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Zlhimburgtl Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster- scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und dis Colporteurs dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. 184. Freitag, den 12. August 1881. "Waldenburg, 11. August 1881. Die öffentliche Meinung und die Presse. Die Eigenthümiichkeil der englischen Journalistik gegenüber der Presse anderer Länder besteht darin, daß sie weniger einen einseitigen Parteistandpunkt einnimmt, als vielmehr ihr Hauptbestreben darin sucht, ein treues Spiegelbild der öffentlichen Meinung zu sein, und darin liegt vielleicht einer ihrer größ ten Vorzüge. Besonders das bedeutendste englische Blatt die „Times", im wahren Sinne des Wortes ein Weltblatt, hat nie einseitig einer politischen Partei gedient, auch nicht nach sogenannten Princi- pien die Ereignisse beurtheilt. War die öffentliche Meinung liberal, so war es auch die „Times", im andern Falle war sie auch wieder conservativ. So konnte man stets das treue Bild des öffentlichen Lebens in England in ihr finden, und englische Staatsmänner, welche sich über die herrschende Volksströmung unterrichten wollten, brauchten nur die „Times" zur Hand zu nehmen. Bei uns dagegen erfährt man aus den meisten Blättern nur, wie diese oder jene Partei die Lage auffaßt, nicht aber, wie sie die Mehrheit des Volke« ansieht. Unwillkürlich ergeht es dem weniger er fahrenen Leser beim Studium unserer verschiedenen Parteiblätter wie dem alten Fritzen in der bekann ten Anecdote von den beiden Advokaten; nachdem Friedrich der Große nämlich den einen Advokaten angehört und ihn mit den Worten entlassen: „Der Kerl hat Recht!" läßt er auch den gegnerischen An walt vor, der nun in so gewandter Rede die Sache von anderer Seite beleuchtet, daß der alte Fritz überrascht ausruft: „Der Kerl hat aber auch Recht!" Wer will behaupten, daß der große Theil unseres Volkes mit der sich breit machenden Partetpolitik einverstanden ist; in der großen Masse bildet sich vielmehr die öffentliche Stimmung ganz instinct- mäßig, der Umschwung vollzieht sich dort allmählich. Unzweifelhaft huldigte die große Masse in Deutsch- lane eine Zeit lang dem Liberalismus, weil sie sich von dessen Versprechungen ganz besondere Erfolge und ein glänzendes Gedeihen aller Verhältnisse ver sprach, bei der Gründung des Reiches, der endlichen Erfüllung des sehnsüchtigsten Wunsches der deutschen Nation, aber die Conservativen sich der Neuordnung der Verhältnisse sehr zurückhaltend, ja theilweise so gar feindlich gegenüber stellten. Demgemäß waren auch unsere Blätter und Blättchen vorzugsweise dem Liberalismus zugeneigt, dem sie sich theilweise bis heute noch nicht entwinden können, obgleich ihr Leserkreis längst anderer Meinung geworden ist. Diese liberale Richtung nun hat seit einigen Jahren einen vollständigen Umschwung erfahren. Die conservative Partei hat sich nicht nur mit dem Verfassungsleben, sondern auch mit den Reichs institutionen ausgesöhnt, man kann ihr also den Vorwurf nicht mehr machen, daß sie der Entwicke lung des Reiches einen Hemmschuh entgegensetze. Die liberale Gesetzgebung hat aber jene Ver- ^"chfingen nicht erfüllt, die man von ihr hoffte, zahlreiche Schattenseiten sind in derselben hervorge- treten, deren Abstellung man dringend wünscht. Da die liberalen Fractionen jedoch zu einer Revision dieser Gesetzgebung sehr wenig Neigung zeigten, so hat sich die Strömung wieder mehr den