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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.09.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960923010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896092301
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896092301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-09
- Tag 1896-09-23
-
Monat
1896-09
-
Jahr
1896
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Ketlüme* nnte, de« RedäctionSstrich (4g- spalte») so-ih, vor de» Fmniltrnnachrichtea (Sgejpalt«) 40^ Vrvtzrre Schriften laut unserem Pre 1- Verzeichnis,. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Laris. Extra-Veilagen (gefalzt), nur mit der Vtorgen« Ausgabe, ohne Postbeförderung ^tl SV.-«-, mit Postbeförderung 7V.—. - » Vtzioi Ännahmeschluß für Anzeige«: Abend-Au-gabr: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Vei den Filiale» und Annahmestelle» j» rin« halb« Stunde früher. Anzeigen stad stet» an di« Grpedtttou zu richte». Druck und Berlim von E. Potz la Leipzig ^-485. ,-.l. 9ü. Jahrgang. Mittwoch den 23. Sdptcmber 1896. Wer ist Herr im Hanse! Die napoleonischen Kriege haken gewiß viel Jammer iiker Preußen gekrackt, aber einen Vortbeil haben sie doch fiir diesen Staat gehabt: daß er das Großherzogthum Warschau, da» er rin Jahrzehnt vorder erworben- batte, endgiltig verlor. Der Schwerpunkt Preußen» hätte sonst so stark nach Osten gravitirt, daß e» seiner deutschen Auf gabe nicht hätte gereckt werden können. Zudem war in jenem weiten Territorium deutsche Culturarbeit koch nur sporadisch tbätig gewesen, so daß Berechtigung und Möglichkeit der Germanisirung immerhin problematisch war. Pollkommen ander» aber verhält es sich mit den anderen Erwerbungen Preußen au» den Tbeilungen Polens, mit den Provinzen Westprrußen und Posen. Westpreußen war der deutschen Cultur schon im Mittelalter erobert worden und auch in den Städten der Provinz Posen war das deutsche Bürgerthum schon zu den Zeiten der polnischen Mrthschaft — von Herrschaft kann man in dem Polen de» 18. Jahrhunderts nicht reden — das berrswende Element, der Träger der Cultur gewesen. Was damals, also schon vor der Besitzergreifung, an Cultur in jenen Pro vinzen bestand, war deutsche Arbeit, und nach der Besitz ergreifung war es eine wahre Herkulesleistung deutschen Schaffens, diese Provinzen in verbältnißmäßig so kurzer Zeit in einen den übrigen preußischen Provinzen annähernd ähn lichen wirtbschaftlichen und kulturellen Zustand zu bringen. Hier ist also nicht nur kraft der historischen Tbatsachcn, sondern auch kraft deS Rechtes der Arbeit der Deutsche Herr im Hause. Ist er es? Hier bat der Deutsche nichts zn suchen, riefen bei dem jüngsten skandalösen Vorfall in Opatenitza die über- Miithigen Polen dem deutschen Coinmissar zu, ein Ruf, der lebhaft an jenes „Macht daß Ihr fortkommt, Ihr deutschen Hunde!", das vor einigen Jahren bei den Kirchenwahlen in «Krauten» erlckoll, erinnert. Dieselbe Tonart klingt durch alle Vorkommnisse der letzten Monate; sie klingt durch den Brief de» polnischen Geistlichen an den Veteranen, der ein deutsches Taufzengniß verlangt hatte, sie klingt durch jene Beleidigungen, mit denen in Gegenwart der Schulkinder ein anderer Geistlicher einen Lehrer, der das Vaterunser in deutscher Sprache hersagen ließ, überhäufte; sie klingt Vnrch den Angriff auf Deutsche, die sich gestattet batten, ihrer Ge sinnung bei den Reickstagswablen Ausdruck zu geben, hin durch; sie erklingt vor unseren Ohren, wenn wir lesen, daß ein deutscher Lehrer mit amtlicher Erlaubniß einen Revolver tragen muß, um sein Leben gegen die Ucberfälle fanatischer