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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 29.07.1912
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-07-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120729010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912072901
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912072901
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-07
- Tag 1912-07-29
-
Monat
1912-07
-
Jahr
1912
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Bezug--Preis jI» Leip-ia und Vororte durch »nler, Tröger und Eoedtteur« 2mal täglich tu» vau» gebracht: SU Ps. monatl., 2.7» «tt. vterieUährl. Lei unlern Filialen u. An- natzmeslellen abaeholt: 7d Pt. monatl, rL Äk. viertrljahrl. Lurch die Poft: innerhalb Deutschland» und der deutschen Kolonien vierteljährl. 3.VU Ml., monatl. 1.20 DI«, ausschi. Postbestellaeld. Ferner in Lelgien, Dänemark, den Donaustoaten, Italien, Lurembura, Niederlande, Nor wegen, Oesterreich - Ungarn, Rußland, Schweden und Schwei». In allen übrigen Staaten nur direkt durch die Eeschällo- stell« de» Platte» erhältlich. Da» L«tp»tg«r Tageblatt erscheint 2mal täglich, Sonn» u. Feiertag» nur morgen». Tdonn«ment»-Annahme: 2»h«nni»gass« 8, bei unseren Trägern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briefträgern. Stn»«lv»rkauf»pr«t, 1l> Pf. Morgen-Ausgabe. MpMer TagMaü - . - (Nacht«»,chlu» i «llgemeine Deutsch» Tredit. Han-elszettung. »WMÄL Dep.-Kass« Grimm. Steinweg L W.7«L' Amtsblatt des Rates und des Rolizeiamtes der Ztadt Leipzig. W/^n.' Anzeigen Prci- ftlr Inserat» au, Leipzia und Umgebung di« lspaitige Petitzeil« ^Pf, die Reklame zeil« l Ml von auswärt» Ai Ps., Reklamen llv Ml. Inserate von Behörden im amt lichen Teil die Petit,«il« SU Ps. G«,chäst»anjeigen mrr Platzvorschriften im Preis, erhöht. Rabatt nach Taris. Bc üagegebiihr Gesamt auslag» ü Mk. p Tausend erkl. Postgebühr. Teilbeilag« höher. Fefterteilt« Äuiträae können nicht »urück- artogen weiden Für da» lkrscheinen an bestimmten Tagen und Plätzen wird kein« Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme: Iobannisgast« 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Ejpeditionen des In- und Auslandes. Druck und Verlag »on Fischer L Kllrft», Inhaber: Paul Kürften. Redaktion und Geschiist.stelle: Johannisgasse 8. Haupt-Filiale Dresden: Eeestra«« 4. 1 tTelephon -I62li. M. 382. Die vorliegende Ausgabe umfaßt 10 Seilen. Dss Wichtigste. * Das Podbielski-Rennen in Grüne wald gewann am Sonntag der Graditzer Sem mering unter F. Bullock. — Im Preis vom Helenenthal in Kottingbrunn siegte Ba ron A. HarkanyiS Enoch mit Jane! im Sattel, und im Prix Eugöne Adam zu MaisonS- Laffitt« wurde A. Belmonts Amoureux III (von CH. Childs gesteuert) Erster. (S. Sport.) * Der Befehlshaber der in Marokko be findlichen französischen Marinesoldaten Marli ave ist schwer erkrankt. (S. Letzte Dep. S. 3.) * In Rom geht das Gerücht, daß gegen wärtig Friedensverhandlungen gepflogen iverden. (S. Letzte Dep. S. 3.) * In einer in London abgehaltenen, von 30 000 Dockarbeitern besuchten Versammlung wurde beschlossen, die Arbeit am Montag nicht wieder aufzunehmen. (S. Letzte Dep. S. 3.) Soziale Bestimmungen im künftigen Strskgeletzlmch. Schon die sogenannte kleine Strafgesetznooelle hat bekanntlich eine Reihe von Verbesserung gebracht und die allerschwersten Mißstände unseres Strafgesetzbuches beseitigt. In größerem Umfange trifft dies