Conser vativen zugewandt, von denen man erwartet, daß sie zu einer solchen Reform die Hand bieten werden. Die letzten Wahlen in Baiern und bei uns in Sachsen haben den Beweis geliefert, daß diese Auf fassung eine durchaus der Sachlage entsprechende ist, die von zahlreichen unparteiischen Blättern be stätigt wird. Es soll damit nicht gesagt sein, daß die conservative Strömung auf lange Zeit anhalten wird. Es kommt ganz darauf an, wie diese Partei den Forderungen der öffentlichen Meinung gerecht wird. Jede Ueber- stürzung und jede einseitige Ausbeutung von conser- vativer Seite muß genau dieselbe Wirkung auf die öffentliche Meinung üben, wie sie die Fehlgriffe der Liberalen herbeigeführt haben; denn die öffent liche Meinung ist nicht einer constanten Strömung zu vergleichen, sondern sie wechselt wie Ebbe und Fluth. "Waldenburg, 11. August 1881. Potitische Rundschau. Deutsches Reich. Unser Kaiser ist am 10. d. vormittags in Pots dam wohlbehalten eingetroffen; derselbe hat sich so fort nach Schloß Babelsberg begeben. In dem Befinden der Kaiserin ist in den letzten Tagen eine wahrnehmbare Besserung einge treten. Die Wiederholung verschiedener Zwischenfälle, welche von der Operation und deren Veranlassung unabhängig, die Entwicklung der Reconvaleszenz bis her verhinderten, ist voraussichtlich nicht mehr zu befürchten. Obwohl die Kaiserin im Stande ist, sich ab und zu in ihren Räumen kurze Zeit zu be wegen, so ist das Maß ihrer Kräfte doch noch derart, daß auch jetzt noch für längereZeitSchonung geboten ist. Fürst Bismarck wurde am 10. d. in Ber lin erwartet; ebenso wollte Kultusminister von Goßler zurückkehren. Wir stehen, bemerkt die „National-Zeitung", anscheinend vor sehr wichtigen Entscheidungen in der Ordnung der Kirchenfrage. Aus München wird mitgetheilt, daß König Lud wig am Freitag, kurz vor der Ankunft des Kaisers, im strengsten Jncognito, nur von einem Kammer diener begleitet, seine Hauptstadt verlaffen und sich nach Paris begeben hat. Das Domkapitel zu Freiburg wählte am 10. d. den Domkapitular Orte in zum Kapitelsvicar. Generalfeldmarschall Graf Moltke ist am 10. o. vormittags in Stockholm eingetroffen und hat im „Grand Hotel" Absteigequartier genommen. Am Nachmittag begab sich Graf Moltkes einer Einladung des Königs folgend, in einer königlichen Equipage nach dem Lustschloß Drottningholm. Der Oberpräsident der preußischen Provinz Hessen- Nassau, Freiherr v. Ende, hat demissionirt. In Schievelbein haben am Sonnabend und Sonntag Judenverfolgungen staitgefunden. Die Ruhestörungen sollen nur mit Hilfe der Kriegerver eine zu bewältigen gewesen sein. Eine Anzahl Ver haftungen ist erfolgt. Betreffs der Judenkrawalle in Pommern und Westpreußen schreibt die „Prov.-Corresp.": Seitens des Ministeriums des Innern sind die Regierungs-Präsidenten der betreffenden Landestheile beauftragt worden, mit allen Mitteln, welche die Gesetze in die Hand geben, der Wiederkehr derartiger Ruhestörungen vorzubeugen und etwaigen erneuten Versuchen mit vollster Energie entgegenzutreten. Insbesondere sind die betheiligten Behörden ange wiesen worden, einer Ausbeulung und Steigerung der vorhandenen Aufregung, welche aus einer öffent lichen Erörterung der bezeichneten Ereignisse und ihrer Ursachen in den von bekannten Agitatoren abzuhaltenden Versammlungen zu befürchten sein würde, sofort zu begegnen, soweit dies überhaupt nach den Vorschriften thunlich ist, welche bezüglich der Verhütung eines die gesetzliche Ordnung gefähr