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II. Juni 18S« Rr. 134 Mittwoch. Preis für da» Vierteljahr I V, Thlr.; jede einzelne Nummer S Ngr. Zu beziehen durch alle Postämter des In- und Auslandes, sowie durch di« Erpedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). InsertionSgebühr für den Raum einer Zeil« 2 Ngr. Deutsche Allgemeine Zeitung -Wahrheit und Recht, Freiheit und Seseh!» Die Zeitung erscheint mit Ausnahme de« Montags täglich und wird Nachmittag« ä Uhr aus- gegeben. Oesterreichs Zukunft, n. (Schluß aus Nr. 131.) Man wird begierig sein, zu hören, wie der Verfasser der erwähn- ten Schrift den harten Spruch, welchen er über Oesterreich fallt, be gründe. Hier die Hauptsätze dieser Begründung. > „Der österreichische Kaiserstaat", sagt derselbe, „ist kein Culturstaat und wird nie einer wer- den, weil ihm eine gleichartige Nationalität fehlt. Mischstaatcn dieser Art können nur unter zwei Voraussetzungen bestehen und gedeihen: ent weder muß die eine Nationalität durch ihre numerische oder geistige lieber- lcgenheit die andere unter sich bringen, oder sie müssen all« unter dem Schirm föderativer Verbindung friedlich nebeneinander bestehen. Jenes war früher möglich, ist cs aber jetzt nicht mehr; dieses seht politische Freiheit voraus. Bis zur Französischen Revolution lagerten die österreichischen Nationalitäten friedlich zusammen unter einer Regierung, die sogar in ihren militärischen und fiskalischen Einrichtungen jeder provinziellen Eigenthümlichkeit Rechnung trug und nirgends störend in das patriarchalisch feudale Selbstgenügcn ein griff. Aber freilich konnte da auch von einer staatlichen Einheit, geschweige einem culturstaatlichrn Fortschritt kaum noch die Rede sein. Nach dem Wie ner Congrcß war dies anders. Die neuen Zeitideen begannen die schwachen Pulse Deutsch-Oesterreichs und des österreichischen Italien zu beleben. Durch eine uniforme polizeiliche Regelung des geistigen Lebens suchte Metternich die politischen und nationalen Ideen von dem Kaiserstaat fernzuhalten. Eine zeitlang gelang dies; allein allmälig ward die oppositionelle Bewegung ge gen das österreichisch-deutsche Regiment in allen Ländern des Kaiscrstaats immer stärker, die Centralisation und Urberwachung immer schärfer, aber auch immer verhaßter. «Die Ereignisse des Jahres 1848 offenbarten aller Welt, daß der österreichische Unterlhanenstaat in einem nationalen Zcsetzungs- proceß begriffen sei.» Die liberalen Politiker, welche an der Spitze der Be wegung standen, wollten diesen Zerfall aufhalten durch freisinnige Schonung der nationalen Selbständigkeiten und Beschränkung der Centralleitung auf das nothwcndig Gemeinsame und durch kräftige Förderung der materiellen, ökonomischen Interessen. Die Staatsmänner der neuen Restauration da gegen, welche jene ablösten und verdrängten, legten den ersten Theil dieses Programms, als ungeeignet für den Habsburgischen Kaiserstaat, beiseite, warfen sich aber mit um so ungetheilterm Eifer auf die Ausführung des zweiten. «Schlag auf Schlag folgten sich die kühnsten und weitschauend- sten Reformen; das Josephinische Zeitalter scheint wicdcrgekehrt, eine Um wälzung im Zuge, die das Jahrhunderte hindurch versäumte Werk der na tionalen Verschmelzung mit dem Rüstzeug der modernen Cultur im Fluge nachzuholen verspricht.»" „Das blendende Schauspiel dieser reformatorischen Bewegung", fährt der Verfasser fort, „übt auf Viele denselben Zauber wie der aufgeklärte Absolutismus des 17. und 18. Jahrhunderts auf seine Zeit genossen und Geschichtschreiber. Angeekelt