für den Vorentwurf zu dem neuen Strafgesetzbuch zu, der zahl reiche neue Vorschläge in der Richtung der Humani sierung des Strafrechts bringt, über welche di« „Soz. Praxis" in interessanter Zusammenstellung berichtet: Mit dvm Vorschlag der gesetzlichen Einführung der bedingten Verurteilung trägt der Entwurf einem allgemeinen Verlangen Rechnung. Auch im Reichs tag ist alljährlich und von den Abgeordneten der ver« schiedenen Parteien die bedingte Verurteilung ge fordert worden, die übrigens in den meisten Staaten, z. B. England, Frankreich, Italien, Belgien, Nor wegen, schon besteht. Das Wesen der bedingten Ver urteilung besteht darin, daß das Gericht im Urteil anordnen kann, daß die Vollstreckung der Strafe wäh. rend einer zu bestimmenden Frist ausgesetzt wird, um dem Verurteilten Gelegenheit zu geben, sich durch gute Führung den Erlaß der Strafe zu verdienen. Für die Zweckmäßigkeit der bedingten Verurteilung wird insbesondere geltend gemacht, daß kurze Frei heitsstrafen für Erstbestrafte und unter diesen beson ders für Jugendliche nicht nur ihren Zweck nicht er reichen, sondern geradezu gefährlich sind, weil der Be. strafte dem schlechten Einfluß seiner Mitgefangenen unterliege. Der Entwurf bestimmt daher, daß das Gericht bei Personen, die bisher wegen Zerbrechen oder Vergehen zu einer Freiheitsstrafe noch nicht ver Mvnwg, ürn LS. Juli ISIS. 106. Jahrgang. urteilt waren und di« Freiheitsstrafe 6 Monate nicht übersteigt, im Urteil die Aussetzung der Vollstreckung der Strafe während einer zu bestimmenden Frist an ordnen kann, um dem Verurteilten Gelegenheit zu geben, sich durch gute Führung den Erlaß der Strafe zu verdienen. Die Strafaussetzung ist nur zulässig, wenn der Täter nach den Umständen der Tat und nach seinem Vorleben einer besonderen Berücksichti gung würdig erscheint und zu der Erwartung berech tigt, daß er auch ohne den Vollzug der Strafe sich in Zukunft wohlverhalten werde. Bei der Entscheidung ist auch auf die Beweggründe zur Tat, sowie auf das Verhalten Les Verurteilten nach der Tat zu achten, insbesondere darauf, ob er sich nach Kräften bemüht hat, den angerichteten Schaden wieder gutzumachen. Die Strafrechtskommission hat diese Vorschläge des Entwurfs unverändert übernommen und weiter be stimmt. daß in jedem Falle eine Entscheidung des Gerichts, das di« Aussetzung der Strafvollstreckung bewilligt hat, erforderlich ist, um festzustellen, ob der Verurteilte sich den Erlaß der Strafe durch gute Füh. rung verdient hat, oder ob die Strafe wegen schiech- ter Führung zu vollstrecken ist. Dasselbe Gericht kann auch schon im Laufe der Probezeit die Vollstreckung anordnen, wenn es von der schlechten Führung des Verurteilten Kenntnis erhält. Auch der Vorschlag des Entwurfs, bei der Zah lung von Geldstrafen Erleichterungen zu gewähren, entspricht einem dringenden Bedürfnis. Das Gericht kann, so bestimmt der Entwurf, im Urteil zur Zah- lu:rg der Geldstrafe eine Frist dis zu 3 Monaten be willigen und auch di« Abtragung derselben durch be stimmte, innerhalb eines Jahres zu leistende Teil zahlungen gestatten. Ferner kann dem Verurteilten die Tilgung der Goldstrafe durch freie Arbeit gestattet werden. Einen weiteren Schritt in der Richtung einer so zialen Gesetzgebung bedeutet die Einführung der sog. Rehabilitation. Diesem im deutschen Recht bisher un bekannten Rechtsinstitut liegt der Gedanke zugrunde, daß die Verurteilung den Täter nicht für das ganze Leben