Volltext Seite (XML)
31. Jahr«»,. DoMcrstag, dw 80. Oktober. Inserate werden bis Vormittag« 11 Uhr Lnarnsm. I mm und betriigt der Preis sür die gefallene Zeile oder derm Raum 15 Pfnmige. ü v» und THmatt Amtsblatt sür die löniglichm und städtische» Behörde» zu Freiberg u»d Braad. Verantwortlicher Redakteur Juliß» Sraau i» Freiberg. Erscheint jeden Wochentag Abends S Uhr für den -L anvemTag. Preis vierteljiihrlich 2 Mart 25 Pf., v r— « zweimonatlich 1 M. 50 Pf. u. einmonatl. 75 Pf. Abouuemeut sjir die Monate Rovember und Tezember werdm d»u sämmtticheu Postanstalte« wie dem der «uterzeichueten Expedttto» uud de« bekmutm AnS- -udefteLe« i« Freiberg, Brand, Halsbrücke, Groß schirma uud LimgheuuerSdors z«m Preise von 1 Mark 50 Psg. angenommen. LxpsäMon tts8 „freidei-gsr ^nrsigsr untt lagsdlstt." Vie Trunksucht. Eine alte Sage meldet, als Luzifer gesündigt und des halb auS dem Himmel geworfen worden, da sei der Stoß mit solcher Gewalt erfolgt, daß der Körper in der Luft zerschellte und nach jedem Lande ein anderer Theil desselben flog, dort die Sünden erzeugend, welche von da ab den verschiedenen Ländern eigen find. Der Kopf, so erzählt die alte Sage weiter, flog nach Spanien, darum seien die Spanier so sehr vom HochmuthSteufel besessen; die Zunge nach Portugal, darum hätten die Portugiesen ein so böses Mundwerk; die Beine nach Frankreich, darum wären die Franzosen so beweglich und geborene Tanzmeister; die Finger nach England, darum seien die Engländer so sehr auf's Nehmen bedacht — und so habe jedes Land seinen Theil erhalten. Nach Deutschland aber sei der Magen gekommen und deshalb leisteten die Deutschen im Trinken mehr als irgend ein anderes Volk. Diese alte Sage fiel uns ein, als wir dieser Tage die Klagen vernahmen, welche über das Erbübel der Trunk sucht auf der preußischen Generalsynode laut geworden sind. Es ist ja wohl wahr, im Trinken wird bei uns Deutschen mehr geleistet, als nothwendig ist. Ais Entschuldigungsgrund oder wohlfeile Ausflucht kann man nicht gelten lasten, daß es Völker giebt, in denen die Trunksucht noch ärgere Verwüstungen anrichtet als bei uns; ebenso wenig, daß seit Tacitus das Trinken nun ein mal hier zu Lande zu Hause und also ein angestammter Brauch ist, von dem man nicht lasten könne und welcher also getrost in der alten Weise fortgesetzt werden möge. Ein Umblick in unserer nächsten Umgebung auf die unend lich vielen Opfer an Familienglück, welche das Trinken verschuldet und alljährlich fordert, muß die Ueberzeugung Hervorrufen, daß der Kampf gegen die Trunksucht von Allen, welche es mit dem Volke wohlmeinen, ausgenommen werden sollte. Schon vr. Martin Luther fühlte sich ver anlaßt, den Trunk den „Teufel der deutschen Nation" zu neunen. Ob nun diese üble Gewohnheit auch zu allen Zetten bet uns so verbreitet gewesen, daß sich gar nicht feststellen läßt, wo und wann am meisten getrunken worden, darf uns gar nicht kümmern. Ist die Trunksucht einmal verwerflich, was wohl Niemand bezweifelt, müssen wir sie bekämpfen, gleichviel ob der Kampf ein schwieriger ist oder nicht. Aus diesem Grunde kann man nur billigen, wenn die preußische Generalsynode sich mit diesem Gegenstände be faßte. Aber viel Erfolg darf man sich von ihren Anträgen nicht versprechen, vielmehr glauben wir, die geistlichen und nichtgeistlichen Herren haben die Sache am falschen Ende angefaßt. Die Generalsynode beantragte Bestimmungen zu erlassen, wonach Personen, welche auf der Straße, in Wirthshäusern oder an anderen öffentlichen Orten im Zu stande offenbarer Trunkenheit gefunden werden, straffällig sein sollen; ferner daß die Wirthe, welche betrunkene Per sonen in ihren Schanklokalen dulden oder ihnen geistige Getränke verabreichen, ebenfalls zur Strafe zu ziehen find; und endlich daß gewohnheitsmäßige Trinker auch gegen ihren Wille« auf Antrag zuständiger Behörden in besondern