wie wir Alle von der Unfähig- keit und Resultatlosigkeit bureaukratischer Staatskunst, verlockt durch die schwungvolle Thätigkeit des gegenwärtigen Finanzministers, durch das kühne Hazardspicl der Lenker Oesterreichs, durch die geographische Mission dieses Staats für die Lultur des Ostens, verlieren sich Biele in die Fata Mor gana eines mitteleuropäischen Handelsreichs unter schwarzgclbem Zeichen. Wer jedoch sich heute, um die Mitte des 19. Jahrhunderts, den Täuschun- gen dieser aufgeklärten Absolutie gefangeugibt, der entgeht nicht dem Vor- Wurf, daß er der glänzendsten Errungenschaft der politischen Aufklärung dieser Zeit, dem politisch-ökonomischen Wissen, fremd ist." Der Verfasser läßt volle Gerechtigkeit alledem widerfahren, was die österreichische Gesetzgebung in der neuesten Zeit auf dem Felde der ökono mischen Interessen gcthan oder vielmehr zu thun versucht hat. Denn er bezweifelt freilich die Möglichkeit, die von oben ausgeschriebenen Reformen mittels eines BeamtenthumS wie das österreichische wirksam und gedeihlich durchzuführen, und er bezweifelt ferner die Möglichkeit, dieses Beamtenthum selbst gründlich zu reformiren. Er vermißt dafür die zwei unentbehrlichsten Bedingungen: eine aufgeklärte wissenschaftliche Vorbildung des Beamten und eine wirksame öffentliche Meinung. Das Erstere sei in Oesterreich nicht zu erwarten, weil „die Aufklärung, selbst in den unverfänglichsten Dingen — auf dem Felde der ökonomischen Interessen — die blinde Gläubigkeit auch auf dem kirchlichen und zuletzt selbst auf dem politischen Gebiet unfehlbar zersetzen würde." Jenes könne die Kirche, dieses das eigene politische System der österreichischen StaatSlenlker nicht zugeben. Eine wirksame Controle der öffentlichen Meinung über die Beamten sei aber darum in Oesterreich nicht möglich, weil das österreichische Beamtenthum zugleich sür Ve Negierung das unentbehrliche Werkzeug sei, um die politischen und nationalen Anti- pathien ihrer Unterthanen niederzuhalten, daher von ihr geschont und selbst gegen begründete Anklagen der Letzter« geschützt werden müsse. Ebenso, be hauptet der Verfasser, seien alle jene reformatorischen Maßregeln auf dem ökonomischen Gebiete für die Unterthanen, deren Productiv- und Steuer- kraft dadurch gehoben werden solle, nur bedingungsweise nützlich und frucht bar, nämlich unter Voraussetzung einer gewissen Bildung und einer ge wissen Freiheit — Bedingungen, die aber, nach seiner Meinung, so voll ständig wie sie eS möchten, dort nicht gewährt werden können — ebenfalls ihrer politischen und kirchlichen Consequenzen halber. „Seine historisch be- stimmten Lebensbedingungen sind es, die dem Kaiserstaat eine geistige Ent mündigung seiner Unterthanen versagen." „Der Rechtsstaat und dicVolkS- wirthschaft müssen sich überall dem Militärstaat und der Militärwirthschast beugen. Um die bureaukratische Handhabe der absoluten Gewalt bei Laune zu erhalten, muß die Negierung für alle die kleinen Tyranneien einstehen, welche die Selbstachtung, die Rechtlichkeit, die Strebsamkeit im Volke löd» ten; um ihrem Werke die Sanktion und den Beistand der Kirche zu sichern, muß sie allen Volksunterricht, alle Aufklärung in den Bann thun; um endlich jedes Aufstrebcn zu politischer Selbstregierung zu unterdrücken, wird sie über kurz oder lang sogar die kaum eröffnete Schule aller bürgerlichen und politischen Selbständigkeit, die freie Volkswirthschaft, aufs neue be schränken müssen." So wird denn also, meint der Verfasser, der rüstige Anlauf der öster reichischen Staatslenker zu einer