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„Es ist immer eine gute, warme, innerliche Musik, wie der Mensch, der sie ge macht hat" — äußerte einmal zutreffend Ernst Krenek über die Tonsprache des heute 76jährigen französischen Komponisten Darius Milhaud. Und Mil- haud selbst, einst neben Arthur Honegger wohl die kraftvollste Erscheinung der „Graupe des Six", sagte über seine Herkunft: „Meine musikalische Bildung ist ausschließlich durch den lateinisch-mittelländischen Kulturkreis bestimmt, was sich schon daraus erklärt, daß ich aus einer sehr alten jüdischen Familie der Pro vence stamme. Die südländische, besonders auch die italienische Musik hat mir immer sehr viel gesagt . . 1939 emigrierte Milhaud vor dem Faschismus in die USA und kehrte 1948 wieder in seine Heimat zurück, neben ausgedehnter kom positorischer Arbeit auch pädagogische Ämter übernehmend. Von seiner immen sen schöpferischen Fruchtbarkeit und Vielseitigkeit zeugt die Tatsache, daß seine Werkliste heute weit über 400 Titel sämtlicher Genres umfaßt, die stilistisch kaum auf einen Nenner zu bringen sind. Dabei ist der Komponist, im Wesen und Werk ein typischer Franzose und einer der markantesten Vertreter der zeit genössischen Musik seines Heimatlandes, seit Jahren infolge einer Lähmung an den Rollstuhl gefesselt. Das hindert ihn jedoch nicht, weiterhin zu komponieren, zu unterrichten und (im Sitzen) zu dirigieren (wie beispielsweise beim „Prager Frühling" 1966). Paul Collaer, ein hervorragender Kenner des Komponisten, sagte, daß seine Musik keine Entwicklung durchgemacht habe. „Sie war nicht zuerst impressionistisch, dann avantgardistisch und später klassisch. Sie ist geboren, wie sie heute ist." Gern wandte sich Milhaud der Gattung des Instrumentaikonzertes zu. So schrieb er mehrere Konzerte für Klavier, Violine, Violoncello, für zwei Klaviere, Bratsche, Klarinette, Flöte und Violine, ja sogar für Akkordeon, Mundharmonika, Marimba und Schlagzeug. „Das Problem des Konzerts regt mich sehr an. Es besteht darin, daß man einem Instrument und seinem Spieler die Möglichkeit gibt, klangliche Qualitäten und technische Fähigkeiten voll zu entfalten. Ein Konzert muß schwie rig und gleichzeitig Musik sein, damit will ich sagen, daß der Komponist die musikalische Struktur respektieren und dennoch dem Virtuosen die Möglichkeit geben muß, mühelos seine Fähigkeiten zu zeigen." In diesem Sinne ist die Fantasie für Klavier und Orchester „Der Karneval von Aix" (1926) ein regelrechtes Klavierkonzert und zugleich ein typisches Zeugnis Milhaudschen Schöpfertums. Eleganz und Raffinesse, Ge drängtheit und verschwenderisches Nebeneinander der musikalischen Gedanken kennzeichnen das prägnante, virtuose Werk ebenso wie einprägsame Melodik, lebendige Polytonalität und -rhythmik, Formklarheit und schillernde Orchester farben. Daß das Erlebnis des Jazz wie auch der Tanzmusik der 20er Jahre — neben exotischen Anregungen — für Milhaud von Bedeutung war, ist in der Locker heit und Spritzigkeit mancher melodischer und rhythmischer Wendungen zu spü ren. Außerdem erweist sich das Stück als inspiriert von altitalienischer Musik, auch etliche Serenadenthemen aus Sardinien wurden benutzt. Das Werk ver einigt zwölf instrumentale Ausschnitte aus Milhauds Ballett mit Gesang „Sa- lade“ nach einem Libretto von Albert Flament (Paris 1924), das ein Thema aus der Commedia del arte gestaltet — eine Mischung von Clownerien und Liebes intrigen, ein „hochkompliziertes Durcheinander von Verkleidungen und Mysti fikationen". Der Komponist wählte verschiedene Bilder und Charaktere der Com media del arte aus, die sich dafür eigneten, an einem Karneval teilzunehmen, gruppierte sie zusammen und nannte das Stück „Der Karneval von Aix" (Aix-en- Provence ist sein Geburtsort). Die Uraufführung