Polen zu schützen. Muß man da nicht sagen, daß über den deutschen Bewohner der Belagerungszustand verhängt ist, während die Polen frei Herumlaufen und prahlen können: „Wir sind hier Herr in dem Hause!" Wie es soweit kommen konnte, das ist vielfach, und auch von uns schon wiederholt, erörtert worden. Aber ein Factor ist bisher nur von un« (im Leitartikel der Nr. 467) drrvorgeboben worden. Der freche Ueberfall in Opalenitza hat ackt Tage, Nachdem der K a i f e r bei seiner Anwesenheit in Görlitz eint Anzahl polnischer Aristokraten ausgezeichnet hatte, stattgefunden: er fand statt anläßlich einer Huldigung die dem Erzbischof von Stablewski galt, lremselbeu Herrn, der acht Tage vorher vom Kaiser so leb haft ausgezeichnet worden war. „WtN der deutsche Kaiser auszeicknet, den können auch wir auszeicknen", Mochten die wackeren Polen denken, wenn auch ihre Huldigung natürlich einer dem Kaiser gewiß höchst unerwünschten Gesinnung ent sprang. Diese Gesinnung kannte der Herr v. Stablewsti gar Wohl. Er wußte ganz genau, daß die Huldigung nickt dem Erzbischöfe von Posen galt — denn sein Vorgänger Tindrr, der allerdings ein Deutscher gewesen war, batte sich nie ähnlicher Huldigungen zu erfreuen —, daß sie also nicht religiöser, kirchlicher Gesinnung und Verehrung entsprang, sonder» daß sie dem polnischen Aristokraten galt, dem Lrimas kolvulao. Derselbe Mann aber, der die auszeichnende Be- bändlung des deutschen Kaisers schmunzelnd eingestrichen hatte, strich ebenso schmunzelnd Huldigungen einer Menge ein, die Von einem fanatiscken Hasse gegen das Deurschthum und da mit auch gegen den deutschen Kaiser beseelt ist. Er ist damit ebenso verfahren, wie der Herr v. Koscielski, der ja auch in Görlitz einge.aden war und der in jener Zeit, da er bei rem Monarchen in besonderer Gunst stand, sich doch nicht enthalten konnte, auf dem Congresse zu Lemocrg seine großpolniscke und deutschfeindliche Gesinnung zu Tage treten zu lassen. Herr v. KoScielski legte damals, wie wir wissen, auf die Be ziehungen zum Hofe sehr hohen Werth und hatte sehr triftige Gründe dafür, aber die anti-deutsche Gesinnung in ihm war ebenso mäcktig, daß sie über alle Erwägungen den Sieg davontrug, als Koscielski sich in einem Kreise von Ge sinnungsgenossen wußte. Aus diesen Beispielen möge, daS wünschen wir herrlich, der Kaiser entnehmen, daß auch Auszeichnungen die Polen von ihren groß-polnischen und deutsch-seindlicken Gesinnungen nickt abzubringen vermögen. Wir sind gar nicht im Zweifel darüber, daß der Monarch, wenn er polnische Aristokraten auSzeichnet, von den ekelsten Gesinnungen beseelt ist; er will zeigen, daß er zwiscken seinen LanreSkindern keinen Unterschied macht, er will die Gegensätze versöhnen. Es ist das derselbe Gedanke der Versöhnung, der ihn auck bei seinem Verhalten fremden Staaten und Staats angehörigen gegenüber leitet. Er will der FricdenSkaiser nicht nur nach Außen, sonder» auch im Innern, im Vaterlande sein. Das ist eine so edle Absicht, daß wir wirk lich von tiefem Respekt davor ergriffen sind nnv daß es uns wahrlich nicht leicht wird, dagegen aufzulreten. Aber selbst ein kaiserlicher Wille scheitert an unwandelbaren TbatsacheN. Und unwandelbar ist der Haß deS polnischen Akels und der polnischen Geistlichkeit, unwandelbar seine Absicht, daS ehe malige polnisch« Reich Neu erstehen zu lassen. Don dieser Absicht läßt er sich auch durch Auszeichnungen eine- Kaiser nicht abbringen, er benutzt sie vielmehr, um sich in den Augen seiner ländlichen und kleinstädtischen Gefolgschaft ein Relief zu geben und damit Vie polnische Sache zu fördern. Das aber kann nicht in der Absicht eines deutschen Kaisers