belasten soll, wenn er die Strafe verbüßt, den Schaden tunlichst ausgeglichen hat und sein späterer Lebenswandel einwandfrei ist. Dies kann auf zwei fache Weis« erreicht werden, einmal durch Aufhebung der noch bestehenden Folgen der Bestrafung, also durch Wiedereinsetzung in die bürgerlichen Ehren rechte auf Grund bemnesener Bess«rung, sodann durch Löschung der Strafe in den Strafregistern. Die Wiedereinsetzung in die Ehrenrechte fördert, wie die Begründung zum Entwurf ausführt, das Fort kommen besserer Elemente unter den Bestraften, die das ernstliche Bestreben haben, wieder nützliche Glie der der Gesellschaft zu werden, darin aber durch die Wirkungen des Ehrverlustes gehindert werden. Die Möglichkeit der Wiedererlangung jener Rechte wirkt aufmunternd auf den schwer Gefallenen, an dom die Strafe ihre Wirkung getan hat, und der gute Vorsätze verwirklichen will. Der Entwurf bestimmt daher, daß das Gericht den zum Verlust der bürgerlichen Ehren rechte oder zum Verlust einzelner Rechte Verurteilten in diejenigen Rechte wiedereinsctzen kann, die er in folge dec Verurteilung verloren hat, wenn er sich seither ehrenhaft geführt und einer besonderen Be rücksichtigung würdig gezeigt, auch sich nach Kräften bemüht hat, den durch die strafbare Handlung ver ursachten Schaden- wieder gutzumachen. Das Gericht entscheidet nach freier Überzeugung und ist nicht an Beweisregeln, amtliche Atteste usw. gebunden, wohl aber hat es gewisse Fristen einzuhalten, z. B. bei Ge fängnisstrafen ist die Rehabilitation frühestens zwei Jahre nach Verbüßung der Strafe zulässig. Die Löschung in dem Strafregister und den sonstigen amt lichen Verzeichnissen kann das Gericht nach einem für die verschiedenen Freiheitsstrafen näher be stimmten Zoitraum anordnen, wenn nach Ver büßung, Erlaß oder Verjährung - der verhängten Strafe ein längerer Zeitraum verstrichen ist, währenddessen sich der Verurteilte gut geführt hat. Zuchthausstrafen sind von dieser Bestimmung ausge schlossen. Auch dies« Vorschläge hat die Strafrechts kommission unverändert übernommen und die Be- stimmungen über Löschung im Strafregister noch da hin ergänzt, daß bei Ausstellung von Führungs- oder Leumundszeugnissen die gelöschten Strafen nicht er wähnt werden dürfen. Usber gelöschte Vermerke (sowohl in dem Strafregister wie in den sonstigen amtlichen Verzeichnissen) darf nur «den Gerichten, den Behörden der Staatsanwaltschaft, sowie auf aus drückliches Ersuchen den höheren Verwaltungsbe hörden Auskunft erteilt werden. An andere Be hörden oder an Privatpersonen dürfen solche Strafen überhaupt nicht nritgeteilt werden. Ferner ist von der Strafrechtskommission für das Einführungsgesetz noch ein« Vorschrift in Aussicht genommen, daß ge löscht« Vorstrafen im gerichtlichen Verfahren geheim- zuhalten sind und nur dann erwähnt werden dürfen, wenn es für die zu treffende Entscheidung nötig ist und wenn die sonstigen Vorschriften über das Ver fahren die Erwähnung unvermeidlich machen. Zum Schluß sei noch auf eine weitere Neuerung hingewiescn, nämlich auf das vom Entwurf in Aus sicht genommene Strafmilderungs- und Erlaßrecht des Richters. Wie die Begründung ausführt, läßt es sich trotz aller Sorgfalt bei der Formulierung der Tatbestände der einzelnen Delikte nicht verhindern, daß in außergewöhnlich gearteten Fällen zwar die Begriffsbestimmung, aber nicht der Gedanke und Zweck des Gesetzes zutrifft, so daß die im Gesetz vor gesehene