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» 1878 30. Jahrgang. -- - ' Mittwoch, den 2. Oktober. Inserate werden bis Vormittag-11 Uhr angenom- men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile oder deren Raum 15 Pfennige. und Tageblatt, o Amtsblatt für die königlichen nnd städtischen Behörden zn Freiberg nnd Brand. Verantwortlicher Redakteur Julius Braun io Freiberg. 'N/» Erscheintjeden Wochentag Abends S Uhr für den -/»V I andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2b Pf., " -w v» zweimonatlich 1 M. dv Pf. n.nmnonatl. 75 Pf. Lertin und -er Vatikan. Die früheren Antwortschreiben des deutschen Kron prinzen auf die Beileidsbriefe des Papstes, das jüngste Promemoria Leo XIII. an seinen neuen Staatssekretär Nina — das sind die beiden authentischen Beweise, wie gegenseitig der Wunsch nach Abbruch des sogenannten Kul turkampfes ist. Entschieden war es der neue Papst, der diesen Wunsch nach Versöhnung zuerst aussprach; in Berlin hat man darauf höflich, entgegenkommend und zuletzt unter handelnd geantwortet. Wie viel man unterhandelt hat, ob es zu einer Verständigung über die Hauptpunkte ge kommen ist, entzieht sich noch der öffentlichen Kenntniß. Fürst BiSmarck sagte: Sie können uns nichts bieten! Der Papst sagt jetzt, er hoffe das Beste und läßt die von Rom ungewohnt gewordene Musik der Schmeichelei nach Deutsch land und an seinem Kaiserhof vernehmen. So mag denn der Papst guter Dinge sein über den „Frieden" mit Berlin, während im preußischen Kabinet offenbar Verlegenheit dar über herrscht, wie man politische und kirchliche Interessen in dieser Angelegenheit wieder in Uebereinstimmung bringen könne. Man darf politisch nicht nachgeben; doch man möchte gern den kirchlichen Frieden, da der neue Kulturkampf gegen die Sozialdemokratie es nahe legt, mit dem alten gegen die Ultramontanen fertig zu sein. Merkwürdiger Weise vollzieht sich mit dieser Schwenkung bei uns eine ähnliche und bereits entschiedenere in der Schweiz. Man wird sich erinnern, daß in diesem Lande der Zwiespalt zwischen der katholischen Kirche und der Staatsgewalt zu derselben Zeit und aus ähnlichen Veran lassungen wie in Preußen ausbrach, so daß man sagte, der schweizerische Kulturkampf sei ein Abklatsch des preußischen. Er hört denn auch in demselben Augenblicke auf, da bei uns die Signale auf beiden Seiten „Hahn in Ruh" blasen. Natürlich ist es von Interesse, zu sehen, wie man in der Schweiz seinen Frieden macht, weil bei uns am Ende die Geschichte nicht viel anders verlaufen kann. Der große Rath in Bern hat nämlich beschloßen, daß die gemaßregelten Geistlichen wieder in ihre Pfarreien zurückkommen können, wenn sie sich den inzwischen angewandten Kirchengesetzen unterwerfen. Stillschweigend zunächst, da man ihnen eine ausdrückliche Zurücknahme ihrer früheren Proteste dagegen erlassen will. Was wird nun die Folge davon sein? Die Geistlichen, die Mermillod's, kehren zurück und stellen sich unter das Kirchengesetz. Früher, oder vielmehr noch bis jetzt bedrohte der Papst diese Unterwerfung seiner Priester unter die Staatsgewalt mit Exkommunikation. Indessen ist Leo XIII. nicht der Mann, der ein Prinzip zu Tode reitet, wenn dabei nichts herauskommt. Er wird die be stehende Drohung der Exkommunikation nicht aufheben, aber er wird auch keinen Priester, der seine Pfarre mittelst eines äußerlichen Gehorsams gegen die Staatsvorschriften zurück- erlangt, exkommuniziren. Er wird in allen solchen Fällen durch die Finger sehen und klug den Streit vermeiden, an statt ihn in seinen Prinzipien auszutragen. Anders, wie gesagt, wird es auch in Deutschland nicht kommen, da Preußen nicht nach Canossa geht und der Papst nicht auf seine kirchlichen Rechte Verzicht leistet. Man schafft einen moäus vivsnäi und vermeidet zunächst alle Konflikte. Inzwischen kommen unsere abgesetzten Bischöfe und Kapläne zurück; der ganze Apparat, der ihnen früher zu Gebote stand, spielt langsam und vorsichtig weiter ; in den Augen ihrer Gemeindemttglieder haben sie den Glorienschein von Märtyrern und damit mehr Einfluß ' - Ansehen noch als früher. Sie beten aus Klugheit ,ur Kaiser und Reich, erziehen ihre Katholiken zu „treuesten -d hochherzigsten Unterthanen", aber vor Allem zu