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Dienstag. Rr. 7. 23. Januar 1872. Weißerih-Keitung. Arrüs-MaLt für die HerichLs-Aemter und Stadträtye zu Dippoldiswalde und Krauenstein. Ncrantnwrtticher Redattcur: Carl Ichne in Dippoldiswalde. Ticjes Blair erscheint wöchentlich zwei Mal: Dienstags und Freitags. Zu beziehen durch alle Post-Anstalten und die Agenturen. Preis vierteljährlich 10 Ngr. Inserate, welche bei der bedeutende» Auflage des Blattes eine sehr wirksame Verbreitung finden, werden mit l Ngr. für die Spalten-Zcile berechnet. Tagesgeschichte. Dippoldiswalde, 22. Januar. „Ein gutes Wort findet eine gute Statt," dafür haben wir wieder einen Be weis in unserer neulichen Ansprache an unsere Bäcker. Begabt mit einem Herzen, weich wie seine Semmeln, konnte unser Nachbar Lindner dem beweglichen und überzeugenden Aufrufe nicht widerstehen, und schon prangt nun seit dem 14. an seinem Fenster in der Schuhgasse die kunstreich ge wundene Schau-Brezel, und in den Straßen, in den Restaurationen wandert der mit seiner Firma verzierte Korb, am Halse eines gar stattlichen, gesunden „Jungen" wohlge füllt herum. Nun wird's an uns sein, zu zeigen, was wir im Consumiren leisten können, nachdem uns Meister Lindner gezeigt hat, was er im Produciren leisten kann. — Am gestrigen Sonntage hat auch der neue Wirth in unserem beliebten Sommeraufenthalte Berreuth, Herr Ullrich, sich durch einen sogenannten EinzugSschmauß bei dem Publikum empfohlen. Wir wollen hoffen und wünschen, daß es Herr Ullrich immer .verstehen möge, den mancherlei an ihn zu stellenden Anforderungen zu genügen; an Besuchern wird es ihm dann sicher nicht fehlen, da Berreuth durch seine Nähe bei der Stadt und seine sonstigen Annehmlichkeiten stets der bevorzugteste Spazierort der Dippoldiswaldaer bleiben wird. Mit Vergnügen erinnern wir uns noch der Zeit, wo Berreuth in der That der Sammelpunkt der DippoldiSwaldaer genannt werden konnte. Dresden. Die 2. Kammer hat für Vollendung des Rothschönberger Stöllns ans jedes der Jahre 1872 und 1873 die Summe von 75,000 Thlr. bewilligt. — Die Verminderung der Jahrmärkte betreffend, so beschloß die Kammer, zu beantragen, daß es den einzelnen Gemeinden überlassen bleibe, über die Beibehaltung oder Verminderung der Jahrmärkte Beschluß zu fassen. (In Sachsen werden jetzt jährlich 392 Märkte abgehalten; 141 sind seit 10 Jahren eingezogeu worden.) — Ferner beschloß die 2. Kammer noch eine Revision des Str aß en bau Mandats in Betreff der Expropriationen von Steinen, Sand und Kies für Straßen bauzwecke. — In Deutschland giebt eS jetzt 5057 Advocate», von denen auf Sachsen 761 (Leipzig 157, Dresden 162) kommen. Baiern mit noch einmal so viel Einwohnern als Sachsen, hat 349, Preußen 2277, Berlin 88 Advocaten. — In den Tagen des 2. bis 8. Februar findet in den Sälen des Gewandhauses wie alljährlich die vom Dresdener Geflügelzüchter-Verein veranstaltete Ausstellung von edlem, seltenen Geflügel aller Arten statt, welche mit einer Verloosung des ausgestellten Geflügels schließt. Leipzig. Der in den letzten Tagen hier versammelte Sächsische Gemeindetag sprach sich bei der Berathung des Gesetzentwurfs über Gemeindereformen einstimmig dagegen aus, die Erlangung des Bürgerrechts von einem CensuS ab hängig zu machen. Ferner beschäftigte sich der Gemeindetag mit dem Entwürfe über die Reorganisation der Verwaltungs behörden; er spricht sich gegen das Institut der Friedens richter und für Einführung größerer Bezirkshauptmann« schäften ans. Berlin. Endlich ist nun der Cultusminister entlassen I Der Kaiser genehmigt die Entlassung „unter dankbarer Aner kennung der geleisteten Dienste," von welchen er später „wieder Gebrauch zu machen sich vorbehält." Ueber den Nachfolger ist bis jetzt etwas Bestimmtes noch nicht bekannt. — Hr. v. Mühler verwaltete seit fast 10 Jahren das preuß. Cultusministerium. WaS konnte in dieser Zeit Alles für den geistigen Fortschritt gethan werden — und was ist ge schehen? Aus dem protestantischen Kirchenthum in Preußen entwich bei der überwuchernden Orthodoxie jeder freie Gedanke, jede selbstständige Richtung. Die Universitäten wurden mit Männern der orthodoxen Richtung bevölkert, die Schule wurde zur dienenden Magd der Kirche erniedrigt. Natur wissenschaft, Geographie und Geschichte verkümmerten; die nothwendigsten Realien fanden bei dem Ueberwiegen deS religiösen Stoffes nur stiefmütterliche Behandlung. Die ältere preußische Gesetzgebung hob die Klöster auf und zog ihre Einkünfte ein: — unter Mühler entstand ein Kloster nach dem andern; die Jesuiten zogen in Preußen schaaren- weise ein, fungirteu in Schulen und reisten im Lande als Missionsprediger; die katholische Geistlichkeit zeigte eine Ueber- hebung selbst gegenüber den Gesetzen des Staates, wie man sie in Preußen noch niemals gesehen, v. Mühler ist zur Freude und zum Heile von Millionen von seinem Posten ab gegangen — worden; möge nicht nur ein Personen-, sondern ein wahrer Shstemwechsel eintreten! — Die Einberufung deö Reichstages soll alsbald nach Ostern, gegen Mitte April, beabsichtigt sein. Frankreich. Nachdem schon Gerüchte umliefen von der Abdankung Thiers', gelangte am 20. Januar in der Nationalversammlung zu Versailles eine Botschaft Thiers' zur Verlesung, in welcher derselbe mittheilt, daß er seine Entlassung als Präsident der Republik gebe. Gleichzeitig kündigte derselbe an, daß die Minister ebenfalls ihre Ent lassung eingereicht haben. Die Steuerfrage soll Ursache zu diesen Vorgängen gegeben haben, und eine Masse von Protesten gingen ein gegen die Thiers'sche Steuerpolitik. Man hofft, Thiers zu bewegen, daß er auf seinem Posten bleibe.