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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PlönumeranönS- Pres« 22^ Sgr. (Z Thlr.) ,'ierteljjdrlich, 3 Tblr. für la« gö»;e Jahr, ohne Er höhung, in ollen Theilen der Preuhischen Monorchie. Magazin für die Man »rinumerirt auf diese« Literatur Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. StootS-Zeitung (Ariedrichtsle. Nr. 72); in der Provinz so wie im Aukland» bei den Wohllödl. Post-Aemiern. Literatur des Auslandes. 29. Berlin, Freitag den 6. März 1840. Rußland. Die Talgsiedereien der Steppen am Pontus. Von J. G. Kohl. Der Handel von Petersburg erportirt jetzt jährlich durchschnitt lich ein Waaren-Quantum zu einem Werthe von circa 120 Millionen Rubel. Von dieser Summe gehen ungefähr 40 Millionen bloß für das ansgcführte Talg ein, welches den hauptsächlichsten Artikel des ganzen PeiersbUtgischen Exports bildet und dein Gesagten zufolge allem ein Drittel des durch ihn beschäftigten Kapitals in Thatigkeit setzt. Die Talg-Ausfuhr der anderen Russischen Häfen ist im Ver gleich mit der von Petersburg unbedeutend, und alle zusammen mögen dem übrigen Europa etwa für 30 Millionen Rubel liefern. Man kauft das Pud <40 Pfund) Talg in den Russischen Hasenpläycn zu lO, II bis 13 Rubel, durchschnittlich zu l2 Rubel. Für jene 70 Millionen Rubel werden demnach circa 230 Mill. Pfund Talg geliefert, die sich in England, Skandinavien, Deutschland, Frankreich, Italien u. s. w. verthcilen und in diesen Ländern hauptsächlich in den Lichtziehereien und Seifensiedereien verarbeitet werden. Bringt man in Abrechnung das verhältnißmäßig wenige, was noch zu anderen Zwecken verbraucht werden mag — einiges Russische Talg wird in der Türkei verspeist, anderes m England zu dem Einschmieren der Maschinen verbraucht u. s. w. — rechnet man ferner das ab, was in den Wogen des Meeres untergehen mag, ehe es sein Ziel erreicht, was der eigenthnmlichcn Leichtigkeit des Talges wegen auch sehr unbedeutend ist, so mögen nach Beseitigung des Abfalls in den Licht- ziehcrcien und Seifensiedereien des übrigen Europa'S leicht 20<> Mill. Pfund Fabrikate ans Russischem Talge hcrvorgehcn, die als Kerzen verglimmen und als Seife verschäumen. Geben wir davon jcdein dieser Artikel die Hälfte, lassen wir durchschnittlich 7 Talalichter auf ein Pfund gehen, so erhalten wir auf diese Weise 700 Mill. Kerzen und >00 Mill. Pfund Seife. Wenn nun ein Städtebewohuer — von diesen muß hier hauptsächlich die Rede scyn, denn der Verbrauch der Landbewohner an Seife und Licht ist verhältnißmäßig unbedeu tend — jährlich etwa 40 Talglichter verbrennt - gewiß cine ziem lich hohe Annahme — und au Seife etwa 7 Pfund verschäumt, so geht aus dem Allen hervor, daß circa 13 Millionen Städtebcwohncr Europa'S mit Russischem Talge ihre Wohnungen illuminiren und ihre Kleider rc. waschen, wozu denn außerdem noch die KO Millionen Einwohner des Russischen Reichs zu rechnen find, die ausschließlich nur des Talges ihres eigenen Landes sich bedienen. ES sind hauptsächlich die gras- und vichrcichcn Steppen des Russischen Südens, die eine so erstaunliche Einwirkung auf die Er leuchtung und Reinlichkeit unseres Welttheils üben, und die nicht nur den