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Schönburger Tageblatt «nd Waldenburger Anzeiger Amtsblatt für den L-tadtrath zu Waldenburg. Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster- scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Freitag, den 4. Angnst 1882. 179. Die noch rückständige Einkommensteuer ist längstens bis zum 5. dieses Monats anher zu bezahlen. Stadtsteuer-Einnahme Waldenburg, am 2. August 1882. "Waldenburg, 3. August 1882. Sociale Politik und sociale Utopien betitelt sich ein jüngst im Berliner Börsencourier erschienener Artikel, besten Spitze sich im ersten Theile gegen den Chorus jener kleinen Gerngroße richtet, welche zur Besprechung der durch den Reichs kanzler auf die Tagesordnung gestellten socialpoliti schen Probleme herandrängen, ohne eine Ahnung von den Schwierigkeiten zu haben, mit welchen ihre Lösung verbunden ist, welche heute mit dem Socia- lismus kokettiren, weil dies zur augenblicklichen Mode gehört, und dabei die bestehende Gesellschaftsordnung erhalten, nur den „liberalen Bourgeois" unterge duckt haben wollen. Im zweiten Theile wird zum Beweise für das Utopische der gegenwärtig betrie benen Socialpolitik darauf hingewiesen, wie der Reichskanzler angesichts der unbedachten Schwierig keiten, welche sich seinem ursprünglichen Gedanken, aller materiellen Noth der Arbeiterbevölkerung durch gesetzliche Maßnahmen abhelfen zu wollen und zu können, sofort entgegenstellten, genöthigt war, sich von der geplanten allgemeinen Alters-, Wiltwen- und Waisen-Versorgung auf die Vorlage eines Un fall- und Kranken-Versicherungs-Gesetzes zurückzu ziehen, und wie auch diese noch in der Luft steht, indem nicht abzusehen ist, wie und von wem die Versicherungsbeiträge bezahlt werden sollen, wenn der Arbeiter verdienstlos oder Oank geworden ist, also keinen Arbeitslohn überhaupt oder nur einen Theil davon a's Unterstützung aus der Krankenkaste empfängt? Was nun dos Erstere anbelangt, daß sich heute eine Menge Federn mit der Erörterung und Kritik social-politischer Fragen beschäftigen, denen jeder Beruf und jedes Verständniß dafür fehlt, so stimmen wir darin dem Börsencourier vollständig bei. Auch macht es jedem Unbefangenen den Eindruck geradezu der Erbärmlichkeit, wie die Zeitungen aller Partei- schatlirungen sich heute, nachdem die Socialpolitik bei uns gewissermaßen hofffähig geworden ist, darin überbieten, ihren Lesern zu versichern, daß sie stets und zuerst sich mit der Fürsorge für die Arbeiterbe völkerung beschäftigt haben, während die Wahrheit doch diese ist, daß bis heute die Nothlage derselben entweder ganz ignorirt, oder im Falle eines bedenk lichen Auftretens Polizei und Bajonette dagegen ausgerufen wurden, denn ein Recht der arbeitenden Volkskiaffen auf Aenderung resp. Besserung der Mißstände, unter denen sie zu leiden haben, wurde von keiner Seite anerkannt, und die wenigen Stim men in der Wüste, die von einem solchen Rechte zu sprechen wagten, wurden bis in die jüngste Zeit von eben dieser heute so arbeiterfreundlichen liberalen sowohl als conservativen Presse entweder verfolgt oder bestenfalls als Utopisten mitleidig ignorirt. Heute ist dies freilich anders. Es ist ungefährlich und sogar lohnend geworden, über Socialpolitik zu sprechen und zu schreiben. Was Wunder, daß nun auch Jeder der Erste dabei sein und seine Weisheit leuchten lasten will, wenn ihm auch das ABC vom Wesen und Zwecke des Staates, aus dem sich das Recht und die