erlebte das geist- und schwung volle, spielerisch-nonchalante Werk 1926 durch das New Yorker Sinfonieorchester unter der Leitung von Willem Mengelberg mit dem Komponisten als Solisten, der die reizvolle Komposition später sehr oft selbst interpretierte. „Die Haupteigenschaften meiner Musik sind leidenschaftlicher Ausdruck, innere Glut, rhythmischer Schwung und überraschende Wendungen“, schrieb Hector Berlioz, der große französische Komponist, glänzende Instrumentator, ei gentliche Begründer der Programm-Musik und Schöpfer der sinfonischen Dichtung, in seinen Lebenserinnerungen. Berlioz’ Musik, die Frucht eines genialen Musi kers, aber auch eines von außergewöhnlicher Überanstrengung gekennzeichneten schweren Lebens, spiegelt die gesellschaftliche und geistige Widersprüchlichkeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wider, insbesondere die typischen Wesenszüge der Menschen jener Epoche. Ausgehend von Beethovens Pastoral- Sinfonie, in welcher der Wiener Klassiker bekanntlich „mehr Ausdruck der Emp findung als Malerei" verlangt hatte, machte der französische Meister die Musik zum Ausdrucksträger seiner dichterisch-programmatischen Vorstellungen. Dabei erschloß er dieser Kunst einen völlig neuen Gefühlsgehalt, eine faszinierende Bildhaftigkeit, die ihn zum „realistischen Romantiker" werden ließ. Obwohl der Komponist die aufbrechende Leidenschaftlichkeit des französischen Menschen des romantischen Zeitalters in seiner Musik gestaltete, dem typisch romantischen Ichkult in der Kunst, den schroffen Stimmungsgegensätzen, die jene Zeit liebte, huldigte, wurde Berlioz' Schaffen von seinen Zeitgenossen zwiespältig aufge nommen. Er besaß einen einmaligen Klangsinn. Durch Steigerung der Ausdrucksmittel und des Umfanges des Orchesterapparates erzielte er phantastisch-ungewöhnlich^^ neuartige Klangwirkungen. Das Orchester wurde bei ihm zu einem Instrumer^^r mit dem er virtuose und Klangfarben-„Sensationen" hervorbrachte. Manchmal entsteht sogar der Eindruck, daß die musikalische Erfindung bei Berlioz durch eine „instrumentatorische" ersetzt wurde. Neben der großen Anregerrolle, die Hector Berlioz namentlich für Musiker wie Liszt, Wagner und Richard Strauss, als Schöpfer des modernen Orchesters und glänzender Klangzauberer, spielte, darf man jedoch in dem Meister getrost einen der ganz großen französischen Kompo nisten sehen. Die Ouvertüre „Der römische Karneval", ein glänzendes, turbu lentes Orchesterstück voller federnder Rhythmen, überschäumender Phantasie und kapriziöser Heiterkeit, entstand als zweite Ouvertüre zu seiner Oper „Benvenuto Cellini" im Jahre 1844. Deshalb enthält das Stück zwei Themen aus der Oper: das Thema des Karnevalschores mit seinem schwungvollen italienischen Salta- relio-Rhythmus und das lyrische Thema aus dem Liebesduett des ersten Aktes, das einen zärtlichen Kontrast zu der tänzerisch-ausgelassenen Grundatmosphäre der Ouvertüre schafft. Der Titel sagt alles über den Inhalt des Stückes: Volksfreu de, zündendes, lebensvolles Karnevalsgeschehen mit Liebesgeflüster, Masken treiben und wirbelndem Kehraus. Dr. Dieter Härtwig (•Nlharnoorri VORANKÜNDIGUNGEN: 25. und 26. Oktober 1968, jeweils 19.30 Uhr, Kongreßsaal 5. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Kurt Masur Solistin: Sylvia Geszty, VR Ungarn Berlin, Sopran Werke von Mozart, Egk und Strauss 27. Oktober 1968, 19.30 Uhr, Landhaus-Saal 2. LANDHAUS-KONZERT Werke von Boccherini, Butting und Brahms Anrecht D und freier Kartenverkauf Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1968 69 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. Dieter Hartwig Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden, Zentrale Ausbildungsstätte 42279 III 9 5 0,65 1068 ItG 009 81 68 Freier Kartenverkauf 1. KONZERT IM ANRECHT C