nachbarlichen Politischen Handel Odcssa's, Taganrog s u. s. w. mit Talae speisen, sondern auch selbst dem entlegenen Petersburg den größten Theil seines Bedarfs in diesem Artikel liefern. Von den Karpathen bis zum Kaukasus und Ural, und vom Schwarzen Meer bis zur Ukraine und Kiew har sich in diesen Steppen eine eigenthümlich große, hochbeinige, langhörnige und durchweg silber grau oder weiß gefärbte Rinberrage verbreitet, und neben ihr in eben denselben Gegenden jenes Schafgeschlccht, dem die Natur ein so unheilvolles Geschenk mit einem dicken Fcttschwanzc machte. Zu dem wir die Art und Weise, wie diese Thiere, in großen Hecrden vereinigt, in der Wildniß der Steppen wandern und leben und speisend jenen wichtigen HandclS-Artikel produztren, der Europa'S Dunkelheit und Schmuy beseitigt, einer anderen Schilderung Vorbe halten, wollen wir hier nur darzustcllen versuchen, wie sie endigen und sterben, und wie die Menschen ihnen das angksetzte Fett abgc- winncn in den m allen Steppen-Landschaften verbreiteten Ssal- qanen°) oder Talgsiedereien, deren Beschreibung einigermaßen das Interesse des Deutschen Lesers Anspruch nehmen darf. Denn wenngleich wir auch in Deutschland wohl diesen Fabrikzweig kennen, so wird die Sache bei uns doch ziemlich still und unbemerkt abge macht, dagegen in den steppen auf eine etwas großartige Weise betrieben und,dort von allerlei cigenthümlichen Umständen begleitet, denen AchnÜches nur noch wieder in den Pampa'S Süd-Amcrika's gefunden wird. Seit alten Zeiten — wer weiß, ob nicht schon seit Hcrodct und Strabo, denn schon die Milesier holten aus diesem Scpthischen '/ Dom Nuss,scheu Wort» vaS so als Talg bedeutet. Süden Talg, Häute und Fleisch — sind die Großrussen die eigent lichen Besitzer der Talgsiedereien in den Steppen, weshalb sie denn auch bei den Tataren und Klcinruffen, welche die eigentlichen Hirten und Heerden-Befitzer des Landes sind, den Spitznamen „Kazappen", d. h. „Schlächter" Haden. Fast alle Ssalgancn im Lande der Ta taren, Malorossianer, Kosaken und Kalmücken find im Besitze von Großrussischen Spekulanten und werden auch von Großrussischen Arbeitern betrieben. Aus den großen Hecrden halbwilder Ochsen (ksolierecks'-i) kaufen sic die Thiere zu Hunderten ilnd Tausenden aus und schicken sie aus die Stcppenwiesen, die sie zu diesem Ende — billig genug, denn sür eine Dosiaun jMorgen) zahien sie oft nicht mehr als lO Kopeken (einen Silbergroscheu) — gepachtet haben, um sie nach der Mästung eines Sommers in ihren Ssalgancn cinzu- schlachten. — Ist das Jahr nun gut, d. h. feucht, so geht Alles nach Wunsch. Die Ochsen fressen sich satt und setzen große Quantitäten von der fetten Masse an, die ihr Herr im Herbste bei ihnen sucht und die nach einigen Umwandlungen dann dazu dienen soll, das Fett in seinem eigenen Topfe zu mehren. Wehe aber dem Talg-Kazappcn, wenn der Himmel seinen Segen, das heißt in den Steppen seinen Regen, dazu versagt und die Kräuter auf den Wiesen sich nicht saft- reich entwickeln wollen. Das Zett bleibt alsdann im salpetrigen Bove» und das Geld in den Kisten der Kaufleute stecken. Die Tausende von Ochsen kommen mager nach Hause oder schicken, wenn sic Hungers sterben, gar nur ihr Fell. Die Herren