Volltext Seite (XML)
MLUMWifch^ Mittwoch, den L3? September. 1857« Redigirt und verlegt von C. M. Gärtner in Schneeberg und Schwarzenberg. Die Raben. (Fortsetzung.) Gesenkten Hauptes, ihr Gesicht unter der Kapuze ver bergend, horckte Gabriele zu; ihre Herzensangst hatte sie plötzlich verlassen; sie hätte die beiden Alten dafür an ihre Brust drücken mögen, daß sie Herrn von Greoulx von seinem verzweifelten Entschlusse abbrachten. Sie sprach kein Wort, so lang« er anwesend war, kaum hatte er aber da- Hau- verlassen, al« sie sogleich aufstand, zärtlich Veronjka- Hand "griff, sie an ihre Brust drückte und unter mildM Lächeln sagte: „Wie seid Ihr so gut! ich fühle mich nun sehr wohl, und meine gänzliche Wiederherstellung fängt mir an zu lange zu dauern! Ich habe Euch so viel Mühe gemacht, daß ich nie im Stande sein werde, Euch wieder zu vergelten! Wie soll eS mich freuen, wenn ich mich wieder fähig fühle, für Euch zu arbeiten, damit ich Euch doch ein klein wenig nütz lich sein kann!" Herr von Greoulx^wtederholte von dieser Zett an seine Besuche sehr häufig, und da gerade keine große Sterblichkeit in der Stadt herrschte, so fehlte «S den Alten nicht an Zett, sie anzunehmen, so daß er bald regelmäßig jeden Abend zu ihnen kam. Veronika verfehlte dann nie für <sn gutes Fcuer- chen zu sorgen, einen hinkenden Tisch dem Kamin zrt stellen und ihn mit einem Tischtuch« mW Sarsche, statt eine- LkppicheS zu bedecken; Susanne aber/zog au- dem Schranke ein altes Kartenspiel hervor und Gabriele brachte einen gro ßen Lcderbeutel herbei, der mit HtHferpsennigen gefüllt war. Die beiden Alten machten gern.^yMgrtejstzietchen, und Herr von Greoulx geHMn an glücklMMMhenden bei dieser un schuldigen Zerstrenung-.manch«WDMn^aqr ^oliA Dem jun gen Edclmanne ihnen Gesellschaft zir leisten, und Gabriele," mit einer Arbeit in der Hand an der Ecke des Tische- bet der Lampe fitzend, horHk^ seinen Reden und schielte zuweilen nach ihm hin, ohne ihre Blicke von ih rer Arbeit zu verwenden. Bald gewann Herr von Greoulx diesen Abendgesellschaf ten außerordentlich viel Geschmack^äb, eS zog ihn immer mit Gewalt hin, und jedes Mal^kans es ihm zn^frhh, wenn die Glocke auf St. Laurent vlv neunte/Stunde verkündete. Gabriele war aber auch so gar schön,- unh wie erfreute eS sein Herz, wenn sie zuiöeilen'ihre großen Äugen mit einem so milden Ausdrucke bescheiden gegen ihn ausschlug! Ueber- die- zog ihn auch zu den beiden Alten rin Gefühl der Dank- barkett und Zuneigung, da- ihm ihre Gesellschaft werth machte; denn trotz il^en sonderbaren, oft fast gemeinen Ma-, i vieren und ihres keineswegs anziehenden Aeußern, offenbarten^ sie eben so viel AufttchtigkK und wahre HerzenSgüte. Manch mal wollte eS ihm sogar scheinen, als ob aus ihrer Au-- l druckswetse ein höherer Grad von Bildung hervorschimmerte,' 1 als ihn ihr Stand erwarten ließ, und oft hörte er Gedanken ! von ihnen, die mit den niedrigen Gewohnheiten ihre« G«- «erbeS in sonderbarem Widerspruche standen; es mangelte ih nen keineswegs weder an Geist noch au Schlauheit; übrigen« schien «S ihnen nicht im Trau«« einzusaÜtn, daß der schön« junge Mann und