Ausgabebewilligung, verpflichtet, diejenigen Ausgaben zu bewilligen, welche nothwenkrg sind, um daS Heer in seiner reich-gesetzlich festgcstcllten Organisation zu erhalten. — Und wie da- Ausgabe-, so hat auch da- Einnahmebewilligungs recht deS Reichstags in der Verfassung eine vollkommen correcte Regelung erfahren. Nack derselben dürfen die Matri- crilarbeiträge nur i» den, budgetmäßigen Betrag ausgeschrieben werden, zugleich ist aber bestimmt. Laß sür die Bedürfnisse des Reicks, soweit sie nicht durch die eigenen Einnahmen der selbe» gedeckt sind, nach ihrem vollen Betrag druck Matricular- bciträge zu sorgen ist. d. h. es ist ein R e ckt'des Reichstag», daß Matricrrlarberträge nur nach seiner Zustimmung ausgeschrieben werden, eS ist aber zugleich seine Pflicht, dieselben in der den Au-gaben entsprechenden Höhe zu bewilligen. — Indem die Reichsverfassring die Verwerlbung de» Eirniabmebewillr- gungSrecktS als eines Zwangsmittels gegen die Regierung durch da- einfache Gebot au-schließt, dax, soweit die eigenen Einnahmen de» Reich» zur Deckung der Au-gaben nickt ge nügen. da- Fehlende durch Matricularbeiträge ausgebracht werden muß, sichert sie den richtigen Gebrauch jene- Reckt- und hat damit einen dankenSwerthen Fortschritt in der Ent wickelung unsere» constitutronellrn Staat-recht- begründet. Die Folgen -er Freisprechung in Lisza-Lszlar. Die allgemeine Bedeutung de» Processe- von TiSza-Eszlar tritt klar hervor durch die Wirkungen, welche die Freisprechung der Angeklagten hervorgebracht hat. Da- Urthcil ist — man kann sagen „glücklicherweise" ohne Mithilfe von Geschworenen gefällt worden, wie eS aber gelautet hätte, wenn Geschworene über die Schuldsrage zur Entscheidung berufen gewesen wären, läßt sich au- der Haltung entnehmen, welche» da» bei den Verhandlungen anwesende Publicum von Anfang brS zu Ende gezeigt hat. Bei diesem war die Sckulkfrage schon vor Beginn de- ProcesseS zu Ungunsten der Angeklagten ent schieden, da» belastende Zeugniß deS Knaben Moritz Schars in Verbindung mit dem Geständniß de- Schächter- Schwarz, daß er die Esther Solymossy gctödlct habe, genügte für diese Leute, um die Schuld der Angeklagten außer Zweifel zu stellen und wie tief diese Ueberzeugung bei ihnen Wurzel gefaßt hatte, ließ sich erkennen, sobald entlastende Zeug nisse zum Vorschein kamen. Der Gerichtshof konnte sich diesem Einfluß nickt gänzlich entziehen, aber er hat de» Thaisachen dock insoweit Rechnung getragen, daß er daS Zeugniß deS Moritz Scharf nicht at- genügend erachtete, um die Schuld der Angeklagten zu beweisen und er hat auch in Anbetracht der vom Untersuchungsrichter und den Sichcrheits- organen angewandten unerlaubten Mittel, um Geständnisse zu erpressen, da» Geständniß de- Schwarz, die Esther getövtet zu haben» nicht als ein freiwilliges und der Wahrheit ent sprechendes erachtet. In Folge kessen hat er ein frei- sprechendes Urtbcil gefällt. Ob ans diese Entscheidung auch noch andere Kicistr eingewirkl haben, wie die Bemühungen eine- großen und einflußreichen Thcile« der Presse, welcher sür die Angeklagten aus das Leidcnschafttichsle Partei ergriffen hat, entzieht sich unserer Beurthcilung, in dieser Beziehung sind nur Vcrmilthungen gestattet. So viel steht scsi, daß die Antisemiten in Ungarn — und diese sind zahlreich und mächtig — mit dem Urthcil unzu frieden sind, sie würden die Berurthcilung mit Jubel begrüßt haben, und weil sie nickt erfolgt ist, gaben sie ihrem Unmuth darüber schon mchrfach durch Gewaltthäligkciten Ausdruck. Sie baden die Fenster de» Restaurants eingeworsen, in welchem der StaatSanwall Szcyffcrt mit den« Vcrlhcidigcr EölvöS zu Mittag speisten, sic Häven wahrscheinlich einen Brand in TiSza- ESzlar angestiftet. sie haben endlich in Prcßburg und Pest Unruhen erregt und da-Hotel „zumSckwan" in der ungarischen Haupd'i^dt in welchem die Familie Scharf sich zur Zeit aus hält. theAweise