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Wöchentlich erscheine/, drei Nummern. PränumerationS-PreiS 22j SUbergr. (j Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für daS ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Jägerstraße Nr. 28), so wie von allen König!. Post-Aemtern, angenommen. Literatur dcs Auslandes. 4/ 61 Berlin, Donnerstag den 22. Mai 1848. Asien. Neber die eigentlichen Mongolen. Nach Baple Saint-John. Wenn wir das vorderasiatische, syrisch.arabische und das iranische Hoch land, mit dem davor liegenden Tieflande dcs Euphrat und Tigris, so wie ganz Vorder-Jndien, kurz den südwestlichen Theil Astens mit seiner kaukasischen Bevölkerung ausnehmcn, so sehen wir über den ganzen übrigen Theil des ungeheuren Kontinents, in seiner mittleren, nördlichen und östlichen Aus dehnung, in verschiedenen Völkerstämmen die mongolische Race auSge. breitet, die sich auch noch über die nordöstlichen Inseln und das arktische Amerika erstreckt. Sämmtliche in anderer Hinsicht sonst sehr verschiedene Stämme dieses angegebenen Gebiets, die Bewohner Hintcr-Jndicns, China'S, Japans, Tibets, die Horden der Mandschurei, Mongolei und Tatarei, die zahlreichen Völkerschaften des großen sibirischen Tieflandes und des nördlichsten Amcrika's tragen, was Farbe und Schädclbildnng anbctrifft, den unverkenn- baren mongolischen Typus als äußerliches Kennzeichen an sich. Berück sichtigen wir aber noch das innere Merkmal der Aehnlichkeit, die zweite und für Völkerverwandtschaft entscheidende Bedingung, die Sprache, so zerfallen diese vielen Nationen sogleich in zwei scharf gesonderte Gruppen, die hinter- indisch-chinesischc und die tatarisch-mongolische. Erstere unterscheidet sich durch die streng durchgeführte Einsylbigkeit der Wörter und — so unglaublich dies auch scheinen mag — den totalen Mangel jeglicher Art von grammatischer Flexion scharf von der anderen, deren Sprachen kcincüwegcs einsplbig und flexionslos sind. Zwischen beiden Sprach- und Völkerfamilien bilden indeß die Japanesen und Koreaner das verbindende Mittelglied. Wenn wir den Ausdruck „Mongolisch", wie bisher üblich, zur Bezeich nung der ganzen Race, zum Unterschiede von der kaukasischen, malaiischen u. s. w- gebrauchen, so werden wir die letztere der genannten Völkergrnppen, nach der Bestimmung von Abel-Remusat und Schott, am besten kurzweg die tatarische nennen; denn so und nicht Tartaren ist dieses Wort zu spre chen, da die letztere Form bei den verheerenden Zügen dieser Völker im Mittel- alter durch die Erinnerung an den Tartarus (tartaren prolen nannte man sie) sich irrthümlich eindrängte. Die Ausdrücke Mongolen und Tataren sind von jeher als gleichbedeutend und ohne den Unterschied gebraucht worden, der ursprünglich in ihnen liegt. Mongolen — welches Wort tapfer, muthig bedeutet — hieß nämlich der Hauptstamm der tatarischen Völkerfamilie, der die Basis zu den Eroberungen Dschingischan's und Timur's bildete und so auch seinen Begriff sehr erweiterte; Tataren wurden anfänglich die unterwor fenen und zinsbaren Stämme genannt. Die innige Verwandtschaft aller jetzt so genannten tatarischen Stämme haben Abel-Remusat und Schott genügend nachgewiesen und zählen dazu: >) die tungnsischen Stämme in der Mandschurei und Sibirien, von den Chinesen allgemein Mandschus genannt, zu denen auch der in China herrschende Stamm gehört; 2) die eigentlichen Mongolen in der Mongolei und in Sibirien; 3) die verschiedenen türkischen Stämme von TomSk und Jeniseisk durch Turkestan und die asiatische und europäische Türkei bis Zum adriatischen Meere ; 4) die tschudischen oder ugrischen Stämme, zu denen die Tataren zwischen Wolga und Ural, die Finnen und Lappen und auch — die Magyaren (!) in Ungarn zu zählen sind; 8) endlich die Tübetcr in Tübet. Alle diese Völker, zu denen noch Hunnen, Awaren, Petschencgen, Chowaresmier, Selvschucken und andere gehören, sind in der Geschichte als Eroberer ausgetreten und haben das Andenken der Bestialität hinterlassen. Die Magyaren und besonders die osmanischen Türken zeigen nicht den mon golischen RacentypuS und werden zu den Kaukasiern gerechnet; sprachlich jedoch, sowohl was die Wortstämme als auch die grammatische Struktur an langt, steht ihre Identität mit den übrigen Tataren fest. Die Physische Ab weichung, die übrigens auch nicht so durchgehends herrschen soll, ist daher aus der Jahrhunderte langen Vermischung mit kaukasischen Völkern zu er klären. In den nachfolgenden Schilderungen, die wir nach einem Vortrage Bayle Saint-John's in der Ethnologischen Societät geben, haben wir es nur mit den eigentlichen Mongolen zu thun, dem tatarischen Hauptstamme, der unter den Roßschweifen Dschingischan's und seiner Nachfolger, so wie Timur's, den größten Theil von Asien und den Nordosten Europa'ö unterjochte. Die Gegend, wo dieses Nomadenvolt ursprünglich seine Ghers oder Filzzelte aufgeschlagen hatte, waren die Berge und Wälder an den südöstlichen Ufern des Baikal-SeeS, um die