liegen und ganz gewiß nicht in der des Kaisers Wilhelm, der oft genug gezeigt hat, daß er Herr in seinem Hause zu sein wünscht. Er läuft aber Gefahr, in seinen östlichen Provinzen nicht mehr Herr zu sein, wenn nicht auck er sich der Auf fassung anschließt, daß da- Polenlbum auf der ganzen Linie rücksichtslos bekämpft werden'muß, und die polnische Aristokratie vor allen Dingen. Nur daun, wenn auf deutscher Seite ein einmüthigeS Verfahren eingeschlagen wird — und die höchste Stelle muß natürlich an der Spitze dieses Verfahrens stehen — nur dann ist eS möglich, die Wiederholung von Vor fällen zu verhindern, die das deutsche Ansehen untergraben. Deutsches Reich. ick. Leipzig, 22. September. Da- Erzebniß der ln der gestrigen socialdemokratischen Parteiversammlung vollzogenen Delegirtenwahl zum Parteitage ist folgendes. Abgegeben wurden insgesammt 3l9 Stimmzettel. Es erhielten die Herren Lange 190, Grenz 160, Lehman» 155, Beyer 136, KleeMann 128, Johannes 81, sowie die Frauen Meder 129 und Jäger 124 Stimmen. Gewählt sink also die Herren Lange, Grenz, Leb Mann und Frau Meder. Von be sonderem Interesse ist die Wahl des Herrn Grenz. Dieser batte in der gestrigen Partciversammlung ausdrücklich er klärt, er sei zwar durchaus kein Anarchist, aber er sei für einen freien Meinungsaustausch mit den Anarckisten und er betrachte seine Wahl als einen Gradmesser dafür, in wieweit der freie Meinungsaustausch überhaupt aufrecht er halten werden solle. Herr Grenz hatte auch in einer früheren Parteiversammlung gegen die das Auftreten der Anarckisten atif den. Londoner Eongresse tadelnde Resolution ge stimmt. Herr Or. Schönlank verlangte deshalb in seiner Entgegnung, daß den Delegirten die Pflicht auf erlegt werden solle, in Gotha der eben erwähnten Resolution gemäß zu handeln und zu stimmen. Die gestrige Wahlversammlung, welche für einen solchen Besckluß allein zuständig gewesen wäre, faßte jedoch keinen derartigen Besckluß. DaS von Herrn Or. Schönlank Vorgebrachte ist somit kessen Privatmeinung geblieben, an die Herr Grenz nicht gebunden ist. * LrrSde», 22. September. (Telegr.) Der CartSnnagen- Arbeiter Oskar Heinrich Kohl wurde wegen Vergebens gegen § 130 des Str.-G.>B. (Aufreizung zum Classenbaß) zu sechs Monaten Gefängniß verurtbeilt Der An geklagte hatte am 23. Juli nach einer Versammlung des hiesigen Anarckisten-ClubS „StreikenderVerein" eine Broschüre, betitelt: „Die Worte eine- Rebellen" oder „Die Nothwenkig- keit der Revolution" verbreitet. Der Gerichtshof erkannte auch auf Einziehung der Broschüre und Vernichtung der dazu verwendeten Platten. (Wiederholt.) L Berlin, 22. September. „Die beste Deckung ist der Hieb!" sagte der Posen-Gnesener Erzbischof v. Stablew» ki. Und von diesem Gesichtspunkte aus verklagte er den Districls- commissar Herrn von Carnap, weil dieser sich ihm auf dem Bahnsteig von Opalenitza am Abende des 14. Sep tember blutig geschlagen hatte zeigen wollen. Ein „Primas von Polen" ist nämlich in Ermangelung eines polniscken Königs interimistischer Vertreter der polnischen Souveränetät. Einem so bockgesteUlen Herrn darf man sich natürlich nicht gegen dessen Wunsch in einem derartigen Aufzuge vorstellen, selbst wenn man von den eigenen „Unlerlhancn" be hoben Herrn derartig zugericktet wurde. Ernsthaft geredet: die Aufzüge mit einem galvanisirten Nativnal- Polentbum bei den geistlichen Rundreisen des Herrn Erz bischofs v. Stablewski sind selbst einem Tbeil der polnischen Presse bereits zu arg geworden; so klagt der „Postemp" darüber, daß bei diesen Anlässen die Dauern im Krakauer Costum erscheinen, welches er al» eine Art von spanischer oder französischer Maskeradentrackt