zerstört. ES ist sehr wahrscheinlich, laß diese Unruhen noch eine weitere AuSdeynung gewinnen, aber eS fragt sich, waS geschehen wäre, wenn da» Urthcil gegen die Angeklagten ausgefallen wäre. Würde die Menge, welche sich jetzt in ihrer Hoffnung getäuscht siebt, daS Gericht würde den rituellen Mord an Esther Solymossy durch die Angeklagten sür erwiesen erklären, nicht in der Verurtheilung derselben eine erneute Aufforderung erblicke», Menschen, von welchen solche Ver brechen zu erwarte», als vogclfrci zu betrachten und zu behandeln? Wäre die Lciurtbeiliing nicht gleichsam taS Zeichen zu einer Judenverfolgung ohne Gleichen in Ungarn und vielleicht auch noch anderSioo geworden? Diese Schlußfolgerung drängt sich mit solcher UnabweiSbarkcit aus, daß ihre Nichtigkeit nickt bezweifelt werden kann, und schon auS diesem Grunde kaun die Freisprechung in TiSza-ESzlar von allen Menschenfreunden nur mil Genuathuuug begrüßt iverden. Der Judenhaß in Ungarn sucht seit langer Zeit nur nach einem passenden Vorwand, um in der allerauS- schweisendstcn Form sich geltend zu machen und einen solchen Vorwand würde der Richlerspruch aeliesert haben, daß Esther Solymossy daS Opfer eines rituellen Morde- geworden sei. DaS Gericht hat aber diese Anklage als unbegründet be zeichnet und natürlich sind dadurch viele Judenfeinde stutzig geworden, sie haben sich die Frage verlegen müssen, in wie weil die Anklagen, welche sie gegen die Juden erheben, über haupt begründet sind. So steht die Sache in Ungarn, aber die Freisprechung in Ti-za-ESzlar ist auch im übrigen Europa und vorzugsweise in Oesterreich und Deutschland nicht ohne sehr beachtenSwerthe Folgen geblieben. Es haben sich in der Presse zwei Parteien gebildet, welche die Sckuldfrage auch jetzt noch, wo sie vom Gericht entschieden ist, lebhaft und zum Theil leidenschaftlich erörtern und e» läßt sich auch bei den Gegnern der Fre>- gcsprockenen in Deutschland eine grundsätzliche Voreingenom menheit ebenso leicht sestsiellen, wie ein zu übertriebener Eifer für die unschuldigen Opfer de- ProcesseS auf der anderen Seile. Bei ruhiger unv unbefangener Betrach tung der Sachlage muß man unsere» Erachten- zu der Ueberzeugung gelangen, daß die Erhebung der Anklage gegen Schwarz und Genossen besonder- mit Rücksicht aus die in TiSza-Ezlar herrschende Stimmung der Bevölkerung nickt wohl unterbleiben konnte, ja daß eS im Gegentheil nothwcnvig war, im Interesse der Angeklagten selbst eine richterliche Entscheidung darüber berbeizuführe», ob die öffent liche Meinung, welche die Angeklagten sür schuldig erklärte, im Rechte sei oder nicht, und eS kann dabei nicht in Betracht kommen, welchen Antheil Aberglaube unv persönlicher Haß an dem Urthcil der öffentlichen Meinung hatte. Man kann an die Bewohner eine- ungarischen LandslädtchenS nicht denselben Maßstab legen wie an die Bevölkerung einer Groß stadt. obwohl auch Unwissenheit und Aberglaube in solche» viel verbreiteter sind, als man im Allgemeinen aiiziinebmcn geneigt ist. Die Folgen deS TiSza-ESzlarer ProcesseS sind oisher nur in sehr vereinzelten Thatsachen hervorgetreten unv eS wäre ein großer Irrthum, wenn man auS diesen aus die Folgen überhaupt einen Schluß ziehen wollte. In der Hauptsache können die Folgen nur gute unv segen-reiche sein. Die urtheilSsähige Äevölkerung in Ungarn hat au» dem Pro cesse gelernt, an welchen Schäden die ungarische Rechts pflege krankt, sie hat gesehen, welche Reformen Noth »hun, um dem Recht wirklich zur Anerkennung und Geltung >m Lande zu verhelfen. Daß trotz der überau- mangelhaften Gericht-- organisation in Ungarn doch noch ein solcher Proceß wie der in Ti-za-ESzlar zu Stande gebracht werde» konnte, zeigt, daß eS an bilbung-sährgen Juristen im Lande nicht fehlt und daß die Schuld nicht an den Personen, sondern am System liegt. Der ungarische Ministerpräsident Ti«za hat bei diesem Anlaß erfahren müssen, daß seine