Strafandrohung nach Maß und Art als Härte empfunden wird. Solche Fälle führen zu Ver urteilungen, die als unbillig angesehen werden und die öffentliche Meinung argen die Rechtspflege ver- stimmen. Der Entwurf schlägt daher vor, dem Richter zu gestatten, in besonders leichten Fällen di« Strafe nach freiem Ermessen zu mildern und bei ge wissen Delikten von einer Strafe überhaupt abzu sehen. Ein „besonders leichter Fall" liegt vor, wenn die rechtswidrigen Folgen der Tat unbedeutend sind und der verbrecherische Wille des Täters nur gering und nach den Umständen entschuldbar erscheint, so daß die Anwendung der ordentlichen Strafe des Ge setzes eine unbillige Härte enthalten würde (Ent wurf K 83). In solchen besonders leichten Fällen kann der Richter bei allen strafbaren Handlungen die Strafe mildern. Er ist also weder an die Strafart noch an das Strafmaß des betreffenden Delikts ge bunden, sondern darf nur auf «ine andere Strafart und ein geringeres Maß erkennen, z. B. statt auf Ge fängnis auf Geldstrafe cder Verweis. Ausnahms weise. nämlich in bestimmten Fällen, ist ihm auch das Recht gegeben, von der Strafe ganz abzusehen. so kann die Strafe z. B. erlassen werden, wenn der Täter vermindert zurechnungsunfähig ist, oder wenn er jugendlich ist, bei Uoberschreitung der Notwehr, ferner bei Körperverletzung, Beleidigung und allen Uebertretungen, sowie in allen Fällen, wo es sich nur um den Versuch einer strafbaren Handlung handelt, natürlich immer vorausgesetzt, daß ein be sonders leichter Fäll vorliegt. Auch das Strafmilderungs- und Erlaßrecht des Richters hat die Strafrechtskommission übernommen. Demnach ist zu erwarten, daß der hoffentlich in absehbarer Zeit dem Reichstag vorzulegende Re« gierungsentwurf diese Neuerungen bringen wird. Nooleoelts Programm. New York, 26. Juli. Man kann nicht sagen, daß der Aufruf, deck Theodore Roosevelt an sein Volk, das Volk der Ver einigten Staaten, erlassen hat, übermäßig großen Eindruck gemacht hat. Vielleicht ist die Hitze daran schuld, vielleicht auch die Tatsache, daß man politisch in den letzten Wochen etwas viel hat durchmachen müssen, und schließlich geht dem Leser des Aufrufs der Atem aus, ehe er sich durch die vielen Vorder sätze durchgearbeitet hat, um endlich zum Hauptsatz zu gelangen. Dasselbe Gefühl hat auch die Presse, die nicht auf Roosevelt eingeschworen ist. Roosevelt hätte, meint sie, sich gern und gut eine Menge Worte sparen und dabei um so deutlicher sagen können, an wen er sich eigentlich zu wenden wünscht: an alle Halbwegs anständigen und ehrlichen, guten und gerechten Bürger und Bürgerinnen, und an alle, die nicht gerade töricht genug sind, den Ast absägen zu wollen, auf dem sie sitzen. Natürlich sei es dem ehemaligen Präsidenten sehr ernst und die Gefahr, in der das Land schwebe, sehr groß, wenn er recht habe. Aber der Aufruf hätte ebenso gut von jedem anderen Politiker ausgehen können. Wenn die Gründung einer neuen Partei auf die in dem Aufruf angegebenen Ursachen hin nötig sei, dann herrschten zurzeit Lüge und Heu- chelei souverän im Lande, das Volk sei politisch von wenigen geknebelt und wirtschaftlich und gesell schaftlich von der bevorzugten Klasse unterdrückt, dünn werde du» Land von einer industriellen Re volution heimgefucht, wenn das Volk nicht dem Rauhrefteroberst folge, und dann sei die ameri kanische Selbstregierung «in trauriger Fehlschlag, und es sei höchste Zeit, daß das Volk sich ihm, dem