bezeichnet. Davon, daß nachher die einzeln«n polniscken Agitatoren über die Kosten dieser Costümirungen in öffentliche Procefse gerathen, als von einer ganz natürlichen Sacke nicht weiter zu reden. Hoffentlich aber wird jetzt die gerichtliche Untersuckung des jüngsten Vor falles dazu Anlaß bieten, mit dem national-pslniscken Mummen schanz auf deutschem Boden außerhalb der Carnevalszeit gründlich anfznräumem (-) Berlin, 22. September. De» Freisinns ganzer Jammer faßt einen an, wenn man im „Berliner Tageblatt" den Bericht über jene Vertrauensmännerversammlung der Gießener Freisinnigen liest, welche an Stelle der Reichs- tagScandidatur des gemäßigt-freisinnigen vr. Gutfleisck die des „voll und ganz unentwegten" Professor» Stengel acceptirte. Der Bericht lautet: „Der Vorsitzende des Wahlvereins Rechtsanwalt Metz erklärte auf das Bestimmteste, dah es nur Gründe privater Natur gewesen seien, welche vr. Entfleisch abgehalten, eine Tandidatur zum Reichstag anzunehmen. Besonders seien die Behauptungen, als habe der Vorstand mit Len Nationalliberajen wegen einer gemeinsamen Candidatur Gulfleiich vethandelt, unwahr, ebenso sei niemals daran gedacht oder von irgend einer Seite verlangt worden, daß vr. Entfleisch, wenn er in Len Reichstag gewählt werde, einer anderen Partei angehören müsse als der deutschsreisinnigen Volkspartri. vr. Gutfleisch, welcher persönlich in der Versammlung anwesend war, gab ebenfalls die Erklärung ab, daß er persönlich nicht daran gedacht, mit den Nationallibcralen wegen seiner Wahl in den Reichstag zu verhandeln, und daß es ihm ganz und gar fern gelegen, sich von seinen poli tische» freisinnigen Freunden, im Fall er gewählt worden wäre, ab zusondern. Der ihm gemachte Vorwutf, er habe anläßlich der Feier am 18. Januar rin Hoch auf Bismarck als den größten Staatsmann des Jahrhunderts ausgebracht und dadurch die frei sinnigen Principien verletzt, treffe ihn zn Unrecht. Die Festversammlung damals sei als gemeinsame Feier aller Bürger der Stadt, welcher Partei dieselben auch anqehörten, geplant und durchgesühkt worden, und da habe das Eomitö ihm auf getragen, ein Hoch auf diejenigen Staatsmänner dieses Jahr hunderts auszubtinoen, die für die Gründung des gleiches thätig gewesen. Nur i» diesem Sinne habe er in Ver bindung mit anderen Staatsmännern den Fürsten Bismarck geleiert, in diesem Sinne habe er ihn feiern können unbeschadet seiner politischen Gesinnung, und das, was er nach dieser Richtung am 18. Januar gesagt, hätten seine politischen Freunde gebilligt, es könne dieses jeder gerecht denkende Freisinnige unter schreiben. Bismarcks Verdienste um das Zustandekommen eines einigen deutschen Vaterlandes hätten mit den Fehlern, die er nach Gründung des druticken Reiches begangen, nichts zu thun. Gut fleisch führt Les Näheren ans, daß seine berufliche Tbätigkeit es ihm unter den augenblicklichen Verhältnissen unmöglich mache, längere Zeit von Hanse fern zu bleiben, und dies hätte ge schehen müssen, wenn er eventuell in den Reichstag gewählt worden wäre." Im Hinblick auf den nationalliberalen Delegirten- tag ist es ganz fördersam, daß die „gerecht" und die nicht „gereckt' denkenden Freisinnigen wieder einmal sich in Er innerung bringen. * Berlin, 22. September. Eine socialdemokratische Parteikonferenz für die Provinz Brandenburg tagte am Sonntag in Cobn's Festsälen. Namen» der Agitations commission erstattete Kaufmann Antrick den Rechenschafts bericht, der consiatirte, daß gegenwärtig eine gewisse Er schlaffung in der Agitation eingetrrten ist. In Folge der Feuilleton. Lismarck und Treitschke. In dem October-Heft der „Deutschen Rundschau", daS