Asylen untergebracht werden. Solche Asyle giebt eS in Deutschland vorläufig nicht und die Gemeinden, auf deren Kosten sie ja zu errichten wären, beeilen sich gewiß nicht damit, weil sie ohnehin schon genug Ausgaben haben. Die Bestrafung der Wirthe würde auch nicht viel helfen, sondern nur dazu führen, daß der Wirth, wenn er sein Geld verdient und der Gast sich bei ihm betrunken hat», diesen an die Luft setzt; nüchtern wird der Bezechte doch nicht mehr, wenn er auch im Lokal nicht geduldet wird. Die Bestrafung betrunkener Personen end. lich wird sich vermuthlich nur gegen ganz verkommene Sub jekte und notorische Säufer richten, die durch ein paar Po- lizeistrafen doch nicht auf den rechten Weg zurückzuführen sind. In Summa also: mit solchen Strafmitteln kommt man einem weit verbreiteten Laster nicht bei. Am meisten scheint uns noch der Antrag gerechtfertigt, dafür gesetzlich Sorge zu tragen, daß künftighin die Trunken heit nicht mehr als Strafmilderungsgrund vor Gericht angesehen wird. Ein solches abscheuliches Laker, das zu allerhand Brutalitäten Anlaß giebt, ist am allerwenigste» geeignet, irgend ein Vergehen oder Verbrechen im milderen Lichte erscheinen zu lassen. Läßt man die Trunkenheit als strafmildernd gelten, so wird ja förmlich eine Prämie da rauf gesetzt, vor Begehung eines Vergehens oder Ver brechens sich sinnlos zu machen. Aber allein würde diese gesetzliche Bestimmung natürlich auch nichts helfen, ebenso wenig wie etwa die Wiederbelebung der Mäßigkeitsvereine oder gar die Einführung einer Bewegung, wie man sie in Nordamerika unter den Temperänzlern hervorgerufen hat- Nein, das Erste und Dringendste wäre, endlich einmal anzufangen in der Trunkenheit ebenso einen sittlichen Makel zu erblicken, wie im Spiel, in der Unsittlichkeit und anderen Lastern. In diesem Punkte aber, das ist auch in der Generalsynode mit Recht hervorgehoben wor den, ist unser sittliches Urtheil ein sehr mangelhaftes — unsere Literatur, die Anschauungen ganzer Gesellschafts kreise sind deß Zeuge. Es gilt allerdings in manchen Schichten für äußerst verächtlich, wenn ein armer Teufel sich derart am Fusel bezecht, daß er hilflos im Straßen graben liegt; aber sich im Champagner so zu berauschen, daß man in der Equipage oder Droschke nach Hause ge bracht werde« muß, das ist fein, das verschafft wohl gar in manchen Kreisen einen Nimbus. Und doch wäre es sehr fraglich, ob nicht das Trinken, welches den Menschen seiner VerstandeSkräfte beraubt und ihn zum Thiere herabwürdigt, noch vielmehr öffentliche Verachtung verdient, wie das Hazardspiel und manches andere Laster. In diesem Punkt» also sollte Wandel geschafft werden! Die Besserung muß von oben herab eintreten, nicht etwa, wie die Generalsynode will, von unten herauf durch poli zeiliche Mittel. In den Kreisen der bürgerlichen Gesell schaft, auch da, wo man einen guten Trunk zu schätzen weiß (diese Werthschätzung möchten auch wir aufrecht er halten wissen), muß es Sitte werden, die gegen Trunkene geübte Nachsicht schwinden zu lassen und die Trunkenheit als eine Verletzung männlicherWürde zu brand marken. Dann wird es bei Vielen, welche auf ihre Ehre noch etwas geben, gar nicht so weit kommen, daß sie be sinnungslosem Rausche verfallen. Das von oben herab gege bene Beispiel wird dann allmälig auch nach unten wirken. Hier hat vor Allem die öffentliche Meinung einzutreten, dann aber auch jeder Einzelne aus den höheren Ständen. Sinken die Sitten, dann sind immer nur die höheren Stände verantwortlich zu machen, nie die untern; denn das gegebene Beispiel wirkt stets von oben nach unten, nie von unten nach oben. Diese Aenderung im öffentlichen Urtheil, dann aber die allmälige Beschränkung der Gastwirthschaften, damit nicht allzuviel Gelegenheit zur Trunksucht gegeben wird, find di» einzigen Mittel, dem Uebel nach und nach beiMkommul. Lange genug wird's