einzig Starken, in die Arme werfe. Dann müßten alle Patrioten, ja, alle Halbwegs ehrlichen und vernünftigen Menschen seinem Aufrufe folgen und seinen Fahnen zuströmen — aber auch nur dann! Und wieder nur dann, wenn gezeigt werde, daß er in Zukunft als Diktator unter allen Umständen so ehrlich, wahr und zuverlässig in seinen Taten und Werken sein werde, wie er das als Präsident nicht gewesen sei. Daß er in dem ehemals mit stolzer Entsagung zurllckgewiesenen dritten Termin die Trusts und den geschwollenen räuberischen Reichtum mit Taten bekämpfe, statt fördere, wie er bisher getan habe. Denn wenn das Volk sick schon einmal aus der Selbstregierung herausretten lassen wolle, dann von üen Sroen ües Sngaüins. Von Ernst Victor Tobler (Schiers). ('Nachdruck verboten.) Ein grünes Arvenzweiglein, Verehrteste, das war alles, was ich Ihnen in den Bahnzug bot, als Sie nach herrlichem, sonnigem Winteraufenthalt von Sem glücklichen St. Moritz Abschied nahmen, mich allem zurücklassend unter den vielen anderen Hotelgästen, sie mir fremd geblieben. Ein recht bescheidenes Abschiedsangebinde, nicht wahr? Andere reichen herrliche Sträuße von Rosen, Nelken, Chrysanthemen und anderem Gartenflor, den ein fremdes südliches Land hervorgebracht: aber einen Vorzug hat mein Zweiglein doch: es ist ein ausgesprochenes Engadinex Gewächs, nach dem Sie in der Tiefe vergeblich fragen würden, so leicht Ihnen auch Rosen und Nelken dort zugänglich sind. Aber nein, der einzige Vorzug ist das doch nicht! Schon nach kurzer Fahrt im warmen Wagenabteil müssen Rosen und Nelken zugrunde gehen, mein Arven zweiglein jedoch, hoch oben auf sonniger Alp am Pic Rosatsch gepflückt, wird noch frisch sein, wenn Sie längst wieder unten in der Ebene weilen und wird Sie da durch seinen köstlichen Duft noch erinnern an die dunkeln, ernsten Arvenwälder von St. Moritz. Aber es waren kaum solche Erwägungen, die mich Ihnen ein Arvenzweiglein in die Hand drücken hießen. Ich wußte Ihnen einfach nichts Lieberes mitzugeben als ein Harzdustendes Teilchen des Baumes, der mir ein rechtes Symbol meiner ge liebten Bündner Berge ist! Den für das Engadin so charakteristischen Arven baum, die Zirbelkiefer, der Sie auf allen Ihren Spaziergängen begleitete, kennen Sie ja wohl, auch weiß ich, wie sehr Sie sich für das angenehm duftende und schöne Aroengetäfel einiger Engadinerhäuser begeisterten Was der Baum aber in unseren Bergen sonst zu bedeuten hat, das können Sie nicht wissen, und so will ich Ihnen erzählen, was mir die letzten Arven hoch oben im Rosegtal oder bei der Alp Languard berichtet haben, wenn ich an heißen Sommertagen unter ihrem regellosen Zelt auf be moostem Felsen lag und durch das seltsame Geschling ihrer Aeste hindurch nach dem Alpenhimmel oder nach den gleißenden Gletschern blinzelte, oft, bis die Sonn« länast hinter den Bergen niedergestiegen, das Alpenglühen verblichen und die Sterne am Himmel aufgegangen waren. . Vorzeiten, so erzählten sie mir — lang, lang ist's her — war einmal Ver Eletschergeist dieser Berge sehr erzürnt'über das Völklein, das schon damals^» diesen Tälern wohnte unv vom Ertrag seiner Eerstenfelder, der Milchwirtschaft, Fischerei, Jägerei und des Säumerwesens ein kärgliches, weltabgeschiedenes Leben fristete. Jäger hatten die Kühnheit gehabt, dem vom Eletschergeist gehegten Gemswild bis über die blauen Eisftröme nachzustellen. Da zer schmetterte der Herr des Gebirges in seinem Grimm einige