unter anderen Beiträgen auch einen Aufsatz von Güßfeldt über die diesjährige NordlandSreise Seiner Majestät des Kaiser» erttbält, veröffentlicht Paul Dailleu den ersten bis 1866 reichenden Tbeil einer biographischen Studie über Heinrich v. Treitschke mit einem Anhang von Briesen ke» Verewigten, die ibm von den Hinterbliebenen und von anderer Seite zur Verfügung gestellt sind. Neben sehr charakteristischen Briefen von G. Freytag, R. Haym und Anderen, die nur auszugsweise mitgeibeilt werden, verdient besonderes Interesse ein bisbcr unbekannter von Bailleu voll ständig veröffentlichter Briefwechsel zwisä-en BiSmarck und Treitschke. unmittelbar vor AuSbrnch des Kriege» von 1806, über welchen die „N. Pr. Z." nach den ihr überlassenen Aushängebogen folgende Mittheilungen machen kann. Bereit- tm Jahre 1865 hatte Treitschke sich an Bismarck gewandt wegen Benutzung de« preußischen Staatsarchiv», zu der ihn BiSmarck am 15. December 1865 in einem eigen händigen Schreiben ermächtigt. Al- dann der Krieg mit Oesterreick auSzubrecken drohte, richtete BiSmarck zu Anfang Juni 1866 durch den preußischen Vertreter in Karlsruhe an v. Treitschke, damals bekanntlich Professor in Freiburg im Breisgau, die Aufforderung, nach Berlin zu kommen. Treitschke erwiderte (Schreiben vom 4. Juni) mit der Bitte um nähere Angabe darüber, zu welchem Zwecke er nach Berlin kommen solle. Er verwies aus sein« Stellung al- badischer Staat-dienir, fügte aber di« Versicherung hinzu, daß «r sich verpflichtet halte, „seine beste Kraft dem Interesse d«< vreußischen Staate» zu widmen". „Ich halte", so sckrieo er an Flemming, „den Krieg, der un» bedorsteht, für gerecht und nothwendig, aber für da» Gelingen der BundeS- reformpläne scheinen mir einig« Eoncrssionen an di« Oppo sition, namentlich die Herstellung de» Dudgetrechte» der Ab geordneten unumgänglich. Di« -roße Mehrzahl der Deutschen ist in erster Linie librral und nur n«b«nb«, national gesinnt. Darum werden ohne ein verändert«» System im Innern die tüchtigsten Bundesrrformvläne der königlich«» Regierung in der Nation jrn« thätiae Unterstützung nicht finden, deren sie doch bedürfen . . . Kommt es zu einem Kriege, zu einer deutscken Politik im großen Stile, so treten diese Bedenken natürlich in den Hintergrund; in erster Reibe steht dann die Pflicht, Preußen» gerechte Sache mit dem Schwerte und mit der Feder gegen Oesterreich und die kleinen Neider zu ver fechten. Ich würde mich glücklich schätzen, an dieser Arbeit einen brscheidenen Antbeil zu nehmen; nur bitte ich, nicht zu vergessen, daß meine Unabhängigkeit mein beste« Gut ist, und ich nicht daran denken darf, sie aufzugeben." Wenige Tage spätrr, am 7. Juni, schrieb Treitsckke au» Freiburg direkt an BiSmarck: „. . . Di« formellen Bedenken, welcke meiner Reise nach Berlin im Wege sieben, sind nickt unüberwindlich. Gewänne ick wirklich die Ueberzeugung, daß meine Anwesenheit in Berlin Nicht ganz unnütz sei, so würde ich mich verpflichtet halten, meine Professur, selbst auf etwas tumnltoarische Weise, niederzulegen. Ander» steht es mit einem grundsätzlichen Bedenken. Ich habe au-dem Gange, den die königliche Regierung bisher ge nommen hat, nicht die Hoffnung schöpfen können, daß ich ihr meine Dienste widmen dürfte, und ich kann bi» jetzt nicht di« feste Zuversicht auf das Gelingen der deutschen Bundesreform gewinnen. . . . Mir erscheint die unbedingte Anerkennung deS Budgetrechts dir Abgeordneten al» ein« unabweiSlicke Nothwcndigkeit; keine Kunst der Welt wirb je «inen preußischen Landtag zu Stande bringen, der auf dieses Recht verzichtet. Gestatten mir Ew. Excellenz die Bemerkung, daß diese Rechts- und