Einmündung der Sclinga herum, welche, aus dem Innern der Mongolei kommend, dem Volke später zur Besitznahme dieses Landes den Weg wies. Eben so wohnten sie auf den Inseln des SeeS. Eine davon, Olkhon, wird heute noch von ihren Nachkommen, den Buräten, be wohnt. Diese besitzen schöne Heerden, bebauen den Boden, den sie mit dem Wasser der wenigen Quellen mühsam bewässern, jagen nach Wölfen, Bären und Eichhörnchen und fangen Fischottern an den Südgestadcn des Sees. Vor der Ausbreitung der Lama-Religion bei den Mongolen hatten die Gewässer des Baikal-SeeS und die genannte gebirgige Insel eine große Bedeutung für die Verehrung dieses Volkes. Olkhon wurde und wird noch heutiges Tages als der Sitz eines furchtbaren und unbekannten göttlichen Wesens angesehen. Der See selbst, meint man, hat das Gefühl seiner eigenen Bedeutung; nicht ungestraft empfängt er die verächtliche Benennung Oscra (stilles Wasser) und hört lieber den Namen Dalai (Meer). Natürlich rächt er jedoch seine verletzte Würde nicht an denen, welche ihn vom Lande aus beleidigen ; aber wehe dem, der ihn versucht, wenn er im Nachen oder Schlitten über seine Oberfläche fährt! Ein Sturm erhebt sich, die Wogen schwellen, die Eisdecke bricht, und eS kostet dem Reisenden oft das Leben. Ein waghalsiger Russe beschloß einst, den Charakter des Wassergeistes auf die Probe zu stellen. Mitten im See leerte er ein Glas Schnaps auf die Gesundheit der Christen Europa'S und rief den See unter dem verächtlichen Namen Osera zum Zeugen an; die Ein- gcborncn der Gegend warteten mit Schrecken jeden Augenblick auf das LoS- sausen des Windes, aber das Wetter blieb ruhig und sie trieben eiligst ihre Schlitten an das Ufer, erstaunt über die Sanstmuth des beleidigten SeeS. In diesen Wohnsitzen und mitten unter solchen Superstitionen wuchs der mongolische Stamm, ohne seine Nachbarn in Kenntnissen und Bildung zu er- reichen, bis auf die Geburt des großen Temudschin oder, wie er nachher ge nannt wurde, Dschingischan (der größte Chan). Dieser war nach Einigen der Sohn eines Schlossers, nach Anderen stammte er von einer alten Familie ab, welche die Bearbeitung des Eisens im Lande einführte; nach den Chinesen von blauen und weißen Ziegen, den Ahnen aller Mongolen; nach Raschid« Eddin und anderen glaubwürdigen Historikern war er ein Nachkomme Bu- dantzar's, Stammhauptcs der Mongolen. Nachdem unter ihm und seinen Söhnen die Mongolen, dem Sturme gleich, nach allen Seiten die angrän- zenden Länder überschwemmt, verheert und unterjocht hatten, sahen sic diese Zeit glänzender Eroberungen bald verschwinden und sich wieder auf ihre Steppen und Hochflächen beschränkt, wo ihnen nichts blieb als ihre Hürden und ihr dürftiger Ackerbau. Sie hatten es nicht verstanden, sich die frucht baren Gegenden, die sie durchzogen, auf die Dauer zu unterwerfen. Die ihnen verwandten Türken vervollkommneten das System, nach welchem ein barbarischer Stamm, wie sie, eine längere Herrschaft über ein civilisirtes, aber erschlafftes Reich behauptet hat. Die Mongolen dagegen wurden bald aus glänzenden Eroberungen vertrieben, oder vermischten sich vielmehr, als ihnen keine Verstärkungen aus ihrer eigenen Nation mehr zukamen, mit den unterworfenen Völkerschaften, ohne auf deren Rcgierungswcise, Sitten und Religion einen merklichen Einfluß auszuüben; die letzte nahmen sie sogar meistens von den Besiegten an. In den letzten Jahrhunderten haben sich Sitten und Charakter der Mon golen wesentlich verändert, eines Theils durch das Zerfallen des Volkes in sehr viele Stämme, deren jeder einen Abkömmling des Chans Temudschin an der Spitze haben will, anderen Theils durch die Annahme der Lama-Religion. Der Kutuktu, Oberpricster der Mongolei, breitete seinen Einfluß allmälig mit dieser Religion aus, und als er sich freiwillig dem himmlischen Reiche unterwarf, zog er dadurch einen großen Theil der Bevölkerung nach sich- So wurden die Mongolen Nntcrthancn eines Reiches, dessen Eroberer sie früher gewesen. Der Stamm der Dsongaren allein Vertheidigte seine Unab hängigkeit. Diejenigen, welche unabhängig blieben, begnügten sich mit ver- Heerenden Einfällen in Sibirien und China und mit Angriffen auf die Kara wanenzüge. Diese Angriffe wurden auf eine ganz eigene Weise ausgeführt ', sie pflegten nämlich das GraS rings um die Lager anzuzünden und so die Reisenden daraus zu vertreiben. Ost waren sie jedoch selbst zu schwach, um ihren Vortheil zu benutzen, und die ihnen zur Beute werden sollten, entkamen mit dem Verluste eines oder zweier Zelte, eines Kamcels oder eines PferdeS; ein andermal verriethen die Brandspurcn in einer Ausdehnung von ein bis zwei Tagereisen die Züge dieser Raubhorden. Seitdem die Herrschaft China's indessen nach und nach befestigt und seine Sitten bis zu einem gewissen Grade von den Mongolen angenommen worden find, zeichnen sich diese jetzt eben so sehr durch ihre Sanftheit und Fügsamkeit aus, als früher durch ihre Wildheit, Grausamkeit und Ungebändigtheit. Ohne