freilich dauern I Tagesschau. Freiberg, 29. Oktober. Die gestern telegraphisch skizzirte Thronrede bei Er öffnung deS preußischen Landtages lautet: Indem ich die Gesammtvertretung der Monarchie nach Erneuerung deS Hauses der Abgeordneten wiederum begrüße, ist es mir Bedürfniß, nochmals den Gefühlen innigen Dankes Ausdruck zu geben für die Beweise der Theilnahme, welche mir und meiner Gemahlin bei Gelegenheit des durch GotteS Gnade im Frühjahr begangenen Festes auS allen Kreisen des Volkes, zugleich unter reicher Bethätigung des Patriotismus, gewidmet Word»« sind. In jenen Kundgebungen habe ich ebenso wie in den mannigfachen Erweis»« der Liebe und Treue, die mir neuerdings in verschiedenen Provinzen der Monarchie zu Theil geworden sind, eine erhebende Bestä tigung der Ueberzeugung gefunden, daß unter allem Wandel der Zeiten das innige Band zwischen Fürst und Volk, auf welchem das Erblühen der preußisHen Monarchie von jeher beruht hat, in alter Festigkeit besteht und eine weitere ge segnete Entwickelung verbürgt. Die Finanzlage uud der Staatshaushalt werden in Folge der Mehreinnahmen, welche auf Grund der Steuerreform im Reiche aus den Erträgen der Zölle und der Tabaksteuer den einzelnen Staaten zufließen sollen, im Laufe der nächsten Jahre all mälig erhebliche Veränderungen und Erleichterungen er fahren. Dieselben konnten jedoch bet der Aufstellung des Etats für das nächste Jahr noch nicht von entscheidender Bedeutung sein. Wenn auch aus den Erträgen der Reichs- steuern eine nicht unbeträchtliche Mehretnnahme schon für das nächste Jahr in Aussicht genommen werden kann, so wird doch die augenblickliche Finanzlage noch wesentlich durch die Nachwirkung der seitherigen Verhältnisse bestimmt. Im letzten Verwaltungsjahre haben die Einnahmen zur Bestreitung der Ausgaben nicht htngereicht. Auch ist eine Erhöhung des Matrikularbeitrags für das laufende Jahr nothwendtg geworden. Bei dem auf den meisten Gebieten der Erwerbsthätigkeit fortdauernd lastenden Drucke haben die Ausgabebedürfnisse des Staates in den regelmäßigen Einnahmen des nächsten Jahres ihre Deckung nicht voll ständig finden können. Die zur Ergänzung erforderlichen Mittel werden wiederum im Wege der Anleihe zu be schaffen sein. Die darauf bezüglichen Gesetze werden Ihnen mit dem Staatshaushaltsetat unverzüglich vorgelegt werden. Meine Regierung hegt die Zuversicht, daß Sie ihr bereitwillig helfen werden, die Schwierigkeiten der jetzigen Uebergangs- zeiten zu überwinden, des Uebergangs, so Gott will, zu einer Zeit neuen wirthschaftltchen und finanziellen Aufschwungs. — Die Thronrede kündigt sodann einen Gesetzentwurf an, betreffend die Regelung der Verwendung der dem Staats haushalte aus dem Ertrage der Reichssteuern zuflteßenden Mehreinnahmen zu Nachlässen an der Klassen- und Ein kommensteuer. Eine durchgreifende Reform der direkten Besteuerung wird bis zu einer günstigeren Gestaltung der Finanzlage vorzubehalten sein. Weiter kündigt die Thron rede einen Gesetzentwurf an, betreffend die Einführung einer Steuer auf den Ausschank geistiger Getränke, ferner eine Vorlage der Verträge, betreffend die Ueberführung wichtiger Aktien-Eisenbahnunternehmungen in die Hände des Staates, und einen Gesetzentwurf, betreffend die Aus führung neuer Eisenbahnlinien mit Unterstützung des StaateS; sodann eine Denkschrift über die Ziele der Regu- lirung der 5 Hauptströme. Die weitere Durchführung der Verwaltungsreform erfordert Abänderungen in der Einrich tung der höheren Verwaltungsbehörden und deren gleich zeitige Einführung in der gesummten Monarchie. Ebenso ist die Ausdehnung der BerwaltungsgerichtSbarkeit auf das ganze Staatsgebiet erforderlich. Die betreffenden Gesetz- Entwürfe werden dem Landtage vorgelegt werden. Die Regierung wird sich angelegen sein lassen, den Erlaß der Kreis- und Provinzialordnungen für diejenigen Landestheile