Freiheilsfrage sehr leicht zu einer Machlsraa, für Preußen werden kann. Ueber die nicht-würdigen Gesinnungen mehrerer füdd«utscken Höfe wird da- Berliner Eabinet im Klaren sein. Was dies« Höf« abhält, mit fliegend«» Fahnen in da» k. k. Lager überzugehen, ist nur di« dem Kleinstaat« angeborene Thatenscheu und die Ungewißheit über die Stimmung de» eigenen Volkes, daS heute noch schwankt zwischen seinem Preußenbasse und s«in«r »«belhastra Sehnjucht nach dem Parlamente. Fällt nun — wa» ich nicht glaube, aber auck nicht für unmöglich kalte — di« erste Schlacht ungünstig iür un» aus, und ist dann der Conflict in Preußen noch nicht beigelegt, so wird di« Bo-beit der kleinen Höfe, de» rothen Raricalilmu- und der starken österreichischen Partei im Süd«n voraussichtlich mächtiger sein al» all,' Grg«nbestr«bungen wohlm«in«nder Patriot«» und d«r Süden sich an Oesterreich anschließen. Ich sind« »- «ntsrtzlich, daß der bedeutendste Minister de» Auswärtigen, den Preußen sei» Jahrzehnten befaß, zugleich der bestgehaßte Mann in Deutschland ist. Ich finde e» noch trauriger, daß di« tüchtigsten Bunde-reform- gedanken, welcke je eine preußische Regierung vorgel«gt hat, in d«r Nation mit so schmachvoller Kält« ausgenommen werd««. Ab» dirs«r Fanatismn» der liberalen Parte«g«si»nung bestebt, er ist eine Macht, mit der man rechnen muß. Die Herstellung deS Budgetrechts und die fortreißende Kraft de» Kriege» — da» sind nack meinem Ermessen die einzigen Mittel, die verirrte öffentliche Meinung wieder zur Besinnung zu bringen. Selbst nach einem Siege unserer Waffen wird, wenn der Conflict im Innern nicht beigelegt ist, da» unüber windliche Mißtrauen der Liberalen den BundeSreformplänen die größten Schwierigkeiten bereiten. Ew. Excellenz sind unserem Lande durch die Gnade des Himmels fast wunderbar erhalten worden. Möchte eS Ihnen auch gelingen, den Frieden im Innern herzustellen, der für das Gelingen Ihrer groß gedachten nationalen Pläne nothwendig ist. So lange ick außerhalb Preußens lebe, ist meine publicistiscke Aufgabe leickt. Sobald ick mit der königlicken Regierung in irgend eine Beziehung trete, müßte ich auch an meinem Tbeile die Verantwortung für ihre innere Politik übernehmen: und dies ist mir unmöglich, so lange der Rechtsboden der Verfassung nicht beraestellt ist. Empfangen Ew. Excellenz meine herz lichsten Wünscke zu dem Beginn de» großen Kampfes, der jetzt wohl endlich anSbrechen wird." Graf BiSmarck selbst erwiderte hierauf mit folgendem Briefe (11. Juni): „Ew. Hockwohlgeboren sage ick meinen verbindlichsten Dank für Ihr gefälliges Schreiben vom 7. d. Mts. und die Offenheit, mit welcher Sie meiner Auf forderung entgegnet haben. Ich will dieselbe mit gleicher Offenheit erwidern. Die formellen und äußeren Bedenken halte ich mit Ihnen nur für Nebensacke. Wenn Ihre Stellung in Baden durch Ihre Tbätigkeit für Preußen deutsche Interessen unmöglick oder gefäbrdet würde, so würd«n wir un- glücklich schätzen, Ihnen in Preußen «ine» Ersatz zu bieten. Aber ick ehre Ihr grundsätzliche» Bedenken; und ich fühle vollkommen, wie r» Ihnen, wenn Sie in Preußen in bestimmter Beziehung zur Regierung wären, schwerer al« im AuSlanve s«in würde, die innere und äußere Politik zu trennen, und alle Ihr» Tbätigkeit für die letztere mit dem Gegensatz gegen die erstere zu verrinen. Ich sebe zwar auch diesrn Gegensatz nicht al» unverfönlich an; ich weiß aber noch nicht, wie weit e» meinen ernsten Bemühungen gelingen wird, eine Versöhnung herbeizuführen. Möglich, daß ick auch dafür einmal auf Ihr« versöhnende und ausgleichende Mitwirkung hoffen kannl Bi» dahin lassen Sie un« zu sammen wirken auf dem Felde, auf