volkswirthschaftlichen und, was die Haupt sache ist und bleibt, finanziellen Regeneration des KaiserstaatS nur einen vorübergehenden, vielleicht glänzenden und schwindelhaften, aber nicht dauern den und nachhaltigen Aufschwung der dortigen Volkswirthschaft hcrbeifüh- ren. Dazu kommt, daß der innere Zwiespalt der Nationalitäten, nach des Verfassers Ansicht, trotz aller Anstrengungen des herrschenden Systems, „welches das große Capital und die behaglichen Halbpachter der lombardi schen Provinzen durch das ökonomische Interesse gegen die revolutionäre Ge sinnung des Adels und der kleinen Industrie zu befestigen strebt, welches in aller Weise dem slawischen Selbstgefühl schmeichelt und dafür um so rücksichtloser das trotzige Magyarenthum unter die Füße tritt, welches gegen die polnischen Herren sich der polnischen Knechte bedient" — dennoch keines- Wegs überwunden oder unschädlich gemacht. Im Gegentheil glaubt der Verfasser, daß ein Anstoß wie im Jahre 1848 abermals die Erhebung aller dieser Nationalitäten zur Folge haben würde und daß die Aussicht auf eine Wiederunterdrückung derselben gegenwärtig geringer sei als damals. „Denn", sagt er, „unter dem Schirm der unerschütterlichen königlichen Lo- yalität hat sich in Sardinien das englisch, konstitutionelle Wesen dergestalt befestigt und so reiche Früchte der Gesittung, des Wohlstandes und der Staatskraft getragen, daß sich selbst der zähe Municipalgeist und der ver bissene Radicalismus Italiens mehr und mehr mit der Idee des unaus bleiblichen sardinischen Protektorats befreundet. Die öffentliche Meinung Englands wird neuerdings sehr zum Nachdenken über die eigene Revolu- tionsgeschichte veranlaßt, sodaß eS jedenfalls zweifelhaft bleibt, inwieweit sich die englische Politik bei einer künftigen Jnfurrection der Nationalitäten be- theiligen wird. Daß aber Rußland durch eine abermalige Hülfelcistung die Intervention Englands herauSfodere, ist doch nur denkbar, wenn Oester reich für seine rivalksirenden Großmachtsgelüste aufrichtige Buße thut, in seine alte Trabantenrolle zurücktritt. Frankreich endlich, dessen gegenwärti- ger Herrscher den Geist der Revolution unter sieben Siegeln geschlossen hält, wird, wenn dieser mächtige Zauber einst gebrochen ist, die kaum cingcrich- teten continentalcn Verhältnisse um so ungestümer in allen ihren Fugen erschüttern." Dies ist daS, wie man sieht, nicht geschmeichelte Bild, welches die gc- dachte Schrift von der Zukunft Oesterreichs entwickelt. Gewiß läßt sich gegen dessen „Prophezeiungen" Manches cinwenden und wird eingewcndet werden — aber leugnen kann man nicht, daß der Verfasser seinen Gegen stand scharf inS Auge gefaßt hat und daß seine Ansicht jedenfalls die volle Aufmerksamkeit und eine gründliche Prüfung von Seiten Derer in Anspruch nehmen dürfte, denen Oesterreichs Zukunft und die mehr oder weniger doch mit ihr verbundene Deutschlands am Herzen liegt. Deutschland. Preußen. ^Berlin, 10. Juni. Wenn man sagt, Oesterreich habe cs auf die Erlangung einer BundeSgarantic für seine italienischen Provinzen abgesehen, dann hebt man auf der andern Seite einen wahren Lärm an, spricht von Erfindungen ic.; während daS aber geschieht, schreibt man auf eben dieser andern Seite wieder lange Auseinandersetzungen über tie Nothwcndigkeit einer solchen Bundesgarantie, nicht nur für Oesterreich, sondern auch für Deutschland selbst. Es ist dies namentlich in den letzter» Tagen der Fall gewesen in größern Blättern, die wir für den Kundigen nicht näher zu bezeichnen brauchen. Eö ist nicht unsere Absicht, auf das