Unter- i Hanen des Papstes. Da sind wir ganz auf dem alten Standpunkt, ja, man kann sich nicht verhehlen, daß der Katholizismus gekräftigter auS dieser Krisis hervorgeht, allerdings auch die Staats gewalt. Diese beiden Rivalen behaupten ihr Feld und sehen bis auf Weiteres ein, daß einer dem anderen das setnige nicht streitig machen kann. In Frankreich, in Belgien, in Italien, wie verschieden auch in diesen katholischen Staaten die Kirche sich der Staatsmacht gegen über befindet, hat jene eine Oberherrschaft über die Mafien, welche diese gar nicht zu brechen oder zu lähmen vermag. Es wird in dem katholischen Deutschland, in der katholischen Schweiz nicht anders sein und der Kulturkampf wird, da er nicht mit den bisherigen Gesetzen durchzuführen war, o gut wie Nichts genützt haben, was Fanatismus und Aberglauben im Volke betrifft. Diese Ueberzeugung hat den Kulturkampf auch immer als etwas Unerquickliches er scheinen lafien. Auch ist noch die Frage, was aus dem Altkatholizismus werden wird, wenn der Ausgleich Platz gegriffen hat. Diese Bewegung war wegen ihrer Halbheit nur krankhaft und es wird der wieder thätig werdenden Agitation der römisch- katholischen Priester nicht schwer werden, mit der altkatho- ltschen Sache aufzuräumen. Ein Theil dürfte ihr wieder zufallen, ein anderer den ganzen Schritt zum Protestantis mus machen, ein Rest als Sekte Wetter existiren. So würde auch dieser Wirkung des Kulturkampfes ein klang loses Verhallen beschieden sein. Und Minister Falk? Er war berufen worden, den Kulturkampf durchzuführen; mit diesem war er identifizirt worden und man kann auch sagen, daß er nur deswegen eine so hohe Bedeutung in der preußischen Regierung ein einnahm. Er kann unmöglich auf seinem Posten bleiben, wenn kein Kulturkampf mehr sein soll; auch dann wohl nicht, wenn er selber mit dem Friedensschluß einverstanden wäre. Die Kirche, wenn sie erst wieder Fünf gerade sein laßen mag, setzt doch alsdann bei Herrn Falk die Höflich keit veraus, sich zu empfehlen. Damit stürzte such die allerletzte Säule des Liberalismus im Tempel der bismarcki- schen Grafen-Regierung. Auch Falk hätte dann seine Schuldigkeit gethan! Tagesschau. Freiberg, 1. Oktober. Im deutschen Reiche geht es sehr ruhig her. Wir haben heute nur zu verzeichnen, daß gestern der Geburtstag der Kaiserin an vielen Orten, namentlich des Rheinlandes, festlich begangen wurde. —Ueber das neue Sozialistengesetz wird der „Post" folgendes beherzigenswerthes Wort geschrieben: Das Ausnahmegesetz gewinnt durch die Form, in welcher dasselbe im Reichstage angegriffen oder vertheidigl wird, den Schein, als ob die Regierung nicht nur die Leiter, sondern auch die nach Hunderttausenden zählenden Ver leiteten derselben Verfolgung auszusetzen sich bereitet. Diese Form ist sehr gefährlich, weil ein Jeder, welcher sich der Verfolgung ausgesetzt glaubt, auch auf Mittel der ver zweifelten Gegenwehr sinnen wird. — Man wird zugeben, daß ein Gesetz, welches von einer so großen Wichtigkeit ist, so klar wie möglich dargestellt werden soll, damit es Diejenigen, gegen welche es nicht gerichtet ist, nicht in eine unnütze und gefährliche Unruhe versetzt. Hätte man sich die Mühe ge geben, dem gewöhnlichen Volke die Matgesetze zu erklären, hätte man der Volksmaffe die wirkliche Bedeutung der Zivilehe rc. und den Zweck, welchen die Regierung dadurch erreichen wollte, klar auseinander gesetzt, so wäre dadurch von vornherein dem UitramontanismuS der giftige Stachel entzogen, der Kulturkampf hätte im Volke nicht einen so weit verbreiteten hartnäckigen und verheerenden Charakter einnehmen und auf die Massen so deprimirend wirken können. Aber unsere Gesetzgebung gefällt sich sehr oft in Verwickelungen und Unklarheiten, giebt sich nicht die Mühe, den Charakter und die Begriffe der Volksmaße praktisch zu beurtheilen, sie trachtet nicht, der bei der jetzigen Strömung des Zeitgeistes so sehr gefährlich gewordenen, dem Deutschen angeborenen Neigung zur Grübelei durch einfache und klare Darlegung de» Sachverhalte», dett in seinem Gemüthe üppig wuchernden Stoff zu entziehen, und wundert sich, wenn sie mißverstanden wird, und wenn au» diesen Mißverständnissen die gefährlichsten Komplikationen entstehen. In den