Pflicht desselben, in die Ordnung der volkswirthschastlichen Verhältnisse zum Schutze der Schwächeren gegen die Stärkeren cinzugreifen, ab leitet, bis jetzt fremd geblieben war. Was Wunder dann aber auch, daß bei solcher Unklarheit über die Grundprinzipien auf der einen Seite ebensowohl Vorschläge zur Lösung der socialen Frage auflauchen, I dre über das Ziel, welches der sogenannten Staats allmacht nicht bloß als menschlicher Einrichtung, sondern auch durch den Staatszweck selbst gesteckt ist, weit hinausschießen, als auf der anderen Seite dem Staate jedwede Möglichkeit abgesprochen wird, überhaupt oder doch ohne Gefährdung der bestehen den Gesellschaftsordnung für den Schutz der wirth- schaftlich Schwächeren gegen die Uebermacht der wirthschaftlich Stärkeren eingreifen zu können. Wenn aber als Beweis für das Utopische der reichskanzle-lschen Socialpolitik das Zurückweichen derselben von der ursprünglich vermeinten allgemei nen Alters-, Wittwen- und Waisen-Versorgung auf die Unfall- und Krankenversicherung dargestellt wer den will, so scheint uns dabei ebenfalls Etwas von jener Unklarheit obzuwalten, mit welcher die social politischen Probleme von unserer Presse meistens beurtheilt worden. Denn die Thatsache an und für sich, daß der Reichskanzler sich auf das Letztere zurückgezogen hat, ist doch noch kein Beweis des Utopischen einer allgemeinen Jnvaliditäts- und Wittwen- und Waisen-Versorgung des Arbeiterstan des. Der Grund des Zurückgehens kann in der Erkenntniß liegen, daß dem „Bourgeois" nicht zu viel auf einmal zugemuthet werden darf, und daß es besser sei, die nothwendigen socialpolitischen Re formen nach und nach in Ausführung zu bringen. Wenn es sich aber so verhält, dann wäre gerade dieses freiwillige Zurückgehen vom Weiteren auf das enger Begrenzte ein Beweis nur dafür, daß die Reichsregierung keinen Utopien nachjagen will. Es ist die legislatorische Trennung der einzelnen Ar beiter-Versorgungsfälle gewiß ein Fehler, der die Durchführung des Ganzen complicirter, nicht ein facher macht; allein wenn unsere kleine Zeit eben keine großen, radikalen Maßregeln verträgt, so muß der Staatsmann mit diesen realen Verhältnissen rechnen, sich auf das zunächst Erreichbare einschrän ken, und von da aus erst wieder einen Schritt weiter machen. Utopisch verfährt man auf diese Weise aber gewiß nicht. Viel eher dürfte das Utopische bei Jenen zu suchen und zu finden sein, denen Alles unmöglich und undurchführbar vorkommt, was wider ihr gewohntes Alltagsleben und ihre mit der Muttermilch eingesogenen politischen und wirthschaftlichen Anschauungen geht. Unter diesem Gehirndrucke wird freilich auch die Unfall- und Kranken-Versicherung utopisch, weil der verdienstlos oder krank gewordene Arbeiter ja keine Versicherungs prämie bezahlen kann. "Waldenburg, 3. August 1882. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Es ist nunmehr entschieden, daß die Kaiser von Deutschland und Oesterreich sich diesmal in Ischl treffen werden. Unser Kaiser wird Anfangs nächster Woche, wahrscheinlich am Montag, Gastein verlassen und sich zum Besuch des österreichischen Kaiserpaares nach Ischl begeben, wo derselbe 1'/r bis 2 Tage zu bleiben gedenkt. Am Freitag, den 11. August wird Kaiser Wilhelm wieder nach Berlin zurückkehren und etwa 4 Wochen mit der Kaiserin auf seinem Sommerschloffe Babelsberg bei Potsdam residiren. .Der Handelsminister Fürst Bismarck hat laut der „Voss. Ztg." den preußischen Handelskammern