Unterbeamtrn nicht einmal seinen „rieten Befehlen Folge leisten, daß ein Vicegespan Opposition macht, wenn ein Bcsehl ihm nicht angenehm ist. Daran« wird der Fundamentalfehler der qesammten ungarischen Staats- organisation erkennbar. Ter Schwerpunkt derselben liegt in der persönlichen Willkür der Beamten, nicht in Recht »nd Gesetz^ An dieser Stelle also muß der Hebel augesetzt werden, um Wandel zu schaffen. Leipzig, 11. August 1883. * Der »Neich-anzeiger* macht nunmehr die provi sorische Inkraftsetzung de» spanischen Handels vertrag», soweit derselbe sich aus die gegenseitig zu- gestandcuen Zollrrleichterunacn bezieht, bekannt. Unter dem Vorbehalte der späteren Ratification des Vertrages werden vom 14. d. M. ab die vereinbarten Tarife „vorläufig An wendung finden." Wir stehen nunmehr vor einer vollendeten Thatsacbe, und müsse» ihr gegenüber unsere Zweifel an der vollen Verfassung-Mäßigkeit de- einqeschlagenen Wege- auf recht erhallen. Der Reichstag, welcher dem Vorgeken der Regierung die nachträgliche Genehmigung gewiß nicht ver sagen wird, dürste unseres EracktcnS gleichwohl Veranlassung haben sür sein verfassungsmäßige» Recht Verwahrung einzu- legcn. Inzwischen erkenne» wir an, daß ei» erhebliches sach liches Bcvenken in dem speciell vorliegenden Falle um so weniger in den Vordergrund treten kann, atS die öffentliche Meinung sich mit seltener Einmülhigkeit — von der die Sprit- bebandlung betreffenden Conlroverse abgesehen — sür eine möglichst beschleunigte Herbeiführung der durch den Vertrag gebotenen Zollerleichterungen ausgesprochen hat. Dabe, müsse» wir wiederholen, daß der Vertrag, wenn die Regierung sofort den von der Verfassung vorgezeichneten Weg einge- schlagen hätte, bereits enbgiltig ratisicirt werben könnte. — OssiciöS wird zur Sache geschrieben: Der „ReichSanzeiaer" dringt die Publikation in Sachen de» denlsch-spanischen Pandel-vertrageS. Die Bedeutung, welche einer alsbaldigen Jnkrasksepung der ermäßigten Zollsätze des deutsch-spanilchen Handel-oerirage« für beide Länder beiwohnt, hat, wie wir voraussahen, zur Uedernindung der Bedenken geführt, welche gegen eine solche Maßnahme zu erheben waren. Wenn hiernach au- Anlaß der letzteren die betreffende Publikation erst heute, mithin etwa- später erfolgt ist, als bei der Dringlichkeit der Sache anzunehmen war, so bestätigt im Uebrigen der Verlaus der Angelegenheit durchaus die Richtigkeit unserer Beurtheilong drr Ver hältnisse. Gegenüber der in der liberale» Presse erhobene» und in den stärksten Farbe» variirteu Brrsassung-srage wird e» von In teresse sein, daran zu erinnern, daß selbst die Ratification uu» Publi kation eine- Handelsvertrag«- vor Genehmigung desselben durch den Reichstag nicht ohne Vorgang ist. Der am 16. December 1878 ab geschlossene Handelsvertrag mit Oesterreich ist nach der vom 23. d. M. eriolgten Zustimmung dr- Buade-rath« ratisicirt, in dem an» Sl. December aurgegebeaeu Stück des Reich-gesetzblattr» ver öffentlicht und am 1 Januar 1879 in Krast getreten. Dir Zu stimmung de- Reichstag» ist am 25. Februar 1879 erfolgt und daß die- geschehen, am 11. März d. I. im Reichsgesetzblatt bekannt gemacht. In dem Schreiben de- Reichskanzler- vom 12. Februar 1879, durch welches der Handelsvertrag dem Reich-tage zur ver- sassungsmäßigen Genehmigung vorgelegt wurde, wird hervorgehoben, daß die commissarischen Verhandlungen, aut welchen der Vertrag hervorging, erst mit dem Anbruch« drr zweiten Hälfte de» Monats December zum Abschluß gelangten, daß am 17., unmittelbar nach der Bollziehung des Betrag», die Vorlegung au den Buudesrath und alsdann am 23. die Zustimmung des letzteren erfolgte, sonach bis zu dem 1. Januar 1879, dem Termin, an welchtm das bisherige Bertraqsverhältniß mit Oesterreich abl'ef, eine Berufung uud Be- schlußsassung de- Reichstage- nicht zu ermöglichen gewesen sei. Die Rücksicht auf die Schädigung, welche erhebliche drutiche