der Frevler unter abgebrochenen Eisftürzen. Andere ließ er durch tiefe Eisspalten verschlingen. Aber etliche entkamen und stellten nun dem «dein, geschützten Wild mir noch vermehrter Leidenschaft nach. Darum beschloß der erboste Herrscher, das Menschengeschlecht dieser Hochtäler zu verderben, und gebot den tausendfach geborstenen Gletschern, immer weiter in die grünen Alpen hinunterzuziingeln uno den Schutt der Berge tiefer unten abzuladen, und seinen Winden befahl er. so rauh und unsanft zu blasen, daß der Frühling, der Freund des Menschen, es nicht mehr wage, dort oben Einkehr zu halten. Darüber herrschte große Trauer unter den Be wohnern der Täler: denn es dauerte nicht lange, so mußten sie den Zorn des Gletschergeistes grimmig verspüren. Jahr um Jahr leckten die Gletscher die fettesten Alpen weg, Alphütten wurden unter Felsentrümmern und Gletscherschutt begraben. An Orten, wo sonst schon im Juli das Vieh weidete, lag zur Zeit der Alpabfahrt noch Schnee, und das Donnern von Lawinen- und Eisblöcke wurde erst ge hört, wenn es Herbst war und der Winter schon wieder vor der Tür stand. Das jammerte die gütige Fee und Beschützerin der Alpen und der Bergtäler, und Tag und Nacht saß sie mit Betrübnis in den gefährdeten Alpen und sann auf Mittel und Wege, die Rache des Berggeistes ab zuwenden. Eines Tages, wie sie so sann, schwebte über ihr ein großer prächtiger Vogel, wie man in der Gegend noch keinen gesehen hatte. Der trug ein stattliches Säcklein im Schnabel, das er fallen ließ, daß es neben der traurigen Fee ins zarte Alpengras fiel. Sie nahm das Säcklein. öffnete es, und siehe da, es war voll kleiner, kantiger Nüßlein! Da wurde sie heiter und guten Muts, und in der nächsten Nacht, da gerade Vollmond war, schwebt« sie hin über das Gebiet der Gletschcrmoränen und über die Felsen an den Rändern der Alpen und verbarg bald hier, bald dort ein Nüßchen nach dem anderen im mageren Erd reich, bis das Säcklein leer war. Dann ruhte sie aus^ I auf einem hohen Felsen, von dein aus man in die I friedlichen, seenrcichen Täler nieoerjehen konnte, breitete ihre Hände aus uno sprach: „Sei gesegnet, du, meine junge Saat, wachse, gedeih« uno vermehre dich! Wache darüber, daß die Knechte des bösen Gletschergeistes nicht Boden ge winnen, und sei fester Schutz und Wall meinem Lande!" Lange ruhten ihre Augen noch mit Wohlgefallen auf dem silberiibergofsenen Lande, dann entschwebte sie uns ward seither nicht mehr gesehen. Aber die Zirbclnüßchen der guten Fee gingen rasch auf, uno die Würzelchen faßten Boden und drangen in die Ritzen des Gebirges ein. Und die jungen Arvenbäume duckten sich hinter die Felsen, daß ihnen die arglistigsten Eiswinde, Lawinen und rollenden Steine nichts anhaben konnten. Als sie aber größer wurden uro längst über Li« Felsen guckten, die ihnen als Schutz gedient hatten, waren sie stark genug, o«n Winden zu trotzen und den grimmigen Kamof mit den Kletschermächten aufzu nehmen, emen Kampf auf Leben und Tod. Wo sie nahe beisammcnstanden, schützten sie sich wohl gegenseitig, gewannen immer mehr an Aus dehnung und hegten uno pflegten später auch jungen Nachwuchs, daß bald dichte, starke Wälder Sa waren, in denen sich Sie EletscherwinSe verirrten, daß viele den Weg nach den Alpen nicht mehr finden konnten. Und so oft di« Sonne schien, reckten und dehnten sich ihre eisenharten Aeste, sogen sich so voll Wärme und behielten sic bei sich, daß di- Gletscher sich nicht