da- reizende junge Mädchen, die kaum hte» und da ein Wörtchen mit einander wechselten, die sich nur zuweilen anblickten,' und die blo- Freude am Kartenspiel z« finden schienen, einandrr ernstlich lieben könnten. Die- darf jedoch keineswegs auffallen, denn eS mangelte ihnen in die sem Punkte an aller Erfahrung, weil sie nie geliebt worden waren. , - Herr von Greoulx gab sich dieser friedlichen, von der ganzen Welt unbeachteten Leben-weise hin, ohne sich weder um die Vergangenheit noch um die Zukunft zu kümmern; in seinem Leben hatte er sich nie so glücklich gefühlt, denn zum ersten Male begann sich eine jener Leidenschaften seiner zu bemächtigen, welche jede- Vermögen gänzlich umfangen, und alle freudigen und schmerzlichen Empfindungen in sich ver schmelzen. ES kümmerte ihn wenig, daß ihm sein Großvater aus seinen höchst ehrerbietigen Brief keine Antwort gegeben; er glaubte seine Unabhängigkeit für immer erworben zu ha ben, und bedauerte den Pre« um den «r sie erkauft hatte, nicht im Geringsten. Die beiden Alten waren weit mehr darüber in Sorgen als er, diesen erwiderte er aber: Wenn ich einmal gewiß weiß, daß mich mein Großvater enterbt hat, so weiß ich, wa- ich zu thun habe, ich werde arbeiten, ob gleich ich ein Edelmann lchi, und dabei viel glücklicher sein, als wenn ich Fräulein de la Berriire gehctcathet hätte. Eine- Sonntags kehrten die beiden Alten in Gesellschaft Gabrielen- von der Major, wo sie die Vesper mit angehört hatten, nach Hause zurück; e- «ar ein prachtvoller Abend und die Luft voy den Wohlgerüchen d,r Frühling-Pflanzen vermischt mit d«m salzigen Dufte der Seegewächse geschwän gert, al- die drei Frauen langsam über» den unregelmäßigen Platz htnschritten, der sich zwischen dem Fort St. Jean und der Major hinzieht. Dieser Spa^ergang besteht au- einer Ungeheuern Terrasse, von Wälle» getragen, deren Fuß da- Meer bespült. Bei ruhiger Witterung hört man hier da- dumpfe Gemurmel der Woge», die sich schwach an den Klip pen brechen, und da- freudige Jauchzen der am Seeuser ver sammelten Kinder. Wenn aber die Winde heftig wehen, da« Meer. mit furchtbarem Brausen gegen die hohen Mauern an tobt, dann steigen die schaumbedeckten Wogen, weiß wie der Schnee, gleich Bergen an den von den salzigen Flutheit zer- fressMtn Sie »wänden empor. Bet schöner Witterung steuer» die Schtfferdarken mit ihren weißen Segeln au- dem Hafen, und schiffen ruhig an der schönen Rhede hin, in deren Hin tergründe so viele schöne fichtengekrönte Landhäuser prangen. Dem Hafen von Marseill» gerade gegenüber liegt eine gräu liche, kahle Felsengruppe, und auf dieser ist da- Schloß Jf erbaut» ein alte-Stant-gefängntß, noch fester al- die Basttü«; von der Küste au- erblickt man keine Bastionen und sein« /Thurme, die nur hier und da von einem kleinen Fenster /durchbrochen find; noch weiter hin erhebt sich der Leuchtthurm vön Plqgter au» den Wogen gleich einem Mast«, und läufig entschwindet diese unbestimmte, zwischen Himmel und Wasser schwebende Gestalt unsern' Blicken. „Oh!" sagte Gabriele, sich aus die Brustwehr stütz«»* und diese- prachtvoll« Schausptrl btttachtend, ,wi« Mir I da- ist!" /!