Interessen andernsallö zu befürchte» hätten, in Verbindung mit der zuverstchl- lichen Erwartung, daß der Reichstag da- eiageschlagene Verfahren nachträglich genehmigen werde, haben die kaiserliche Regierung da mals veranlaßt, oie Ratification und Publikation de- Vertrage» vor Lrtheilung der verfassung-mäßigen Genehmigung de- Reichstages herbelzusühren. Die in dem bczeichneten Schreiben ausgesprochene uversichtliche Lrwartnng hat sich in vollem Umfang« al- gerecht- ertigt erwiesen; der Reichstag hat ohne Widerspruch auch von der oppositionellsten Seite da« Bcrfahrcn der Rcichtregierung ratisicirt. In den Eröterungen der Rechtsfrage in dem zur Wahrung seiner verfassungsmäßigen Gerechtsame doch ganz besonder- berusene» Reichstage findet sich auch nicht ein entsernter Allklang au die jetzige Auslassung in der liberalen Presse. * Durch die vom Kaiser angeordneten Truppendi»« locationen wird wesentlich da- erste Armeecorps be rührt; dasselbe wird im Frühjahr k. I. um vier Bataillone stärker sein, als die Mehrzahl der in zwei Divisionen orga- nisirten anderen ArmeecorpS. Durch diese Verstärkung wird zugleich die Schaffung neuer Garnisonen bedingt und werden al» solche ganz neu auftreten die Städte Lyck uud Allenstein, und al» Infanterie-Garnison neu Deutsch-Eylau. Diese Verschiebung vollzieht sich, wie die „Nctt.-Ztg." aus- sührt, durch eine indirectc Kraftabgabe de» drillen Armcc- corp- von 3 Bataillonen und eine direkte de» benachbarten zweiten Corps von 1 Bataillon. Die Ostpreußen vom Regi ment 45. welche vor >3 Jahren geholfen haben, den eisernen Ring um Metz zu legen, dieselben, welche von da an bis heute dort aus der Wacht gestanden haben, werden in halb jähriger Frist von den rchcnbekränztcn Mosclhügeln zurück- kebren in daS heimathlicke Gebiet der ostprcußischen Ebene, um nun dort an den Ostniarkcn deS Reiche» Grenzwacht zu halten. Ihnen zur Seite rückt von der Küste nach Allenstcin das EorpS der Hsork'sckicn Jäger. Für die 45cr wird vo» der Havel auS nach Lothringen eines der jüngsten, heute noch in seiner Bezeichnung landschastSlosen Regimeiiler. Nr. 98, rücken. DaS vom Reickslanv abrückende Fcldrcgimcnt findet als BezirkScommando in Slraßburg die gleiche Nummer vor; eS handelt sich also um einen Fortschritt im reicbsläu- dischen ArmeecorpS. Die anverweiten Truppenverschie bungen sind, obwohl dieselben fick im Gebiet zweier Armee corpS, de- ersten unv zweiten, vollziehen, doch einheitlich zu betrachten, da dieselben eine, wenn auch ganz geringe Ver stärkung der Garnisonen de- obere» preußischen Weichselgebietes bervorbringen. Die Greisswalber Jäger müssen die pommersche Küste mit der Weichsel vertausche», Graudenz wird um l Bataillon verstärkt, welches inbirect der Besatzung von Stettin entnommen wird, unv die 4. Di vision endlich, welche ihren Schwerpunkt im Regierungsbezirk Bromberg liegen hat, zieht eine- ihrer weitab an der Küste im Regierungsbezirk Kö-lin liegenden Cavallerie-Regimentcr dahin, wohin eS schon lange gekörte, in eine engere Verbin dung zu sich. Wenn man bisher vielfach der Meinung war, daß dir bedeutenden Ansammlungen von Cavallerie- Truppen im Königreich Polen, welche in dem Grenz gebiet de- deutschen Reiche- und der österreichisch-ungarischen Monarchie sechs Eavallerie-Divisionen beträgt, eine stärkere Garnisonirung von Eavallcrie auch kiesseil» zur Folge haben müßte, so läßt sich au- der jetzt publicirten Dislokation deut lich erkennen, daß die demonstrativen russischen Garnisoni- rungen im Generalstab zu Berlin nüchterner ausgesaßt und kälter angeschaut werden, ol- die» vielfach in der Presse geschieh!; man erachtet dort offenbar eine Aenderung in der Organisation der Eavallerie der östlichen ArmeecorpS für nicht geboten. Die bevorstehende Di-location hat indessen mil den militärischen Verhältnissen jenseit« der Grenze eine
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