mehr getrauten, ganz in ihre Rühe zu kommen: denn sie fürchten Sag Warme. Wenn aber die Lawinen von den steilen Hängen herabstürzten, stemmten sich die starken Leiber der Arven dagegen. So viele auch dabei ihr Leben lassen müßten, wurden die Schnee massen doch zum Stillstand gebracht. Nach und nach zog frohes Leben in die Berg« hinauf.' muntere Vögel siedelten sich an im Schutze der mächtigen Bäume, deren leckere Früchte ihnen reichlich Nahrung gaben, zierliche Wiesel und possier liche Murmeltiere wohnten gern unter dem knorrigen Wur.zelwerk, flinke Eichhörnchen sprangen in dem Geäst, und Las Wils des Gebirges fand fürtrefflichen Unterschlupf unter den dichten Fächerzweigen. Wo aber die Arve vereinzelt wuchs, da hatte sie einen harten Stand, doch wurde dadurch ihr Aus sehen nur kühner, wilder und kriegerischer. Da oben an der Baumgrenze ist kein«, die sich eines regel mäßigen Wuchses freuen darf. Jede spricht eine be redte Sprache von dem Titanenkampf mit den feind lichen, zerstörenden Mächten des Hochgebirges, mit wilden Winter-, Frühlings- und Herbststürmen, mit Gewitter- und Hagelgraus, Steinschlag, Wetterbächen und Lawinennot. Da ist keine, die nicht hundert Narben Lavongetragen hätte in dem ehernen Ringen: aber stolz, verschwiegen und trotzig trägt sie jede, im Bewußtsein treulicher Pflichterfüllung nach dem Geheiß der milden Fee. Wie Eisengewinde ankern ihre hundertfältig ver schlungenen Wurzeln in dem spärlichen Erdreich und in Felsspalten und umklammern mit zähem Griff die Felsblöcke, auf Lenen sie horsten, daß kein Sturm ihnen etwas anhaben kann. Aber desto mehr sind die Aeste und der Stamm mitgenommen. Wild, zer zaust, zerrissen, von Flechten überwuchert und nach einer Seite gekehrt ist das Gezweig, der Stamm viel fach gekrümmt, gebeugt, wie ein Korkzieher gedreht, häufig von Steinschlag zerschmettert, oft auch vom Blitz zerspellt. Aber ein« Arv« läßt sich, durch den Segen der guten Fee gestärkt, nicht leicht unter kriegen. So geben die elendesten Krüppel di« Hoff nung nicht auf. Junge Schosse schlagen lustig aus dem Strunk und führen den geschädigten Baum zu einem neuen, wenn auch veränderten Dasein: denn statt eines einzigen bekommt eine Arve oft drei Wipfel und auch noch mehr. So stehen die Arven noch heute als Wächter, Schutz und Wall gegen die bösen Eletschermächte. und die Gebirgsbewohner wissen ihre aufopfernde Tätig keit wohl zu schätzen. Freilich gab es auch Zeiten, da vergaßen die Menschen, was sie den Arven zu Lanken haben und verschacherten die Wälder fremden Holz händlern. Dann blieb aber auch di« Strafe nicht aus: die bösen Kräfte des Gebirges gewannen wieder die Oberhand und schädigten die Alpleule. Und dann ging es lang«, bis die Bäume wieder Wurzel faßten. An manchen Orten erreichten sie nie mehr die frühcre Höhenlage, und mit Staunen sieht oft der Wanderer tief auf dem Grunde dunkler, klarer Bergseen riesen hafte Arvenleich«n an Orten, wo heute auf Stunden kein Baum mehr zu finden ist. Da» ist «, was ich von den heiligen Bäumen ver» nehmen konnte. Nun wird es Ihnen auch nicht mehr rätselhaft erscheinen, weshalb ich beständig ein Arvenzweiglein aus meinem wettererprobten Wanderhut trag«. Das Arvenzweiglein ist mir ein Symbol zäher Gcbirgsnatur und unverwüstlicher Lebensfreude-, mit beiden möchte ich es gern halten. WM- Man brächte anch die Snjcrat« in der Ab«n »An»sab«. "WW
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