denden Mißbrauchs des Versammlungsrechts in Geltung stehen. (Der letztere Passus richtet sich direct gegen Henrici, der in Pommern Vorträge über die dortigen Ereignisse zu halten angekündigt hatte.) Oesterreich. In Bregenz ist Dienstag Abend der Kaiser Franz Josef mittelst Wageus von den Besuchen bei dem Großherzoge von Baden in Mainau und bei dem König und der Königin von Würtemberg in Friedrichshafen zurückgekehrt. Auf der Fahrt nach Friedrichshafen konnte der Dampfer wegen starken Sturmes nicht in den Schloßhafen, sondern nur in den Stadthafen einlaufen. Der Empfang des Kaisers in Lindau war sehr festlich und herzlich. Bei der Ankunft in Bregenz wurde der Kaiser gleich falls mit lebhaften Zurufen begrüßt. Frankreich. Wie Gambetta Frankreich corrumpirt durch eine maßlose Stellenjägerei schildert die „Köln. Ztg.": „Man kann sich im Auslande schwerlich einen rich tigen Begriff machen von der Stellenjägerei, welche in Frankreich seit einigen Jahren sich entwickelt hat. Die Söhne der gewöhnlichsten Bauern wollen Beamte werden. In jedem Flecken giebt es ein Dutzend Candidaten für eine Unterpräfectur, in jedem Dorfe findet sich eine Menge Leute, die nach der beschei denen Stelle des Feldwächters streben; alle wollen vom Tische des Staates essen! Diese Sucht wird jetzt von den gambettistischen Agenten ausgenutzt. Man verspricht Stellen oder giebt doch Aussichten für geleistete gute Dienste, und wie kann man sich bester bewähren, als indem man für die Candidaten des republikanischen Vereins arbeitet." Am Sonntag fand in Belleville eine Ver sammlung von 2000 Wählern statt, welche Gam betta einstimmig seines Mandats für immer ver lustig erklärte. Gambetta wird wahrscheinlich erst in der nächsten Woche seine große Rede in Belle ville halten. Nach dem „Telegraphe" wäre Gam betta bereit, nach den Wahlen sofort die Regierung zu übernehmen. Rußland. Wie es heißt, soll der „Golos" demnächst wieder begnadigt werden. Der „Golos" vertrat den Moskauer Panslavisten gegenüber, trotz seines rus sischen Chauvinismus und seiner Anfeindung des deutschen Elementes, den Zusammenhang Rußlands mit der Bildung und den Staatsformen Westeuro pas. Daß die einflußreichste Stimme, welche sich in der russischen Presse für eine liberale Entwicke lung erhob zum Schweigen verurtheilt wird, läßt keinen Zweifel darüber, daß mit den Aspirationen in jener Richtung definitiv gebrochen werden soll. Mit dem Verstummen des „Golos" erlischt der letzte Funke von Selbstständigkeit in der russischen Presse. Wie Graf Jgnatjeff die Petersburger Presse bereits eingeschüchtert hat, ergiebt sich daraus, daß kein Petersburger Blatt die Rückkunft der Herrscherfamilie nach Peterhof zu melden wagte, ehe sie im Regierungsanzeiger angekündigt war, man sich vielmehr damit begnügte, anzuzeigen, Graf Jgnatjeff und Graf Woronzow-Daschkow seien zu rückgekehrt, dem Leser überlastend, den Zusammenhang zu errathen. Die erste Regierungsmaßregel, welche auf die Zarenreise folgt, ist ein Schlag, der zu gleicher Zeit gegen die Presse, gegen die Peters burger Gesellschaft, deren Lieblingsblatt der „Golos" war und gegen die Hoffnungen auf eine liberale Re formpolitik gerichtet ist. Türkei. Telegraphische Berichte aus den an Griechenland zu cedirenden thessalischen Gebieten versichern, daß die Türken energisch mit der Fortschaffung des Kriegsmaterials aus jenen Gebieten sortfahren. Aus Domokos sind vor einigen Tagen drei Batail lone, welche einstweilen nach Larissa transserirt