dem wir «S mit gutem Gewissen können: der deutschen Politik Preußen». Ich bin bereit, Sie auch nack Heidelberg hin (sie!) in möglichster Vollständigkeit mit allem dazu erforderlichen Material zu versehen. Ich beginne damit, indem ick Ihnen anliegend die Grundzüge der Bundes-Reform übersende, wie ich sie, allerdings immer nur al» «infache» Skelett, zur Grund lage unserer Beratbungen mit dem Parlament habe auS- arbeiten und gestern den deutschen Regierungen mittbeileo lassen. Wir denken dieselben auch näckstenS in dir Oeffrnt- Uckkeit zu bringe«; und, da die» voraussichtlich mit dem Be ginn der krieg«r,schen Action zusammenfallen wird, beabsichtigt S. M. der König ein Manifest an bi« deutsch« Nation zu erlassen, um sich über die Natur dieses Kampfe« und über die Ziele Seiner eigenen nationalen Politik auszusprechen. Möchten Sie, geehrter Herr Professor, «inen Entwurf zu einem solchen Manifest ausarbeiten und mir, freilich in wenigen Tagen, zusenken? Sie kennen und fühlen selbst die tieferen Strömungen de» deutschen Geiste», an welche man sich in so ernsten Augenblicken wenden muß, um den rechten Anklang zu finden, und werden di« warme Sprache reden, die dieser Anklang hervorruft. . . Trotz seiner „grenzenlosen Verachtung" so sagt er selbst — gegen die Parteifanatiker der Fortschrittspartei lehnte Treitsckke auch diesen Ruf Bismarck » ab, in Bedenken wegen der Lösung de» inneren Conflict«» in Preußen, in Sorge um sein kostbarste» Gut, den Ruf seiner Unabhängig keit. Er erwiderte Bismarck (l4. Juni), der Bundesreform plan erscheine ihm als ein Meisterwerk, und nach zwei gewonnenen Schlackten würden wobl auch die deutscken Höfe dafür zu stimmen sein; aber ein befürwort«nde» Manifest zu schreiben, verweigerte er, wie er bemerkte „mit tiefem Schmerze". „Es ist," so schreibt er an BiSmarck, „sehr wünsckenSwertb, daß daS Manifest warm und eindringlich geschrieben sei; ungleich wichtiger bleibt doch, wa» darin gesagt wird. Unk fragten mich Ew. Excellenz, wa» gesagt werden müsse, so kann ich immer nur antworten: da- Mißtrauen der Nation gegen die königl. Regierung ist leider grenzenlos; um r» zu mildern, giebt e» schlechterdings nur ein Mittel — die Herstellung der verfassungsmäßigen Reckte de» Landtages. Ist diese» Mittel unanwendbar (und ich weiß nur zu wohl, daß dir Verblendung der Fortschrittspartei eine Versöhnung unendlich erschwert), so wird auch «in schön und groß geschriebenes Manifest in der Masse der Nation keinen Widerhall finden. Die Zahl der wirklich politischen Männer, welcke fick über den Parteistandpvnct zu erbeben vermögen, ist in Deutschland verschwindend gering. Worte sind dann machtlos; nur von siegreichen Schlackten können wir dann noch eine Umstimmung der Nation erwarten . . . Man sieht, welche Bedeutung auck rin Mann wie Treitsckke dem inneren Conflict in jenem Augenblicke deimaß; und in der Tbat bedurft« es leider erst „siegreicher Schlachten", um eine „Umstimmung" der Nation herbeizuführen. Interessant aber wäre «», frstzufteUen, ob der ernste und drängende Rath Treitschke'», de» Berfassung-streit in Preußen brizulegen, auf Bismarck irgend «ine Wirkung gebabt Hal. Bailleu hält es wenigstens für nicht unwahrscheinlich. Er erinnert daran, daß ^ur wenige Tage nach Empsaug de» letzten Schreiben« von Treitschke BiSmarck selbst de« damaligen Bice-Präsidenten de» Abgeordnetenhauses, Herr» v. Unruh, zu sich beschieden und in einer langen Unterredung, über die Unruh selbst in seinen Denkwürdigkeiten ausführlich und glaubhaft berichtet, die Möglichkeit einer Ausgleichung de» ianertu Hader» er örtert hat.
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