der Ssalgancn machen dann ihr Buch zu und erklären sich insolvent. Denn ge wöhnlich werden auch diese Talgsiedereien, wie so vicle Fabriken und Etablissements in Rußland, von Leuten unternommen, die entweder selbst gar kein oder doch nur ein unbedeutendes Kapital in ihrer Unternedmuug stecken habcn. Sehr häufig geben ihncn die Kauf leute, die gewöhnlich immer nach dem so gcsuchtcn Handels-Artikel begierig find, schon im voraus das Geld auf die Ochsen. Doch sind auch die Verluste im Fall des MißwachscS nicht unbedeutend; denn es kann sich bei einer Talgsiedcrci, die 2000 Ochsen auf eigene Rechnung einkocht, wenn man den Preis eines Steppen-Ochsen auf 80-100 Rubel annimmt, die Kosten der Weide und Hütung zu 5 — 6 Rubel, die dcS AdschlachtenS, Absiedcns u. s. w. zu etwa eben so viel, der jäbrliche Zuschuß, dcr bei einem solchen Etablissement nöthig ist, leicht auf 200,000 Rubel belaufen. Gegen Ende des Sommers zieht der Talgsiedcr seine Ochsen allmälig bei kleinen Partieen zu seinem Ssalgan heran auf Weiden, die er m der Nähe desselben besitzt, und endlich in den Hof selbst. Diese Ssalgans selbst bestehen nur aus einem großen Gehöfte, daS von wcitläuftigen Gebäuden umgeben ist und Stallungen, Brunnen und hohe Talgprcsscn in seinen Mauern einschlicßt. In den Gebäuden befinden sich große Räume zum Schlachten dcr Ochsen, andere mit gewaltigen Kesseln zum Sieben des Fleisches, wieder andere zum Ein sätzen und Trocknen dcr Felle, Comtoire für die Geschäfte, Wohnun gen für die Arbeiter u. s. w. Im Sommer steht dies Alles ganz leer, nur von einigen Hunden, Möven und Raubvögeln umstrcift, die der grauenhafte Duft lockt und von denen die Ssalgans LaS ganze Jahr hindurch umlauert sind. Denn so sehr wird hier im Herbst AUcS rund herum mit Mord und Blut getränkt, daß weder die Wjugen des Winters, noch die Nordweste des Frühlings den Moder geruch auStreideu konnten. Dcn Hunden ist dieser Duft lieblich, deu Menschen unleidlich, aber großer Gott! wie viel unerträglicher noch den armen Ochsen, die im Herbst zu diesen ihren Richtsätzen dcrangeführt werden. ES muß doch eine wunderbare und unbegreifliche CombinationS-Kraft in diesen Thieren stets thätig scpn, da sie, die doch aus frischer Steppt erzogen find, wo AllcS duftet, lebt und erstarkt, zu ahnen, ja deut lich zu erkennen wissen, daß dieser fatale Geruch ein Rachspuk ihrer getödteten Brüder sep, der auch ihnen wohl nicht zmn Heil ent gegen walle. Sic wittern die Sache und ihr ganzes Schicksal schon weit im voraus noch aus dcr Steppe, wo nur dcr leiseste Anhauch jener Pcstlust zu ihncn gelangen kann. Sie werden alsdann unruhig, suchen auSzuweichcu und gehorchen ungern dem treibenden Hirten. Endlich ahcr, wenn man dem fatalen Greitcrgehöftr mit Mühe fit nabe brachte, verzweifeln die geduldigen armen Rinder- Ihr Ge brüllt wird mitlcidcrwcckcnd, und manche rcvoltircn förmlich nn» müssen mit Gewalt herangcschlcppt werden. ES wäre unmöglich, sie-so ohne Weiteres durch das Thor des Ssalgan zu bringen. Man hat aber mehrere Ochsen in der Wirthschaft, die dort täglich ein und aus fahren, die das gesottene Talg verführen, Brennholz herbei- schleppen, das überflüssige Fleisch auf den Markt bringen, kurz dir