ein vertrauliches Circular zugehen lassen, über dessen Inhalt nur aus der nachfolgenden Notiz aus dem Sitzungsprotokoll einer der betheiligten Kammern (Sitzung vom 21. v. M.) etwas zu erra'hen ist: Die Versammlung nahm mit lebhaftem Danke Kenntniß und bestimmte, daß der Inhalt des Circu lars auf vertraulichem Wege zur Kenntniß der Bc- theiligten gebracht werden solle Im Anschluß hieran wurde aus der Versammlung darauf hingewiesen, wie außerordentlich mißlich die Rechts- und Credit- verhältniffe im Verkehr mit Rußland seien; es sei dort schwer, Recht zu finden und immer nur mit solchen Kosten, daß man im besten Falle meist noch Schaden habe, und selbst bedeutende russische Firmen scheuten sich nicht, diese mangelhafte Rechtspflege ihres Landes sich financiell zu Nutzen zu machen. Die Handelskammer beschließt, einzelne Fälle zu constaliren und das so gesammelte Material dem Reichskanzler mit dem Ersuchen um diplomatische Jnterven..on",vortragen. Es wurde vor Kurzem mitgetheilt, daß das sta tistische Amt des deutschen Reichs gegenwärtig mit den Vorbereitungen einer viehstatistischen Aus nahme beschäftigt sei, die am 10. Januar 1883 stattfinden werde. Dieselbe soll jedoch nicht selbst ständig, sondern in Verbindung mit der im Januar 1883 gleichfalls vorzunehmenden Bodenanbaustatistik erfolgen. Zu Anfang des nächsten Jahres sind es zehn Jahre her, seitdem die erste Viehstatistik, und fünf Jahre, seitdem die erste Bodenanbaustatistik ausgenommen wurde. Es liegt nun in der Absicht, künftighin in denselben Zwischenräumen beide stati stische Aufnahmen zu wiederholen, und zwar so, daß mit der je zweiten Aufnahme der Bodenanbaustatistik die Aufnahme der Viehstatistik zu verbinden sein wird. In den Kreisen der rheinischen, hessischen und nassauischen Weinintereffenten werden gegenwärtig Petitionen an den Reichstag wegen Aufhebung des Nahrungsmittelgesetzes vorbereitet. (Soll etwa die Weinverfälschung mit ungeschwächten Kräften wieder losgehen?) Die „Prov.-Corresp." sagt, hinweisend auf die jüngste Rede des Ao g. Hänel, das posi..ve Ziel der Liberalen gehe darauf hinaus, die Leitung der Regierung in die Hand zu bekommen, damit sei der Gegensatz zwischen den Liberalen und ihren Geg nern gegeben, dort Erhöhung der Macht des Par laments und parlamentarische Herrschaft, hier Stär kung und ungeschwächte Erhaltung des Königthums und der Rechte der Krone. Das Gewissen des preußischen Volks warne auf Grund der Erfahrun gen der Geschichte eindi..»glichst vor Verwirklichung der Ideen des Liberalismus und von den Bestre bungen nach Stärkung der parlamentarischen Macht, es spreche ebenso eindringlich für die volle und un eingeschränkte Erhaltung des Wesens des König thums, dem Preußen und Deutschland ihre großen Erfolge verdankten. Dem Reichskanzler ist von mehreren Handels kammern eine dringende Eingabe überreicht worden, in welcher um die Sicherung der deutschen Gut haben in Egypten in der Weise ersucht wird, daß der egyptischen Regierung vorläufig die Ent schädigungsansprüche deutscher Reichsangehöriger notifizirt und die Anerkennung dieser Ansprüche im Prinzip verlangt werde. Wie der „N. Z." aus Paris gemeldet wird, herrscht dort unter den fremden Diplomaten Beun ruhigung; man befürchtet, daß das eigenmächtige Auftreten Englands zum Bruche des europäischen Friedens führen könnte. Jedenfalls werde man nicht dulden, daß England sich in den Besitz Egyp- I tens setze. Ebenso sagt die „Kreuz-Zeilung": Selbst