Ausnahmegesetzen gegen die Sozialisten muh streng jede Unklarheit vermieden werden, weil dieselbe hier die größten Gefahren Hervorrufen kann. Da» Gesetz muß nicht aufregend, sondern beruhigend auf die Masse wirken. Die Masse muß die Ueberzeugung gewinnen, daß sie nicht in einen Topf mit ihren Verführern geworfen wird. Im Reichstage müssen alle diejenigen, welche für das Gesetz plaidiren, klar und bündig auseinandersetzen, daß das Gesetz nicht dazu geschaffen ist, um ohne Aus nahme jeden, der sich nur Sozialist nennt, zu verfolgen; daß es im Gegentheil nur dazu dienen soll, um die ver blendete Masse von ihren Verführern zu befreien; daß da» Gesetz nur gegen die wenigen Agitatoren, welche sich au» ihren Agitationen ein Geschäft machen, und gegen die jenigen, welche ungeachtet der gesetzlichen Mahnung, sich von denselben zu Ausschreitungen verleiten lassen, mit aller Strenge gehandhabt wird. — Diese klare Auseinander setzung wird den Agitatoren die Möglichkeit benehmen, in den Vereinen und Versammlungen ein Wehegeschrei zu er heben und das Gesetz als eine BerfolgungSmaßregel gegen die sämmtlichen Sozialisten zu kennzeichnen. Jeder Sozialist wird dann die Lüge dieser Agitation nach Gebühr zu wür digen wissen und wird einsehen, daß das Gesetz nur gegen den Schreier, aber nicht gegen ihn, den ruhigen Zuhörer, gerichtet ist. Alle gut gesinnten Zeitungen müssen nie aufhören, dem Volke den wahren Zweck dieses Gesetzes auseinander zu setzen, wodurch sie zur Ruhe des Volkes und des Landes das Meiste beitragen werden. — Die nächste Plenarsitzung des Reichstags ist auf den 7. Oktober anberaumt. Auf der Tagesordnung stehen Wahlprüfungen nach mündlichen Berichten der Kommission und nach schriftlichem Bericht über die Wahl des Grafen Grote (Harburg). Die zweite Lesung des Sozialistengesetzes im Reichstag soll am 8. Oktober beginnen. Herr v. Stauffen berg ist wegen des Todes seines Bruders, des Oberstlieute nants und Adjutanten des Königs von Baiern, nach München gereist. — Gegenüber der Meldung verschiedener Blätter, es liege in der Absicht, der folgenden Reichstags session eine Novelle zum Strafgesetzbuch vorzulegen, kann die „Nordd. Allg. Ztg." konstatiren, daß eine solche Absicht nicht besteht. Ein sehr ungünstiges Bild von der wirthschaftlichen Lage von Württemberg entwirft eine amtliche Publikation, welche dieser Tage erschienen ist, nämlich die von der königlichen Zentralstelle für Handel und Gewerbe veranstaltete Zusammenstellung der Jahres berichte der württembergischen Handels- und Gewerbe kammern für 1877. In dem allgemeinen Resumö heißt es, daß auch das Jahr 1877 nur eine Fortsetzung des wtrth- schaftlichen Siechthums gebracht habe, unter welchem alle Zweige des Erwerbslebens ohne Unterschied zu leiden hatten. Einzig die Bodenproduktion zeigt günstigere Ergebnisse als im vorausgegangenen Jahre. In allen andern Geschäfts zweigen setzten sich die mißlichen Verhältnisse der Vorjahre fort, manche haben noch mehr Noth gelitten, als schon seither der Fall war. Trotz Verbesserung der Fabrikate und Ausdehnung der Geschäftsreisen konnte fast überall eine Abnahme des Umsatzes nicht verhindert werden. Be sonders hatten die Metall verarbeitenden Gewerbe unter dem Mangel an Aufträgen zu leiden (neuestens heißt eS, daß auch die große Maschinenfabrik in Eßlingen den größten Theil ihrer Arbeiter werde entlassen müssen). Ebenso leidend ist die Baumwoll-Industrie, die Woll-Industrie und die Leinen-Industrie; der Absatz nach anderen Ländern, wird geklagt, werde immer schwieriger und der Ueberproduktion Frankreichs, Englands und Belgiens sei es nur zu leicht gemacht, uns mit ihren Waaren zu über schwemmen. Gleich ungünstig sind die Verhältnisse der Leder-Industrie, deren Hoffnung auf einen großen Absatz für die Kriegsbedürfnisse sich nicht verwirklicht hat. Die übrigen Industriezweige hatten weniger, doch immer noch empfindlich unter der Stockung von Handel und Verkehr zu leiden. Unter diesen Verhältnissen ist es nicht anders möglich, als daß wir mannigfach einer Verminderung der Arbeitskräfte, einer Reduktion der Arbeitszeit, bisweilen auch einer Lohnherabsetzung begegnen, welche nicht nur die Konsumtionsfähigkeit schwächten, sondern auch den sittlichen